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Orpheus. Eurydike. Hermes

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Textdaten
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Autor: Rainer Maria Rilke
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Titel: Orpheus. Eurydike. Hermes
Untertitel:
aus: Neue Gedichte, S. 88
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1907
Verlag: Insel-Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
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[88]
ORPHEUS. EURYDIKE. HERMES


Das war der Seelen wunderliches Bergwerk.
Wie stille Silbererze gingen sie
als Adern durch sein Dunkel. Zwischen Wurzeln
entsprang das Blut, das fortgeht zu den Menschen,

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und schwer wie Porphyr sah es aus im Dunkel.

Sonst war nichts Rotes.

Felsen war da
und wesenlose Wälder. Brücken über Leeres
und jener große graue, blinde Teich,

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der über seinem fernen Grunde hing

wie Regenhimmel über einer Landschaft.
Und zwischen Wiesen, sanft und voller Langmut
erschien des einen Weges blasser Streifen
wie eine lange Bleiche hingelegt.

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Und dieses einen Weges kamen sie.


Voran der schlanke Mann im blauen Mantel,
der stumm und ungeduldig vor sich aussah.
Ohne zu kauen fraß sein Schritt den Weg
in großen Bissen; seine Hände hingen

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schwer und verschlossen aus dem Fall der Falten

und wußten nicht mehr von der leichten Leier,

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die in die Linke eingewachsen war

wie Rosenranken in den Ast des Ölbaums.
Und seine Sinne waren wie entzweit:

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indes der Blick ihm wie ein Hund vorauslief,

umkehrte, kam und immer wieder weit
und wartend an der nächsten Wendung stand, —
blieb sein Gehör wie ein Geruch zurück.
Manchmal erschien es ihm, als reichte es

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bis an das Gehen jener beiden andern,

die folgen sollten diesen ganzen Aufstieg.
Dann wieder war’s nur seines Steigens Nachklang
und seines Mantels Wind was hinter ihm war.
Er aber sagte sich, sie kämen doch;

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sagte es laut und hörte sich verhallen.

Sie kämen doch, nur wären’s zwei
die furchtbar leise gingen. Dürfte er
sich einmal wenden (wäre das Zurückschaun
nicht die Zersetzung dieses ganzen Werkes,

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das erst vollbracht wird), müßte er sie sehen,

die beiden Leisen, die ihm schweigend nachgehn:

Den Gott des Ganges und der weiten Botschaft,
die Reisehaube über hellen Augen,
den schlanken Stab hertragend vor dem Leibe

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und flügelschlagend an den Fußgelenken;

und seiner linken Hand gegeben: sie.

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Die So-geliebte, daß aus einer Leier

mehr Klage kam als je aus Klagefrauen;
daß eine Welt aus Klage ward, in der

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alles noch einmal da war: Wald und Tal

und Weg und Ortschaft, Feld und Fluß und Tier;
und daß um diese Klage-Welt ganz so
wie um die andre Erde eine Sonne
und ein gestirnter stiller Himmel ging,

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ein Klagehimmel mit entstellten Sternen —:

Diese So-geliebte.

Sie aber ging an jenes Gottes Hand,
den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,
unsicher, sanft und ohne Ungeduld.

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Sie war in sich wie Eine hoher Hoffnung

und dachte nicht des Mannes der voranging
und nicht des Weges, der ins Leben aufstieg.
Sie war in sich. Und ihr Gestorbensein
erfüllte sie wie Fülle.

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Wie eine Frucht von Süßigkeit und Dunkel,

so war sie voll von ihrem großen Tode,
der also neu war, daß sie nichts begriff.

Sie war in einem neuen Mädchentum
und unberührbar; ihr Geschlecht war zu

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wie eine junge Blume gegen Abend,

und ihre Hände waren der Vermählung

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so sehr entwöhnt, daß selbst des leichten Gottes

unendlich leise leitende Berührung
sie kränkte wie zu sehr Vertraulichkeit.

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Sie war schon nicht mehr diese blonde Frau,

die in des Dichters Liedern manchmal anklang,
nicht mehr des breiten Bettes Duft und Eiland
und jenes Mannes Eigentum nicht mehr.

Sie war schon aufgelöst wie langes Haar

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und hingegeben wie gefallner Regen

und ausgeteilt wie hundertfacher Vorrat.

Sie war schon Wurzel.
Und als plötzlich jäh
der Gott sie anhielt und mit Schmerz im Ausruf

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die Worte sprach: Er hat sich umgewendet —,

begriff sie nichts und sagte leise: Wer?

Fern aber, dunkel vor dem klaren Ausgang,
stand irgend jemand, dessen Angesicht
nicht zu erkennen war. Er stand und sah,

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wie auf dem Streifen eines Wiesenpfades

mit trauervollem Blick der Gott der Botschaft
sich schweigend wandte, der Gestalt zu folgen,
die schon zurückging dieses selben Weges,
den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,

95
unsicher, sanft und ohne Ungeduld.