Oberlandesgericht München – Wohnort des Verlegers
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Der § 6 Abs. 1 des Reichs-Preßgesetzes vom 7. Mai 1874 (Reichs-Gesetz-Blatt S. 65) enthält die in Bezug auf die „Ordnung der Presse“ gegebene Vorschrift, daß auf jeder im Geltungsbereich dieses Gesetzes erscheinenden Druckschrift der Name und Wohnort des Druckers und, wenn sie für den Buchhandel, oder sonst zur Verbreitung bestimmt ist, der Name und Wohnort des Verlegers genannt sein muß. Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschrift werden nach § 19 Ziff. 1 des Gesetzes mit Geldstrafe bis zu einhundert und fünfzig Mark oder mit Haft bestraft. Da nun der Angeklagte, wie festgestellt ist, bei der Uebernahme und Besorgung des Druckes der in Rede stehenden Druckschrift aus ihrer Eigenschaft als eines Wahlaufrufes entnehmen konnte und folglich wissen mußte, daß dieselbe zur Verbreitung bestimmt sei, somit als Drucker derselben die Verpflichtung hatte, die für das Erscheinen einer zur Verbreitung bestimmten Druckschrift gesetzlich gebotenen Voraussetzungen zu erfüllen, so hat er dadurch, daß er es unterließ, den Wohnort des Verlegers auf der Druckschrift zu nennen, der Vorschrift des § 6 Abs. 1 des Reichs-Preß-Gesetzes zuwidergehandelt, und ist daher mit Recht nach § 19 Ziff. 1 dieses Gesetzes zu Strafe verurtheilt worden.
Die Revision führt nun unter Bezugnahme auf die Commentare zum Reichs-P.-Ges. von Dr. v. Liszt und Koller aus, es könne unter den Worten des § 6: „oder sonst zur Verbreitung bestimmt“ nur die gewerbsmäßige Verbreitung gemeint sein, weil die Bestimmung, zur Verbreitung zu dienen, zum Begriffe einer Druckschrift, gleichviel ob im engeren oder weiteren Sinne genommen, an sich schon gehöre, und demnach, wenn nicht blos die gewerbsmäßige Verbreitung gemeint wäre, auf jeder Druckschrift der Name und Wohnort des Verlegers genannt sein müßte, was aber nach den Eingangsworten des § 6 nicht der Fall sei. Auch aus dem Wortlaute des § 6, wornach durch die Worte „oder sonst bestimmt ist“ der vom Gesetze in’s Auge gefaßte Angriff der Verbreitung auf gleiche Stufe mit dem buchhändlerischen, also gewerbsmäßigen Vertrieb gestellt sei und aus der Entstehungsgeschichte des § 6 sucht die Revision die Berechtigung ihrer Anschauung abzuleiten. Gerade diese Entstehungsgeschichte schließt aber jeden Zweifel über den Sinn des Gesetzes aus.
Die Motive zu § 5 des Entwurfes (§ 6 des Gesetzes) sprechen zwar von der Angabe des Druckers und des Verlegers auf den zur gewerbsmäßigen Verbreitung bestimmten Druckschriften, fügen jedoch [9] bei, daß es im Interesse der Strafrechtspflege wünschenswerth sei, daß eintretenden Falls der Nachweis des Ursprungs der Druckschrift in jenen beiden Beziehungen vorliege (Reichstags-Verhandlungen 1874 Bd, III Seite 139). Im Reichstag wurde nun vom Abgeordneten Parisius der Antrag gestellt, die Worte: „und wenn sie für den Buchhandel oder sonst zur Verbreitung bestimmt ist, der Name und Wohnort des Verlegers, oder – beim Selbstvertriebe der Druckschrift – des Verfassers oder Herausgebers“, sowie im folgenden Satze die Worte: „oder Verlegers“ zu streichen, und bei der Begründung dieses Antrages unter Anderm geäußert:
„der Herr Berichterstatter sagt, er habe kein Bedenken, sich der Regierungsvorlage anzuschließen, weil der Name des Verlegers nur dann auf die Druckschrift gesetzt werden soll, wenn ein gewerbsmäßiger Vertrieb stattfindet. Meine Herren, das steht aber nicht darin; hier steht: „„wenn sie für den Buchhandel oder sonst zur Verbreitung bestimmt ist,““
Es ist also die ausdrückliche Verpflichtung, daß auch der Name des Verlegers auf jeder Druckschrift stehen muß, nicht auf die für die gewerbsmäßige Verbreitung, sondern auf die bloß zur Verbreitung bestimmten Schriften ausgedehnt. Hiegegen richtet sich mein Amendement,“
Ferner äußerte derselbe Abgeordnete:
„Es heißt in den Motiven: „„die Angabe des Druckers und des Verlegers auf den zur gewerbsmäßigen Verbreitung bestimmten Druckschriften entspricht so völlig der Gewohnheit, daß in der gesetzlichen Vorschrift dieser Formalität eine Belästigung für den Verkehr der Presse nicht gefunden werden kann.““ Nun heißt es hinterher – und das ist meiner Meinung nach das einzige Motiv für die Ausdehnung der Bestimmung auf die nicht im Handel befindlichen Druckschriften: „„Im Interesse der Strafrechtspflege ist es wünschenswerth, daß eintretenden Falls der Nachweis des Ursprungs der Druckschrift in jenen beiden Beziehungen vorliege.““ Also, meine Herren, im Interesse der Strafrechtspflege – ohne daß dies irgendwie näher begründet ist“ etc. etc.
Nachdem von anderer Seite dem Antrage Parisius entgegengetreten worden war, beantragte der Abgeordnete Dr. Hänel die Streichung der Worte: „oder sonst zur Verbreitung.“
Dem entgegen bemerkte der Bundeskommissär von Brauchitsch:
„Meines Erachtens ist es gerade diejenige Zahl von Druckschriften, welche nicht für den Buchhandel, aber sonst zur Verbreitung bestimmt sind, welche als die gefährlichsten bezeichnet werden müssen. Bei diesen kommt es am ehesten darauf an, auf die Spur des Verfassers, des Autors zu kommen, und wenn diese Bestimmung, die eine prozeßpolizeiliche ist, überhaupt, wie ich hoffe, Ihren Beifall [10] findet, wird sie gerade bei dieser Art von Druckschriften am erstem zur Anwendung kommen müssen.“
Der Antrag Parisius wurde darnach zu Gunsten des Antrages Hänel zurückgezogen, letzterer Antrag aber vom Reichstage abgelehnt, und der § 6 in seiner jetzigen Fassung angenommen. (Reichstags-Verhandlung 1874 Bd. I S. 392. 393. 394. 396. 397. 399. 400.)
Durch dieses Ergebniß der Abstimmung im Reichstage ist klargelegt, daß das Gesetz für den Begriff einer Druckschrift im Allgemeinen keineswegs voraussetzt, daß dieselbe zur Verbreitung diene, sondern zwischen Druckschriften, welche zur Verbreitung bestimmt sind, und solchen, die hiezu nicht bestimmt sind, unterscheidet, und daß auf den Druckschriften, welche zur Verbreitung bestimmt sind, einerlei ob zur gewerbsmäßigen oder nicht gewerbsmäßigen, der Name und Wohnort des Druckers und des Verlegers genannt sein müssen. Denn es war die Frage angeregt, ob im Interesse der Strafrechtspflege die Vorschrift des § 6 im Falle nicht gewerbsmäßiger Verbreitung Platz greife und sie wurde durch die Ablehnung des Antrages Hänel bejaht.
Die Beschwerde wegen Verletzung des § 19 Ziff. 1 des Reichs-Preß-Gesetzes wird in der Revision damit zu begründen versucht, daß für die Nichtnennung der in § 6 bezeichneten Personen nur je die betreffenden Personen selbst verantwortlich gemacht werden konnten, der Drucker also nicht für die Nichtnennung des Verlegers hafte. Für diese Auffassung beruft sich die Revision auf die Commentatoren Dr. v. Schwarze und Dr. Marquardsen und darauf, daß auch Dr. v. Liszt und Koller den Drucker für die Nichtnennung des Verlegers nur dann haften lassen, wenn er wußte oder wissen mußte, daß die Druckschrift zur gewerbsmäßigen Verbreitung dienen werde.
Die letztere Anschauung ist eine Consequenz des wie gezeigt unrichtigen Satzes, daß das Reichs-Preß-Gesetz für den Begriff einer Druckschrift allgemein deren Bestimmung zur Verbreitung voraussetze, und der hieraus entwickelten Folgerung, daß in § 6 eine gewerbsmäßige Verbreitung vorausgesetzt werde.
Allein zunächst kommt in Betracht, daß weder in § 6 Abs. 1 noch in § 19 Ziff. 1 die Personen, welche die Vorschrift des § 6 zu erfüllen haben und für die Zuwiderhandlung strafrechtlich haften, bezeichnet sind und sonach eine Einschränkung der Haftung auf die Person, deren Name und Wohnort genannt sein muß, aus dem Wortlaute des Gesetzes nicht hervorgeht.
Sodann aber folgt nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen, deren Anwendung das Preßgesetz in der hier fraglichen Beziehung nicht ausschließt, aus dem in § 19 aufgestellten Erforderniß [11] der „Zuwiderhandlung“, daß Urheber der Zuwiderhandlung derjenige ist, welcher durch sein schuldhaftes Handeln den Thatbestand, welchen das Gesetz reprobirt, verwirklicht (Urtheil d. Reichs-Ger. IV Strafsenat vom 17. Juni 1887, Entsch, Bd. XVI. S. 144. – Vergl. auch Goltdammer, Archiv, Bd. XXVI S, 354.)
Ein schuldhaftes Handeln liegt aber dem Drucker, welcher in Ausübung seiner Berufsthätigkeit die polizeilichen Vorschriften des Reichs-Preß-Gesetzes zu beobachten hat, zur Last, wenn er, wie im vorliegenden Falle geschehen, den Druck einer wie er wußte oder wissen mußte zur Verbreitung bestimmten Druckschrift besorgt und hiebei die Vorschrift, daß auch der Wohnort des Verlegers genannt sein muß, nicht befolgt.