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Pfingst-Erinnerungen aus Thüringen

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Textdaten
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Titel: Pfingst-Erinnerungen aus Thüringen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 392
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[392] Pfingst-Erinnerungen aus Thüringen. „Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen.“ Der Frühling trieb die ersten Blätter und Blüthen. Da überkam mich eine unwiderstehliche Sehnsucht, der glänzenden Kaiserstadt zu entfliehen, wie sie den Zugvogel aus seinem Winterquartiere treiben mag. Es litt mich nicht mehr

„In des Hauses dumpfen Gemächern,
Unter dem Druck von Giebeln und Dächern,
In der Straßen quetschender Enge,
In der Menschen buntem Gedränge.“

Hinaus in’s frische Waldesgrün! – So lockte mich’s, je staubiger es „Unter den Linden“ wurde, wie ferner Elfengesang. Aber wohin? – Ich überlegte hin und her, bis mir ein guter Genius den Gedanken eingab: In den Thüringer Wald, der ja alljährlich so viele Berliner anlockt, daß man fast meinen könnte, im „Thiergarten“ zu wandeln, wenn der Baumschlag nicht so jugendlich frisch und die Luft, die über Berge und Thäler streicht, nicht so aromatisch erquickend wäre.

Und es geschah also.

Arnstadt war die Pforte, durch die ich in die grünen Hallen des Gebirges trat. Dort stand ich sinnend vor dem Hause, „an der Lindeneck“, worin Wilibald Alexis, der deutsche Walter Scott, die Augen schloß, und wanderte sodann durch die prächtigen Lindenalleen, die das liebliche Städtchen umkränzen, um der gefeierten Dichterin, welche die „Gartenlaube“ mit den reizenden Bildern ihres Geistes und Herzens schmückt, aus bescheidener Ferne einen dankbaren Gruß zu weihen.

So war ich der Villa Marlitt, die einen sorgfältig gepflegten Berggarten überragt, nahe gekommen und rastete nun auf einer Steinbank, die eine so liebliche Aussicht gewährt, daß ich unwillkürlich Luther’s gedachte, der Arnstadt mit einer Schüssel voll gesottener Krebse verglich, die mit Petersilie garnirt sei.

Horch! da tönte mir ein heller Jubel entgegen, den eine Schaar halbwüchsiger Mädchen anstimmte, die soeben aus dem Marlitt’schen Berggarten kamen. Es waren, wie ich bald vernahm, die von einer Lehrerin geleiteten Zöglinge eines vielbesuchten thüringischen Mädchen-Instituts. Sie waren auf der „Pfingstreise“ begriffen, die – wie sie plaudernd mir erzählten – ein jährlich wiederkehrender Glanzpunkt ihres Pensionslebens sei, und hatten im „Schwarzburger Hofe“, einem bescheidenen Gasthause, Wohnung genommen, lediglich deshalb, weil dieses das ehemalige Hellwig’sche Haus ist, worin „Das Geheimniß der alten Mamsell“ spielt. Dort hatte eines der jungen Mädchen ein paar Stegreifsverse entworfen und sie, im Namen ihrer Mitschwestern, als herzlichen Gruß jugendlicher Begeisterung der Marlitt zugeschickt. Und siehe da! die junge Schaar war von der Dichterin in ihre Wohnung eingeladen und dort freundlichst empfangen worden. Durften sie nicht stolz auf diese Ehre sein? Und sie waren es. Wie glänzten ihre Blicke, wie rühmten sie in buntem Durcheinander, was sie gehört und gesehen!

Als jedoch der Wirth des „Schwarzburger Hofes“, der sich den Gästen seines Hauses als Führer angeboten hatte und selbst auf die seltene Auszeichnung stolz zu sein schien, daß gerade diesen seinen Gästen die Villa Marlitt sich geöffnet habe, in seiner schlichten Weise von der Jugend der Dichterin erzählte, von ihrem edeln Gemüthe und von der Spannkraft ihres Geistes, die sich durch alle Kämpfe siegreich hindurchgerungen und selbst unter schweren Leiden nicht gelähmt worden sei: da waren die Lippen der Mädchen verstummt, und in manchem Auge perlte eine stille Thräne, in welcher der Wunsch sich spiegelte, daß dem Leben der Gefeierten, wie ein an ehrenvollster Anerkennung reicher, so auch ein freundlicher, schmerzloser Spätsommer beschieden sei.

Indeß schlug diese theilnehmende Wehmuth alsbald wieder in lauten Jubel um, als Fräulein Sch., die begleitende Lehrerin, ein Prachtexemplar der „Goldelse“ zeigte, welches von der Verfasserin mit eigenhändiger Widmung „den liebenswürdigen Vorsteherinnen des Sch…’schen Instituts in dankbarer Erinnerung an den 23. Mai 1875“ verehrt worden war. Und dieser Jubel schlug noch lange an mein Ohr, als die fröhliche Schaar fast zögernd von dannen zog und immer und immer mit Händen und Tüchern dem schmucken Hause zuwinkte, das sie wie ein Heiligthum betreten und verlassen hatte. Ich aber freute mich mit den Fröhlichen, insonderheit auch darüber, daß die kranke Dichterin sich ein so kindliches, jugendfrisches Herz bewahrt hat, um an der Liebe und Verehrung jener Backfische vielleicht ein größeres Wohlgefallen zu finden, als an manchen glänzenden Huldigungen, die ihr dargebracht werden.

Mein Weg führte mich von Arnstadt nach Elgersburg und Ilmenau. Da und dort traten mir die klassischen Erinnerungen an unsere Dichterfürsten Goethe und Schiller entgegen, sodaß ich der Marlitt und jenes Institutes beinahe vergessen hätte. „Ueber allen Gipfeln ist Ruh’.“ Dies unsterbliche Lied summte mir fort und fort durch die Seele, als ich an einem der nächsten Abende zur „Schmücke“ emporstieg, jener stattlichen Herberge auf dem Rücken des Gebirges, die den Wanderer wie eine großartige Sennwirthschaft anheimelt.

Es war ein prachtvoller Abend. Kein Lüftchen regte sich in dem einsamen Hochwalde, durch den ich stundenlang schritt. Bald umhüllten die Schleier der einbrechen Nacht meinen Pfad, und der Vollmond glitzerte fast gespensterhaft durch die hochragenden Bäume, welche die Straße umsäumten. Ich war allmählich recht müde geworden und sehnte mich nach einem gastlichen Obdache.

Endlich lichtete sich der Wald, und aus der Ferne blitzte mir zum freundlichen Willkomm ein Licht entgegen. – Was aber war das? – Wunderbare Töne drangen zu mir herüber wie geisterhafte Sphärenharmonie. Unwillkürlich rastete mein Fuß. Da verstummte auch die geheimnißvolle Musik. Als ich aber wieder vorwärts schritt und das ersehnte Gasthaus aus dem Schatten der Nacht allmählich hervortrat, da erschallte näher und näher eine lustige Melodie, und weiße Gestalten drehten sich auf dem mondbeleuchteten Plane, als ob lustige Elfen einen ihrer nächtlichen Reigen aufführten.

Ohne gerade furchtsam oder schreckhaft zu sein, dachte ich doch unwillkürlich an den grauenvollen Spuk, der nach dem alten Volksglauben vorzugsweise am Schneekopf, und zumal in Vollmondnächten, sein gespenstisches Wesen treiben soll. Doch nein, dies war kein Spuk. Bald hörte ich lachende Menschenstimmen, und als ich näher kam, tönten mir die Anfangsworte des Liedes entgegen, womit die Sch…’schen Pensionsschwestern, die Marlitt angesungen hatten:

„Es drängt uns, Dich zu grüßen in heit’rer Jugendlust;
Ein Fünklein Deines Geistes glimmt auch in uns’rer Brust.“

Und wirklich, es waren jene fröhlichen Mädchen, die zu den Tönen einer Ziehharmonika, welche eine derselben nicht ungeschickt handhabte, im lustigen Tanze, aber nicht ohne anmuthige Sittsamkeit, sich vergnügten. Auf dem rauhen Gipfel des Gebirges, beinahe dreitausend Fuß über dem Meere, in mondheller Nacht ein sylphidenartiger Tanz holder, fast kindlicher Mädchen unter freiem Sternenzelte und rings vom düsteren Wald umsäumt: ich werde das originelle Bild, das eines Rembrandt’schen Pinsels würdig war, nicht leicht wieder vergessen.