Parry’s Expedition nach dem Nordpole
Parry’s Expedition nach dem Nordpole.
Wir haben hier einen merkwürdigen Beweis, wie oft Thatsachen alle Systeme und Theorien der Gelehrten und selbst die gewichtigen Beschlüsse hochweiser Gesellschaften zu Schanden machen. Nachdem jeder Versuch, den Nordpol zu Schiffe zu erreichen, fehlgeschlagen war, fand man es sehr wahrscheinlich, daß, wenn man, an den Eisfeldern in der Nordsee angelangt, das Schiff verließe und sich in Bote begäbe, die mit den gehörigen Vorräthen versehen wären, man ohne viel Schwierigkeit das längstersehnte Ziel erreichen würde. Den Zwischenraum zwischen der offenen See und dem Pole bildet – sagte man – eine unabsehbare ebene Eisfläche; hier könnten die Bote aufs Trockne gezogen und, mit Rädern versehen, von Rennthieren oder Hunden weiter gebracht werden; traf man offene Stellen, so brauchten die Reisenden blos die Räder abzunehmen, die Bote ins Wasser zu setzen, sie mit ihren Hunden oder Rennthiern zu besteigen, und, nachdem sie in ein paar Minuten den Zwischenraum durchschifft, ihre Reise auf den Eisfeldern weiter zu verfolgen.
Der Glaube an die Ausführbarkeit dieses Planes gründete sich auf das Zeugniß Capitän Lutwidge’s, der, mit Capitän Phipps vereinigt, die Expedition an den Nordpol im Jahr 1773 ausgeführt hatte. Nach seiner Beschreibung bildete das Eis nordöstlich von einer der sieben Inseln (im Norden Spitzbergens) eine fortlaufende, ebene, ununterbrochene, nur vom Horizont begränzte Fläche. Auch in Capitän Phipps Karte von dieser Reise wird das Eis im Norden und Westen der sieben Inseln als eben ununterbrochen und völlig fest bezeichnet. Der arktische Seefahrer Scoresby, der jüngere, geht sogar noch etwas weiter. Er sah ein Eisfeld so ohne alle Risse und Unebenheiten, daß, wäre kein Schnee gelegen, eine Kutsche ohne Hinderniß oder Gefahr viele Stunden weit darauf hätte fahren können. Von dieser einzelnen Thatsache ausgehend, schrieb er eine Abhandlung über die Ausführbarkeit des eben berührten Planes, welche in den Memoiren der Werner’schen Societät in Edinburg vor das Publikum gebracht worden ist. Die Berichte mehrerer Wallfischfänger, die von Capitän Parry befragt wurden, gingen eben dahin; auch scheint Parry selbst den Plan so wenig bedenklich gefunden zu haben, daß er ihn den Lords der Admiralität vorlegte; diese theilten ihn der königlichen Societät mit, welche die Ausführung desselben angelegentlich empfahl. Capitän Parry gesteht jedoch, er habe seine Hoffnung auf einen günstigen Erfolg hauptsächlich darauf gebaut, daß ein ähnlicher Vorschlag schon früher von Capitän Franklin gemacht worden war; der nicht nur einen Plan zur Expedition entwarf, sondern sich auch erbot, an die Spitze zu treten. Bedenkt man alle Umstände, die Glaubwürdigkeit der Zeugen, worauf man sich stützte, die unbestreitbare Einsicht derjenigen, welche darüber zu entscheiden hatten, und die große Erfahrung sowohl des Offiziers, der diese neue Unternehmung vorschlug, als auch dessen, der sie auszuführen versuchte, so findet sich nicht wohl ein auffallenderer Beleg für die Trüglichkeit menschlichen Zeugnisses und theoretischer Spekulation, als der sich aus der vorliegenden Erzählung ergibt.
Alles war für die Expedition vorgekehrt, was nur immer der Scharfsinn zur Sicherung ihres Gelingens ersinnen mochte. Man hatte Bote erbaut, die nach den damit vorgenommenen Proben dem beabsichtigten Zweck vollkommen entsprachen. Zu beiden Seiten des Kiels waren starke Kufen, mit geglättetem Stahle beschlagen wie Schlitten, beträchtlich den Kiel überragend, angebracht, und auf diesen ruhte das Bot, so lang es auf dem Eise war. Auch Räder waren in Bereitschaft, die an den Boten befestigt werden konnten; allein man hatte nicht Gelegenheit, ihre Brauchbarkeit zu erproben. Vorräthe hatte man im Ueberfluß; die Bote sollten, nachdem das Schiff Hekla in einem sichern Hafen geborgen wäre, Spitzbergen mit Anfang des Junius 1827 verlassen und gegen Ende Augusts zu dem Schiffe zurückkehren, da man voraussetzte, daß das fragliche Unternehmen in dieser Zeit ausgeführt werden könnte.
Der Hekla erreichte am 19 April Hammerfest, wo acht lappländische Rennthiere zum Ziehen der Bote in Bereitschaft waren. Am 29 ging er wieder unter Segel und war am 16 des folgenden Monats auf der Höhe von Red Beach angekommen, der höchsten Breite, auf die man das Schiff mitzunehmen gedachte. Hier aber wollte sich kein sichrer Hafen finden, in welchem man das Schiff lassen konnte; und einige Umstände traten ein, welche für den Capitän wenig Aufmunterndes hatten. Parry sagt:
Die Beschaffenheit des Eises war ohne allen Vergleich für unsern Zweck die ungünstigste, die ich jemals gefunden hatte. Es bestand aus unzusammenhängenden Stücken [362] von kaum 15–20 Quadrat-Yards;[1] zeigten sich größere Stücke, so war ihr Rand wieder mit kleinern umgeben, die durch den Druck in tausend Splitter sprangen und bei jeder Bewegung vorwärts große, scharfeckige Massen uns entgegenthürmten. Wir hätten keinen Grund gehabt, einen solchen Weg weiter zu verfolgen, wenn wir nicht geglaubt hätten, gewiß seyn zu dürfen, daß jenseits größere Eisflöße und Eisfelder sich befinden müßten, von welchen wir nicht mehr weit entfernt seyn könnten. In dieser Hinsicht betrachtete ich unsre östliche Richtung als vortheilhaft, vorausgesetzt, daß nordwärts in diesem Meridian eine Unterbrechung des Eises weniger zu befürchten war als westwärts, wo fern vom Lande jeder Südwind einen Eisbruch herbeiführen mußte. Ein anderer, sehr wichtiger Vortheil schien mir der zu seyn, daß, da Spitzbergen dem Eise gegenüber lag, wir annehmen konnten, daß letzteres nicht in so großer Menge und so ungestüm südwärts treiben würde als westwärts.
„Aus diesen Gründen wünschte ich wenigstens einen Versuch zu machen, und da die Offiziere mit mir derselben Meinung waren, so setzten wir am 27 früh Morgens die Bote aus, entschlossen, uns eine Strecke weit von dem Schiffe zu entfernen. Allein das Eis war so ungleichmäßig, daß wir selbst mit noch mehr Mannschaft offenbar in einem Tag nicht mehr als eine (englische) Meile zurücklegen und überdies die Bote leicht durch ihr Anstoßen an die eckigen Eismassen eine bedeutende Beschädigung erleiden konnten. Unter diesen Umständen war es jedem von uns nur zu klar, daß es höchst unklug seyn würde, auf der Fortsetzung der Fahrt zu bestehen, da, wenn nach all dem das Eis auch schon in einer Woche so wegtreiben sollte, daß es uns möglich würde, der festen Eisfläche auf einige Meilen näher zu kommen, wir durch längeres Zuwarten doch noch Zeit ersparten, der vielen Gefahren und nutzlosen Strapatzen und des Aufwands unsrer Mundvorräthe nicht zu gedenken. Ich ergab mich deßhalb, obgleich höchst ungern in die Nothwendigkeit und ließ unsere Sachen wieder an Bord bringen.
[366] Dieß war ein schlechter Anfang. Der Hekla war indessen fortwährend mit Eis umgeben, und sichtbar in solch gefährlicher Lage, daß Capitän Parry es für seine Pflicht hielt, an Bord zu bleiben, bis das Schiff an einen sichern Ort gebracht werden konnte. Erst nach geraumer Zeit konnte diese nothwendige Maßregel getroffen werden; jeder Versuch mißlang bis zum 18 Junius, wo man endlich eine Bay (Treunenburg bay) entdeckte, in die man am 20 das Schiff bugsirte. Hier sollte es Capitän Parry’s Rückkehr von dem Eise unter der Obhut Lieutenant Fosters erwarten, der die Weisung erhalten, mittler Weile, falls es die Umstände erlaubten, die östliche Küste aufzunehmen.
Der bereits mit den Boten gemachte Versuch bestimmte Capitän Parry sich nicht wieder der Rennthiere zu bedienen, da er sah, daß sie, wenn das Eis sehr uneben wäre, die Fahrt mehr verzögerten als förderten. Als die nöthigen Vorkehrungen getroffen waren, verließ er mit den zwei Boten den Hekla am Abend des 21 Junius. Das Wetter war ruhig und schön, die See offen. Nordwärts steuernd, stießen sie am 23 im 81° 12’ 51" der Breite auf Eis. Die Bote wurden auf das Eis gebracht und folgender Reiseplan angenommen.
„Es war meine Absicht, die Nacht durch zureisen, und am Tage zu ruhen, da zur Sommerzeit in diesen Regionen beständige Taghelle ist. Die Vortheile dieses Planes, der jedoch gelegentlich durch die Umstände eine Abänderung erlitt, bestanden zuerst darin, daß wir so den starken, drückenden Schneeglanz während der Zeit, wo die Sonne am höchsten steht, vermieden, und dadurch einigermassen die in allen Schneeregionen gewöhnliche schmerzhafte Entzündung der Augen, „Schneeblindheit“ genannt, verhüteten. Zweitens hatten wir auch in den Stunden der Ruhe wärmer und konnten unsre Kleider trocknen; wozu noch der nicht geringe Vortheil kam, daß bei unsern Nachtreisen der Schnee härter war. Der einzige Nachtheil zeigte sich hiebei, daß Nachts die Nebel häufiger und dichter waren als bei Tag, obgleich in dieser Hinsicht weniger Unterschied statt fand, als man sich vorstellen mochte, da die Temperatur doch im Ganzen während der 24 Stunden nur wenig Veränderung erlitt. Dieses Reisen bei Nacht und Schlafen bei Tag verkehrte so gänzlich die gewohnte Ordnung der Dinge, daß es schwer fiel, sich von Täuschungen frei zu halten. Selbst die Offiziere und ich, die wir Taschenchronometer hatten, fanden nicht immer heraus, in welchem Theile der 24 Stunden wir waren; und mehrere erklärten, (was man ihnen glauben kann), daß sie während der ganzen Excursion nie die Nacht von dem Tag unterscheiden konnten.[2]
Wenn wir Abends aufstanden, begannen wir unsern Tag mit Gebet, zogen unsre Pelzschlafgewänder aus, und legten die Reisekleider an; die erstern bestanden in Camelot, mit Waschbärfellen gefüttert, letztere aus starkem blauem Box. Wir beschlossen immer dieselben Strümpfe und Stiefel anzulegen, mochten sie den Tag über getrocknet seyn oder nicht; höchstens fünf oder sechs Mal waren sie nicht naß oder hart gefroren. Dieß hatte jedoch nichts zu bedeuten; das Unangenehme beim Anziehen in solchem Zustande [367] abgerechnet, durfte man sicher seyn, daß sie nach viertelstündigem Weiterziehen durchein naß geworden waren; während auf der andern Seite von höchster Wichtigkeit war, trockne Stücke zum Schlafen zu behalten. Sobald wir reisefertig waren, frühstückten wir warme Cacao und Zwieback, und nachdem wir dann unsere Sachen auf den Böten und Schlitten zurecht gelegt hatten um sie wo möglich vor dem Naßwerden zu sichern, traten wir unsere Tagreise an, und machten gewöhnlich 5 oder 5½ Stunden, hielten dann zum Mittagessen, und reisten wieder 4, 5 oder 6 Stunden, so wie es die Umstände erlaubten. Hierauf hielten wir an, der Nachtruhe wegen, wie wir es hießen, obgleich es gewöhnlich früh Morgens war, wobei wir die breiteste Eisfläche aussuchten, der wir uns nähern konnten, um die Bote darauf zu setzen, und zu verhüten, daß sie nicht durch Berührung mit andern Massen zerschellen oder weiter treiben möchten. Die Bote wurden der Länge nach an einander gelehnt, mit ihrem Hintertheil gegen den Wind gekehrt, dann wurden Schnee und Wasser herausgeschafft, die Segel über die Bambusmaste und drei Ruder als Zelte ausgespannt, und nur an dem Bug ein Eingang gelassen. Jeder zog nun trockne Strümpfe und Stiefel an; dann ging es an ein Ausbessern der etwa beschädigten Bote, Schlitten oder Kleider; nachdem wir alles auf die morgende Reise gehörig vorbereitet, setzten wir uns zum Abendbrode. Die meisten der Offiziere und der anderen Mannschaft rauchten ihre Pfeifen, was sehr viel zum Trocknen der Bote und Zelte beitrug und in unsern Behausungen eine Temperatur von 10° bis 15° erzeugte. Dieser Theil des Tages und nur dieser gewährte uns wahrhaften Genuß; die Leute erzählten ihre Geschichten und fochten alle ihre Schlachten wieder durch, so daß die nur zu oft erfolglosen Anstrengungen des Tages darob vergessen wurden. Während wir schliefen, wurde eine sich stündlich ablösende Wache aufgestellt, für den Fall, daß Bären erschienen, oder das Eis um uns her bräche; auch mußte sie darauf sehen, daß die Kleider trockneten. Wir beschlossen unsern Tag mit Gebet, und legten uns dann in unsern Pelzkleidern mit so viel Behagen zur Ruhe, als vielleicht wenige unter unsern Umständen für möglich hielten. Die einzige Unannehmlichkeit war, daß wir etwas im Raum beschränkt waren, und zu dicht und unbequem neben einander liegen mußten. Die Temperatur stieg während unseres Schlafens gewöhnlich von 36° bis 45°, je nach Beschaffenheit der äussern Atmosphäre; ein paar Mal hatten wir so windstilles und warmes Wetter, (bis zu 60°–66°), daß wir einen Theil unserer Pelzkleider abwerfen mußten. Nachdem wir sieben Stunden geschlafen hatten, gab der zur Bereitung der Cacao Aufgestellte, wenn diese fertig war, mit dem Horn ein Zeichen; wir erhoben uns und traten auf die oben beschriebene Weise unsre weitere Reise an. Der für jeden Mann bestimmte tägliche Mundtheil bestand in 10 Unzen Zwieback, 9 Unzen Pemmican (eingepöckeltes Fleisch), 1 Unze versüßtes Cacaopulver, 1/4 Pinte Rum, nebst wöchentlichen 3 Unzen Tabak.
Unsere Feuerung geschah mit Weingeist, wofür täglich zwei Pinten ausgesetzt waren; das Cacaopulver wurde in einem eisernen Kessel über einer gewölbten eisernen Lampe mit 7 Dochten gekocht; eine einfache Vorkehrung, die unserem Zwecke vollkommen entsprach. Wir fanden gewöhnlich eine Pinte Weingeist zur Bereitung unseres Frühstücks, d. h. zum Sieden von 28 Pinten Wasser hinreichend; obgleich es immer von einer Temperatur von 32° anfing. Bei ruhigem, schönem Wetter brachte diese Quantität Weingeist das Wasser in 11/4 Stunden zum Sieden; meistens aber gingen die Dochte zu Ende, bevor die Hitze 200° erreicht hatte. Diese Vorkehrung verschaffte uns ein für Leute in unserer Lage höchst erquickliches Mahl. Dieß war mit geringer Abwechslung während der ganzen Excursion unsere regelmäßige Art zu leben.“
[370] Am 24 trat die Gesellschaft um 10 Uhr Abends in einem dicken Nebel, der jedoch bald in Regen überging, ihre erste Eisreise an. Gleich beim Anfang derselben hatten sie mit Schwierigkeiten zu kämpfen, vor denen Leute von blos gewöhnlicher Erfahrung zurückgebebt hätten. Die Eisstücke waren von geringem Umfang, sehr uneben, und nöthigten sie drei und oft vier Tagreisen mit dem Gepäcke zu machen, und mehrere geringe Wasserzwischenräume mit den Böten zu durchschiffen. Um fünf Uhr des folgenden Morgens hatten sie erst etwa 2½ Meilen nordwärts zurück gelegt. Am Abend brachen sie wieder auf. Sie stießen auf ähnliche Schwierigkeiten. Ihr Weg ging über lauter kleine, lockere, rauhe Eismassen, durch kleine Wasserzwischenräume getrennt; weßhalb sie beständig die Böte bald ins Wasser setzen, bald wieder auf das Eis bringen mußten; wobei jede dieser Operationen, des Umladens wegen, beinahe eine Viertelstunde erforderte. Am folgenden Tag regnete es heftig, was ihnen neue Hindernisse in den Weg legte. Capitän Parry führt als merkwürdige Thatsache an, daß sie im Verlaufe dieses Sommers mehr Regen hatten, als in den sieben frühern Sommern zusammen, obgleich sie damals 7°-15° der Breite niedriger fuhren als hier. Die Wirkung, welche der Regen auf das Eis hervorbrachte, wenn anders die Erscheinung ihren Grund im Regen hat, war ganz auffallend.
„Das Eis, über welches wir heut zogen, hatte ein sonderbares Aussehen; es bestand auf seiner Oberfläche aus zahllosen, irregulären, nadelartigen Kristallen, scheitelrecht und dicht zusammen aufgestellt; ihre Länge wechselte bei den verschiedenen Eisstücken zwischen fünf und zehen Zoll; sie waren ungefähr einen halben Zoll breit, und an beiden Enden gespitzt. Die Oberfläche des Eises sah oft aus wie [371] grüner Sammt; ein scheitelrecht abgerissenes Stück davon, wie man es häufig an dem Rande von Treibmassen findet, gleicht, so lange es beisammen bleibt, dem schönsten Atlaszeug, und wenn es in Stücke zerfällt, dem Asbest. In dieser frühen Jahreszeit bot diese Art Eis einen guten festen Weg; bei vorrückendem Sommer aber wurden die Nadeln etwas loser und beweglicher, und erschwerten es sehr, darüber hinzuschreiten; überdies schnitten sie in die Stiefel und die Füße ein, weßhalb die Leute sie „Federmesser“ nannten. Es schien uns wahrscheinlich, daß sich diese seltsame Erscheinung eher von starken Regentropfen, die in das Eis eindrangen, und dieses in der vorbenannten Nadelform trennten, herschrieb, als von einer regelmäßigen Kristallisation im Akt des Gefrierens; für unsre Annahme sprach noch der Umstand, daß die Nadeln immer in vertikaler Richtung standen, und nur auf der Oberfläche nach unten zu sehen waren.“
Am 27 trafen unsere Reisenden auf das einzige ziemlich feste Eisfeld, das sie bisher gesehen; allein auch dieses war in lauter kleiner Stücke gesprungen.
Am 28 erreichten sie ein Floe[3] (Eisfloß-Treibstück) mit hohen und schroffen Hummocks (Eisklötzen) bedeckt, worüber sie nur mit größter Mühe wegstiegen, da sie die Bote beinah in senkrechten Richtungen auf und nieder ziehen mußten. So ging es Tag für Tag; bald steuerte man an losem Treibeise hin, oder suchte die Bote über die schroffen, berghohen Eisflöße hinzuschleppen. Um die Bote und Vorräthe fortzuschaffen, mußten die Leute oft denselben Weg drei, vier, fünf, oft sogar sieben Mal zurücklegen. Es liegt etwas Großes in dem Grad von Resignation und Muth, womit Capitän Parry und seine Gefährten über so furchtbare Hindernisse hin ihren Zug verfolgten.
„Sobald wir an einem Floestück landeten, gingen Lieutenant Roß und ich voraus, um, während man auslud, und die Bote auf das Eis schaffte, den besten Weg für sie aufzufinden. Die Schlitten folgten unsrer Spur. Die Herren Beverly und Bird begleiteten sie; von ihnen wurde der Schnee in so weit niedergetreten, daß die Bote Bahn bekamen. Am andern Ende des Floe oder an einer schwierigen Stelle angekommen, erstiegen wir einen der höchsten Eishügel in der Nähe (manche von ihnen waren 15–25 Fuß über der See), um uns von da besser umsehen zu können; nichts konnte furchtbarer seyn, als die Aussicht, welche sich unserm Blick darbot. Das Auge mühte sich vergeblich, einen andern Gegenstand als das Eis und den Himmel, der über ihm lag, zu finden; und auch letzterer war unsern Blicken oft durch dichte, düstre Nebel verborgen, die hier eine ganz gewöhnliche Erscheinung sind. Aus Mangel an Abwechslung schenkten wir den unbedeutendsten Gegenständen eine mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit; eine vorbeifliegende Möve, eine Eismasse von ungewöhnlicher Form wurde in unserer Lage ein Gegenstand von komischer Wichtigkeit; wir haben uns seitdem oft selbst darüber belächelt. Man kann sich denken, wie erfreulich es war, den Blick von dieser Scene der leblosen Verödung ab nach unsern zwei kleinen Boten in der Ferne zu wenden, wie die Gestalten unsrer Leute sich unter den Eisblöcken hinwanden, und durch die öde Stille der Eiswildniß die Stimme von Menschen zu vernehmen. Nur einmal hörten wir einen Vogel schreien; ein andermal fanden wir im Schnee zwei kleine Fliegen.“
„Da das Quantum des jedem Einzelnen zugemessenen Mundvorraths nur für Leute berechnet war, welche blos gewöhnliche Anstrengungen zu bestehen haben, so reichte er nicht zu; wenn nun irgend ein lebendiges Geschöpf, dessen Ermordung kein Gesetz verbot, das Unglück hatte, auf unserem öden Pfade uns in den Wurf zu kommen, so war es das Signal zu einem Freudenfest. Einmal kam ein fetter Bär über das Wasser daher, um uns einen Besuch zu machen, ward aber in einer Entfernung von zwanzig Yards von Lieutenant Roß erschossen. Die Scene war selbst für uns, die Theil daran nahmen, äußerst komisch. Das Thier war nicht so bald niedergestürzt, als auch gleich einer von der Mannschaft sich mit einem Messer über dasselbe hermachte, und auf die Frage, was er wolle, erwiederte, „Das Herz und die Leber ausschneiden, und in dem Kessel, der eben sprudelt, fertig machen.“ Kurz das Thier war noch keine Stunde todt, als zu unserm großen Ergötzen schon aller Hände beschäftigt waren, nicht nur den Verdiensten des Herzens und der Leber, sondern auch einem weitern Pfunde Bärenfleisch per Mann volle Ehre widerfahren zu lassen; den ganzen Tag röstete der eine oder der andere seine Schnitte Fleisch über einem großen Feuer, das man von dem Fette des Thieres gemacht hatte.“
„Einige Mal schlugen wir, Lieutenant Roß und ich, bei unsern Recognoscirungen verschiedene Richtungen ein und mußten uns durch den tiefsten Schnee, von kleinen Wasserstellen unterbrochen, durcharbeiten. Wenn die Schlitten so weit gekommen waren, als wir untersucht hatten, kehrten wir alle zu den Boten zurück; die Mannschaft je eines Botes zog ihr Bot, wenn der Weg erträglich war, und die Offiziere arbeiteten gleich angestrengt mit den Untergebenen. Unter zehen Meilen hatten wir neun auf die beschwerlichste Weise zurückzulegen; denn selten trafen wir auf eine hinlänglich ebene und feste Eismasse, daß wir mit einem Mal all unsere Ladung mit uns führen konnten; in den ersten vierzehn Tagen brauchten wir zu jeder Tagreise die fünffache Zeit, indem wir, um nach und nach Bote und Gepäck fortzuschaffen, den Weg dreimal hin und zweimal zurück machen mußten.“
Trotz all diesen ernstlichen Hindernissen zogen sie unausgesetzt neuen entgegen. Am dritten Juli erreichten sie ein meilenlanges Eisstück, auf welchem im Durchschnitt fünf Zoll tiefer Schnee lag; unter dem Schnee war 4–5 Zoll tief Wasser; „sobald wir aber,“ bemerkt Capitän Parry, „einem Eisblock (Hummock) nahten, geriethen wir in eine Tiefe von 3 Fuß und darüber, so daß es oft schwer hielt, [372] mit einem Fuß einen sichern Tritt zu tun, um den andern wieder herauszuziehen. Dieß war noch nicht alles.“ „Nun wurden auch die Lachen frischen Wassers sehr beträchtlich; mehrere von ihnen waren eine (englische) Viertelsmeile lang, und so tief, daß wir über das Knie einsanken. Durch sie durften wir unsre Schlitten nicht nehmen, wenn wir nicht alle unsre Habe durchnässen wollten, und wir zogen deshalb ungeachtet des kalten Schneewassers vor, die Bote hindurchzufahren, da sie mit ihren Läufen leichter auf dem härteren Boden unter dem Wasser hinwegglitten. Auf solchem Wege legten wir einmal in mehr als zwei Stunden blos eine Strecke von hundert Yards zurück.“
Wir bekommen einen Begriff von den Drangsalen, welche diese unternehmenden Männer erlitten, wenn wir hören, daß sie, nachdem sie ihre Stiefel von dem Wasser, womit sie sich gewöhnlich während des Marsches füllten, geleert und ihre Strümpfe ausgewunden, schon solche Erleichterung fühlten, als ob sie völlig trocken wären. Um ihr Ungemach noch zu vergrößern, wurde am 14 Juli das Wetter durch beständiges Schneegestöber, kleine Schlossen und Winde so schlimm, daß sie genöthigt waren, unter den Zelten zu bleiben. Sie mußten nun über lauter lockeres Treibeis setzen, und konnten kein Floestück, noch viel weniger ein Eisfeld entdecken, nach dem sie ihre Richtung hätten nehmen können. Der Schnee war durch den Regen so weich geworden, daß man beinah nicht durchkommen konnte. „Lieutenant Roß und ich,“ bemerkt der Berichterstatter, „sanken bei unsern Rekognoscirungen oft so weit ein, daß wir nach vergeblichem Versuche, unsre Beine herauszuziehen, eine Weile ruhig niedersitzen mußten, um zu neuen Versuchen Kräfte zu sammeln; und die Mannschaft, welche die Schlitten zog, sah sich oft genöthigt, auf allen Vieren weiter zu kriechen, um nur von der Stelle zu kommen.
„Bei all diesen entmuthigenden Beschwerden arbeiteten die Leute mit gutem Willen, da sie die Hoffnung belebte, in kurzem die zusammenhängendere Eisfläche, „das Eisfeld“ im Norden von Spitzbergen zu erreichen, welches Capitän Ludwidge ungefähr im nämlichen Meridian, und mehr denn einen Grad südlich als eine zusammenhängende, nur vom Horizont begrenzte Fläche ebenen, ununterbrochen Eises beschreibt.“
Regen, Nebel, Treibeis, Hummocks (Eisblöcke), Wasserlöcher in dem Eis bilden Tag für Tag den Refrain, nicht der Klagen des Berichtstellers, (denn er klagt nie), sondern seiner schlichten, männlichen Erzählung, worin er die Hindernisse, auf welche sie stießen, zwar genau, aber nicht weitläufiger schildert, als nöthig war, um das Publikum, in dessen Diensten er gestanden, zu überzeugen, daß das endliche Mißlingen seiner Anstrengungen das unvermeidliche Ergebniß von Umständen war, denen nicht begegnet werden konnte.
Dieß ist mit wenig Veränderung die Beschreibung der Beschwerden, welche Capitän Parry mit seinen Gefährten bei ihrem erfolglosen Versuch, an den Pol vorzudringen, erduldete.
[374] Zu Ende des Juli wurde das Wetter wieder günstiger und die Eisflächen größer und zugänglicher. Um so schmerzlicher und niederschlagender war es daher für die Reisenden, da sie nach all diesen Hindernissen, die sie überwunden hatten, finden mußten, daß alles Eis, durch einen starken Südwind aufgelöst, nach Süden trieb, und sie, ob sie gleich vom Mittag des 17 bis zum Morgen des 20 zwölf Meilen in nordnordwestlicher Richtung zurückgelegt, in Folge des Eistriebs nach Süden wirklich weniger als fünf Meilen weiter gekommen waren. Am 22 gelangten sie an ein paar große Eisflöße, und alles ging, wie sie glaubten, aufs beste von Statten; sie legten eine Strecke von etwa siebzehn Meilen zurück, und hatten, den Eistrieb mit eingerechnet, doch wenigstens zehn bis eilf Meilen nordnordöstlich gemacht. Wie erschracken sie aber, da sie, statt nach der Tags zuvor gemachten Berechnung zehn oder eilf, nicht volle vier Meilen zurück gelegt hatten! Um Mitternacht fanden sie sich in einer Breite von 82° 43’ 32‘’. Von Mitternach bis zum Mittag des 26 hatten sie ihre guten zehn bis eilf Meilen nordwärts gemacht, und fanden sich nach Maßgabe der gestrigen Bemerkung, drei Meilen südlich von der Breite, die sie am 22 erreicht hatten. Sie schlossen nun, daß zu dieser Zeit das Eis im Norden täglich weiter als vier Meilen treibe, und wenn sie noch die Beschaffenheit des Eises, welches sie zu passiren hatten, in Anschlag brachten, so verloren sie, während sie schliefen, beinah wieder Alles, was sie auf ihrer mühevollen Wanderung gewonnen hatten. Seit einigen Tagen hatte Capitän Parry alle Hoffnung aufgegeben, über den 83ten Grad vorzudringen; nun aber fand er, daß er auch nicht einmal so weit kommen würde. Die höchste Breite, die er erreicht zu haben glaubte, war 82° 45’ am 23. Am 26 entschloß er sich zur Rückkehr, indem er die Mannschaft nicht länger bei einem, wie sich nun zeigte, unausführbaren Unternehmen verwenden wollte. Er war allerdings beträchtlich weiter vorgedrungen, als nach glaubwürdigen Berichten jemals ein Anderer gekommen war, hatte aber keinen wesentlichen Vortheil gewonnen, als daß er die Unrichtigkeit von Capitän Franklin’s ursprünglicher Annahme, und aller Zeugnisse und Beweise, wodurch sie unterstützt wurde, durch die That beurkundete. Im Verlauf ihrer Rückkehr am 2 August trafen sie auf eine Quantität Schnee, der einige Zoll tief mit einer rothen Materie gefärbt war, wovon zu künftiger Untersuchung einiges in einer Flasche aufbewahrt wurde.
„Dieser Umstand erinnerte uns an die früher gemachte [375] Bemerkung, daß die beladenen Schlitten, über den harten Schnee hingleitend, eine röthliche Spur hinterließen, was wir damals einer röthlichen, aus dem Birkenholz, woraus sie gezimmert worden, ausgehenden Materie zuschrieben. Jetzt aber bemerkten wir, daß nicht nur die Läufe an den Boten, sondern selbst unsere Fußtritte dieselbe Wirkung hervorbrachten, obgleich wir mit dem Vergrößerungsglase nichts entdecken konnten, was diese Farbe gegeben hätte.“
Professor Hooker und andere gelehrten Botaniker scheinen sich dafür entschieden zu haben, daß der erst erwähnte rothe Schnee nichts anderes sey, als eine Pflanze, die in dem Schnee lebt und vegetirt, und zu dem Geschlechte der Algen gehört.
Capitän Parry erreichte mit seinen Gefährten am 11 August die offene See, nachdem sie 48 Tag auf dem Eise zugebracht, und gelangte am 21 wohlbehalten, obgleich nicht bei bester Gesundheit, auf dem Hekla an; der größte Theil der Mannschaft, die Offiziere und selbst den Capitän mit eingeschlossen, war durch die gemachten Anstrengungen sichtbar erschöpft.
„Ich kann,“ bemerkt der Berichterstatter, „die Erzählung unserer Abenteuer nicht beschließen, ohne der frischen Thätigkeit und dem unermüdeten Eifer, den meine Begleiter, Offiziere sowohl als Gemeine, im Verlaufe, der Excursion an den Tag gelegt hatten, volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und wenn es überhaupt möglich gewesen wäre, so hätte stete Beharrlichkeit und rührige Kraft-Anstrengung von ihrer Seite unser Unternehmen mit dem glücklichsten Erfolg gekrönt.“
Nach den meterorologischen Bemerkungen, die in dem Anfang gegeben sind, entnimmt man, daß Capitän Parry in der Wahl der Zeit für seine Expedition besonders unglücklich war; da in dem einzigen Sommer zwanzigmal mehr Regen fiel als in irgend einem andern, den er in Polarregionen zugebracht hatte.
Wir führen noch Capitän Parry’s Schlußbemerkung an:
„Schließlich muß ich noch, so weit es mir möglich ist, zu zeigen versuchen, wie es geschah, daß das Eis, über welches wir kamen, so wenig der schon erwähnten Beschreibung der ehrenwerthen Autoritäten entsprach. Es kam uns im Verlauf unsrer täglichen Wanderungen oft vor, als ob diese irrige Annahme einigermaßen daher entstanden sey, daß unsre Seefahrer das Eis immer nur von einer beträchtlichen Höhe aus besichtigten. Die einzig freie und weite Aussicht am Bord eines Schiffes hat man vom Mastkorb aus; und Phipps’s wichtigste Bemerkungen über das Eis im Norden von Spitzbergen wurden von einem mehrere hundert Fuß über die See erhabenen Standpunkt aus gemacht. Nun weiß man recht wohl, wie sehr sich auf diese Art oft das geübteste Auge trügt, und es ist leicht gedenkbar, wie jene Unregelmäßigkeiten, die uns so viel Zeit und Anstrengungen kosteten, auf solche Weise durchaus unbemerkt blieben, und die ganze Oberfläche plan und eben erschien.“
„Es ist ferner sehr wohl möglich, daß der Zustand von Auflösung, in dem wir unerwartet das Eis getroffen, zum Theil wenigstens von dem ungewöhnlich nassen Wetter kam, dem vielleicht ein besonders strenger Winter vorangegangen war.“
„Ueber letzteres konnten wir jedoch nicht entscheiden, da meines Wissens noch Niemand über die Temperatur eines Winters in den höhern Breiten berichtet hat. Wenn wir aber unser meterorologisches Tagbuch mit einigen andern in derselben Jahreszeit und ungefähr in der nämlichen Breite[4] aufgesetzten vergleichen, so ergibt sich, daß, obgleich sich keine wesentliche Verschiedenheit in der gewöhnlichen Temperatur der Atmosphäre findet, die Quantität Regen bei unsrer Unternehmung bedeutend größer war, als die gewöhnliche. Auch ist es allgemein bekannt, wie schnell sich das Eis durch den Regen auflöst. Was nun auch immer die Ursache davon seyn mag, so viel ist gewiß, daß in dem Meridian, in dem wir mit den Boten nordwärts vordrangen, die See in einem ganz andere Zustande war, als bei Phipps, wie aus unsern Berichten zu ersehen ist. Sein Schiff war im Anfang Augusts nahe bei den sieben Inseln mehrere Tage dicht von Eis umgeben, während der Hekla Anfangs Juni in derselben Nachbarschaft ohne irgend ein Hinderniß segelte, und vor dem Ende des Juli von der Insel Citle Table aus kein Stückchen Eis zu sehen war.“
„Es muß ferner bemerkt werden, daß vor der Mitte Augusts, wo wir das Eis in unsern Boten verließen, ein Schiff, fast ohne auf ein Stück Eis zu treffen, in die Breite von 82° hätte vordringen können. Auch waren wir allgemein der Meinung, daß es am Ende des Monats nicht sehr schwer gewesen wäre, 83° im Meridian der sieben Inseln zu erreichen.“
- ↑ 1 Quadrat-Yard = 9 Quadratfuß.
- ↑ Hätten wir die höheren Breiten erreicht, wo die Veränderung der Sonnenhöhe während der 24 Stunden noch unmerklicher ist, so wäre durchaus nöthig gewesen, ein zuverlässiges Unterscheidungsmittel bei sich zu führen; da ein Irrthum von zwölf Stunden Zeit uns bei der Rückkehr auf einen dem rechten Meridian entgegengesetzten oder 180° davon abgeführt hätte. Um dieser Möglichkeit zu begegnen, hatten wir einige Chronometer, von den Herren Parkinson und Frodsham verfertigt, bei uns, auf deren Zifferblatt 24 Stunden angeschrieben waren, und der Zeiger nur einmal des Tages umlief.
- ↑ Ein Floe bedeutet ein Eisfeld, dessen Enden man von dem Mastkorb aus unterscheiden kann; die Hummocks sind Eismassen, die sich auf der Oberfläche des Eisfloßes zu einer beträchtlichen Höhe erheben, und durch das Anprallen der Floes an einander entstanden sind.
- ↑ Namentlich das von Scoresby im Monat Julius vom Jahr 1812–1818 (inclus.) Capitän Franklin’s vom Julius 1818.