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Oktobernacht

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Karl Reinecke-Altenau
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Titel: Oktobernacht
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aus: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1921, S. 2425
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Oktobernacht.


     Da horch! – Durch die Waldstille dringt hart und spitz das knisternde Knacken eines brechenden Zweiges. Welch’ nächtlicher Abenteurer streift drüben im Dunkel umher? Knack, knack gehts wieder, immer kurz und scharf. Und sieh, dort löst sich eine schlanke Gestalt vom dämmernden Schatten des Holzes los. Ein Hirsch tritt auf die Lichtung. Ein unsteter Wanderer Scheint’s zu sein. Wer weiß, woher er gekommen sein mag.

     Über seine fahle Decke fließt weich das Mondlicht hin. Hell leuchten die weißen Zacken seines Geweihes. Hastig rennt er auf die Blöße hinaus. Als wenn er etwas suchte, eine seltsame Unruhe ihn vorwärtstriebe, eilt er durch Farne und Gräser dahin, streift mit den Läufen den Tau von niedrigen Fichten und wendet das stolze Haupt bald links, bald rechts.

     Plötzlich verhofft er. Mit einem kurzen Ruck wirft er den Kopf auf. Seine unruhigen Lichter flackern. Steif richten sich die Gehöre nach vorn. Alle Muskeln sind angespannt. Weit blähen sich die Nüstern. Schnaubend saugt er die Witterung ein, die ihm der fächelnde Nachtwind von der Waldwiese her zuführt, wo in teurer Hut ein paar Muttertiere äsen.

     Ja, sollte deren Nähe es sein, die deinen eilfertigen Gang so plötzlich hemmt? Schnuppernd dreht er die Nase mehr nach dem Wind und atmet in hastigen, trunkenen Zügen die verführerische Luft.

     Wenn er nur gleich drüben wäre!

     Heißes Verlangen pocht in seinem hämmernden Herzen. Durch seine Adern jagt wilde Begierde. Ein brünstiger Drang möchte die Brust zersprengen, – o, wenn er gleich drüben wäre!

     Aber der Platzhirsch dort! Wird der nicht eifersüchtig auf der Hut sein und ihm blutig den Weg verrennen? Es ist mit keinem gut Kirschenessen, dem man eine Liebste abspenstig machen will. Erst gestern hat einer dem abenteuerlustigen jungen Fant eine böse Abfuhr erteilt. Sollte er es heute wieder wagen? Doch hinweg mit allen Überlegungen!

     Zu heiß lodert es in des Abenteurer liebestollen Brust. Zu betörend umweht ihn die Witterung von der Waldwiese her. Es verwirrt ihm die Sinne: er muß hinüber. Laß kommen, was da will, fort mit dem Zaudern, nur hinüber, hinüber, die Sehnsucht stillen, das Feuer im Busen dämpfen, Trieb und Leidenschaft kühlen und Liebe genießen, Liebe!

     Wilder flackerts in seinen Lichtern. Begieriger tönt sein Schnauben. Straffer spannen sich die [25] Muskeln. Dann reckt er den Hals vor, seine zottige Mähne sträubt sich, und mit ungestümer Kraft stößt er einen wilden Kapfschrei in die Nachtstille hinaus. Einen Schrei voll trotzigen Todesmuts, ungestümer Kampflust und verlangender Begierde, der sich dröhnend an der schwarzen Wand des Hochwaldes bricht, in vielstimmigem Echo von den Bergen widertönt und als eine drohende Herausforderung hinüber grollt auf die nebelige Waldwiese.

     Der Platzhirsch drüben, stutzt. Mit heftigem Ruck reißt er den Kopf hoch. Sollte dieser Fehderuf ihm gelten?

     Eine eifersüchtige, bebende Wut packt ihn. In kurzen Sätzen eilt er in die Richtung, woher die Kampfansage kam. Er fürchtet sich nicht. Der Angreifer soll ihn gewappnet finden und mag sich hüten, seines Reiches Grenzen zu überschreiten.

     Wehe ihm! Ein donnernder Warnruf gellt dem Nebenbuhler entgegen.

     Doch der ist noch heißblütiger geworden. Seine Leidenschaft hat sich zu flammender Glut gesteigert. Mit hartnäckigem Trotz wiederholt er seine Herausforderung. Der gereizte Platzhirsch bleibt keine Antwort schuldig. So schallen Ruf und Gegenruf weithin durch die stille Nacht, bald in langgezogenen hohlen Baßtönen, bald in abgegriffenen, kurzen Stößen, dann wieder wie dumpfes, heiseres Grollen. Von allen Höhen antwortets und jedes Tal gibts zweimal, dreimal wieder zurück.

     Jäh ist der Waldesfrieden zerrissen.

     Immer näher rücken sich die Gegner auf den Leib, immer drohender wird das Kampfgeschrei.

     Da, – jetzt prasseln sie in wildem Ungestüm aufeinander. Krachend klappen die Geweihe zusammen, Steine poltern, Moosfetzen fliegen, brechende Äste knacken. Und grausig dröhnen die Streitrufe dazwischen, wütendes Schnauben, grimmiges Ächzen, zorniges Stampfen.

     Ein wüster Tumult hat sich entsponnen. Als wenn eine Hölle auf das stille Hai niedergestiegen wäre.

     Der Platzhirsch hat einen schweren Stand. Aber er ist ein kampfharter Geselle. Solchen Strauß hat er mehr denn einmal durchgefochten. Nicht umsonst ist sein eines Ohr zerschlissen, und die lange Narbe über den Rippen kam auch nicht von ohngefähr. Er weiß, was er zu verlieren hat. Der Gedanke an seine Schönen gibt ihm doppelte Kraft. Immer lauter krachen die Geweihe aufeinander, immer dröhnender wird das Gepolter. Ein Weilchen noch wogt der Kampf hin und her. Dann hat er den Eindringling mürbe gemacht. Jetzt wankt der Feind, weicht aus, flieht. In langen Sätzen eilt er dem Schützenden Dickicht zu.

     Fahr wohl, schöner Liebestraum!

     Und hinter dem Geschlagenen, Flüchtenden richtet sich der Bezwinger triumphierend auf und ruft einen stolzen Siegesschrei über die Waldhöhen hin.

     Dann ist’s wieder Friede ringsum.

     Noch einmal schaut der Kempe mißtrauisch dem Störenfried nach. Dann trollt er gelassen, ein wenig blinkend nach der Waldwiese zurück, wo das Mutterwild und die erschrockenen Schmaltiere ihn mit ängstlichem Auge empfangen.

     Der Verwundete leckt den zerschundenen Lauf. Ruhig setzt der Rudel die unterbrochene Äsung fort.

     Bleich versinkt der Mond hinterm Bergeshang. Müde blinken die Sterne. Aus der Luft klingt schrill ein Eulenruf hernieder. Irgendwo im Holze bellt heiser ein lungernder Fuchs. Lange noch röhrt in der Nachbarschaft ein unruhig gewordener Hirsch, und schlafen, schlafen rauscht der Wald. Schlafen, schlafen . . .