Zum Inhalt springen

Pariser Industrie

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Pariser Industrie
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 16
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[16] Pariser Industrie. Auf dem Platze vor dem Hotel de Ville sahen wir um einen Wagen eine Zuschauergruppe versammelt, die sich in jedem Augenblicke durch hinzutretende Neugierige vermehrte. Auch wir näherten uns derselben. Auf einem eleganten Einspänner stand neben dem zügelführenden Kutscher, hinter dem sich noch ein ungewöhnlich erhöhter thronartiger Sitz befand, ein hochaufgerichteter auffallend schöner, elegant gekleideter Mann, der mit einem vergoldeten Bleistifte eifrig etwas in ein Skizzenbuch zu zeichnen schien, während er dabei ruhig seine Cigarre rauchte und das Anwachsen seines Zuschauerkreises mit sichtbarer Befriedigung bemerkte. Hinter ihm auf dem erhöhten Sitze ließ ein Leiermann in phantastischer Kunstreitertracht die Töne einer sehr gut gestimmten Drehorgel erschallen. Was bedeutet das? fragten wir einen der Zuschauer. „Es ist Mangin, der Bleistifthändler,“ war die Antwort; „Sie werden gleich sehen!“ In demselben Augenblicke klappte der Genannte sein Buch zu, und nahm die Cigarre aus dem Munde. Er legte den eleganten Kastorhut ab, und setzte an dessen Stelle einen römischen Imperatorhelm auf. Allgemeines Ah! des Erstaunens der Neulinge. Dann nahm er einen weiten antikmittelalterlichen pelzverbrämten Mantel aus den Händen des Leiermanns, und warf ihn malerisch über seine Kleidung, alles schweigend und in höchster Gemächlichkeit. Jetzt stand er da, wie ein römischer Triumphator anzuschauen, den goldenen Bleistift in der einen, das Skizzenbuch in der andern Hand, und nachdem er langsam rings umher schauend seine Versammlung gemustert hatte, haranguirte er dieselben in folgender Weise: „Sie sehen mich alle erstaunt an, Messieurs, und fragen, was diese Seltsamkeiten zu bedeuten haben? Viele von Ihnen werden indessen mit der Antwort schon fertig sein. Nicht wahr, Messieurs, Sie sagen im Stillen: es ist ein Charlatan erster Klasse! – Wohlan, meine Herren, Sie haben Recht, vollkommen Recht: ich bin ein Charlatan, ich gestehe es ein, ja ich mache mir eine Ehre daraus, ein Charlatan zu sein. Leben wir nicht in Frankreich? Ist Frankreich heutzutage nicht das Land des Charlatanismus? Muß man nicht ein Charlatan sein, um die Franzosen an sich zu ziehen und für einen Augenblick zu fesseln? Aber ich bin kein gewöhnlicher Chartatan, ich will Sie gar nicht betrügen. Ich habe einen antiken Helm aufgesetzt, aber Sie haben kurz zuvor meinen modernen Hut gesehen; ich habe einen Imperatormantel angelegt, aber – (hier schlug er denselben auseinander) Sie sehen, ich bin unter demselben ganz wie Sie alle gekleidet. Es ist Egoismus, meine Herren, weshalb ich diese Tracht anlegte, reiner Egoismus, nichts weiter; nicht um Ihretwillen geschah es, sondern um meinetwillen. Ich wollte Sie anlocken, Sie um mich versammeln und Sie sehen, es ist mir gelungen.“ (Lachen und Beifall.) „Ich will Bleifedern verkaufen, nichts weiter, und es wird mir gelingen, trefflich gelingen, denn ich habe Ihre Aufmerksamkeit erregt. Aber ich darf zugleich sagen, was die andern Charlatane von ihren Waaren nicht immer sagen können, daß meine Bleifedern unvergleichlich, daß sie die besten in ganz Paris sind. Niemand in Frankreich verkauft so viele Bleifedern, ganz Paris hat meine Bleifedern, kein Fremder verläßt Paris ohne meine Bleifedern. Darum noch einmal: ich bin stolz darauf, ein Charlatan nach meiner Façon zu sein!“

Alles dieses wurde mit großem Ernste und mit dem edelsten theatralischen Anstande in gewähltester Rede gesprochen. Brauche ich noch hinzuzusetzen, daß er reussirte! Beiläufig sind seine Bleistifte wirklich vortrefflich. Ob er aber seinen theoretisch-praktischen Cours über die Charlatanerie, die einer politischen Satire so ähnlich sieht, wie das: ja, ich bin Charlatan! dem berühmten: ich bin Parvenü, noch lange ungehindert fortsetzen wird, schien meinen deutschen Polizeibegriffen mehr als zweifelhaft. Indessen, wer weiß!