Oberlandesgericht München – Verkehrsbehinderung
[181]
in der Sache gegen den Bauern Georg N. von St. wegen Uebertretung nach § 366 Nr. 9 des Straf-Gesetz-Buches.
Nach § 366 Nr. 9 des Straf-Gesetz-Buches wird mit Geldstrafe bis zu sechzig Mark oder mit Haft bis zu vierzehn Tagen bestraft, wer auf öffentlichen Wegen Gegenstände, durch welche der freie Verkehr gehindert wird, aufstellt, hinlegt oder liegen läßt. Die Voraussetzungen des Thatbestandes dieser Uebertretung sind aber nach den Feststellungen des angefochtenen Urtheils im vorliegenden Falle gegeben. Denn der Angeklagte hat am 17. August vorigen Jahres auf der Durchfahrt in seinem Stadel einen beladenen Wagen in einer den freien Verkehr hindernden Weise die Nacht über stehen lassen, den besagten Wagen also während der Nacht daselbst so aufgestellt, daß dadurch der Verkehr gehindert wurde, und dies geschah auf einem öffentlichen Wege, da die fragliche Durchfahrt die Eigenschaft eines solchen hat. Daß die Aufstellung [182] des treffenden Gegenstandes zu dem Zwecke erfolgte, den freien Verkehr zu hindern, wird vom Gesetz nicht erfordert.
Der auf den rechtskräftigen Beschluß des Bezirksamts Schrobenhausen vom 14. Februar 1874 sich stützenden landgerichtlichen Feststellung, daß die Durchfahrt, auf welcher Georg N. den Wagen stehen ließ, ein öffentlicher Weg ist, liegt kein Rechtsirrthum zu Grunde. Die Verwendung einer Grundfläche zu einem öffentlichen, dem allgemeinen Gebrauche dienenden Weg Seitens des Staats oder einer Distrikts- oder Orts-Gemeinde ist dadurch bedingt, daß das Areal im Eigenthum des Staates oder der treffenden Gemeinde sich befindet, oder daß, falls der Grund und Boden fremdes Eigenthum ist, dem Staat oder der Gemeinde ein dingliches Recht zusteht, denselben zu einem solchen Wege zu benützen. Die Behauptung, daß ein Recht hierzu bestehe, enthält aber, wie die gegentheilige Behauptung des Eigenthümers, daß sein Grundstück von einer derartigen Belastung frei sei, die Geltendmachung eines Privatrechtes. Es sind deshalb allerdings nur die Civilgerichte berufen, hierüber endgiltig zu erkennen. Wenn aber auch hiernach im Fall bestritten wird, daß ein öffentlicher Weg über das Grundstück eines Dritten führt, den Verwaltungsbehörden nicht zusteht, zu entscheiden, ob auf dem Grundstück eine Dienstbarkeit ruht, welche den Eigenthümer verpflichtet, dasselbe zu einem von Jedermann zu benutzenden Wege verwenden zu lassen, so sind die Verwaltungsbehörden doch in Folge ihrer Obliegenheit, für Abwendung von Unordnungen und Verkehrsstörungen Sorge zu tragen, ebenso befugt wie verpflichtet, falls sie den auf die Freiheit seines Eigenthums gestützten Einspruch eines Dritten nicht gerechtfertigt erachten, im öffentlichen Interesse Anordnungen bezüglich der Benützung der treffenden Grundfläche als öffentlichen Weg und demgemäß provisorische Verfügung dahin zu erlassen, daß das Grundstück auch fernerhin als ein Bestandtheil des öffentlichen Weges anzusehen sei, welche Verfügung den Vorbehalt der Austragung der strittigen Rechte vor dem Civilrichter von selbst in sich schließt. Sind aber hiernach die Verwaltungsbehörden zuständig, auch bei einem Streite darüber, ob ein Grundstück mit einer Wegdienstbarkeit belastet ist, bezüglich dessen fernerer Benützung als öffentlichen Weg Anordnung zu treffen, was in den Entscheidungen des Kompetenzkonfliktssenats vom 25. Juni 1872 und 8. Januar 1874 (Reg.-Blatt 1872 S. 1555 und Verordnungs-Blatt von 1874 Anhang S. 8) anerkannt wurde, so hat das Strafgericht, wenn es mit der Anwendung des § 366 Nr. 9 des Straf-Gesetz-Buches befaßt und wenn von der Verwaltungsbehörde rechtskräftig ausgesprochen worden ist, daß der Ort, wo der treffende Gegenstand aufgestellt wurde, die Eigenschaft eines öffentlichen Weges habe, diesen Ausspruch zu beachten, da dem Strafrichter nicht zusteht, zu prüfen, ob der Ausspruch [183] sachlich gerechtfertigt ist, oder nicht. Es wurde daher von der Strafkammer für die Feststellung, ob die Durchfahrt im Anwesen des Angeklagten, in welcher dieser am 17. August vorigen Jahres den Wagen mit Getreide stehen ließ, ein öffentlicher Weg ist, mit Recht der Beschluß des Bezirksamts Schrobenhausen vom 14. Februar 1874 als maßgebend erachtet. Der bezirksamtliche, von der Kreisregierung am 21. August 1874 bestätigte Beschluß enthält keinen Uebergriff in die Zuständigkeit der Civilgerichte, wie schon aus der in der damaligen Beschwerdesache des jetzigen Angeklagten an die Regierung ergangenen Entschließung des k. Staatsministeriums des Innern vom 22. Mai 1874, welche die Bestätigung vom 21. August 1874 veranlaßte, hervorgeht, da in derselben gesagt ist, Sache der Verwaltungsbehörden sei es, in einem Falle, wie er vorliege, zu untersuchen und sich schlüssig zu machen, ob der Bestand des behaupteten Civil-Rechtsverhältnisses sofort anzuerkennen, oder ob demselben nach Lage der Sache die Anerkennung zu versagen und vorbehaltlich der Betretung des Civilrechtsweges daran festzuhalten sei, daß ein von den Verwaltungsbehörden als öffentlicher Weg anzuerkennender Weg als solcher auch fernerhin Behandlung zu finden habe.
Hiernach hat die Strafkammer keineswegs, wie die Revision behauptet, die rechtlichen Normen über die Zuständigkeit der Gerichte und Verwaltungsbehörden verletzt, vielmehr den § 366 Nr. 9 des Straf-Gesetz-Buches richtig angewendet. Eine Entscheidung darüber, ob das Anwesen des Angeklagten von einer Wegdienstbarkeit frei sei, oder ob N. als Eigenthümer verpflichtet ist, die Benützung der Durchfahrt durch seinen Stadel als öffentlichen Weg sich gefallen zu lassen, steht dem Strafrichter in der vorwürfigen Sache nicht zu. Daß die Strafkammer, was vom Vertheidiger in der heutigen Sitzung bemängelt wurde, unterließ, auf die eben erwähnte Frage einzugehen, macht daher die Feststellung des angefochtenen Urtheils nicht unvollständig. Für die vorliegende Strafsache ist nur entscheidend, daß die betreffende Durchfahrt zur Zeit die Eigenschaft eines öffentlichen Weges hat, und dies ist vom Berufungsgericht festgestellt worden. Von einer Verletzung der Bestimmungen des Gesetzes vom 28. Mai 1850 oder des an dessen Stelle getretenen Gesetzes vom 18. August 1879 über die Kompetenzkonflikte aber kann schon darum nicht die Sprache sein, weil kein unter diese Bestimmungen fallender Streit zwischen einem Gericht und einer Verwaltungsbehörde in der vorliegenden Sache besteht oder bestanden hat.