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Oberlandesgericht München – Verlängerung der Polizeistunde durch Bürgermeister und Wirt

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Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 19. Januar 1886
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1886, Nr. 11, Seite 73–75
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Kurzbeschreibung: Ein Wirt kann sich die Polizeistunde in seiner Eigenschaft als Bürgermeister nicht selbst verlängern
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Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 19. Januar 1886

in der Sache gegen den Gastwirth und Bürgermeister F.von W. wegen Uebertretung der Polizeistunde.

Der §. 365 Abs. 2 des Straf-Ges.-Bchs. bedroht mit Geldstrafe bis zu sechzig Mark oder mit Haft bis zu vierzehn Tagen den Wirth, welcher das Verweilen seiner Gäste über die gebotene Polizeistunde hinaus duldet. Die gemäß Art. 2 Ziffer 4 und Art. 159 des Pol.-Straf-Ges.-Bchs. in Kraft bestehende k. Verordnung vom 18. Juni 1862, die Polizeistunde betr., hat in §. 1 die Polizeistunde für die Landgemeinden auf 11 Uhr festgestellt, so daß für W. die Polizeistunde auf 11 Uhr Abends geboten ist. Wenn daher der Angeklagte als Wirth in W. am 24. August vor. Jahres nach Eintritt der eilften Abendstunde das Verweilen seiner Gäste in seiner Schankstube geduldet hat, so hat er sich gegen die Strafvorschrift des §. 365 Abs. 2 verfehlt, da die Anwendung dieser Gesetzesstelle nichts weiter erfordert, als das Dulden des Verweilens seiner Gäste Seitens des Wirthes, und ein solches Dulden ist dem Angeklagten nachgewiesen, nachdem die Strafkammer angenommen hat, es seien die gesetzlichen Thatbestandsmerkmale des §. 365 Abs. 2 des Straf-Ges.-Bchs. gegeben.

Hat der Angeklagte in seiner Eigenschaft als Bürgermeister sich, dem Wirthe, in der Nacht vom 24. auf 25. August vor. Jahres die Polizeistunde erst verlängert, als Seitens der Gendarmen zu einer von der Strafkammer nicht festgestellten Zeit Polizeistunde geboten worden war, so hebt dies das vorausgegangene Verschulden des Angeklagten nicht auf, denn mit der Duldung der Gäste Seitens des Wirthes über die gebotene Polizeistunde hinaus sind die Thatbestandsmerkmale der Übertretung aus §. 365 Abs. 2 des Straf-Ges.-Bchs. erschöpft, und der Eintritt der Gendarmen zum Zwecke des Bietens der Polizeistunde konnte wohl erst erfolgt sein, sobald die für die Polizeistunde festgestellte Zeit bereits eingetreten war.

Nach §. 3 der vorbesagten k. Verordnung vom 18. Juni 1862 sind die Ortspolizeibehörden berechtigt, am Geburts- und Namenstage des Königs und der Königin, an den Haupttagen von Volksfesten, am Sylvesterabende, am Fastnachts-Sonntage und Montage und in den Märkten und Landgemeinden auch am Fastnachts-Dienstage die Polizeistunde allgemein oder für einzelne Wirthschaften zu verlängern. Außerdem darf die Polizeistunde von den Ortspolizeibehörden nur bei Hochzeiten und bei sonstigen besonderen, die Zulassung einer Ausnahme vollständig rechtfertigenden Anlässen auf Ansuchen eines Wirthes für die betreffende Wirtschaft und für einen bestimmten einzelnen Tag verlängert werden. [74]

Nach §. 5 erfordert die Verlängerung der Polizeistunde, wenn sie auf Ansuchen eines Wirthes erfolgt, jederzeit eine schriftliche Ausfertigung, in welcher die Veranlassung zur Verlängerung und die Dauer der letzteren genau angeführt werden muß.

Hienach konnte die Ortspolizeibehörde W, die verordnungsgemäß auf 11 Uhr festgestellte Polizeistunde zwar am Namenstage des Königs, das ist am 25. August, allgemein oder für einzelne Wirthschaften verlängern, sie konnte eine Verlängerung der Polizeistunde aber nicht auf den Vorabend des Namenstags des Königs, auf den 24. August, genehmigen, da der erste Satz des §. 3 die Tage, an welchen eine solche Berechtigung der Ortspolizeibehörde Platz greift, ganz bestimmt bezeichnet und nach dessen Fassung kein gegründeter Zweifel darüber bestehen kann, daß nur die Abende der in §. 3 Satz 1 bezeichneten besonderen Tage damit gemeint seien und nicht die Vorabende dieser Tage. Die Ortspolizeibehörde konnte zwar am Abende des 24. August vor. Jahres aus einem der im zweiten Satze des §. 3 bezeichneten Anlässe die Polizeistunde verlängern, aber nur auf Ansuchen des Wirthes und unter Einhaltung der in §. 5 enthaltenen Voraussetzungen, worüber Feststellungen im angefochtenen Urtheile fehlen. Wenn am 24. August, wie aus der im Strafbefehle in Bezug genommenen Gendarmerie-Anzeige vom 26. August vor. Jahres entnommen werden kann, worüber jedoch gleichfalls Feststellungen mangeln, gelegentlich der Kirchweihfeier im Gasthause des Angeklagten eine öffentliche Tanzmusik gehalten wurde und hiebei die Polizeistunde bis 12 Uhr Nachts verlängert worden war, so hatte die Ortspolizeibehörde W. überhaupt keine Befugniß mehr, die Polizeistunde über die vom Bezirksamte festgesetzte längste Dauer der Tanzmusik noch weiter zu verlängern. Der Angeklagte konnte sich aber auch nicht selbst die Polizeistunde verlängern, denn wenn dem Bürgermeister auch nach Art. 138 der Gemeindeordnung die Handhabung der Ortspolizei allein übertragen ist und derselbe die ortspolizeilichen Bewilligungen zu ertheilen hat, so darf derselbe nach Art. 145 Abs. 4 bei der Beschlußfassung in einer Angelegenheit, bei welcher er aus einem Privatinteresse persönlich unmittelbar betheiligt ist, nicht Theil nehmen, in Folge dessen der Angeklagte sich nicht selbst die Polizeistunde verlängern konnte, gemäß Art. 125 Abs. 3 der Gemeindeordnung vielmehr die Handhabung der Ortspolizei in diesem Falle auf den Beigeordneten übergehen mußte. Unter allen Umständen erfordert die Verlängerung der Polizeistunde da, wo nicht schon vorher eine allgemeine Verlängerung bewilligt war, das Ansuchen des Wirthes und die schriftliche Ausfertigung der Verlängerung, so daß es unthunlich erscheint, daß ein Wirth in seiner Eigenschaft als Bürgermeister in seinem eigenen Gasthause [75] stillschweigend oder durch mündliche Erklärung die Polizeistunde verlängert.

Die Strafkammer hat sonach, indem sie ohne die erforderlichen Feststellungen zu treffen, den Angeklagten schon deshalb von der Anklage wegen Uebertretung der Polizeistunde freisprach, weil er als Bürgermeister von W. sich damals als Wirth eine sofort wirksame Verlängerung der Polizeistunde gestatten konnte, die zu §. 365 des Straf-Ges.-Bchs. erlassenen Ergänzungsvorschriften und damit den §. 365 Abs. 2 des Straf-Ges.-Bchs. selbst verletzt, in Folge dessen entsprechend dem Antrage des diesgerichtlichen Staatsanwaltes gemäß §§. 393 und 394 Abs. 2 der Straf-Proz.-Ordn. das angefochtene Urtheil sammt den demselben zu Grunde liegenden, von der Gesetzesverletzung betroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen war.