Ottfried und das Siegslied gegen die Normannen
Wenn bei einer Nation das Andenken ihrer alten Dichter verschollen und verklungen ist: so ists wohl bei der Deutschen; die Ursachen davon mag ich nicht herzählen. Um so angenehmer ist mirs, daß Sie mich daran erinnern, und indem Sie eine Nachricht der Merkwürdigkeiten begehren, die mir auf diesem Wege vorgekommen seyn möchten, mich selbst zurück unter die Trümmer führen, die mir in früheren Jahren manche lehrreiche Stunde gewährten. Eins muß ich vor allem sagen: zu einer Geschichte der Deutschen Dichtkunst habe ich nie gesammlet; es hat mir dazu jederzeit entweder an Gelegenheit, oder an Muße und Geduld gefehlet. Ich gebe Ihnen also nichts als Stückwerk, sofern ich darauf traf, oder sofern es auf mich Eindruck machte; und empfehle Ihnen dabei nebst manchen Verzeichnissen und Entwürfen zur Geschichte Deutscher Dichter, die Ihnen bekannt sind, ein unlängst angefangenes Magazin dieser Gattung, dem ich einen guten Fortgang wünsche, 1)[1] Zween Männer wollen hier ausführen, was so viele deutsche Gesellschaften nicht ausgeführt haben; das Glück hat ihnen geschickte Mitarbeiter zugeführt, deren ich ihnen noch mehrere wünsche. Ich werde mich also durchhin sowohl auf diese Schrift, als auf ältere Sammlungen beziehen, und Ihnen gleichsam nur Winke meiner Erinnerung geben; ein Mehreres verlangen Sie auch nicht.
Daß unsre alten Barden untergegangen sind, ist bekannt; ohne Spur sind sie hinweg. Dörfen wir indeß aus den ältesten Versuchen, die Deutsche Sprache Vers- oder Reimbar zu machen, (die uns aus der christlichen Zeitrechnung übrig sind,) auf das, was vor ihnen war, und ihnen doch hie und da, dann und wann zum Muster dienen mußte, schließen, so hatte die Poesie unsrer Barden mit der Poesie der Skalden Aehnlichkeit, wenigstens im Ton und Gange der kurzen Verse, die Otfried und seine Nachfolger sich gewiß nicht erfunden haben. Wenn dieser z. B. anfängt: 2)[2]
Ludwig, der schnelle,
der Weisheitvolle,
der Ostreich richtet all,
wie der Franken König soll;
und Seligkeit gemein;, (gemeine Wohlfahrt)
Gott höh’ ihm das Gut,
erfreu’ ihm den Muth.
Denn er ist edler Franke,
Weiser Reden,
thut alles mit Ebne. (mit Gleichmuth.)
In sein selbst Brust
Ist Herz viel vest,
drum ist er den Seinen gemuthe (angenehm.)
Feiner Gedanken
ist derselbe Franke;
so ist derselbe Edeling
Oder wenn das Siegeslied über die Normänner anhebt: 3)[3]
Einen König weiß ich,
heißet Herr Ludwig,
der gern Gott dienet,
weil ers ihm lohnet. – –
so fallen Ihnen nothwendig die alten Skaldengesänge ein, die wir in der Nordischen Sprache noch haben. Ungleich dichterischer sind diese; (ohne Zweifel sind unsre alten Bardenlieder auch dichterischer gewesen, als die christliche Mönchsversuche es seyn konnten;) der Nachklang jener tönt aber in diesen noch wieder. Auch im Lobgesange auf den heiligen Anno, der von späterer Zeit ist, kommen diese kleinen Verse Altdeutscher Kraft und Kürze wieder, sobald sich die Rede belebet: 4)[4]
O wie die Waffen klungen,
da die Roße zusammen sprungen,
Heerhörner tönten,
Blutbäche strömten u. f.
daß man also diese Versart, die mit den einsylbigen Wurzeln der deutschen Sprache, und dem einsylbigen, biedern Charakter der Nation, ohne Zweifel auch mit ihrem Gesange, ihren Sitten und Gebehrden zusammenzustimmen scheint, für den ächten Nachhall des uralten Deutschen Bardits halten könnte. Die längeren, ich möchte sagen, ruhigern Sylbenmaasse scheinen viel später in die Sprache gekommen zu seyn, theils durch die Cultur derselben mit dem Fortgange der Sitten, insonderheit aber aus fremden, der lateinischen und Provenzalsprache, wie wir bei den Dichtern des schwäbischen Zeitalters sehen werden. Reine Reime also und eine Scansion nach unsrer Weise in diesen uralten Gedichten suchen zu wollen, wäre ganz ausser Stelle und Ort, da wir Einerseits die damalige Aussprache vieler dem Otfried noch fast unschreibbaren Worte nicht wissen, Andrerseits die Poesie der Nordländer, den Skaldengesängen zu Folge, auf einem freieren Wege der Assonanz, des Zusammentreffens der Töne einen rauhen Wohlklang suchte. Damit schließe ich die Mühe nicht aus, die der Mönch Otfried seinem eigenen Geständniß nach sich gegeben, mit Griechen und Römern im Sylbenmaas zu wetteifern. Er redet darüber weitläuftig und mit ängstlichem Zwange; seine Arbeit selbst aber zeiget, wie weit er darinn gekommen und was er geleistet.
So viel von den Füßen dieser uralten Versuche; laßen sie uns auch von ihrem Körper und[WS 1] Geist reden.
Die Sprache der Deutschen, wie wir sie in Otfried und seinen Nachfolgern finden, hat Trotz ihrer noch undisciplinirten Härte, die zum Theil von den unversuchten Händen zeigt, die sie bearbeiteten, eine Macht, Fülle und Biegsamkeit, daß wir sie in Manchem beneiden möchten. Viele von Notkers 5)[5] Psalmen sind selbst in der Prose Poesie; und über Otfried wünschte ich eine verständige Grammatik zu dem Gloßarium, das der fleißige Schilter gesammlet. 6)[6] Flexionen hatte die Sprache damals, wie sie der unsterbliche König Friedrich für sein Ohr wünschen mochte; 7)[7] und es ist überhaupt zu bedauren, daß die Oberdeutsche Sprache, insonderheit seit der Reformation, aus Büchern so weit verdränget worden.
Was den Geist betrift, müssen Sie zwar in Mönchen, die zum Wohl der Seele schrieben, zumal in Otfried, der eine Harmonie der Evangelisten ins Metrum einer ihm ungeläufigen Sprache zusammen zwang, keinen Poetischen Genius suchen; was aber bei ihm Deutschen Geist, Begriffe von seiner Sprache, seinem Lande, seiner Nation charakterisiret, ist sehr merkwürdig. Die Sprache seiner Deutschen lobt er um des Volks willen:
Sey’s nie so gesungen,
mit Regeln bezwungen;
sie hat doch die Rechte,
in schöner Schlechte. (Simplicität.)
daß schön es gelaut’;
sie sind gesungen
in edler Zungen.
Seine Deutschen (Franken) setzt er Römern und Griechen nicht nach:
Sie eignen ihnen zu Nütze
so gleiche Witze;
in Feld und in Wald
sind sie ihnen gleich bald. (kühn.)
und auch so kühne,
zu Waffen schnelle,
so sind die Degen alle.
Er rühmt ihr Land, daß es Erz- und Kupferreich auch bei dem Mayn eisene Stein, auch Silber bringe, und daß man Gold in seinem Sande lese. Von der Nation sagt er:
Sie sind sehr muthig,
zu vielem Guten,
zu vielem Nutzen;
das ist ihr Witze.
sich Feindes zu retten,
Man darfs an sie beginnen,
so haben sie überwunden.
Kein Volk hat sich entführet,
wo sie nicht aus Güte ihnen,
in Nöthen dienen.
Unter den Menschen allen
ihnen alle zufallen.
und wieder sie ringe.
Das haben sie gemeinet,
in Waffen erzeiget;
sie lehrten mit Schwerten
Kein Volk ist, das trachte
mit ihnen zu fechten,
Nicht Meder und Perser,
noch Nubier –
Er vergleicht sie mit den tapfern Macedoniern, und findet,
daß im Erdringe,
es keiner beginne,
und nirgend ein Volk ist,
das ihnen gebiete. –
Und schreibt dies alles ihrer Schnelle und Klugheit zu –
den Weisen und Kühnen,
die ihnen eignen zu Gnüge.
Wenn er hiebei auf seinen König Ludwig kommt, so äußert er sich mit der ganzen Innigkeit, Treue und Güte, die die Deutsche Nation ihren Fürsten von jeher erzeigt hat. Ich habe den Anfang des Gedichts angeführt, und mag ihm bei Ottfried nicht folgen. Dagegen folge ich gern dem bessern Siegsliede gegen die Normänner, dessen Anfang ich auch bereits angezogen habe. 8)[8] Gleich nach dem Anklange desselben wendet sich der Dichter mit herzlicher Theilnehmung auf seines Königs Leben:
Kind ward er Vaterlos;
das ward ihm sehr bös’;
Gott holt’ ihn hervor,
ging selbst ihm vor.
Gab ihm tugendliche,
edele Diener,
Stuhl hier in Franken,
deß brauch’ er lange.
Der Dichter nimmt Theil daran, wie er mit seinem Bruder Karlomann ohne Trug getheilet, und da das geendet war, wollte Gott ihn versuchen,
ob er Arbeiten
lang’ mochte dulden,
ließ Heiden-Männer
über ihn kommen,
daß Frankenmänner
ihnen dienen mußten.
Einige giengen sogleich verlohren, andre wurden verführet; Schmach mußte der leiden, der ihnen mißlebte.
Wer da ein Räuber war,
der genas;
er nahm seine Veste,
und ward ein Gutmann. (Edelmann.)
Der war ein Lügner,
der war ein Mörder,
der ein Verräther,
und er gebehrdet sich deß.
König war gerühret,
das Reich war verwirret;
erzürnt war Christus,
und ließ es geschehn.
Da erbarmt’ es Gott;
er wußte die Noth.
Er hieß Herr Ludwig
eilig dahin ziehn.
„Ludwig, König mein,
hilf meinen Leuten.
Es haben Normannen
hart sie bezwungen.“
Da sprach Ludwig:
„Herr, so thu ich.
Tod nicht rette mich deß,
was du mir gebietest.“
Da nahm er Gottes Urlaub,
hob die Kundfahn auf
ritt daher mit den Franken
gegen Normannen.
Gotte dankend,
sein erwartend,
sprach er: „hieher, o Herr mein!
lang’ warten wir dein!“
Dann sprach er laute,
Ludwig der Gute:
Tröstet euch Gesellen,
Meine Nothstallen. (Nothhelfer.)
Hieher sandte mich Gott,
thut Ihr mir Rath.
Mein will ich nicht sparen,
bis ich euch befreie.
Nun will ich, daß mir folgen
alle Gottesholden.
Beschert ist unsere hiesige Frist,
so lang’ es will Christ.
Er wartet unser Gebein,
und hält die Wache drob.
Wer also Gottes Willen
hier munter erfüllet;
kommt er gesund aus,
ich lohn’ ihm das;
bleibt er darinnen
ist er Christs Hausgenoß.
Da nahm er Schild und Speer
ritt eilig daher;
wollt wehrhaft sich rächen,
an seinen Widersachern.
Es stund nicht an gar lange,
da fand er die Normannen;
„Gottlob!“ sprach er,
er sah, was er begehrte.
Der König reitet kühn,
sang freies Lied,
und alle zusammen sungen:
„Kyrie Eleison!“
Sang war gesungen,
Schlacht ward begonnen,
Blut schien in Wangen
spielender Franken.
Alle nahmen Rache gleich;
Nicht Einer wie Ludwig.
Schnell und kühn,
das war sein Sinn.
Jenen durchstach er;
diesen durchhieb er.
Gelobt sey Gottes Kraft!
Ludwig ward sieghaft.
Sagt allen Heiligen Dank.
Sein war der Siegskampf.
Sie glauben leicht, daß ich diesen Gesang als einen ältern Bruder der Preußischen Kriegslieder nicht gering halte. Es ist Charakter in ihm; Deutsche Brust, Deutscher Muth, Deutsche Treue; eine Anhänglichkeit der Nation an ihre Regenten, wie sie zu allen Zeiten der Deutschen Natur und auch ihrer Poesie eifrigster Ruhm war. Zu wünschen wäre es, daß alle Fürsten, wie es die popularsten und edelsten thun, dies anerkennten, und sich, wie der König Artasastha von Persien, bei schlaflosen Nächten die Bücher und Geschichten vorlesen ließen, was ihre Völker von Anbeginn für sie gemeinet, gewollt und gethan haben. Nächstens etwas von einem uralt-Deutschen Pindarischen Liede.
- ↑ 1) Bragur, ein literarisches Magazin der Deutschen und Nordischen Vorzeit. Herausgegeben von Böckh und Gräter. Bisher 2 Bände, Leipz. 91. 92.
- ↑ Schilter, thesaur. antiquitat. Teutonicar., T. I. p. I.
- ↑ 3) Schilter, T. II.
- ↑ 4) Schilter T. I. das lezte Stück des Bandes.
- ↑ 5) Schilter, T. I.
- ↑ 6) T. III. Antiq. Teutonic.
- ↑ 7) In seiner bekannten Schrift sur la litteratur Allemande.
- ↑ 8) Außer Schilter T. II. ist es in den Gedichten von Gemmingen, den Volksliedern und sonst zu finden.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: nnd