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Philipp Otto Runge an Johann Georg Zimmer (24. Januar 1806)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Philipp Otto Runge
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Titel: Philipp Otto Runge an Johann Georg Zimmer
Untertitel:
aus: Hinterlassene Schriften von Philipp Otto Runge, Maler. Band 1, S. 63–64
Herausgeber: Johann Daniel Runge
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 24. Januar 1806
Erscheinungsdatum: 1840
Verlag: Friedrich Perthes
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Erscheinungsort: Hamburg
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Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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Bearbeitungsstand
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Hamburg den 24. Januar 1806.     

Lieber Freund, ich danke Ihnen, nicht bloß für Ihr gütiges Andenken und das Geschenk, welches Sie mir mit „des Knaben Wunderhorn“ gemacht; mehr und dauernder ist mir die freundschaftliche Gesinnung, welche Sie stets für mich gehabt, unvergeßlich; ich bin außer Zweifel daran, und ohne Besorgniß, daß wir jemals in der Hauptsache auseinander seyn sollten, wie verschieden uns auch der lebendige Ausdruck der Natur innerlich und äußerlich berühren und anziehen möchte.

Es ist unmöglich, daß man das Buch, welches Sie mir da schenken, ohne lebhaft interessirt zu werden in die Hand nehmen könnte, weil ein jeder an seine Umgebungen, oder an die Umstände, unter welchen er dieses oder jenes gehört hat oder noch hört, erinnert wird. Nur fällt es einem auf, zuerst, daß man vieles, das darin ist, vollständiger kennt und gehört hat, und hernach, daß durch das Uebertragen oder Verhochdeutschen eine Sache oft platter geworden ist. An einem rechten Volksliede, Ballade, Mährchen u. s. w. hangt eine geistige Färbung, wie die Staubfäden an den Blumen, dieses haben auch die Herausgeber gefühlt. Es liegt dieses wohl bisweilen in der Geschichte oder Materie, am gewöhnlichsten aber doch in dem Wie? oder Wodurch? Herder hatte Recht, daß die Melodien dabey gehören und selbst dem Fremdesten das höchste Interesse geben; sollte es nicht dasselbe mit dem Dialekt seyn, in welchem so ein Lied gemacht worden, und sollte man nicht, wenn man darauf denkt, den Reiz solcher Sachen festzuhalten, grade das Flüchtige, ich möchte sagen die [64] Blüthe, in welcher sie einem erscheinen, festzuhalten suchen? und diesen Moment der Blüthe hat, so gut wie alles Große und Gewaltige, auch jedes Lebendige, das uns reizt, und wer grade diesen festzuhalten sucht, kommt dahin, auch die Blume und Blüthe einer langen Bestrebung vieler Geschlechter in jeder Kunst wahrzunehmen. Wenn man vergleichen wollte, könnte man sagen, die Mahlerey hätte in ihrem Anfange schon darnach gestrebt, die Blüthe darzustellen, eben das Flüchtige, das erst am Ende möglich geworden, da das Gewächs seine größte Höhe erreicht hatte. Und so wie die Blume nur einen Moment in ihrer Pracht da steht, daß man das Woher? oder Wodurch? darüber vergißt, so vergessen auch eben die Menschen eines über dem andern, und wenn einer das Wie? ohne das Was? macht, ist es wieder so, als wenn die Blätter der Blume ihr die Farben nachmachen wollen; was kommt dabey heraus? Das sehen wir in jedem Herbst, die ganze Geschichte geht caput und wenn der Säame nicht glücklicherweise bey der ganzen Sache verborgen und in der Mitte bliebe, wo sollte wieder etwas Neues herkommen?

Ich sende Ihnen hiebey zwey plattdeutsche Döhnchen, wie sie die Kinderfrauen wohl erzählen. Man findet sie selten so vollständig und ich habe mich bemüht, sie so aufzuschreiben, wie sie sich anhören. Vielleicht, da Sie das Plattdeutsche doch verstehen, wird es Ihnen möglich, auch den rechten Ton zu treffen, oder ihn sich zu imaginiren. Der Ton ist sehr verschieden in beiden. Das erste ist eigentlich erhaben pathetisch und wird durch die Kümmerlichkeit und Gleichgültigkeit des Fischers sehr gehoben. Das andre ist im Grunde mehr wehmüthig als traurig, es geht oft in’s Fröhliche über. Ich glaube, wenn jemand es übernähme, dergleichen recht zu sammeln, und hätte das Zeug, um das Eigentliche zu packen, daß es schon der Mühe verlohnen würde; vorzüglich wäre nie zu vergessen, daß die Sachen nicht gelesen, sondern erzählt werden sollten.

In dem Wunderhorn sind sehr schöne Sachen, vorzüglich: „Musikam soll man ehren,“ die Schweizer Geschichten, und dann: „Ich will zu Land’ ausreiten.“ Dies ist wahrscheinlich aus dem Heldenbuch, und, wenn ich nicht irre, ein Bruchstück aus dem Rosengarten, wo der Alte seine Recken holt. – Mein Bruder D. hat sich vorzüglich daran erbaut, und erbaut sich noch, denn ich habe es noch nicht wieder.