Oberlandesgericht München – Verantwortung des Handels
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Das kgl. Oberlandesgericht München erkannte unter’m 4. Oktober 1881 in der Sache gegen Maria Isabella Conrad, Weinhändlerin von Rappoltsweiler, nun in Nürnberg, wegen Vergehens der fahrlässigen Zuwiderhandlung gegen das Reichsgesetz über den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln zu Recht:
- Die Revision der Maria Isabella Conrad gegen das Urtheil der Strafkammer des k. Landgerichtes Nürnberg vom 22. Juni 1881 wird unter Verurtheilung der Beschwerdeführerin in die dadurch veranlaßten Kosten verworfen.
Nachdem das Urtheil der Strafkammer des k. Landgerichts Nürnberg vom 19. Januar 1881 in Folge der Revision der Angeklagten hierorts am 29. März dieses Jahres aufgehoben und die Sache an das genannte Landgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden war, hat die Strafkammer dieses Gerichtes am 22. Juni dieses Jahres auf die Berufung des Amtsanwaltes am Amtsgerichte Nürnberg gegen das Urtheil des Schöffengerichtes daselbst vom 3. November 1880 die durch dieses Urtheil von der Anklage eines Vergehens der fahrlässigen Zuwiderhandlung gegen das Reichsgesetz über den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln freigesprochene Weinhändlerin Maria Isabella Conrad von Rappoltsweiler, nun in Nürnberg, wegen eines aus Fahrlässigkeit begangenen Vergehens des Verkaufes gefälschter Genußmittel nach § 12 Nr. 1 und § 14 obigen Gesetzes zu einer Geldstrafe von 50 Mark, umzuwandeln für den Fall der Uneinbringlichkeit in eine Gefängnißstrafe von 5 Tagen, sowie zur Tragung sämmtlicher Kosten einschlüssig jener der Revisionsinstanz verurtheilt.
Die Angeklagte hat gegen dieses Urtheil rechtzeitig die Revision eingelegt und der Vertheidiger derselben, k. Advokat Wunder in Nürnberg, in der rechtzeitig eingekommenen Revisionsbegründung mit dem Antrage, die amtsanwaltschaftliche Berufung gegen das schöffengerichtliche Urtheil zu verwerfen, eventuell die Sache zur anderweiten Verhandlung an die Strafkammer des k. Landgerichtes Fürth zu verweisen, geltend gemacht, daß durch das angefochtene Urtheil die § 12 Nr. 1 und § 14 mit § 5 des Reichsgesetzes vom 14. Mai 1879 über den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln durch unrichtige Anwendung, § 59 des Strafgesetzbuches [390] und § 398 der Straf-Proz.-Ordng durch Nichtanwendung verletzt seien.
Zu der heutigen öffentlichen Sitzung stellte der dießgerichtliche Staatsanwalt den Antrag, die Revision zu verwerfen.
Die Prüfung der Sache ergibt Folgendes:
In dem angefochtenen Urtheile ist festgestellt, daß die Angeklagte in ihrem Geschäftsbetriebe als Weinhändlerin zu Nürnberg im Juni 1880 an eine gewisse Rosina Helbig daselbst eine Flasche französischen Rothweines als Genußmittel käuflich abgab, und daß diesem Wein so viel Gyps beigemengt gewesen ist, daß dessen Genuß in Folge der durch den Gyps herbeigeführten Erhöhung seines Gehaltes an Schwefelsäure die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet war. Das Berufungsgericht hat nun, von dem Grundsätze ausgehend, daß der Verkäufer von Gegenständen, welche bestimmt sind, Anderen als Genuß- und Nahrungsmittel zu dienen, im Falle der Genuß derselben die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, wenn er sich der Gemeingefährlichkeit seiner Handlung nicht bewußt war, aber bei Anwendung der aus der Natur der Sache sich als nothwendig ergebenden Sorgfalt sich dieser Gemeingefährlichkeit hätte bewußt werden können, durch Unterlassung der Anwendung der hiernach erforderlichen Sorgfalt einer Fahrlässigkeit im Sinne des § 14 des Reichsgesetzes vom 14. Mai 1879 sich schuldig mache, das den Gegenstand der Anklage bildende Vergehen nach § 14 in Verbindung mit § 12 Nr. 1 des ebenbezeichneten Gesetzes, verübt durch den Verkauf gefälschter Genußmittel, hier für gegeben erklärt, indem es annahm, daß der Angeklagten bezüglich des Verkaufes des fraglichen Rothweines eine derartige Unterlassung zur Last falle, da dieselbe sich über die Solidität des Geschäftshauses, von dem sie den Wein bezog, nicht erkundiget und über die Beschaffenheit des letzteren sich genügend zu unterrichten und insbesondere sich Belehrung hierüber bei Sachverständigen in Nürnberg zu verschaffen unterlassen habe, obwohl hiezu thatsächliche Veranlassung für sie gegeben gewesen sei. Dabei wird bemerkt, daß, wenn auch von der Angeklagten ächter, reiner Wein bestellt und ihr die Lieferung von solchem zugesichert, und wenn auch der in Rede stehende Wein von ihr selbst und von zwei Bediensteten derselben mittels der Zungenprobe, ohne daß ein Anstand sich ergab, geprüft worden sei, ferner wenn auch keine Klagen Seitens der Abnehmer laut geworden, die Angeklagte nach den besonderen Umständen des Falles gleichwohl der Vorwurf der Fahrlässigkeit treffe.
Als solche Umstände werden namentlich hervorgehoben, daß sie weder den Agenten, durch dessen Vermittlung, noch das Haus, [392] von welchem sie den Wein bezog, vorher kannte, daß sie als Weinhändlerin der Nothwendigkeit von Vorsicht gegenüber den Anpreisungen von Agenten und der bestehenden Gepflogenheit, bei längerer Geschäftsverbindung allmählich schlechtere Waare zu liefern, sich habe bewußt sein müssen, und daß sie, zumal als Elsäßerin, von dem in Frankreich häufigen Mißbrauche des Gypsens der Rothweine Kenntniß gehabt habe.
In der Revision wird unter der Behauptung, daß § 5, § 12 Nr. 1 und § 14 des Reichsgesetzes vom 14. Mai 1879, dann § 59 des Straf-Ges.-Buchs und § 398 der Straf-Proz.-Ordng. verletzt seien, ausgeführt, nach dem Gutachten zweier vernommener Sachverständigen gefährde der fragliche Wein bei dem gewöhnlichen ordnungsmäßigen Gebrauche die menschliche Gesundheit nicht, eine Schädigung derselben könne vielmehr nur im Falle seiner Verwendung für Kranke eintreten, und es sei daher dieser Wein nicht gesundheitsschädlich nach § 12 Nr. 1 des Reichsgesetzes vom 14. Mai 1879, weil diese Gesetzesstelle voraussetze, daß die gesundheitsschädliche Wirkung eines Genußmittels schon bei dem gewöhnlichen ordnungsmäßigen Gebrauche desselben eintreten könne. Bezüglich der Verwendung eines solchen Weines für Kranke könne der Verkäufer, wenn er den Wein nicht ausdrücklich als Krankenwein abgegeben oder wissentlich als solchen habe verwenden lassen, was gegen die Angeklagte nicht erwiesen sei, nicht verantwortlich gemacht werden. Ferner habe die Strafkammer entgegen der rechtlichen Beurtheilung, welche der durch das Revisionsgericht erfolgten Aufhebung des landgerichtlichen Urtheiles vom 19. Januar 1881 zu Grunde liege, nunmehr wieder Fahrlässigkeit auf Seite der Angeklagten wegen Unterbleibens der chemischen Analyse des Weines, obwohl den eigenen Feststellungen der Strafkammer zu Folge nach den thatsächlichen Verhältnissen für die Angeklagte keine besondere Veranlassung bestanden habe, eine solche Untersuchung vornehmen zu lassen, als gegeben erklärt, und zwar deßhalb, weil ihr nur die chemische Untersuchung absolute Gewähr für die Reinheit des Weines habe bieten können.
Diese Angriffe sind jedoch nicht gerechtfertigt.
Die Strafkammer hat angenommen, daß der Genuß des von der Angeklagten als Genußmittel verkauften Weines geeignet sei, die menschliche Gesundheit zu beschädigen.
Damit ist die hier in Frage stehende Voraussetzung des § 12 Nr. 1 des Reichsgesetzes vom 14. Mai 1879 gegeben, da die treffende Feststellung thatsächlicher Natur ist und derselben keine irrige Rechtsanschauung zu Grunde liegt. [393]
In dem angefochtenen Urtheile sind Gutachten von Sachverständigen angeführt, dahin gehend, daß die gesundheitsschädliche Wirkung des fraglichen Weines nicht unter allen Umständen, sondern nur dann eintrete, wenn der Wein für Kranke verwendet werde, und hat die Strafkammer den Einwand der Vertheidigung, es könne für die Entscheidung der Frage, ob der Wein gesundheitsgefährlich sei oder nicht, nur der gewöhnliche Verbrauch desselben maßgebend sein, für belanglos erklärt, weil diese Aufstellung den Prinzipien des Reichsgesetzes widerspreche, dessen Aufgabe es sei, im Interesse der Gesammtheit, sohin nicht nur der Gesunden, sondern auch der Kranken und Rekonvalescenten, die entsprechenden Cautelen vom Standpunkte der Gesundheitspflege aus zu geben. Dieser Ausspruch läßt jedoch keineswegs, wie die Beschwerdeführerin geltend macht, einen Rechtsirrthum entnehmen.
Denn ein Genußmittel, welches, wie der Wein, an sich nicht nur für Gesunde, sondern auch für Kranke bestimmt ist und allgemein von Gesunden und Kranken genossen wird, in Folge dessen der Weinhändler zu gewärtigen hat, daß der von ihm verkaufte Wein auch für Kranke Verwendung findet, ist gesundheitsgefährlich, wenn der ordnungsmäßige Gebrauch desselben die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, mag diese Wirkung auch nur bei einem Theile der den Wein Genießenden eintreten. Das Gesetz erfordert nicht, daß der Genuß der in § 12 Nr. 1 des Reichsgesetzes vom 14. Mai 1879 bezeichneten Nahrungs- oder Genußmittel für alle den Gegenstand genießenden Personen gesundheitsschädlich sei; es bezielt vielmehr, durch die treffende Strafbestimmung die Gesundheit eines Jeden gegen Gefährdung zu schützen, gleichviel wie dessen Gesundheitsverhältnisse beschaffen sind.
Demgemäß begründet es keinen Rechts-Irrthum, daß das Berufungsgericht den hier fraglichen Wein, ohne sich darüber auszusprechen, ob es denselben für Gesunde schädlich erachte, auch für den Fall, daß dessen Genuß nur bei Kranken und Rekonvalescenten nachtheilig wirke, als gesundheitsgefährlich im Sinne des § 12 Nr. 1 des angezogenen Gesetzes erklärt hat. Läßt aber die vorerwähnte thatsächliche Feststellung keinen Rechts-Irrthum erkennen, so kann dieselbe in der Revisionsinstanz nicht weiter angefochten werden.
Gleiches ist der Fall, insoferne in dem Urtheil vom 22. Juni dieses Jahres ausgesprochen ist, daß der Angeklagten bezüglich des Verkaufes des Weines Fahrlässigkeit nach § 14 desselben Reichsgesetzes zur Last falle.
Das Berufungsgericht ist zwar auch in diesem Urtheile zu der Anschauung gelangt, daß die Angeklagte den Wein von Sachverständigen [394] hätte untersuchen lassen sollen; dabei hat dasselbe aber zugleich auf Grund der gepflogenen Verhandlung angenommen, daß sie nach den Umständen des Falles hiezu thatsächlich veranlaßt gewesen sei, und hat eine Fahrlässigkeit auf Seite derselben dadurch für gegeben erachtet, daß sie, den Anpreisungen des Unterhändlers, welcher die Weinlieferung vermittelte, vertrauend, es unterließ, sich über die Beschaffenheit des Weines in sanitärer Beziehung zu unterrichten, obwohl die in dem Urtheile näher bezeichneten Umstände sie hätten bestimmen müssen, vor dem Verkaufe des Weines sich zu vergewissern, daß derselbe nicht gesundheitsschädlich sei.
Die neuerliche Verurtheilung der Angeklagten gründet sich daher, was die Frage der Fahrlässigkeit betrifft, nicht wie das Urtheil vom 19. Januar dieses Jahres auf die Ansicht, es sei die Angeklagte unter allen Umständen verpflichtet gewesen, den Wein durch Sachverständige untersuchen zu lassen, welche Ansicht in dem dießgerichtlichen Urtheile vom 29. März dieses Jahres als rechtsirrthümlich erklärt wurde, sondern entspricht der in dem letzteren Urtheile enthaltenen, der Aufhebung des Urtheils vom 19. Januar dieses Jahres zu Grunde gelegten rechtlichen Beurtheilung, welcher zu Folge zur Begründung der vorliegenden Anklage wegen Fahrlässigkeit, begangen durch Unterlassung der Bewirkung einer chemischen Untersuchung des Weines, noch weiter erfordert wird, daß nach den thatsächlichen Verhältnissen für Isabella Conrad besondere Veranlassung bestand, den Wein durch Sachverständige untersuchen zu lassen.
Das Berufungsgericht hat mithin keineswegs die Vorschrift des § 398 Abs. 1 der Straf-Proz.-Ordng verletzt. Ob aber die Strafkammer die einschlägigen thatsächlichen Verhältnisse richtig gewürdiget und auf Grund derselben mit Recht angenommen hat, daß der Angeklagten obgelegen sei, die in dem angefochtenen Urtheile angegebenen weiteren Maßnahmen bezüglich des Weines zu treffen, entzieht sich, als in das Gebiet der Thatsachen fallend, der Nachprüfung durch das Revisionsgericht und können daher die treffenden Feststellungen, nachdem sie nirgends einen Rechtsirrthum entnehmen lassen, hierorts nicht angefochten werden.
Hiernach ist die eingelegte Revision unbegründet, weßhalb unter Anwendung des § 505 Abs. 1 der Straf-Proz-Ordng, wie geschehen, zu erkennen war.