Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - Hamburger Stadtsiegel II
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Es gibt keine Rechtssätze, die bei einer in Verlust geratenen öffentlichen Sache im Anstalts- oder Verwaltungsgebrauch einen öffentlichrechtlichen Herausgabeanspruch gegenüber demjenigen, der gutgläubig das Eigentum an der Sache erworben hat, begründen.
OVG Münster, Urt. v. 25. 2. 1993 – 20 A 12S9/91
[1] Zum Sachverhalt: Die Kl. (Freie und Hansestadt Hamburg) verlangt von der Bekl. (Inhaberin eines Antiquitätengeschäfts) die Herausgabe eines aus dem 14.Jahrhundert stammenden Siegelstempels sowie einer Aufbewahrungstasche. Die Gegenstände befanden sich zuletzt im Archiv, das gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in ein Salzbergwerk ausgelagert wurde. Bei der Rückführung des Archivguts im Dezember 1945 kamen der Siegelstempel und die Aufbewahrangstasche abhanden. Die Bekl. erwarb die Gegenstände im Jahre 1986 auf einer Auktion. Mit einem Herausgabeanspruch, den sie auf ihr Eigentum stützte, blieb die Kl. im Zivilrechtsweg ohne Erfolg. In seinem Urteil vom 5. 10. 1989 (NJW 1990, 899) ging der BGH davon aus, daß die Bekl. gutgläubig im Wege der öffentlichen Versteigerung Eigentum erworben habe. Mit der im Verwaltungsrechtsweg erhobenen Klage verfolgt die Kl. einen auf dem öffentlichen Sachenrecht beruhenden Herausgabeanspruch weiter. Sie ist der Ansicht, die öffentlichrechtliche Zweckbestimmung als Archivgut ruhe einer Dienstbarkeit vergleichbar auf den herausgeforderten Gegenständen. Die Archivierung des Siegelstempels sei unentbehrlich, um eine mißbräuchlicher Verwendung zu verhindern und die Echtheit alter Siegelungen zu überprüfen.
[1] Die Berufung der in erster Instanz unterlegenen Bekl. hatte Erfolg.
[2] Aus den Gründen: Die Kl. hat an den Gegenständen keine im öffentlichen Recht wurzelnde Berechtigung, die sich gegenüber dem Eigentum der Bekl. durchsetzen kann. Das öffentliche Sachenrecht rechtfertigt den erhobenen Herausgabeanspruch nicht.
[3] Die herrschende Meinung unterscheidet öffentliche Sachen im Zivilgebrauch und öffentliche Sachen im Verwaltungsgebrauch. Zu den öffentlichen Sachen im Zivilgebrauch zählen die Sachen im Gemeingebrauch, im Sondergebrauch und im Anstaltsgebrauch. Die öffentliche Sache dient unmittelbar der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, nicht nur – wie ein verpachtetes Grundstück – der Verbesserung öffentlicher Einnahmen (vgl. Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 2. Aufl., S. 16ff.; Wolff, in: Wolff-Bachof, VerwR I, 9. Aufl., S. 485f.). Durch Widmung und Indienststellung begründet der Sachherr nach herrschender Meinung eine öffentlichrechtliche Sachherrschaft. Die Widmung kann durch Rechtssatz, Verwaltungsakt oder – vor allem bei Sachen im Verwaltungsgebrauch – einen innerdienstlichen Akt, die Inventarisierung, vorgenommen werden (vgl. Salzwedel, in: Erichsen-Martens [Hrsg.], Allg. VerwR, 9. Aufl., S. 536). Daß die von der Bekl. herausverlangten Gegenstände durch Widmung und Indienststellung die Eigenschaft einer öffentlichen Sache erlangt und trotz des Abhandenkommens im Jahre 1945 und des Eigentumswechsels (spätestens) im Jahre 1986 behalten haben, ist zweifelhaft. Für eine Widmung spätestens im Jahre 1939 mag sprechen, daß die Gegenstände dem – damals bereits vorhandenen – Archiv zugeführt und dort nicht – einer Sache im Finanzvermögen vergleichbar – abgelegt waren. Das Buch „Hamburg und die Deutsche Hanse“ veranschaulicht, daß dem Siegelstempel eine herausragende Bedeutung als Zeichen einer traditionsreichen staatlichen Identität beigemessen wurde und sein Besitz – jedenfalls bei festlichen Anlässen – dazu dienen sollte, diese staatliche Identität sichtbar zu machen. Archivgut ist eine Sache im Verwaltungsgebrauch, weil das Archiv unmittelbar der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben dient, und je nach Lage des Falles auch eine Sache im Anstaltsgebrauch. Nach § 11 des Hamburgischen Archivgesetzes (HbgArchG) vom 21. 1. 1991 (GVBl, S. 7) hat das Staatsarchiv die Aufgaben, Unterlagen der Verfassungsorgane, Gerichte, Behörden und sonstigen Stellen der Freien und Hansestadt Hamburg und der ihrer Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf ihre Archivwürdigkeit zu bewerten und die als archivwürdig festgestellten Teile als Archivgut zu übernehmen, zu verwahren, zu erhalten, zu erschließen und für die Benutzung bereitzustellen sowie auszuwerten. Diese Aufgaben hat das Hamburger Staatsarchiv nicht erst mit dem Inkrafttreten des Hamburgischen Archivgesetzes erlangt (vgl. zur Bedeutung der Archive schon im 19. Jahrhundert Peters, VA 24 [1916], 167 [175]).
[4] Die Frage, ob die streitigen Gegenstände vor ihrem Abhandenkommen im Dezember 1945 wirksam gewidmet waren und die Eigenschaft einer öffentlichen Sache danach erhalten geblieben ist, kann letztlich jedoch dahingestellt bleiben, weil damit jedenfalls keine öffentlichrechtliche Sachherrschaft verbunden ist, die sich gegenüber dem gutgläubigen Erwerb des Eigentums behaupten konnte und den erhobenen Herausgabeanspruch trägt.
[5] Angesichts der Bedeutung der Eigentumsgarantie nach Art. 14 I GG und der Aufgabe des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, hängt der von der Kl. verfolgte Herausgabeanspruch davon ab, daß sich Rechtssätze nachweisen lassen, die einer Widmung zur öffentlichen Sache die in Rede stehende Rechtsfolge beimessen.
[6] Ein gesetzlich verfaßtes öffentliches Sachenrecht ist in einigen Teilrechtsgebieten – z. B. dem Straßen- und Wasserrecht – feststellbar. Eine allgemeine Kodifikation fehlt jedoch. Das bereits zitierte Hamburgische Archivgesetz vermag die von der Kl. erhobene allgemeine Leistungsklage nicht zu begründen. Die in § 31 HbgArchG bestimmte Ablieferungspflicht trifft die in § 11 HbgArchG genannten Stellen, zu denen die Bekl. nicht gehört.
[7] Ein Gewohnheitsrechtssatz, der den gutgläubigen Erwerber einer kraft Widmung öffentlichen Sache im Verwaltungs- oder Anstaltsgebrauch zur Herausgabe der Sache an den Sachhern verpflichtet, ist nicht feststellbar. Weder die Rechtsprechung noch die Literatur lassen den Schluß zu, daß eine solche Verpflichtung einer längeren tatsächlichen Übung entspricht, die eine dauernde, ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird.
[8] Die herrschende Meinung vor allem im Schrifttum geht allerdings von einer durch die Widmung begründeten öffentlichrechtlichen Sachherrschaft aus, die als beschränkt dingliches Recht, als Dienstbarkeit des öffentlichen Rechts auf dem Eigentum lastet, auf den Rechtsnachfolger im Eigentum übergeht und insbesondere einen gutgläubigen, lastenfreien Erwerb ausschließt. Überwiegend wird allen öffentlichen Sachen diese Eigenschaft zugestanden (vgl. Dilcher, in: Staudinger, BGB, 12. Aufl., Vorb. § 90 Rdnrn. 33f.; Erbguth, VerwRdsch 1981, 152 [154f.]; Forsthoff, VerwR, 10. Aufl., S. 382 Fußn. 1; Frotscher, VerwArch 62 [1971], 153 [158ff.]; Palandt-Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 936 Rdnr. 1 (m. Hinw. auf das angefochtene Urteil); Pappermann-Löhr-Andriske, Recht der öffentlichen Sachen, 1987, S. 16ff, 19, 163; Salzwedel, in: Erichsen-Martens, Allg. VerwR, 9. Aufl., S. 535f.; Schmidt-Jortzig, NVwZ 1987, 1025 [1030]; Staudinger-Seiler, BGB, 12. Aufl., Einl. zu §§ 854ff. Rdnr. 89; Staudinger-Wiegand, BGB, 12. Aufl., § 936 Rdnr. 4; Wolff, in: Wolff-Bachof, VerwR I, 9. Aufl., S. 493 [494]. Aus der Rechtsprechung BGH, NJW 1969, 1437 (unter Hinw. auf Forsthoff); VGH München, BayVBl 1987, 720 [723J. Für Sachen im Gemeingebrauch auch BGHZ 9, 373 [383] = NJW 1953, 1297, 1625 L = LM I 839 BGB Nr. 6).
[9] Diese fast einhellige Meinung wird neuerdings von Papier in Zweifel gezogen (vgl. ebenso z. B. Kromer, SachenR des öffentlichen Rechts, 1985, S. 58f., 70). Er betont, eine öffentlichrechtliche Dienstbarkeit als Belastung des Privateigentums könne nur durch oder aufgrund Gesetzes entstehen. Eine solche Grundlage erkennt er für das Wege- und Wasserrecht an. Dagegen sei es den Verwaltungsträgern nicht möglich, beliebig, ohne gesetzliche Grundlage an den von ihnen für interne Zwecke genutzten (Sachen im Verwaltungsgebrauch) oder Dritten im Rahmen eines Benutzungsverhältnisses (Sachen in Anstaltsnutzung) zur Verfügung gestellten Sachen dingliche, das Privateigentum belastende oder modifizierende Sachherrschaften mit einem nach eigenem Ermessen bestimmten Inhalt zu begründen (Papier, S. 14). Er tritt ausdrücklich einer häufig vertretenen Auffassung entgegen, die mit gemieteten Sachen betriebene öffentliche Verwaltung dürfe sich unabhängig vom Privatrecht kraft öffentlicher Sachherrschaft auf ein Recht zum Besitz berufen (vgl. z. B. Erbguth, VerwRdsch 1981, 152 [154 Fußn. 22]).
[10] Eine nähere Würdigung der zitierten Quellen veranschaulicht, daß das dargestellte öffentliche Sachenrecht der Sachen im Anstalts- und Verwaltungsgebrauch kaum Konturen erkennen läßt. Soweit überhaupt Beispielsfalle erörtert werden, handelt es sich [2636] um Kunstgebilde, die einer praktischen Bewährung nicht standhalten mußten. Das z. B. von Salzwedel (S. 536) angeführte Beispiel läßt erkennen, daß es den Verfechtern eines öffentlichen Rechts der Sachen im Anstalts- und Verwaltungsgebrauch im wesentlichen darum geht, den Sachherrn von den Bindungen des bürgerlichen Rechts, insbesondere des Sachenrechts zu befreien. An die Stelle der differenzierenden Regelungen des bürgerlichen ' Rechts über den gutgläubigen Erwerb und das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis soll der absolute Vorrang der Verwaltung treten, der z. B. das aus einer Kunstsammlung abhanden gekommene Gemälde unbedingt erhalten bleiben soll (vgl. Salzwedel, S. 536).
[11] Daß schutzwürdige Belange des gutgläubigen Erwerbers einer öffentlichen Sache zu berücksichtigen sein könnten (z. B. wegen Verwendungen auf die Sache), im übrigen der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) wurzelnde Vertrauensschutz dafür streiten könnte, daß mit dem gutgläubigen Eigentumserwerb auch die öffentliche Last untergeht, ist nicht erkennbar. Der Annahme eines Gewohnheitsrechts steht vor allem entgegen, daß das Recht der öffentlichen Sache im Anstalts- und Verwaltungsgebrauch, soweit es um die Anerkennung einer Dienstbarkeit des öffentlichen Rechts gegenüber dem gutgläubigen Erwerber geht, keine überzeugende praktische Bestätigung erfahren hat.
[12] Der BGH befaßte sich mit einem städtischen Grundstück, das für den Feuerwehrdienst gewidmet war (NJW 1969, 1437). Er ging davon aus, daß es sich um eine öffentliche Sache handele, die zwar nach den Regeln des bürgerlichen Rechts am Rechtsverkehr teilnehmen und deshalb auch Gegenstand eines Notwegrechts sein könne (§ 917 BGB). Neben den Vorschriften des bürgerlichen Rechts fänden auf die der Ausübung hoheitlicher Tätigkeit gewidmeten öffentlichen Sachen auch Regeln des öffentlichen Rechts Anwendung, und zwar im Umfang der Widmung. Die öffentlichrechtliche Widmung wirke sich abwehrend aus; sie stelle die öffentliche Sache gegen Beeinträchtigungen sicher, die aus dem bürgerlichen Recht abgeleitet seien. Die Widmung des Feuerwehrgrundstücks zur Ausübung hoheitlicher Tätigkeit lasse die öffentliche Sache unter die Herrschaft des öffentlichen Rechts treten. Insoweit komme der Grundsatz vom Vorrang des öffentlichen Rechts vor dem bürgerlichen Recht zur Geltung. – Für die hier zu beantwortenden Fragen ist diese Entscheidung unergiebig, weil weder das Eigentum am Feuerwehrgelände noch die auf diesem Grundstück tatsächlich entfaltete hoheitliche Betätigung in Frage standen, sondern der Entscheidung im Verwaltungsrechtsweg vorbehalten bleiben sollte, in welchem Umfang und in welcher Form das Notwegrecht nach § 917 BGB unter Wahrung der Aufgabenerfüllung durchgesetzt werden konnte. Angesichts des beschränkten Streitgegenstandes kann der Umstand, daß der BGH in Anlehnung an das von ihm zitierte Lehrbuch von Forsthoff weitergehende Ausführungen zum Recht der öffentlichen Sache gemacht hat, nicht als überzeugender Nachweis einer praktischen Bewährung des im vorliegenden Verfahren erheblichen Rechtssatzes angesehen werden.
[13] Der Rechtsstreit zwischen dem Freistaat Bayern als Eigentümer der St. Salvatorkirche in München und der Griechischen Kirchengemeinde München und Bayern e. V. über die Herausgabe des Kirchengrundstücks führt ebenfalls nicht weiter (dazu BVerwGE 87, 115 = NVwZ 1991, 774; VGH München, BayVBl 1987, 720; BayObLG, BayVBl 1981, 438). Allerdings ist das BayObLG in dem zitierten Urteil davon ausgegangen, die andauernde Widmung der Kirche als res sacra hindere den Herausgabeanspruch des Eigentümers. Die Besonderheit jenes Falles liegt darin, daß das durch die Widmung begründete Besitzrecht der Kirchengemeinde den besonderen Schutz durch Art. 140 GG i. V. mit Art. 138 II WRV genießt und darin seine Berechtigung hat (vgl. BVerwGE 7, J15 [123] = NVwZ 1991, 774).
[14] Der vorliegenden Fallgestaltung kommt der dem BVerwG unterbreitete Fall am nächsten, bei dem eine Gemeinde aufgrund eines nichtigen Grundstückstauschvertrages Eigentümerin eines Grundstücks geworden war, darauf das Rathaus, errichtet hatte und dem Bereicherungsanspruch die Widmung des Rathauses entgegenhielt. Aus der Entscheidung des BVerwG läßt sich kein gewohnheitsrechtlich gebildeter Rechtssatz entnehmen, sondern nur die Ablehnung eines solchen Rechtssatzes. Das BVerwG sprach der Widmung einer Sache im Verwaltungsgebrauch die Wirkung ab, daß sie Herausgabeansprüche – sei es aus Eigentum, sei es aus ungerechtfertigter Bereicherung – ausschließen könnte (vgl. BVerwG, NJW 1980, 2538 [2540]; zust. Papier, JuS 1981, 498 [502f.]. Ebenso Axer, NWVBl 1992, 11 [13]; Manssen, JuS 1992, 745 [747]). Das BVerwG erkannte an, daß bei den Sachen des Gemeingebrauchs – insbesondere also bei den Straßen – deren Widmung eine solche Wirkung (regelmäßig) habe. Das sei jedoch nur deshalb so, weil die Widmung der Sachen des Gemeingebrauchs in den einschlägigen Gesetzen ausdrücklich vorgesehen und dort für den Fall, daß der (privatrechtlich) Berechtigte nicht zustimme oder seine Rechte nicht auf andere Weise ausgeräumt würden, die Gewährung einer Entschädigung sichergestellt sei. Daran fehle es bei der Widmung von Sachen des Verwaltungsvermögens. Die Annahme, daß auch durch sie Rechte Dritter ausgeschaltet würden, verbiete sich, weil es dafür einer gesetzlichen Grundlage bedürfte (Art. 20 III GG), die zudem noch i, S. des Art. 14 III 2 GG qualifiziert sein müßte.
[15] Der Nachweis eines gewohnheitsrechtlichen Herausgabeanspruchs ist nicht durch das von der Kl. vorgelegte Schreiben des Vereins Deutscher Archivare vom 11. 1. 1993 geführt. Danach mag es im Verhältnis privater und öffentlicher Archive untereinander einem guten Brauch entsprechen, das in den jeweiligen Besitz gelangte entfremdete Archivgut nach archivwissenschaftlichen Gesichtspunkten an das zuständige Archiv zurückzugeben. Es handelt sich dabei um einen sehr beschränkten Kreis von Teilnehmern am Rechtsverkehr, bei dem die Besonderheit darin liegt, daß jedes (private oder öffentliche) Archiv bei Anerkennung eines solchen Brauchs darauf rechnen kann, gelegentlich selbst begünstigt zu werden. Hinsichtlich des in einem besonderen Maße angesprochenen Kunst- und Antiquitätenhandels beschränkt sich das zitierte Schreiben auf die Bemerkung, insoweit bestünden vielfach und insbesondere dann gute wechselseitige Kontakte, wenn und soweit diese Händler wirklich sachkundig seien. Das von der Bekl. vorgelegte Schreiben des Bundesverbandes des Deutschen Kunst- und Antiquitätenhandels e. V. vom 5. 8. 1992 deutet darauf hin, daß sich im Sinne des Begehrens der Kl. keine allgemeine Praxis herausgebildet hat, die als Gewohnheitsrecht verstanden werden könnte.
[16] Der Senat sieht sich nicht berechtigt, den fehlenden Rechtssatz im Wege der Rechtsfortbildung zu gewinnen.
[17] Insoweit ist zunächst einmal festzustellen, daß es sich bei dem fraglichen Rechtssatz um Landesrecht handelt; für öffentlichrechtliche (sachenrechtliche) Regelungen zum Schutz solcher Sachen, die im Anstalts- oder Verwaltungsgebrauch eines Landes stehen, ist der Landesgesetzgeber berufen (Art. 70 I GG). Deshalb ist im Rahmen der Lückenschließung durch Analogie in erster Linie das geschriebene Hamburger Landesrecht in Betracht zu ziehen. Eine entsprechende Anwendung des § 3 I HbgArchG auf den vorliegenden Fall ist nicht gerechtfertigt. Das Gesetz geht von dem Normalfall ausgesonderter Unterlagen (vgl. § 2 I HbgArchG) aus, die sich im Zeitpunkt der Aussonderung in der Verfugungsmacht der in § 1 I HbgArchG genannten Stellen befinden. Hinsichtlich abhanden gekommener archivwürdiger Unterlagen hat sich das Gesetz, das im übrigen auch keine Entschädigungsregelung zugunsten des gutgläubigen Erwerbers erhält, demgegenüber verschwiegen, ohne damit planwidrig unvollständig zu werden (vgl. zu dieser Voraussetzung für die Analogie Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., S. 358). Der Gesetzgeber konnte davon ausgehen, daß insoweit kein Handlungsbedarf besteht, weil es sich um atypische Fälle handelt und in den weitaus meisten Fällen die Vorschriften des bürgerlichen Rechts den gutgläubigen Erwerb des Eigentums an archivwürdigen Unterlagen, z.B. Akten und Dateien, ausschließen werden.
[18] Die Lücke auf dem Gebiet des Hamburger Rechts der Sachen im Anstalts- und Verwaltungsgebrauch läßt sich nicht durch eine Gesamtrechtsanalogie schließen (vgl. dazu Larenz, S. 368ff.).
[19] Für eine Gesamtrechtsanalogie kommen das Hamburgische Wassergesetz (HbgWassG) und das Hamburgische Wegegesetz (HbgWG) in Betracht, die ein öffentliches Eigentum an Hochwasserschutzanlagen (§ 4a HbgWassG) und öffentlichen Wegen (§ 4 HbgWG) vorsehen. Dabei handelt es sich aber um Sonderregelungen, die nicht verallgemeinert werden können. Eine Analogie ist schon deshalb ausgeschlossen, weil die Vorschriften voraussetzen, daß die Grundflächen zunächst im privaten Eigentum der Kl. stehen, mit dem Entstehen des öffentlichen Eigentums aus dem Grundbuch ausscheiden und zum öffentlichen Grund zu tilgen sind. Damit ist hinreichend gesichert, daß die öffentlichrechtliche Sachherrschaft nicht durch gutgläubigen Erwerb in Frage gestellt werden kann. Eine Gesamtrechtsanalogie, die auf §§ 1036 I, 1065 i.V. mit § 985 BGB gestützt wird, führt nicht weiter, weil dann auch die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb entsprechend angewandt werden müßten. [2637]
[20] Eine Rechtsfortbildung, die sich auf die Befugnis des Richters stützt, unabhängig von einem gesetzlichen Regelungssystem die maßgebenden Grundsätze selbst zu entwickeln (vgl. BVerfGE 84, 212 [226] = NJW 1991, 2549 = NVwZ 1991, 1072 L) führt ebenfalls zu keinem der Kl. günstigeren Ergebnis. Selbst wenn man ein gewichtiges öffentliches Interesse erkennen mag, das Recht der öffentlichen Sache im Anstalts- und Verwaltungsgebrauch fortzuentwickeln, kann das Interesse der am Rechtsverkehr Bet. nicht übersehen werden, das Vertrauen des gutgläubigen Erwerbers einer öffentlichen Sache zu schützen. Es sind keine Gründe erkennbar, die es rechtfertigen können, etwa eine von § 935 II BGB abweichende Abwägung des öffentlichen Interesses und des Erwerbsinteresses vorzunehmen. Im Regelfall der abhanden gekommenen öffentlichen Sache besteht schon deshalb keine Veranlassung zu einer abweichenden Entscheidung, weil diese Sache ersetzt werden kann und es deshalb letztlich nur darum geht, wer die finanziellen Folgen des Abhandenkommens tragen soll. Soweit eine einzigartige öffentliche Sache – wie hier ein jahrhundertealter Siegelstempel – in Rede steht, lassen die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über den gutgläubigen Erwerb befriedigende Ergebnisse zu: Eine Sache im Verwaltungs- oder Anstaltsgebrauch, deren fortdauernde Zweckbindung durch Widmung offenkundig ist oder sich aufdrängt (vgl. § 932 II BGB), verbleibt dem Sachherrn; im übrigen genießt der Erwerber den Vorzug.