Oberlandesgericht München – Verkehr mit Arzneimitteln 5
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in der Sache des praktischen Arztes Dr. L. in M. wegen unbefugter Abgabe von Arzneien.
Nach den thatsächlichen Feststellungen des von dem Angeklagten mit Revision angefochtenen Urtheiles der Strafkammer des k. Landgerichts D. vom 26. Juni dieses Jahres hat der praktische Arzt Dr. L. in M. am 5. Januar lfd. Jahres dem Schuhmacher S. von K., welcher ihn – Dr. L. – in dessen Wohnung wegen eines Magenleidens, mit dem seine – S.’s – Frau behaftet sei, consultirte, 2 Gläser mit flüssigem Inhalte zum Zwecke der Heilung unter näherer Gebrauchsanweisung übergeben und sich den Betrag von 2 Mark 50 Pf. bezahlen lassen. In diesen beiden Gläsern ist, wie die weitere Feststellung des erwähnten Urtheiles entnehmen läßt, eine Auflösung von Elektrizitäten in Wasser zu Heilzwecken enthalten, welche Mittel nach Auffassung der Vorinstanzen unter die im Verzeichnisse A der kaiserlichen Verordnung vom 4. Januar 1875, betr. den Verkehr mit Arzneimitteln, aufgeführten flüssigen Arzneimischungen für den inneren Gebrauch fällt. [258]
In dieser Handlungsweise erblickt der Zweitrichter in Übereinstimmung mit dem Schöffengerichte D. eine Übertretung nach §. 367 Ziff. 3 des St.-G.-B., da hiernach der Angeklagte eine Arznei verabreicht habe, deren Feilhalten, Verlauf oder sonstige Überlassung an Andere, wenn dies ohne polizeiliche Erlaubniß geschehen, verboten sei.
Vom Angeklagten ist zugegeben und nach Lage der Sache auch nicht zu beanstanden, daß die von ihm den obigen Feststellungen zufolge als Heilmittel abgegebene, für den innerlichen Gebrauch bestimmte, flüssige Arzneimischung unter diejenigen Zubereitungen fällt, welche in dem der obenerwähnten kaiserlichen Verordnung vom 4. Januar 1875 – Reichs-Ges.-Bl. Nr. 1 S. 5 – als Beilage A angefügten Verzeichnisse enthalten sind und deren Feilhaltung sowie Verkauf als Heilmittel nach §. 1 dieser Verordnung bloß in den Apotheken gestattet ist, ohne Unterschied, ob jene Zubereitungen aus arzneilich wirksamen oder aus Stoffen bestehen, welche an und für sich zum medizinischen Gebrauche nicht geeignet sind.
Die Revision glaubt jedoch, daß ein Schuld- und Strafausspruch gleichwohl mit Unrecht erlassen worden sei, weil die landgerichtliche Strafkammer irrthümlich den §. 33 der bayer. Apothekenordnung vom 27. Januar 1842 – Regg.-Blatt S. 257 – als aufgehoben erachtet habe, nach welcher verordnungsmäßigen Bestimmung den Aerzten in Bayern das Selbstdispensiren von Arzneien unter der dort gesetzten in dem gegenwärtigen Falle zutreffenden Bedingung gestattet sei.
Allein mit gutem Grunde wurde von dem Berufungsrichter angenommen, daß §. 33 a. a. O. nicht mehr anwendbar sei. Nach §. 6 Abs. 1 der Gewerbeordnung für das deutsche Reich findet das ebenerwähnte Gesetz auf den Verkauf von Arzneimitteln nur in soweit Anwendung, als dasselbe ausdrückliche Bestimmungen daüber enthält; nach Abs. 2 des §. 6 aber ist durch kaiserliche Verordnung zu bestimmen, welche Apothekerwaaren dem freien Verkehre zu belassen seien.
Diese Bestimmung ist durch die mehrbesagte kaiserliche Verordnung vom 4. Januar 1875 erfolgt, wornach, vom Falle des §. 3 abgesehen, das Feilhalten und der Verkauf der in den Beilagen A und B verzeichneten Stoffe bloß in Apotheken gestattet, ist; insoweit nun dortselbst die Materie des Verkaufes von Arzneimitteln, Droguen und chemischen Präparaten reichsgesetzlich in erschöpfender Weise geregelt ist, sind alle diesen Gegenstand betreffenden landesgesetzlichen Vorschriften außer Kraft getreten.
Allerdings hat die kaiserliche Verordnung bloß die dem freien Verkehr überlassenen Waaren und im Gegensatze damit die lediglich in Apotheken feilzuhaltenden und abzugebenden Waaren bezeichnet, [259] jedoch nicht bestimmt, welche Personen zur Haltung von Apotheken und zur Abgabe von Apothekerwaaren an Dritte berechtiget sind, so daß der letztere Punkt der Regelung durch die Gesetzgebung und beziehungsweise Verordnung in den einzelnen Bundesstaaten anheimfällt.
Es kann deshalb auch auf dem eben angedeuteten Wege namentlich darüber Bestimmung getroffen werden, inwieferne den Aerzten das Halten von Handapotheken und das Selbstdispensiren von Arzneien gestattet ist; – Vergl. Riedel das Pol.-Str.-Ges.-Bch. für Bayern; 3. Aufl. S. 130 – und es haben denn auch in Bayern die allerhöchste Verordnung vom 25. April 1877, die Zubereitung und Feilhaltung von Arzneien betr. – Gesetz- und Verordnungs-Blatt S. 235 – dann die diese Verordnung in verschiedenen Punkten abändernde allerhöchste Verordnung vom 9. November 1882, die Revision der Pharmacopoea Germanica, dann der Verordnung über die Zubereitung und Feilhaltung von Arzneien betr., – Gesetz- und Verordnungs-Blatt S. 573 – über das Apothekerwesen überhaupt und über das Recht zum Dispensiren von Arzneien durch zur Haltung einer Handapotheke nicht berechtigte Aerzte insbesondere mehrfache Bestimmungen getroffen.
So hat der §. 27 der Verordnung vom 27. April 1877 in Ziff. 1 dem zur Führung einer Handapotheke nicht befugten ärztlichen Personal die Abgabe resp. Anwendung einer Anzahl genau bezeichneter Arzneien bei Ausübung der Praxis in Nothfällen gestattet, diese Vorschrift hat aber eine Aenderung erfahren durch §. 2 Ziff. 6 der Verordnung vom 9. November 1882, wornach ganz allgemein und ohne Einschränkung auf bestimmte Heilmittel das zur Führung einer Handapotheke nicht berechtigte ärztliche Personal bei Ausübung der Praxis nach Maßgabe seiner Ordinationsbefugnisse die in Nothfällen gebotenen oder von dem Arzte selbst örtlich zu applicirenden Arzneien abgeben beziehungsweise anwenden darf.
Damit ist aber gegenüber der in §. 33 der Apothekenordnung von 1842 gegebenen Vorschrift, wornach dem Arzte die Selbstdispensirung eines Arzneimittels in dem dort näher bezeichneten Falle gestattet ist, eine neue Anordnung getroffen, welche das Recht der Aerzte zum Selbstdispensiren von Arzneien erschöpfend regelt, so daß die ältere Bestimmung durch eine neuere entgegenstehende Vorschrift aufgehoben erscheint, wie denn auch in §. 31 der Verordnung vom 25. April 1877 alle entgegenstehenden Bestimmungen aufgehoben wurden.
Dr. L. wirft dagegen ein, aus dem eben citirten §. 31 folge nicht, daß §. 33 der bayer. Apothekenordnung nicht mehr giltig sei, diese Aufhebungsschlußbestimmung beziehe sich vielmehr einzig [260] und allein auf die im Eingange der Verordnung von 1877 erwähnten beiden Verordnungen vom 15. März 1866; allein der §. 31 der Verordnung von 1877 lautet allgemein auf Aufhebung aller entgegenstehender Bestimmungen, beschränkt sich somit seinem Wortlaute nach nicht auf die Eingangs der Verordnung genannten zwei Verordnungen vom 15. März 1866.
Wenn entgegen der im angefochtenen Urtheile festgehaltenen Ansicht von der Aufhebung des §. 33 der Apothekenordnung von 1842 vom Beschwerdeführer darauf hingewiesen wird, daß durch das diesgerichtliche Urtheil vom 15. Mai 1880[1] – Sammlung von Entscheidungen des k. Oberlandesgerichts München in Gegenständen des Strafrechts und Strafprozesses Bd. I S. 13 – die fortdauernde Giltigkeit des vielgenannten §. 33 der Apothekenordnung behauptet werde, so ist zu bemerken, daß sich ein solcher Ausspruch in der gedachten Entscheidung nicht findet; wenn sich aber Dr. L. weiter auf das in der Sammlung oberstrichterlicher Entscheidungen in Gegenständen des Strafrechts und Strafprozesses Bd. 7 S. 386 abgedruckte Urtheil des vormaligen bayer. obersten Gerichtshofes vom 18. August 1877 beruft, so kommt zu erwähnen, daß zwar in diesem Urtheile die fortdauernde Giltigkeit des §. 33 der Apothekenordnung angenommen wurde, daß jedoch die dort abgeurtheilten Reate in die Zeit vom 28. September 1876 bis 15. März 1877 fallen, zu welcher Zeit die oben angezogenen Verordnungen von 1877 und 1882 noch nicht erlassen waren.
Uebrigens hat der oberste Gerichtshof in dem erwähnten Urtheile – siehe Seite 396 der zuletzt allegirten Sammlung – ausgeführt, daß sich auf die über den Vollzug der Apothekenordnung namentlich in Betreff der homöopathischen Offizin ergangene Verordnung vom 12. Oktober 1858, in welcher bei Nichterfüllung der den Apothekern desfalls auferlegten Vorschriften für die betheiligten homöopathischen Aerzte allerdings die Befugniß zum Selbstdispensiren nach Analogie der Bestimmungen im §. 33 der Apothekenordnung von 1842 für zulässig erachtet wurde, nicht berufen werden könne, da nach §. 32 der (damals noch anzuwendenden, nun aufgehobenen) allerhöchsten Verordnung vom 15. März 1866 alle über den bezeichneten Gegenstand erlassenen Bestimmungen, soweit sie in vorstehender Verordnung nicht aufrecht erhalten worden sind, aufgehoben worden seien, aus welcher Ausführung zu folgern ist, daß damals schon der oberste Gerichtshof der Meinung war, daß die vorliegende Materie in der Verordnung von 1866, an deren Stelle nun die Verordnungen von 1877 und 1882 getreten sind, [261] erschöpfend geregelt und damit den älteren Verordnungen der Boden entzogen sei.
Der Zweitrichter hat sonach den §. 33 der bayer. Apothekenordnung mit Recht als nicht mehr in Kraft bestehend erachtet und sohin durch dessen Nichtanwendung das Gesetz keineswegs verletzt.
Der Revident bezeichnet weiter die allerhöchste Verordnung vom 25. April 1877 als hier unanwendbar, da sie nur von einer förmlichen Feilhaltung von Arzneien spreche, während von seiner Seite blos eine „Abgabe“ derselben vorliege.
Allein dieser Anfechtungsgrund ist nicht stichhaltig.
Nach der schon wiederholt angezogenen kaiserlichen Verordnung vom 4. Januar 1875 ist das Feilhalten und der Verkauf der dortselbst in den Beilagen A und B verzeichneten Gegenstände, abgesehen von dem Falle des Großhandels mit Arzneimitteln (§. 3) nur in Apotheken gestattet und es bestimmt dem entsprechend der §. 1 der bayer. Verordnung vom 25. April 1877 allgemein, daß die Berechtigung zur Ausübung des Apothekergewerbes vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen die Befugniß zur Zubereitung und Feilhaltung von Arzneien umfasse.
Wenn nun in §. 27 der letzterwähnten Verordnung, an dessen Stelle übrigens, wie oben bereits erwähnt, die Ziff. 6 des §. 2 der Verordnung vom 9. November 1882 getreten ist, festgesetzt wird, in wie weit das zur Führung von Handapotheken nicht berechtigte ärztliche Personal Arzneien abzugeben beziehungsweise anzuwenden befugt sei, und wenn in der ebenallegirten Ziff. 6 des §. 2 von Abgabe resp. Anwendung von Arzneien die Sprache ist, so geht daraus klar hervor, daß das ärztliche Personal Arzneien in einem weiteren Umfange, als dort festgesetzt, nicht einmal abzugeben, geschweige denn förmlich feilzuhalten berechtigt sei, dasselbe vielmehr den Arzneibedürftigen außer dem in Ziff. 6 angeführten Falle an die zur Abgabe von Arzneien allein berechtigten Apotheken verweisen müsse.
Das Straf-Gesetz-Buch, welches in §. 367 Ziff. 3 Denjenigen mit Strafe bedroht, der ohne polizeiliche Erlaubniß Gift oder Arzneien, soweit der Handel mit denselben nicht freigegeben ist, zubereitet, feilhält, verkauft oder sonst an andere überläßt, trifft, wie Revident selbst unter Bezugnahme auf die Entscheidung des vormaligen bayerischen obersten Gerichtshofes vom 5. April 1879 – Sammlung Bd. 9 S. 210 – annimmt, auch Denjenigen, der unentgeldlich Arzneien, deren Handel nicht freigegeben ist, an Andere überläßt.
Da nun §. 367 Ziff. 3 offenbar auf anderweite Vorschriften verweist, so wurde in Art. 2 Ziff. 8 des bayer. Pol.-Str.-G.-B. [262] bestimmt, daß aus den einschlägigen Verordnungen zu bemessen sei, wie weit für den Handel mit Gift oder Arzneien polizeiliche Erlaubniß erforderlich ist.
Zu diesen Verordnungen zählen unter Anderem auch die Verordnungen von 1877 und 1882, so daß, da nach diesen den Reizten das Feilhalten von Arzneien überhaupt nicht, sondern nur das Abgeben resp. Anwenden von solchen unter gewisser Beschränkung gestattet ist, angenommen werden muß, daß ein über dieses erlaubte Maß hinausgehendes Abgeben beziehungsweise Anwenden von Arzneien der Strafbestimmung des §. 367 Ziff. 3 unterliegt.
Endlich wird vom Beschwerdeführer noch die unrichtige Anwendung des §. 367 Ziff. 3 des Str.-G.-B. auf den vorliegenden Fall behauptet, gegen welche Gesetzesstelle sich von ihm nicht verfehlt worden sei, weil der Grund der Strafandrohung dieses Paragraphen ein gesundheits- und gewerbspolizeilicher sei, in beiden Richtungen jedoch ihn ein Vorwurf nicht treffe, nachdem einerseits das in Rede stehende Heilmittel keinesfalls gesundheitsschädlich sei und andererseits der zuständige Apotheker, welcher das Mittel nicht führen wolle, in seinem Gewerbe auf solche Weise eine Beeinträchtigung nicht erlitten habe.
Auch dieser Angriff des Angeklagten gegen die Entscheidung der Vorinstanz ist unhaltbar. Der §. 367 Ziffer 3 a. a. O. verbietet die Zubereitung, das Feilhalten, Verkaufen oder Ueberlassen von Arzneien, soweit der Handel mit denselben nicht freigegeben ist, ohne polizeiliche Erlaubniß überhaupt und ganz allgemein, so daß es sich einzig und allein darum fragen kann, ob der Angeklagte eine generelle Erlaubniß zur Abgabe von Heilmitteln – die Berechtigung zur Führung einer Handapotheke – besitze oder doch als hiezu in dem vorliegenden Falle vermöge der oben angezogenen Verordnung von 1882 befugt anzusehen sei.
Daß Beschwerdeführer die Berechtigung zur Führung einer Handapotheke nicht besessen hat, ist gewiß, da Dr. L. selbst nicht behauptet, im Besitze einer derartigen Berechtigung sich zu befinden, daß aber eine auf den einzelnen Fall beschränkte Befugniß auf Seiten des Angeklagten nicht bestand, ist in dem Vorhergehenden genügend dargelegt worden.
Es sind somit sämmtliche Voraussetzungen des §. 367 Ziff. 3 des St.-G.-B. im Zusammenhalte mit Art. 2 Ziff. 8 des P.-St.-G.-B. gegeben und ist vom Berufungsgerichte dadurch, daß der Angeklagte aus dem allegirten §. 376 Ziff. 3 verurtheilt wurde, das Gesetz in keiner Weise verletzt, sondern vollkommen richtig angewendet worden.
- ↑ Amtsblatt des k. Staatsministeriums des Innern, 1881, S. 178.