Zum Inhalt springen

Orientalische Gerechtigkeit

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: H. A.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Orientalische Gerechtigkeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 256
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[256] Orientalische Gerechtigkeit. Der bekannte Prinz Murar, der auf einer Reise nach dem Orient unlängst von Stambul in Jaffa gelandet war, hatte hier krank zurückbleiben müssen, aber seine Frau und seine Tochter waren nach Jerusalem gekommen. Dem Pascha hatte man schon einige Wochen voraus den beabsichtigten Besuch gemeldet, und er, um solche hohe Gäste auf würdige Weise zu empfangen, erließ den Befehl, die Hauptstraßen der Stadt neu zu bepflastern und den bisher sogenannten Weg von Jaffa nach Jerusalem einigermaßen herzustellen. Das war für die armen Fellaheen[1] eine Schreckenszeit! Denn alle diese Verbesserungen dürfen natürlich dem Pascha oder der Regierung nichts kosten. Erstens wurden die Soldaten, dann die Gefangenen zur Arbeit verwendet, und als diese nicht dazu ausreichten, so spannte man einen Strick über die Straße aus, welche zum Thor führte, und jeder Fellah, kam er herein oder heraus, mußte mit seinen Eseln oder Kameelen den ganzen Tag über an’s Werk gehen. Zur Belohnung bekamen sie Prügel nach Herzenslust, und ein Piaster Entschädigung wurde aufgeschrieben, um in der Zukunft gelegentlich bezahlt zu werden! Sodann mußten die Kaufleute, welche in den verschönerten Straßen wohnten, auch dem Verherrlichungstrieb sich anschließen und alle ihre Thüren und Läden grün anstreichen. Nun konnte die Herrschaft kommen. Doch die Wege des Schicksals sind unerforschlich! Prinz Murat blieb in Jaffa, und die sämmtiche muhamedanische Welt war äußerst empört, daß sie so viel „Kef“ und „Fantasie“ einer bloßen Frau wegen aufwenden mußte. Mit Fackelzug und türkischer Musik zog die hohe Dame in die neugepflasterte Stadt ein und schlug ihre Wohnung bei dem französischen Cousin auf.

Dem Pascha wurde natürlich von der Dame großes Lob gespendet wegen des guten Wegs und des neuen Straßenpflasters. Entsetzlich aber, daß einer lebendigen Prinzessin ein Misgeschick widerfahren mußte und in Gegenwart des Paschas selbst! Die Thüren nämlich, welche zum heiligen Grabe führen, sind sehr eng und niedrig, und die Prinzessin, welche sich nicht tief genug beugen konnte (eine Erbkrankheit der Prinzessinnen im Allgemeinnen), stieß sich dermaßen den Kopf gegen das steinerne Gesims, daß sie ohnmächtig zu Boden stürzte. Das orientalische Gewirr bei einem solchen Unglück können sich meine Leser einbilden, und am nächsten Tage ließ der Pascha einen Befehl an die Patriarchen der Kirche ergehen, das Thor augenblicklich zu erhöhen und zu verschönern, auf daß ein solcher Vorfall sich nie wieder ereigne. Das war ein wahrer Apfel des Zankes unter der katholischen und griechischen Geistlichkeit. Unmöglich konnte man übereinkommen, wer das Thor erbauen müsse oder wie viel Geld dazu die verschiedenen Gemeinden beitragen sollten. Die schlauen Griechen waren aber nicht faul; während des Streites hatten sie im Geheimen Steine behauen und eine Thür machen lassen, welche sie eines Abends aufrichteten. In einer Nacht wurde das alte Thor niedergerissen und das neue erbaut. Hierüber entspann sich ein Streit, in dem es nicht bei Worten blieb. Wir kamen gerade dazu, als wir in den Hof einreiten wollten, welcher vor der Kirche des heiligen Grabes liegt. Es war ein furchtbarer Lärm; Katholiken, Griechen, Armenier und Kopten zankten in entsetzlichem Gewirr und Gewühl durcheinander, bis türkische Kawassen der Sache Einhalt thaten und die Uneinigen vor den Pascha führten. Wir folgten in dessen Audienzsaal. Der Pascha saß auf seinem Divan, Tintenfaß und Federn zur Seite, und hörte dem Babelsgeschrei schweigsam zu.

„Wir haben das Recht, das Thor aufzubauen!“ schrieen die Griechen. „Wir sind die Zahlreichsten und Wohlhabendsten!“

„Santa madonna dolorata!“ kreischten die Franciscaner, „seit sechshundert Jahren wohnen wir an Ort und Stelle und sollen nicht ein Thor erbauen dürfen?“

„Wir wollen dann zwei Viertel, Ihr ein Viertel und die Anderen zusammen ein Viertel des Geldes dazu beitragen!“

„Birbanti! damit Ihr sagen könnt, das Thor gehört uns, wir haben das Meiste gezahlt?“

Und von Neuem entbrannte der Streit. Ruhig rauchte der Pascha seine Narghileh. Plötzlich aber erhob er sich:

„Geh, Mustapha,“ sagte er zu einem Officier, „nimm Maurerleute mit und reiße das Thor bis auf seine Fundamente nieder!“

Mustapha verneigte sich und ging.

Groß schien die Freude der Lateiner zu sein, groß die Wuth der Griechen; aber als sie ihre Gefühle laut werden lassen wollten, befahl der Pascha ihnen gebieterisch Stillschweigen. Bald kehrte Mustapha zurück.

„Dein Wille, o Pascha, ist geschehen!“

„Wo ist der Maurermeister?“

Der Meister wird gesucht und vorgführt.

„Maurer, wie viel verlangst Du das Thor wieder aufzubauen?“

„Sechshundert Piaster, o Pascha!“

„Gut, fange Dein Werk an!“

Der Maurer geht. Der Pascha redet die Christen folgendennaßen an: „Ich werde das Thor selber errichten, wie Ihr seht, denn ich bin gerecht. Ihr aber bezahlt mir jeder sechshundert Piaster; die Sache ist geendet!“

Das war der weise Spruch! Mit demselben Material baut der Pascha das Thor wieder auf, die Kosten betragen sechshundert Piaster; Griechen, Lateiner, Armenier und Kopten zahlen je sechshundert Piaster, und der gerechte Pascha steckt eintausendachthundert Piaster in die eigne Tasche für seine Mühe ein. Indessen hat er ganz Recht gethan, denn nur auf solche Weise kann man diese aufrührerischen Intriganten einigermaßen in Ruhe halten. Waren es doch die Streitereien dieser turbulenten Mönche, welche zum Krimkrieg den ersten Anlaß gaben. –

Doch war der berüchtigte Djezzar, Pascha von Akka, wegen seiner Rechtsübung noch berühmter.

Ein reicher Kaufmann kommt eines Mittags nach Hause und vermißt seine Frau. „Sie wird wohl zur Mutter gegangen sein!“ denkt er und kehrt in sein Geschäft zurück. Des Abends jedoch bleibt die Frau auch weg. Unser Effendi eilt zur Mutter seiner Gemahlin und findet, daß sie gar nicht dagewesen ist. Umsonst sucht er, sie bleibt verschwunden. Djezzar Pascha war damals sehr leicht für weibliche Reize empfänglich, und als alle seine Nachforschungen fruchtlos bleiben, begiebt Omar sich zum Pascha. Er erzählt ihm die Umstände.

„Gut, und was soll ich für Dich thun?“

„Pascha! ich habe mein Weib verloren, gieb sie mir wieder!“ ruft der Omar entschlossen aus.

„Pezering! (Schurke) hab’ ich denn Deine Frau?“

„Ich weiß es nicht; ich weiß nur, daß meine Frau fort ist, daß Djezzar Pascha von Akka ist und ich sein Unterthan bin.“

Djezzar schweigt.

„Führe mich in Deine Wohnung!“ ruft er nach kurzer Ueberlegung.

Sie gehen zusammen dahin. Dort läßt Djezzar die ganze Garderobe der verlorenen Frau Stück um Stück sich vorzeigen. Bei jedem Kleide fragt er:

„Omar, hast Du dies Kleid Deiner Frau gegeben?“

„Ja, Pascha!“

Endlich kommt man an ein Stück, von dem Omar leugnet, daß er es je gesehen oder gekauft habe.

„Gut!“ donnert der Pascha und giebt Befehl, daß alle Schneider der Stadt zu ihm sich begeben. Einzeln werden sie vorgceührt.

„Hast Du dies Kleid gefertigt? Besinne Dich, Dein Leben steht auf dem Spiel!“

„Nein, Pascha!“ ist Aller Antwort, bis zitternd Einer endlich eingesteht, daß er es gemacht.

„Für wen, und wann?“

„Genau kann ich die Zeit nicht sagen, vor vier bis fünf Wochen, und der es bestellt, heißt Abderrahman Effendi!“

„Geh, und bei Deinem Leben, erwähne Nichts von der Sache!“

Der Schneider geht. Djezzar läßt den Abderrahman ergreifen, die Frau wird richtig bei ihm gefunden, und Beide dem „Schlächter“, wie „Djezzar“ auf Deutsch heißt, vorgeführt.

Diezzar läßt den Omar rufen. „Da!“ rief er, „nimm Deine Frau! freue Dich, daß Du Djezzar zum Gebieter hast!“

„Verzeiht, Pascha!“ erwiderte der erbitterte Omar, „verzeiht! Ein Weib, das drei Nächte außerhalb meines Hauses geschlafen, ist nicht mehr meine Frau.“

„Brav! wie ein Mann gedacht und gesprochen!“ ruft Djezzar vergnügt aus. „Da, kauf’ Dir eine andere Frau und hüte dich, daß Du mir künftig wieder in Deinen Gedanken Unrecht thust!“

Damit händigte er ihm einen Beutel mit zehntausend Piaster ein, und auf einen Wink wurden die beiden Schuldigen augenblicklich erdrosselt und in’s Meer geworfen. H. A.     

  1. Bauern, Landleute.