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Olympische Funde

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Textdaten
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Autor: Fritz Wernick
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Titel: Olympische Funde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 811–815
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Olympische Funde.
Ein Blick auf die bisherigen Ergebnisse eines deutschen National-Unternehmens.

Die Erforschung ferner, unbekannter Landschaften, oder derjenigen Stätten, an denen die Denkmale des menschlichen Geistes, der Kunst, des Culturlebens alter und ältester Zeit vergessen und vergraben liegen, bedürfen der Unterstützung großer, in Gesittung und Bildung entwickelter Völker. Die Entdeckungsreisen beherzter Männer in’s Innere von Afrika stehen da ungefähr in gleicher Linie mit denjenigen Unternehmungen der Wissenschaft, welche den classischen Boden Griechenlands durchforschen, um den Spuren desjenigen Volkes nachzugehen, dessen Kunst, dessen Bildung und rein menschliche Entwickelung von jeher uns als Vorbild gedient hat. England und Frankreich waren uns Deutschen, bevor wir in der Lage waren, als geschlossene Weltmacht auch unserseits jene Pflicht aufzunehmen, mit gutem Beispiele vorangegangen. Ersteres hat jahrelang viel Mühe und Kosten aufgewendet, um die Baudenkmale des alten assyrischen Reiches und die Ruinen von Ephesus an’s Tageslicht zu bringen. Der französische Kaiser hatte den Palatin, die Stätte der ersten Ansiedelung Roms und der späteren Kaiserpaläste erworben, um sie der ganzen Welt zu wissenschaftlicher und Kunstforschung darzubieten.

Wir müssen es unseren gelehrten Geschichtsforschern danken, daß das deutsche Reich, als es jenen beiden Weltmächten auch in dieser Hinsicht an die Seite zu treten beschloß, den Boden dazu bereits ausgewählt und vorbereitet fand. Professor Curtius hatte seit Jahren Griechenland durchforscht und Schliemann (Gartenlaube Nr. 43) ein selbsterworbenes bedeutendes Vermögen und eine unverdrossene, mühevolle Thätigkeit auch der Aufdeckung altgriechischer Alterthümer gewidmet. Ebenso ist der große deutsche Generalstab seit länger in der Durchforschung des griechischen [812] Bodens unablässig thätig. Wiederholt schon und auch für diesen Winter commandirte Graf Moltke einige Generalstabsofficiere nach der Ebene von Athen um dieselbe genau zu vermessen, aufzuklären, die Spuren alter Ansiedelungen festzustellen. Den einzigen genauen Plan des alten Athens, wie es zur Zeit seiner Blüthe gewesen, mit Ringmauern, Wasserleitungen, Straßen, öffentlichen Gebäuden, verdankt die Wissenschaft dem Inspector Kaupert vom großen deutschen Generalstabe. Die Karten der Ebene von Athen, besonders des Hafenstädtchens Piräus sind begonnen worden 1876 von dem Premierlieutenant von Alten, weitergeführt im nächsten Winter von dem Premierlieutenant Steffen und sollen in dem beginnenden Winter, wenn möglich, vollendet werden, wieder durch von Alten, den Hauptmann Siemens und den Lieutenant von Wedding, welche sämmtlich vom großen Generalstabe nach Athen commandirt sind. – Viel ist also geschehen von Deutschland aus, ohne daß es besondere Aufwendungen erfordert hat; aber an die vielversprechendste Aufgabe, welche die Wissenschaft dem Entdecker auf griechischem Boden stellte, konnte sich ein Privatmann nicht wagen. Es handelte sich um die Ausgrabung einer Stätte, die während vieler Jahrhunderte der Mittelpunkt des gesammten griechischen Lebens gewesen ist, um einen Ort, an dem die Bewohner der verschiedenen Landschaften alle Fehde, allen Streit unter einander ruhen ließen, wenn sie dort zu gemeinsamer Gottesverehrung, zu Festen, Spielen oder Berathungen zusammen kamen, – es handelte sich um den Tempelbezirk von Olympia. In einem Thale der peloponnesischen Halbinsel, das von dem größten Flusse derselben, dem Alpheios, durchströmt wird, hatte dieser heilige Bezirk gelegen. Man wußte aus den Aufzeichnungen alter Schriftsteller, daß dort dem obersten der Götter, dem Zeus, ein prächtiger Tempel mit mächtigen Säulen und kunstvoller Bildhauerarbeit errichtet worden war. In demselben thronte die Riesengestalt des Gottes, ganz von Gold und Elfenbein gebildet. Das heilige Gefilde war mit einer Mauer umgrenzt und innerhalb derselben hatten die Festgenossen auch anderen Göttern prächtige Tempel errichtet, so vor Allen der erhabenen Gemahlin des Zeus, der Hera. Den Ortsgottheiten und den Helden, die später unter die Halbgötter versetzt worden waren, huldigte man in heiligen Hainen. Das waren kleine, von Säulen oder einer niedrigen Mauer umgrenzte Anlagen, in denen Bildsäulen, Altäre, Erinnerungszeichens aufgestellt waren. Hier fand das gesammte griechische Volk sich alle vier Jahre zusammen zu Festspielen, Wettkämpfen, Wagenrennen. Sieger in diesen olympischen Spielen zu werden, galt für die größte Ehre, obgleich der Preis nur in einem Zweige des wilden Oelbaums bestand, der ihm als Kranz um’s Haupt gewunden wurde. Diese Volksfeste füllten die heilige Flur mit anderen Bau-Anlagen. Da entstand eine Festhalle, in der die Sieger feierlich bewirthet wurden; da errichtete jeder der vielen kleinen griechischen Gaue Schatzhäuser in Form von Tempeln, in denen die Kostbarkeiten aufbewahrt wurden; da brachten die Völker Weihgeschenke den Göttern dar, Bildsäulen, Thiere von Erz, Siegesgöttinnen, Marmorgruppen, kleine Tempel, die sich im Lauf der Jahre dicht an einander drängten und den ganzen heiligen Bezirk vollständig füllten. Verträge der einzelnen Landschaften unter einander, Friedensschlüsse und ähnliche wichtige Aufzeichnungen wurden mit griechischer Schrift in Erz gegraben und dann hier zum ewigen Gedächtniß aufgehängt. Zur Seite dehnten sich Rennbahnen, Ringplätze, Theater, Festräume aus. Unten am Ufer des Stromes lagen Schlachthäuser, Priesterwohnungen, Herbergen, Werkstätten der Künstler, die jene Marmor-Bildwerke für das Heiligthum meißelten. So war es zu griechischer Zeit. Als dann die Römer das Land unterworfen hatten, zerstörten sie nicht etwa diesen für das Gesammtleben des Volkes wichtigsten Ort. Sie erneuerten die Spiele, betheiligten sich an der festlichen Gottesverehrung, an den Wettgesängen, Wagenrennen und Ringkämpfen, an den Opfern, und vermehrten die Zahl der Prachtbauten, der Denkmale von Marmor und Erz durch neue und kostbare. An keinem Orte in ganz Griechenland mag solch eine Fülle stolzer Bauten, werthvoller Kunstwerke, wichtiger Urkunden und Aufzeichnungen, die in die innere Geschichte des Landes Licht bringen können, zusammengehäuft gewesen sein wie hier auf der Flur von Olympia. Allmählich ist sie verödet. Im früheren Mittelalter haben Barbarenvölker [813] die Tempel und Hallen theilweise zerstört. Dann hat der Strom diesen Theil des Thales überschwemmt und unter seinem Schlamm und Sande alles begraben. Olympia war fast spurlos von der Erde verschwunden.

Daß hier wichtige und kostbare Denkmäler einer großen Zeit im Schooße der Erde ruhn, wußte jeder. Die Franzosen hatten schon einmal vergeblich versucht, dieselben zu heben. Professor Curtius, Geschichtslehrer des deutschen Kronprinzen, hatte diesen schon lange für den Gedanken, Olympia auszugraben, einzunehmen gewußt; indeß weder die eigenen Mittel des Fürsten, noch die des kleinen Preußen reichten zur Ausführung eines solchen Unternehmens hin. Kaum war das deutsche Volk aber staatlich geeint, da trat man an die Regierungen und Volksvertretung mit dem Ansuchen heran, hier ein großes Werk uneigennützig auszuführen, im Dienste der Wissenschaft und der Kunst. Bereitwillig gingen beide darauf ein; die Uebereinkunft zwischen der deutschen und der griechischen Regierung wurde abgeschlossen; die Geldmittel wurden bewilligt. Zuerst warf man 57,000 Thaler für das Unternehmen aus, später, 1876, noch 40,000 Mark; endlich wurden für den Winter 1877 bis 1878 weitere 150,000 Mark demselben zugewiesen. Griechenland, wie alle jungen und schwachen Staaten eifersüchtig auf sein Ansehen und seine Würde, stellte harte Bedingungen. Wir mußten das aufzugrabende Land erkaufen, sämmtliche Kosten für die Arbeit tragen, dabei auf den Besitz aller Funde verzichten. Was der Boden herausgiebt, bleibt Eigenthum Griechenlands; wir haben nur das uns allein zustehende Recht, Abformungen und Abbildungen von allen Gegendständen zu nehmen. Griechische und deutsche Commissare sollten die Erfüllung der Vereinbarung an Ort und Stelle überwachen. Wir hatten nur die Wahl, entweder ganz auf die Hebung der olympische Schätze zu verzichten oder uns in voller Uneigennützigkeit mit dem Bewußtsein zu entschädigen, auf unsere Kosten der Wissenschaft und der Alterthumskunde unschätzbare Dienste zu leisten. Wir haben alle Ursache stolz darauf zu sein, daß man sich für das Letztere entschieden. Die Ausgrabungen von Olympia sind dadurch zu einem Werke des gesammten deutschen Volkes geworden.

Die Oberleitung der Olympia-Ausgrabungen erhielt in Berlin ihren Sitz und ist den Professoren Curtius und Adler, sowie dem Legationsrath Dr. Busch anvertraut worden. An Ort und Stelle übernahm zuerst die wissenschaftliche Leitung Dr. Hirschfeld, die der Erdarbeiten Baumeister Bötticher. Im Jahre 1875 begann das Werk.

Unsere Deutschen haben es in dem ungesunden, menschenleeren, völlig verwilderten Lande nicht leicht gehabt. Der Thalgrund des Alpheiosstromes, in dem Olympia liegt, ist heute gänzlich unbewohnt. Aus den Kalksteingebirgen, die den Kern und Mittelpunkt der peloponneischen Halbinsel bilden, fließt das gelbliche, reißende Bergwasser hinab. Sein Lauf wird eingerahmt von Gebirgszügen. Flüßchen durchbrechen diese und vereinigen sich mit dem größten Strome der Landschaft. Die seitlichen Bergzüge sind meist bewaldet: sie treten manchmal als steile, spitze Vorgebirge weit auf den ziemlich breiten Thalboden vor, oft aber lassen sie dem Wasser ein ausgedehntes Vorland frei, welches bei jedem anhaltenden Regen oder zur Zeit der Schneeschmelze leicht überfluthet wird. Deshalb lagert Fieberluft auf der ganzen Thallandschaft. Die wenigen menschlichen Ansiedelungen dieser wilden Gegend sind vor den giftigen Dünsten hinaufgeflohen auf die Höhen. Dort sieht man ab und zu die zerstreuten Häuser eines armseligen Griechendorfes hoch oben am Rande des Abhanges nisten. Den Thalgrund, der die Reste Olympias in seinem Schooße birgt, bedecken Corinthenäcker, Gerstenfelder, niedriges Gestrüpp, wilde Birnbäume, Platanen und Unkraut, unter dem die dunkelrothe Anemone schön hervorleuchtet. Die Aecker gehören zu dem Dorfe Druva, das wir nach fast einer Stunde steilen Steigens auf einer vorhängenden Klippe des Gebirgszuges erreichen. Man ist hier nur etwa eine Meile vom Strande entfernt, übersieht also das blaue Meer, die malerischen, bewaldeten Gebirgszüge und das ganze grüne Thal des Alpheiosstromes, der sein gelbes Gewässer hastig hinabwälzt. Die Aussicht ist schön, aber darauf beschränken sich auch die Vorzüge des Lebens auf Druva. In diesem Dorfe nämlich, hoch entlegen über dem Arbeitsfelde, wohnt unsere deutsche Colonie.

Durch Vermittelung des umsichtigen und liebenswürdigen deutschen Consuls, Herrn Hamburger in Patras, war von dem deutschen Reiche auf der vorspringenden Bergkuppe dicht an den letzten Häusern des Dorfes ein Häuschen erbaut worden, wenige Schlafzimmer, ein gemeinsamer Raum für die Mahlzeiten, Küche, [814] Kammer, mehr nicht. Ein Koch und ein Diener sorgten im ersten Winter für die deutschen Herren. Für die folgenden Winter mußte das Haus durch Anbau vergrößert werden, sodaß ein Zeichensaal, ein Schreibzimmer nicht mehr entbehrt wurden. Für die Männer der Wissenschaft, die als Gäste gelegentlich in diese Wildniß kamen, um die Ausgrabungen zu sehen, war in dem Hause kein Raum.

Hier aber streicht die Luft scharf und kalt, sodaß nur kümmerlicher Pflanzenwuchs auf der Höhe gedeiht. Unten im Thale liegen selbst im Winter die Dünste dick, schwer, schwül. Der stetige Wechsel zwischen beiden ist für die Gesundheit der leitenden Beamten sehr verderblich gewesen. Der Archäologe sowohl wie der Baumeister erkrankten bedenklich; der griechische Regierungscommissar wurde im zweiten Winter völlig gelähmt und mußte den Posten verlassen. Gesattelte Pferde stehen für den Dienst bereit, um den weiten ermüdenden Weg zu kürzen.

Im October begann man den großen Zeustempel, den Mittelpunkt des Ganzen, freizulegen. Dann wurden gleich Fühlfäden Gräben durch die Flur gezogen nach allen Seiten. Stieß man dabei auf Steine, Mauerwerk, Reste von Bildhauerarbeiten, so wurde vorsichtig weiter nachgespürt und untersucht, ob Reste eines alten Tempels oder nur herumgestreute Einzelstücke von den Spaten berührt waren. Erdarbeiter strömten aus den benachbarten Bergdörfern, ja selbst aus größerer Ferne zu. Mancher deutsche Abenteurer, der mit König Otto einst ausgezogen, hat hier in kargem Verdienst Ersatz für getäuschte Hoffnungen gesucht. Die Arbeiter wurde ihrer Begabung gemäß verwandt. Die besten am theuersten bezahlten mußten vorgehen, wo etwas vermuthet oder schon halb zu Tage gefördert worden war. Hatte aber Einer sich die Verletzung eines Steinkörpers zu Schulden kommen lassen, hatte Hacke oder Spaten statt des Erdreichs etwa die Nase einer Bildsäule, den Arm oder das Bein eines Gottes getroffen, so wurde der Schuldige sofort in jene Reihen zurückversetzt, die nur die obersten Schichten des Erdreichs abzuheben hatten. Die eigentliche Fundschicht begann oft erst zehn bis fünfzehn Fuß unter der Oberfläche. Von Ende September bis zum Mai etwa währt der Arbeitswinter. Dann verscheuchen Hitze und Fieberluft Arbeiter, Aufseher und Beamte aus dem öden Gebirgsthale. Die Former nur kommen noch für kurze Zeit hin, um Alles abzuformen damit Gypsabgüsse davon genommen werden können, und der Photograph bekommt zu thun, bis endlich die Schuppen mit den verstümmelten Bildsäulen und Gruppen, die griechische Wache, das Haus der Deutschen auf dem Druvaberge für den Sommer geschlossen werden.

So ist nun auf Kosten des deutschen Reichs bereits länger als drei Winter gearbeitet worden. Die Commissare haben mitunter gewechselt; das Werk selbst ist trotzdem stetig vorgeschritten. Blicken wir nun von der kalten Druvahöhe, aus dem Hause unserer kleinen Colonie hinab in das Thal des Alpheios, so sind es jetzt nicht mehr Corinthengärten und Gerstenfelder, welche die Flur zwischen den Bergen und dem Flusse einnehmen. Der stille, öde, unbewohnte Thalgrund zeigt an dieser Stelle das Treiben eines Ameisenhaufens. Lange Züge von Arbeitern karren ausgegrabene Sandmassen weg; mit Spaten, Schaufel und Hacke bewaffnet sieht man Andere in der Erde wühlen, buntgekleidete Menschen, meist mit der rothen Kappe auf dem Kopfe, dem faltigen weißen Baumwollkittel angethan, in der Tracht der jetzigen Griechen. Das Feld ist verschwunden. Geborstenes Gemäuer starrt überall aus dem Boden hervor; Säulenstücke, Gebälk und Stein, Trümmer von Tempeln liegen wild umher. Aber deutlich erkennt man schon von hier die Grundflächen aller einzelnen Gebäude. Neben diesen allerältesten Bauwerken sind ganz neue entstanden: Wachthäuser, Schuppen, in denen die Bildsäulen, die Kunstwerke von Marmor und Erz aufbewahrt werden, bis die griechische Regierung ihr Eigenthum einmal abholen wird; andere, in denen die Former Abdrücke nehmen.

Steigen wir nun hinab, lassen wir uns von den gelehrten Landsleuten, die hier in Winterkälte und Fieberschwüle unverdrossen gearbeitet haben, freundlich dargebotene Führerdienste leisten, so ersteht das alte Olympia bald vor unserem geistigen Auge. Die Reste der Ringmauer, die den heiligen Bezirk umschloß, sind völlig erkennbar. Man sieht die Oeffnungen, die mit stolzen Säulenpforten verschlossen und alle vier Jahre aufgethan wurden, sobald die Festzeit begann. Die Reste des Zeustempels liegen in der Mitte der Flur. Die Riesengestalt, welche einst drinnen auf dem Throne saß, überströmt von sonniger Helle, die aus den Oeffnungen des Daches sich über den Raum ergoß, ist freilich verschwunden. Vor dem Tempel war eine breite Rampe erbaut, auf ihr ein Altar. Allenthalben gewahren wir die hohen Steinsockel dicht bei einander, auf denen einst unter Oelbäumen, Platanen und Ulmen die Weihgeschenke, von Künstlerhand, standen. Der Raum des heiligen Gefildes muß vollständig gefüllt gewesen sein mit solchen Weihgeschenken, sodaß nur Gassen freiblieben, um zu den andern Heiligthümern zu gelangen. Wir sehen etwas näher den Bergen, nördlich von dem großen Zeustempel, den Tempel seiner göttliche Gemahlin, der Hera, finden dann noch weiter nordwärts, ganz nahe am Fuße des am weitesten in die Ebene vorgeschobenen Bergkegels, die Reste des Festsaales, in dem nach beendetem Kampfspiele die Sieger und die Richter mit den Aeltesten des Volkes bewirthet wurden. Wir erkennen die Schatzhäuser der verschiedenen Bundesgenossen, die Halle, in der die Kämpfenden vorher durch Leibesübungen, Bäder, strenge Schulung ihren Körper geschmeidig erhielten; wir sehen auch, deutlich erkennbar, diejenigen Prachtbauten vor uns, die in späteren Zeiten von den Römern errichtet worden sind. Da liegt ein gemauertes Halbrund, das ein Wasserbecken umschloß. Durch Löwenköpfe strömten hier die von den Bergen herabfließenden Quellen aus, sammelten sich und wurde dann über die ganze Feststätte verteilt. Kleine Tempel, Bildsäulen der Kaiser, Säulen und Marmorgebälk zierten diese Anlage. Weiter unterhalb, näher am Flusse, sind andere Gebäude aus dem Grabe erstanden. Manche hat man sofort erkannt als Stätten, auf denen die Ortsgottheiten verehrt wurden, als Altäre, an denen das Volk geopfert hat. Andere geben den Gelehrten schwere Räthsel auf, die oft erst durch spätere Funde vollständig gelöst werden. Aber so viel steht fest, das, was heute schon von der hohen Sandhülle befreit vor uns liegt, giebt uns ein vollständiges Bild des größten und wichtigsten Heiligthums im alten Griechenland. Vieles, von dem man gar nichts gewußt hatte, vieles, wovon den Gelehrte ungenau oder irrige Vorstellungen überliefert worden waren, liegt hier klar und deutlich vor unseren Augen, kenntlich noch in seinen Grundmauern, Trümmern und Resten.

Der Boden giebt aber noch weitere Kunde. Tief unter den Grundmauern der herrlichen Tempel findet man Opfergaben und Weihgeschenke, roh aus Thon oder Metall geformt. Diese stammen offenbar aus den allerältesten Zeiten menschlicher Ansiedelung. Sie beweisen, daß lange vor Erbauung der Tempel und Heiligthümer die Stätte des Thales schon der Gottesverehrung geweiht gewesen ist. Ueber den griechischen Prachtbauten aber, den späteren römischen Anlagen der Kaiser, finden wir wieder altchristliche Kirchen, Befestigungsmauern mit Thürmen und Thoren aus früher christlicher Zeit, dann elende Hütten aus zusammengeschleppten Steinen, lose an die alten Mauern geklebt, die ein späteres rohes Volk sich zur Ansiedelung errichtet hat. So sehen wir hier ein Zeitalter immer über das andere geschichtet.

Alle kleinen und großen, rohen und kunstvollen Weihgeschenke und Opfergaben, die Inschriften auf ehernen Tafeln mit Verträgen, Friedensschlüssen, Berichten über einzelne Persönlichkeiten, endlich die Bildsäulen und Gruppen aus Marmor, die Verzierungen der Tempel und heiligen Bauwerke, die Standbilder der römische Großen, welche gefunden worden, sind, wie bemerkt, geborgen in den Schuppen, Verschlägen und Häusern auf der Thalflur. Griechenland denkt noch nicht daran, diese ihm durch fremde Hand in den Schooß geworfenen Schätze in seiner Hauptstadt zweckmäßig zu ordnen und aufzustellen; Deutschland aber hat von seinem Rechte Gebrauch gemacht, die Funde abformen zu lassen; eine mühsame und langwierige Arbeit, denn das Abformen kostet Zeit, der Weg ist weit, die Zusammenstellung der Brocken und Trümmer erfordert Nachdenken, Prüfung, Mühe. Und jetzt sind wir so weit, daß das Hauptsächlichste und Werthvollste im Gypsabgusse seit den letzten Octobertagen in der unvollendeten Fürstengruft der Kaiserfamilie zu Berlin der Nation vor Augen gestellt ist.

Der Tempel des Zeus von Olympia war einer der herrlichsten Griechenlands. Die berühmtesten Bildhauer wurden von den Hauptstätten der Kunst, besonders von Athen entboten, um ihn zu schmücken. Gold, Erz, alle kostbaren Metalle sind natürlich geraubt, zerschmolzen, verbrannt. Der Marmor hat sich dauerhafter erwiesen. Der vordere östliche und der hintere westliche [815] Giebel waren angefüllt mit kunstvollen Gruppen und Gestalten aus diesem Steine. Im vorderen hatten die Künstler die Sage von der Entstehung der olympischen Kampfspiele dargestellt, die bekannte Sage vom Helden Pelops. In Berlin sehen wir jetzt das Giebelfeld, aus Holzgerähme erbaut, und die Gipsabgüsse der sehr schadhaften Marmorgestalten darin eingefügt. In der Mitte steht Zeus als höchster Kampfrichter da. Zur einen Seite sehen wir den alten Gaukönig mit seiner Gattin, zur anderen den jugendlichen Sieger Pelops mit der errungenen Braut. Neben jedem der beiden Streiter hält das Viergespann der feurigen Rosse, zum Beginne des Kampfes bereit, Wagenlenker, helfende Knaben, knieend, kauernd, sitzend, umgeben als schöne Nebengestalten die Hauptgruppen, füllen den Raum, den in jedem der spitzen Winkel ein liegender Flußgott abschließt, eine Versinnlichung der natürlichen Grenzen der heiligen Flur.

Eine andere altgriechische Sage wird in dem westlichen, hinteren Giebelfelde durch Marmorgruppen dargestellt. Sie erzählt, daß nach langen Grenzkämpfen zwischen dem wilden, thierischen Bergvolk der Centauren deren Körper in einen Pferdeleib endete, und den gesitteten Lapithen, Peirthoos, der Fürst dieser letzteren, jene Halbmenschen zur Hochzeit eingeladen habe. Kaum kosteten diese den süßen Wein, da erwachte die wilde Gier der thierischen Gesellen; sie berauschten sich, ergriffen die Weiber und Knaben ihrer Gastfreunde und versuchten sie wegzuschleppen; es kam zum Kampfe. Dieser wüthende Kampf und Weiberraub ist in dem Giebelfelde dargestellt, welches man in Berlin ebenfalls aus den Gypsabgüssen der Funde von Olympia zusammengestellt hat. In der Mitte steht die jugendschöne Gestalt des Gottes Apollo, des Beschützers edler Gesittung. Er streckt seinen Arm helfend über die verzweifelten Lapithen aus. Zu beiden Seiten umtobt ihn wüthender Kampf. Einer der berauschten Thiermenschen hat das geraubte Weib mit dem Vorderfuß des Pferdeleibes umfaßt. Sie wehrt sich heftig, greift ihm in’s Haar, in den Bart, indeß einer der lapithischen Helden herbeieilt, die Widerstrebende der Gewalt zu entreißen. Zur andern Seite des Gottes sehen wir die Braut des Peirithoos, um die eines der Ungeheuer mit dem Pferdeleibe den einen Arm geschlungen hat, während die Hand des andern ihr in wilder Gier an die Brust greift. Mit der einen Hand wehrt sie krampfhaft die widrige Umarmung ab, mit der andern sucht sie ihre Brust freizumachen und stößt dabei mit dem Ellenbogen das trunkene Haupt des Centauren zurück. Auch ihr eilt ein Kämpfer zu Hülfe, von dem allerdings bisher nur ein kleines Bruchstück aufgefunden worden ist. Weiter sehen wir einen lapithischen Jüngling, der mit kräftigem Arme einen Centauren umschlingt. Beide sind im Kampfe niedergestürzt; der Thiermensch beißt den Helden in den Arm. Auf der andern Seite entspricht dieser prächtigen Gruppe ein Centaur, der einen schönen Knaben ergreift, um ihn wegzuschleppen, während dieser sich aus der Umarmung zu entwinden sucht. Wilder Kampf wogt in dem ganzen Giebelfelde. Wir erblicken noch ein fliehendes Weib, die einer der Centauren ergreifen und auf den Rücken seines Pferdeleibes werfen will; ein Jüngling eilt hinzu und stößt dem Ungethüm das Schwert in die Brust. Hier zum ersten Male haben wir zwei jener großartigen Gruppirungen, mit denen die Alten ihre Tempelgiebel schmückten, in annähernder Vollständigkeit vor uns, denn keine Gestalt fehlt gänzlich, von jeder sind wenigstens Stücke vorhanden. Weitere ergänzende Funde lassen sich bei Fortsetzung der Arbeit erwarten. Kleinere Gruppen in halb erhabener Arbeit, die Thaten des Herakles (Hercules) darstellend, die rings den Oberbau des Tempels geschmückt haben, finden wir ebenfalls neben einander in Berlin ausgestellt.

Von den Weihgeschenken und den Bildsäulen, welche in den andern heiligen Orten aufgestellt gewesen, ist nicht viel erhalten geblieben. Zwei derartige Kunstwerke lohnen indessen reichlich die aufgewendeten Mühen und Kosten. Sie stammen von den größten Meistern des alten Griechenland her, sind die einzigen Werke, die wir von diesen besitzen, und gehören überhaupt zu dem Vollendetsten, was von griechischer Bildhauerei auf die Nachwelt gekommen ist. Das eine stellt eine geflügelte Siegesgöttin vor. Die herrliche Gestalt schwebt aus der Luft hernieder; ihr faltiges Gewand flattert weit vom Körper weg; sie setzt eben den Fuß auf einen Felsen und trägt in der Hand den olympischen Preis, mit dem sie einen Sieger krönen will. Die andere Bildsäule ist ein schöner nackter Götterjüngling, der Hermes, den die Götter der Sage nach zum Boten gebrauchten. Er lehnt sich an einen Baumstamm und hält in dem Arme ein reizendes Knäbchen, in dem man den jugendlichen Gott Dionysos oder Bacchus erkennen will. Groß ist noch die Anzahl der einzelnen Köpfe, der Gliedmaßen, der Erztafeln, Inschriften und kleinen Opfergaben, die man aus dem Schutte hervorgezogen hat. Es sind bis jetzt außer den Tempeln, Altären und sonstigen Gebäuden 904 Marmorstücke, 3734 Sachen aus Erz, Geräthe, Tafeln, Opfergaben, kleine Weihgeschenke, dann Gebilde aus gebranntem Thon, 429 Inschriften und 1270 Münzen aus dem Boden der heiligen Flur an’s Tageslicht gefördert worden.

Das deutsche Volk ist kein reiches. Dennoch hat es nicht einen Augenblick gezögert, als es galt, bedeutende Geldopfer, große Anstrengungen für die gesammte Wissenschaft, die Alterthumsforschung, die Kunstgeschichte darzubringen unter völligem Verzicht auf jeden eigenen Vortheil; damit aber gebührt ihm mindestens der Anspruch, Rechenschaft darüber zu erhalten, ob Mittel und Kräfte zweckmäßig und fruchtbringend aufgewendet worden sind, ob der Gewinn für die Wissenschaft ein den Aufwendungen entsprechender gewesen. Und darauf giebt schon die jetzt in Berlin eröffnete Ausstellung der Olympia-Funde eine genügende Antwort. Was aber außer den jetzt ausgestellten Kunstwerken noch gewonnen und durch Veröffentlichungen der ganzen Welt zugänglich gemacht worden ist, das übertrifft nach dem allgemeinen Urtheil aller Sachverständigen selbst die größten Erwartungen, die man vor Beginn der Arbeiten zu hegen berechtigt war. Gewiß würden wir mit den Kunstwerken, welche deutsche Kraft dem Schooß der Erde entrissen, gern ein Reichsmuseum gefüllt haben; wir mußten darauf verzichten. Freuen wir uns, daß Deutschland sich durch jenen nothwendigen Verzicht nicht hat abhalten lassen, ein mit so glänzendem Erfolge gekröntes Werk auszuführen, welches ohne unser uneigennütziges Eintreten bis in weite Ferne hinaus unterblieben wäre.

Fritz Wernick.[1]
  1. Wir empfehlen bei dieser Gelegenheit die anziehende Schilderung eines Besuchs auf dem Ausgrabungsfelde, welche der vielgereiste Verfasser obigen Artikels unter dem Titel „Olympia“ herausgegeben. Auch seine „Städtebilder“, von denen der eben erschienene erste Band Rom, Paris und London behandelt, zeigen eine selten feine Beobachtungsgabe und viel Geschick in der plastischen Wiedergabe der Eindrücke.
    D. Red.