Photogen und Paraffin
„Man würde es sicher als eine der größten Entdeckungen unseres Jahrhunderts betrachten, wenn es Jemandem gelungen wäre, das Steinkohlengas in einen weißen, festen, trocknen, geruchlosen Körper zu verdichten, den man auf Leuchter stecken, von einem Platze zum andern tragen, oder in ein flüssiges, farb- und geruchloses Oel, das man in Lampen brennen könnte. Wachs, Talg und Oel sind aber brennbare Gase, im Zustand von festen Körpern und Flüssigkeiten, die uns gerade eine Menge Vortheile bieten, welche das Gaslicht nicht besitzt.“
So lautet eine Stelle in Herrn v. Liebig’s chemischen Briefen (Brief XII. S. 214). Die Industrie der Neuzeit hat uns mit zwei Beleuchtungsstoffen, dem Photogen und Paraffin, bereichert, welche um so mehr obigen Stoffen zugezählt werden müssen, als namentlich das Paraffin im Zustande seiner chemischen Reinheit genau die Zusammensetzung des ölbildenden Gases, (1 Kohlenstoff auf 2 Wasserstoff) den Hauptbestandtheil des Steinkohlengases besitzt, und also mit vollem Rechte „verdichtetes, auf einem Leuchter zu steckendes Leuchtgas“ genannt zu werden verdient. Photogen und Paraffin, zu deutsch Lichterzeuger und Verwandtschaftsloser, sind in der That zwei Produkte, die jedenfalls zu einer großen Rolle in der Zukunft berufen sind, wofür die schnelle Ausbreitung dieses neuen Industriezweiges hinreichendes Zeugniß sein dürfte. Wie alles Neue, fand auch er Gegner und Freunde die Hülle und Fülle, und während erstere so weit [64] gingen, die ganze Sache als „reinen Schwindel“ hinzustellen, prophezeiten die Enthusiasten der Gegenpartei ein völliges Aufhören alles Oelfruchtbaues und was dergl. Extravaganzen mehr waren. Die richtige Ansicht dürfte, wie so oft, in der Mitte liegen: die Photogen- und Paraffinfabrikation wird sich zu einer achtungswerthen und einflußreichen Stellung emporschwingen und Vielen lohnenden Verdienst gewähren; der schöne Maimonat wird uns aber trotzdem den Duft und das lustige Hochgelb der Rapsblüthe bringen und mancher Oekonom nach wie vor seinen Pacht mit dem Erlös für die Oelsaat bezahlen.
Das Photogen, in reinem Zustande eine wasserhelle, leicht bewegliche Flüssigkeit von stark lichtbrechender Kraft, ist ein Gemisch verschiedener ätherischer Oele, aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestehend, von denen das bekannteste das Benzin oder Benzol als Flecken vertilgendes Mittel, so wie als Lösungsmittel für Kautschuk, Harze u. s. w. bereits ausgebreitete Anwendung findet. Die erste Einführung des Photogens verdankt man dem französischen Fabrikanten Salligner, welcher aus den bituminösen Schiefern von Autun und Vouvant ein Oel bereitete, das er zwar anfangs nur zur Leuchtgasbereitung benutzte, später aber durch Destillation gereinigt, als Beleuchtungsmaterial zur Speisung eigenthümlich konstruirter Lampen, von dem Pariser Lampenfabrikanten Delignous erfunden, in den Handel brachte. In England und Belgien verwendet man das dem Photogen identische Steinkohlentheeröl oder die Kohlennaphtha schon seit Langem zur Beleuchtung von Straßen, Werkstätten u. dergl. Orten, und bediente sich dazu eigner, dochtloser Lampen, wie man sie heute in den Straßenlaternen der Leipziger Marienvorstadt und andern Orten in Norddeutschland findet. Der höchst unangenehme, intensive Geruch der neuen Waare mußte jedenfalls für den Anfang ein Hinderniß ihrer schnellen Ausbreitung sein; die durch bessere Darstellungsweise erzielte größere Reinheit und die vervollkommnetere Konstruktion der Lampen brachen ihr endlich Bahn und wurden darin jedenfalls durch die hohen Rübölpreise der letzten Jahre wesentlich unterstützt. Heut zu Tage sieht man das blendend weiße Licht des Photogens schon in vielen Gegenden ganz allgemein in Haushaltungen, Verkaufslokalen, Werkstätten und Straßen, und jeder Konsument findet sich durch die Billigkeit des Stoffes, verbunden mit seiner großen Leuchtkraft völlig befriedigt und übernimmt um dieser Vorzüge willen gern die geringe Mühe einer sorgfältigen Abwartung und Reinhaltung der Lampen, welche, so wie das Füllen, Anzünden und Auslöschen derselben des Geruchs wegen außerhalb der Zimmer, allerdings eine nothwendige Bedingung bei dem Gebrauche sind.
Das Paraffin, eine schneeweiße, wachsartige Substanz, ist ein Produkt der trocknen Destillation vieler organischer Körper. Es wurde zuerst im Jahre 1831 von Dr. Reichenbach zu Blansko in Mähren aus Buchenholztheer dargestellt und beschrieben, aber erst 1850 gelang es dem englischen Chemiker Young, eine Methode ausfindig zu machen, mittelst welcher das Paraffin in verhältnißmäßig großer Menge und auf eine hinlänglich billige Weise gewonnen werden kann, um zu einem Industrie- und Konsumtionsartikel zu werden. Herrn Young’s Paraffinfabrik zu Manchester war die erste ihrer Art, und er daher nach Reichenbach’s eigenem Zeugnisse der Urheber der neuen Industrie.
Das Paraffin ist in gewöhnlicher Temperatur starr, krystallinisch, rein weiß, geruch- und geschmacklos, und schmilzt bei 45° C. zu einer farblosen, öligen Flüssigkeit; es zeichnet sich in chemischer Hinsicht durch eine merkwürdige Indifferenz aus, welcher es auch seinen Namen verdankt, denn weder ätzendes noch kohlensaures Kali, Natron und Ammoniak, noch Schwefel-, Salz- und Salpetersäure üben irgend eine Wirkung auf dasselbe aus und selbst rauchendes Vitriol greift es nur bei höherer Temperatur an und zersetzt es langsam. Diese noch nicht hinreichend gewürdigten Eigenschaften gewähren an sich schon dem Paraffin einen hervorragenden Platz unter den Produkten chemischer Industrie, abgesehen von der Eleganz und Schönheit der daraus gegossenen Kerzen, die durch ihre durchscheinende, alabasterne Weiße und helles Licht die besten Stearinkerzen in den Schatten stellen. Freilich ist der jetzt noch hohe Preis derselben ein Hinderniß ihrer allgemeinern Verwendung; doch wird die unausbleibliche Konkurrenz und die Fortschritte der Industrie selbst nicht nur diese bald ermäßigen, sondern auch die noch vorhandenen Unvollkommenheiten dieser so schönen Kerzen dauernd beseitigen.
Es kann nicht im Zwecke dieses Blattes liegen, die Hand in Hand gehenden Fabrikationen des Photogens und Paraffins in ihren Einzelnheiten zu beschreiben; es ist dies die Sache technischer und chemischer Schriften, die zudem auch nicht viel darüber berichten, da man die speciellen Verfahrungsarten noch immer zu verheimlichen sucht. Es genüge uns, hier zu wissen, daß der Theer von Holz, Torf, Braunkohlen, Steinkohlen, bituminösen Schiefern und Kalksteinen (dem Stinksteine), ja selbst von allen möglichen thierischen Stoffen (bekannt unter dem Namen Franzosenöl) die Quelle ist, aus welcher die Kunst des Chemikers durch verschiedene Destillationen, Behandlung mit Säuren und Alkalien, Waschungen mit Wasserdampf u. s. w. die beiden Produkte ausscheidet; aber nicht sie allein, sondern noch eine ganze Reihe anderer Produkte, die man jedenfalls dem stinkenden, schmierigen Theere kaum zutrauen würde: da ist z. B. der bekannte Kreosot, das schon oben erwähnte Benzin, welches durch Einwirkung von Salpetersäure zu Bittermandelöl wird und zu Parfümerie und Konditoreiwaaren zu verwenden ist; die Pikrinsäure, ein gelber Farbstoff für Wolle und Seide; das Pittakal, ein blauer Farbstoff; verschiedene Fette und Oele, die zum Schmieren von Maschinentheilen aller Art dienen können, und endlich der Asphalt, dessen mannigfaltige Anwendungen noch einer ungeheuren Ausdehnung fähig sind. Dazu kommen Nebenprodukte aller Art: Kohlen und Koake, Ammoniak und Holzessigsäure, Schiefer zur Alaunfabrikation, Asche zur Düngung u. s. w.
Aber nicht allein die oben erwähnten Stoffe liefern der neuen Industrie das Rohmaterial: bereits hat man in manchen Erdpechen, Erdharzen und Steinölquellen einen großen Paraffingehalt nachgewiesen und mächtige Lager derselben behufs industrieller Ausbeutung aufgeschlossen; so berichtet Herr Robert Doms in Lemberg an die k. k. geologische Reichsanstalt zu Wien:
„Sehr häufig in der Nähe unserer Salzformation am Rande der Karpathen kommen mächtige Thonmassen angeschwängert mit Bergtheer, eine Lösung von Ozokerit (unreines Paraffin), Brandharzen und Asphalt in Steinöl vor. Die Gewinnung dieses Bergtheeres zur späteren Darstellung des Steinöles, um dasselbe statt des Kamphins in Lampen zu verbrennen, worauf ich ein Patent für die Monarchie gewonnen habe, veranlaßte mich, in Borgstow bei Drohobietz einen Schacht abzuteufen, hoffend, dieselben Verhältnisse wie in Baku am kaspischen Meere anzutreffen, wo einfache Brunnen ungeheure Mengen Naphtha liefern. Wenige Spatenstiche unter der Oberfläche fängt der bituminöse Thon an, der bei einem Schachte, den ich abteufte, in der 7. und 8. Klafter am meisten mit Bergtheer durchdrungen ist, in welcher Tiefe auch allein der Ozokerit in Ballen in den Thon eingeschlossen vorkam und habe ich bei 2/3 Kubikklafter Erdaushebung 220 Pfund rohen, ausgeschmolzenen Ozokerit erhalten. Die Bohrung ist bis zur 16. Klafter vorgeschritten, ohne das Liegende des bituminösen Thones erreicht zu haben.“
Solche natürliche Paraffinvorräthe müssen bald ihren Einfluß geltend machen und den Nutzen des Stoffes verallgemeinen!
Werfen wir nun einen Blick auf die unausbleiblichen Folgen der Ausbildung des neuen Industriezweiges, so sind sie zwar jetzt noch kaum berechenbar, aber ohne Zweifel heilsam für die ganze menschliche Gesellschaft. Durch Verwendung einer Menge, bisher theils ganz werthloser, theils nur wenig benutzter Naturprodukte, wie der bituminösen Schiefer, des Torfes, des Erdpeches u. s. w. müssen dem Nationalvermögen große Summen gewonnen werden; die Erzeugung der neuen Produkte wird die hohen Preise von Talg und Rüböl nicht noch höher steigen lassen, sie für die Beleuchtung entbehrlich und zu vortheilhafteren Verwendungen verfügbar machen; der unbegrenzte Verbrauch der fraglichen Produkte wird eine Ausdehnung dieser Industrie zulassen, die Tausende von Arbeitern lohnend beschäftigen wird!
Das erste Etablissement zur Erzeugung von Photogen und Paraffin war in Deutschland die Fabrik von Wiesmann & Co. bei Bonn; ihr sind in neuester Zeit eine Menge Konkurrenten erstanden, deren Existenz freilich zuweilen mehr auf sanguinischen Hoffnungen, als auf solider, industrieller Basis ruht.