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Pariser Bilder und Geschichten/Paris auf Rädern

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Textdaten
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Autor: E. (Ernst Eckstein)
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Titel: Paris auf Rädern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 550–552
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Pariser Bilder und Geschichten.
Paris auf Rädern.
Fahrende Glückseligkeit eines Parisers. – Eigene Equipagen. – Halb-eigene Equipagen. – Herausbeißende Remisewagen. – Platzkutschen. – Omnibusse. – Studien im Omnibus. – Fuhrwerke der Kinder. – Leichenwagen.


Aeußere Nothwendigkeit und innere Neigung haben an dem wirbelnden Chaos, das von früh bis spät die Pariser Straßen durchrollt, einen gleich bedeutsamen Antheil. Einmal sind die Entfernungen innerhalb der städtischen Ringmauern so kolossal, daß der geflügelte Spruch „Zeit ist Geld!“ eine schnöde Unwahrheit sein müßte, wollte man seine geschäftlichen Besorgungen zu Fuße abmachen; und zweitens kennt der Franzose neben einem guten reichlichen Diner kein höheres Vergnügen, als in die Kissen eines eigenen oder gemietheten Landauers gelehnt über den Macadam gewiegt zu werden und, die Cigarre im Munde, auf das Gewühl der Fußgänger herabzuschauen, wie Zeus auf die mühselig ringenden Kämpfer im trojanischen Blachgefilde. Neidisch begafft der Ouvrier den behäbigen Bürger, der sich Sonntagnachmittags eine Ausfahrt in die Elyseischen Felder gestattet; und dieser erblickt hinwiederum in dem Besitz einer eigenen Equipage, der ihm zur Zeit noch versagt ist, das Kriterium der höchsten irdischen Glückseligkeit! Kurz, Paris ist eine wesentlich fahrende Stadt, und wenn wir hinzufügen, daß in normalen Verhältnissen allein auf dem Boulevard des Italiens täglich zwölftausend Wagen passiren, so wird sich der geneigte Leser von dem tollen sinnver wirrenden Treiben der französischen Metropole eine annähernde Vorstellung machen.

Betrachten wir die Fuhrwerke der Seinekönigin etwas näher. Ihre Mannigfaltigkeit ist ebenso überraschend wie ihre Zahl. Sie unterscheiden sich nach Form und Charakter nicht minder auffällig als nach der Natur ihrer Insassen. Ein genauer Kenner der Pariser Fuhrwerke und ihrer Geschichte würde auch ein genauer Kenner der Pariser Gesellschaft sein. Versuchen wir wenigstens, die Hauptmomente dieses interessanten culturhistorischen Vorwurfs herauszuheben.

Auf der höchsten Sprosse der socialen Leiter steht die eigene Equipage. Sie ist das ausschließliche Privilegium der Millionäre, denn sie verschlingt unglaubliche Summen. Ein Geldaristokrat vom reinsten Wasser hält sich mindestens vier Pferde, vier Wagen, zwei Lakaien, einen Kutscher und einen Stallburschen, – ein Luxus, der in Paris nicht unter zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend Francs kostet. Es sind indeß keineswegs die gediegensten Familien, die in dieser Beziehung den eclatantesten Aufwand machen. Die wohlangelegten, seit langer Zeit vom Vater auf den Sohn vererbten Capitalien, die soliden, durch redlichen Fleiß und ehrliche Speculation erworbenen Besitzthümer, kurz das gesicherte, feste Vermögen beschränkt sich auf einen mäßigen Luxus. Aber die improvisirten Goldvögel, die Börsenspieler, die heute über schwindelerregende Summen verfügen und morgen vielleicht keinen Fünffrankenthaler in der Tasche haben, die extravaganten Prinzessinnen der Halbwelt, die sprüchwörtlichen „Russen“ mehr oder minder zweideutigen Charakters: das sind die Leute, die sich in prunkenden Kaleschen, flotten Tilburys und schnaubenden Andalusiern nicht genug thun können. Ein geübtes Auge unterscheidet daher denn auch auf den ersten Blick die Equipage des Faubourg St. Germain, wo die legitimistische Aristokratie ihre Wohnsitze aufgeschlagen hat, von dem Landauer der Chaussee d’Antin oder der Rue St. Lazare. Es ist, als präge sich der Charakter der Eigenthümer in jeder Achse, in jeder Vergoldung, in jedem Ledergurt, ja selbst in der Physiognomie der Kutscher und Bedienten aus. Der Wagenlenker des adligen Faubourgs hat etwas Steifes, Würdevolles, Altfränkisches; der Automedon der vornehmen Lorette blickt keck, selbstbewußt, herausfordernd in die Welt; von dem Bocke des Parvenüs grinst ein albern hochmüthiges Geckenantlitz. Die Legitimisten lieben es, ihre Kutscher und Lakaien zu pudern; die Lorette ahmt dies nach, jedoch in lächerlich übertriebener Weise; der Emporkömmling affectirt nicht selten die höchste Geschmacksverfeinerung und kleidet seine Bediensteten in das schwarze Costüm eines Salonherrn.

Eine zweite Classe der eleganten Fuhrwerke sind die voitures en location. Wenn man monatlich acht- bis zwölfhundert Franken [551] bezahlt, so kann man der Welt vorspiegeln, eine fashionable Kalesche zu besitzen. Für diese Summe stellen nämlich die Equipagenvermiether großen Stils Jedermann ein Fuhrwerk sammt Pferden, Lakaien und Kutscher zur Verfügung. Die Bediensteten tragen die Livree desselben; die Wagenthüren prangen im Schmucke seines Familienwappens; kurz es sieht ganz so aus, als gehöre das Gespann ihm zu eigen, und er spart noch Geld dabei. Diese Fuhrwerke sind weit zahlreicher, als der unerfahrene Neuling glauben möchte. Von den glänzenden Kaleschen, die in normalen Zeiten so massenhaft die große Avenue der Elyseischen Felder beleben, gehören mehr als zwei Drittel in die Kategorie der „Miethswagen“. Der Kenner läßt sich freilich durch den äußern Prunk der Coupés ebenso wenig täuschen als durch die Zierlichkeit der Pferde und das Gold der Livreen. Es wohnt der äußeren Erscheinung der „voitures en location“ ein Zug von Banalität inne, der eher zu empfinden als zu definiren ist. Ihre Form ist stets dieselbe, und schon an dem monotonen, schulmäßigen Trab der Pferde erkennt der feine Beobachter, weß Geistes Kind sie sind.

Geht man im Sommer auf ein paar Monate in’s Bad, so wird die Miethe natürlich sistirt. Auch das ist ein Vortheil, der vom ökonomischen Standpunkte nicht zu unterschätzen ist.

Auf der dritten Stufe der Leiter stehen die sogenannten Remisewagen. Sie sind etwas weniger luxuriös, als die vorigen, und werden nur für eine einzelne Fahrt gemiethet. Leute, die sich der schlichten Droschke schämen, heruntergekommene Flaneurs, die für wohlhabend gelten möchten, weil sie eine rettende Partie in petto haben, Söhne aus altadligen Familien, die zwar ein hellleuchtendes Wappen, aber keine überflüssigen Banknoten besitzen, nervöse Damen, die das unsanftere Rütteln des ordinären Fiakers nicht vertragen können, kleine Bourgeois, die mit geringen Mitteln den großen Herrn „herausbeißen“ wollen, das sind die Clienten der Remisewagen. Seitdem diese Fuhrwerke indeß von Polizei wegen ihre fortlaufenden Nummern tragen müssen, ganz wie die gemeine Straßendroschke, – seitdem hat der Zuspruch, dessen sie sich erfreuten, um einen beträchtlichen Procentsatz abgenommen.

Man hat, beiläufig gesagt, constatirt, daß solche Personen, welche eigne Equipagen besitzen, im Nothfalle nie einen Remisewagen, sondern stets einen Fiaker besteigen, und zwar mit Vorliebe den schlechtesten und unscheinbarsten. Der Banquier der Rue Lafitte würde befürchten, man könnte den Remisewagen für sein Privatfuhrwerk halten, eine Verwechslung, die dem Rufe seines eleganten Hauses nachtheilig werden möchte. Die gewöhnliche Droschke ist dagegen zu kenntlich, um zu Mißverständnissen Anlaß zu geben.

Die Kutscher der Remisewagen sind genau so costümirt, wie die der „voitures en location“.

Wir steigen abermals eine Stufe abwärts. Wir befinden uns im weiten Reiche der „voitures de place,“ der Platzkutschen, wie die Pariser Fiaker amtlich benannt werden.

Die Seinestadt zählte vor den Ereignissen des Jahres 1870 bis 1871 mehr als zwölftausend dieser Allerweltsfuhrwerke. Gegenwärtig ist diese Summe nicht unbeträchtlich vermindert; die Differenz wird sich indeß zweifelsohne binnen kurzer Frist wieder ausgleichen. Die Pariser Droschken vermiethen sich, wie die Remisewagen, auf einzelne Fahrten, und zwar entweder behufs der Zurücklegung einer bestimmten Strecke, – course – oder nach der Zeit, – à l’heure.

Die wesentlichen Merkmale einer Voiture de Place bestehen in einem mehr oder minder jämmerlichen Pferde und einem mehr oder minder groben Kutscher. Der Droschkengaul fällt mehr, als er trabt. Kopf und Hals begleiten die Bewegungen seiner Vorderbeine mit jener gutmüthig-komischen Regelmäßigkeit, mit welcher das Genick eines enragirten Violoncellisten die Streichmanöver des Bogens accompagnirt. Der Droschkengaul hebt den Huf nie höher als anderthalb Centimeter, Stolpern ist sein tägliches Brod, Stürzen sein unvermeidliches Verhängniß. Fast bei jedem Spaziergang über die Boulevards oder die Rue Richelieu kann man eine lebhaft gesticulirende Menschenmenge beobachten, die sich um einen solchen gefallnen Dulder schaart.

Der Droschkenkutscher zeichnet sich seinerseits, wie bereits angedeutet, durch eine fulminante Grobheit aus. Er ist mit seltenen Ausnahmen den Spirituosen in gesundheitswidrigem Grade ergeben und beansprucht auf jeden Franken der Fahrtaxe zwanzig Centimes Trinkgeld. Sind die sogenannten Droschkenstände in einem gegebenen Augenblicke besonders reichlich assortirt, so läßt sich der Droschkenkutscher herab, Dir sein Fuhrwerk anzubieten. Ist er dagegen der Einzige auf dem Stande, so schlägt er mit vornehmer Nachlässigkeit die Arme übereinander, wirft die Lippen auf und mustert die Welt mit einem herausfordernden Blicke. Seine süffisante Haltung scheint das Publicum darauf aufmerksam machen zu sollen, daß von ihm, dem souveränen Wagenlenker, das Gelingen jener hunderttausend Pläne abhängt, die tagtäglich das große Hirn der Weltstadt durchkreuzen. Weigert der Droschkenkutscher seine Dienste, so kommt der Geschäftsmann zu spät zur Börse und verliert Tausende; der Geliebte versäumt das Rendez-vous mit der Geliebten und verliert ein tugendreiches Herz; der Schwindler erreicht nicht mehr den Bahnzug, der ihn aus der Machtsphäre der Polizeipräfectur in die Regionen der Freiheit befördern soll, und wird festgenommen. Mit einem Worte, der Kutscher der voiture de place ist eine hochwichtige Persönlichkeit, und Niemand fühlt sich von dieser Thatsache lebhafter durchdrungen, als er selber.

Die Clienten der Droschke rekrutiren sich, wie aus dem Vorstehenden erhellt, aus den verschiedenartigsten Elementen. So ziemlich alle Berufsclassen zollen der voiture de place ihren Tribut; nur der völlig Mittellose gehört zu ihren principiellen Gegnern.

Aber auch für ihn ist gesorgt! Verfügt er auch nur über drei Sous, so braucht er die endlosen Asphalttrottoirs der Riesenstadt nicht zu Fuße abzulaufen. Ihm winkt das Verdeck der Omnibusse mit einem freilich harten und unbequemen, aber doch zweckdienlichen Sitze. Für fünfzehn Centimes befördert man ihn meilenweit, und überdies hat er bei dieser luftigen Fahrt die nicht zu unterschätzende Gelegenheit, das rauschende Treiben des Pariser Straßenlebens aus der Vogelperspective zu betrachten!

Gegenwärtig durchschneiden nahezu vierzig Omnibuslinien die Stadt nach allen Richtungen. Auf jeder dieser Linien geht von fünf zu fünf Minuten ein Wagen, der im Innern vierzehn, auf dem Verdeck – („sur l’impériale“, wie das Publicum, „en l’air“, wie die Conducteure sagen) zwölf Plätze aufweist. Die Innenplätze sind doppelt so theuer, als die der Impériale.

Ein charakteristisches äußeres Merkmal der Pariser Omnibusse sind die ausgezeichneten Pferde. Diese unermüdlichen Thiere, – feurige, stämmige Normannen, ebenso muskulös als sicher und gutgeschult – schleppen die Centnerlasten der stets vollgepfropften Kolosse mit einer Leichtigkeit und Schnelle über das Pflaster hin, als sei ihnen die ganze Arbeit eher eine Erholung denn eine Anstrengung. An den Haltestellen sind sie kaum zu bändigen; schnaubend und wiehernd knirschen sie in’s Gebiß, es scheint ihnen erst wieder wohl zu sein, wenn sie zutraben dürfen. Weit, weit bleibt hinter dem lustig dahinrollenden Omnibus die träge Droschke, ja selbst der elegantere Miethswagen zurück; nur die Vollbluthengste der Millionäre vermögen mit den Rennern der Normandie gleichen Schritt zu halten.

Die Omnibuskutscher sind durchweg ordentliche, zuverlässige, nüchterne Leute. Auf zwanzig Unfälle, die dem Droschkenpublicum passiren, kommt kaum ein Omnibusunfall.

Die Pariser Omnibusse besitzen die höchst praktische Einrichtung der Correspondance. Gegen ein gratis verabfolgtes Billet kann der Passagier auf der einen Linie aussteigen und auf jeder beliebigen anderen Linie seine Fahrt fortsetzen, ohne eine weitere Taxe zu erlegen. Auf diese Weise ist fast jeder Punkt der Hauptstadt von jedem Punkte aus zu erreichen, – eine Bequemlichkeit, die wesentlich zu dem glänzenden Erfolg des Unternehmens beigetragen hat. Wäre der Passagier genöthigt, einen Theil seines Weges zu Fuße zurückzulegen, wie dies noch vielfach in deutschen Städten der Fall ist, so würden zahlreiche Personen, die sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen der Omnibusse bedienen, zu der allerdings theureren Droschke greifen, die den Fahrgast aber doch direct bis an sein Ziel befördert.

Eine Fahrt in einem dieser gewaltigen Rollkasten ist ebenso unterhaltend als belehrend. Ich kenne mehr als einen müßigen Rentier, der nur zum Zeitvertreib die Linie Madeleine-Bastille oder die von Clichy nach dem Odéon (und umgekehrt) zwei, drei Mal des Tages abfährt, und sich Abends seelenvergnügt und in dem erhebenden Bewußtsein zu Bette legt, sich köstlich amüsirt zu haben. Andere, weniger harmlose Individuen suchen im Omnibus [552] interessante Damenbekanntschaften anzuknüpfen, und beispielsweise den hübschen, kleinen Putzmacherinnen, die zu den stereotypen Fahrgästen gehören, allerlei süße Dinge in’s Ohr zu flüstern … Wieder andere setzen sich auf die Impériale, rauchen eine Cigarre und mustern das Publicum auf den Trottoiren. Aber abgesehen von allen speciellen Beweggründen empfiehlt sich eine Omnibusfahrt dem nach Paris kommenden Fremden als ein vorzügliches Mittel, die Typen der verschiedenen Gesellschaftsclassen rasch und in erheiternder Weise kennen zu lernen. Es bietet sich da die Gelegenheit zu den amüsantesten Studien; selten wird man aussteigen, ohne einige humoristische Scenen erlebt zu haben.

Die Leute „von Welt“ halten die Benutzung der Omnibusse für ungentil, ohne indeß diesem Grundsatze strenge Treue zu bewahren. Trifft es sich, daß zwei solcher Privilegirten sich in einem Omnibus begegnen, so erfordert eine stille Uebereinkunft, sich gegenseitig vollständig zu ignoriren. Man erspart sich und Anderen dadurch eine peinliche Verlegenheit.

Im Uebrigen werden die Omnibusse von der besten Gesellschaft frequentirt. Nur auf der Impériale geht es etwas sehr pêle mêle zu, und man läuft Gefahr, neben einem Burschen zu sitzen, dessen offene und verborgene Eigenschaften uns auf’s Empfindlichste berühren. Im Inneren dagegen ist das Publicum gewählter. Zu den stereotypen Gästen des Intérieur gehören immer einige Putzmacherinnen, ein Priester, ein Schneider mit Paket, eine verschleierte Dame in Trauer nebst Amme und Kind, eine kleine Ouvrière aus dem Faubourg, eine corpulente Bürgerin in höchster Toilette, ein Künstler, ein Landmann, der den Conducteur zehn Mal fragt, wo er auszusteigen hat, ein kleines mageres Frauenzimmer in den Fünfzigen. Man wird schwerlich drei Touren zurücklegen, ohne diese sämmtlichen Figuren wenigstens einmal angetroffen zu haben.

Noch eine Eigenthümlichkeit des Intérieurs verdient erwähnt zu werden. Auf die beiden Plätze am Eingange postiren sich nicht selten Taschendiebe, zumal weibliche, die den Einsteigenden die Taschen visitiren und nach einem glücklichen Griffe so rasch als möglich verschwinden. Auch die häufig wiederkehrende „Kinderbewundrerin“, eine Dame in eleganter Toilette, die der ersten besten Mutter die zärtlichsten Artigkeiten über den „kleinen Engel“ auf ihrem Schoße sagt, gehört oft in die Katerie jener Galgenvögel. Während sie durch ihre Redensarten die Aufmerksamkeit der geschmeichelten Mama absorbirt, besorgt ein Mitverschworener den Diebstahl und verläßt nach gelungener That schleunigst den Schauplatz. Wagt dann die Bestohlene bei der Entdeckung ihres Mißgeschicks der „Kinderbewundrerin“ eine verdächtige Aeußerung in’s Gesicht zu schleudern, so ist diese auf einmal wie verwandelt, ruft im Tone höchster sittlicher Entrüstung: „Comment, Madame, vous osez …?“ und verspricht eine Injurienklage. Ich entsinne mich zweier Fälle, in denen die bestohlene Mutter obendrein noch eine empfindliche Geldbuße wegen „Verleumdung“ zu erlegen hatte.

Mit den Fahrmethoden des erwachsenen Paris sind wir nun so ziemlich zu Ende – wir müßten denn der zahlreichen Geschäftswagen aller Art gedenken, die indeß in erster Linie dem Transporte von Gegenständen, nicht dem von Personen dienstbar sind. Eine aufmerksame Durchmusterung dieser Kategorie von Fuhrwerken wäre der würdige Vorwurf eines eigenen Aufsatzes; für heute müssen wir aus inneren und äußeren Gründen auf ihre Betrachtung verzichten.

Dagegen wird man uns zum Schluß noch ein paar vervollständigende Worte über die Fuhrwerke der Kinder gestatten. Der Deutsche liebt die Gründlichkeit: unsere Skizze wäre unvollständig, machten wir die Transportmittel der jugendlichen Pariser nicht wenigstens namhaft.

Zunächst, im ersten Stadium der Kindheit, benutzt der Sprößling der Metropole das sogenannte Bonnenwägelchen, ein Korbgeflecht auf Rädern, das von der „bonne“, d. h. dem Kindermädchen geschoben, nicht aber gezogen wird. Ist das vierte Lebensjahr zurückgelegt, so erfreut sich der junge Pariser, nämlich wenn er von bemittelten Eltern stammt, entweder der eigenen Pony-Equipage, oder, was die Regel ist, des auf eine einzelne Fahrt gemietheten Ziegenbockwagens, wie deren verschiedene tagtäglich in den elysäischen Feldern und anderen besuchten Anlagen zu sehen sind. Ist der Knabe schulreif, so besteigt er allmorgendlich den Schulomnibus, der ihn nach dem „Collège“ bringt und späterhin von dort wieder nach Hause befördert. Der Schulomnibus dient ausschließlich den „Messieurs les Collégiens“; andere Fahrgäste werden unter keiner Bedingung aufgenommen.

Und nun giebt es noch einen Wagen, der Allen gemeinsam ist, gleichviel ob sie alt oder jung, arm oder reich, vornehm oder gering sind. Der Bettler, der nie eine Achse bestiegen hat, der stolze Vicomte, der allwöchentlich ein Pferd zu Schanden fuhr, der Besitzer glänzender Prachtequipagen und der bescheidene Droschkenmiether – sie Alle werden schließlich von dem Wagen, den ich meine, hinausbefördert an die Endstation, wo der Conducteur Tod sein gellendes „Tout le monde descend!“ ruft. Der Leichenwagen ist der eigentliche Omnibus par excellence. Achtzig Passagiere transportirt er täglich nach den drei großen Kirchhöfen im Süden, Norden und Osten der Stadt; die Correspondenz, die er verabreicht, lautet auf das Jenseits. Wohl dem, der sein ganzes Leben hindurch so gefahren ist, daß er der letzten Tour ohne Bangen und Beben entgegenschauen kann!
E.