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Oberlandesgericht München – Unbefugtes Weiden

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Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 29. Juli 1884
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1884, Nr. 30, Seite 236–239
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Kurzbeschreibung: Das Weiden von Schweinen ist nur nach den von der Gemeinde erlassenen Bestimmungen erlaubt
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Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 29. Juli 1884.

in der Sache gegen den Taglöhner Barthel Joseph Kretz in Unterleichtersbach wegen unbefugten Weidens.

Nach der Feststellung der Strafkammer steht der Gemeinde Unterleichtersbach inhaltlich des rentamtlichen Urkatasters auf den Aeckern, Oedungen, Triften und in den Waldungen der ganzen Steuergemeinde Unterleichtersbach das Weiderecht mit Schweinen, Gänsen und Ziegen zu, und ist das Weiden der Schweine auf diesen Gründen nur der gemeinschaftlichen Heerde der Gemeinde durch den gemeinschaftlichen Hirten derselben gestattet. Vor einigen Jahren wurde nun von dem Gemeindeausschusse dieser Gemeinde in Gemäßheit des Art. 55 der Gemeindeordnung für die Landestheile diesseits des Rheins vom 29. April 1869 Johann Schipper von dort als gemeinschaftlicher Schweinhirt aufgestellt, und obwohl Anfangs des laufenden Jahres von mehreren Ortsbürgern von Unterleichtersbach aus Unzufriedenheit über die Leistungen des Schipper bei dem Bürgermeister daselbst die Aufstellung eines neuen Schweinhirten beantragt, und, da der Bürgermeister die Angelegenheit nicht erledigte, diese von 31 Ortsbürgern, worunter sich auch der Angeklagte befand, in einem von ihnen unterschriebenen Schriftstücke bei dem Bezirksamte Brückenau angeregt wurde, so kam es doch [237] zu keiner Bescheidung der Sache, und wurde Schipper seiner Stelle nicht enthoben. Hierauf beschloß eine Anzahl Ortsbürger, ihre Schweine durch eine andere Persönlichkeit austreiben zu lassen, und beauftragte damit den Angeklagten, welcher dann auch an zwei Tagen im Februar und an neun Tagen im März dieses Jahres auf den Gemeindetriften von Unterleichtersbach die verschiedenen Ortsnachbarn gehörigen Schweine und bei dieser Gelegenheit um jene Zeit auch zwei ihm gehörige Schweine weidete. Auf Grund dieser Thatsachen erklärte die Strafkammer in Uebereinstimmung mit dem Schöffengerichte den Barthel Joseph Kretz einer Übertretung nach Art. 115 des Polizei-Straf-Gesetz-Buches schuldig, da dieser, nachdem er nicht von der Gemeinde zum Schweinhirten aufgestellt und, daher auch nicht zum Weiden seiner Schweine auf den Gemeindetriften von Unterleichtersbach, also auf ihm fremden Grundstücken berechtiget gewesen sei, unbefugt und im Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gehandelt habe, und daher, wenn demselben auch hinsichtlich des Weidens der fremden Schweine der Art. 122 des Polizei-Straf-Gesetz-Buchs zur Seite stehe, der Thatbestand der Uebertretung doch insoferne gegeben sei, als Kretz die ihm gehörigen Schweine geweidet habe.

Dem gegenüber macht die Revision geltend, die Strafkammer habe den Art. 115 des Polizei-Straf-Gesetz-Buchs und den Art. 55 der Gemeindeordnung verletzt, weil von dem Angeklagten die Weide im Auftrage der Mehrheit der Schweine besitzenden Ortsbürger, mithin nicht unbefugt und jedenfalls nicht im Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ausgeübt worden sei. Die Revision ist jedoch nicht begründet.

Dem Beschwerdeführer ist allerdings darin beizustimmen, daß zur Aufstellung des hier in Frage stehenden Hirten in erster Reihe die Schweine besitzenden Ortsbürger von Unterleichtersbach berechtigt gewesen wären, allein aus der Feststellung der Strafkammer, daß der Gemeindeausschuß in Gemäßheit des Art. 55 der Gemeindeordnung einen Schweinhirten in der Person des Johann Schipper aufgestellt habe, geht hervor, daß, weil die betheiligten Schweinbesitzer bezüglich der Aufstellung des Hirten keine Anordnung getroffen haben, dieselbe auf Grund dieser Gesetzesbestimmung von der Gemeindeverwaltung getroffen wurde. Einer solchen Anordnung kommt aber die gleiche Wirkung wie einem jeden anderen Gemeindebeschlusse zu, und kann daher die Behauptung der Revision, zur Aufstellung des Schipper als Hirten hätte der Gemeindeausschuß keine gesetzmäßige Veranlassung gehabt, hierorts keine Beachtung finden; denn darüber, ob die Gemeindeverwaltung zur Erlassung dieses Beschlusses berechtigt und veranlaßt war, haben nicht die Strafgerichte, sondern auf dem in Art. 163 der Gemeindeordnung [238] angegebenen Wege die der Gemeindeverwaltung vorgesetzten Verwaltungsbehörden zu entscheiden. Solange aber der vorerwähnte Beschluß weder von der Gemeindeverwaltung Unterleichtersbach selbst, noch von den dieser vorgesetzten Behörden aufgehoben wurde, ist derselbe für die sämmtlichen betheiligten Schweinebesitzer rechtsverbindlich und es kann daher nur Johann Schipper als der gemeinschaftliche Hirt der gemeindlichen Schweineheerde von Unterleichtersbach in Betracht kommen. Die Revision behauptet zwar, die Mehrzahl der Schweine besitzenden Ortsbürger sei ungeachtet des Beschlusses des Gemeindeausschusses berechtigt gewesen, nachdem Johann Schipper seinen Dienst in gröblicher Weise verletzt habe, anstatt desselben einen anderen Hirten aufzustellen, und beruft sich zum Nachweise hiefür auf die Urtheile des früheren bayerischen Cassationshofes vom 5. April 1867 und 22. Dezember 1868 – Sammlung der Entscheidungen Bd. I S. 140 und Bd. II S. 513 –. Allein es besteht keine gesetzliche Bestimmung, wornach durch einen Beschluß der Mehrzahl der treffenden Viehbesitzer ein von der Gemeindeverwaltung auf Grund des Art. 55 der Gemeindeordnung erlassener Beschluß außer Wirksamkeit gesetzt werden kann, und die ebenerwähnten Urtheile können hier nicht in Betracht kommen; denn abgesehen davon, daß sie vor Einführung der Gemeindeordnung vom 29. April 1869 erlassen wurden, so befassen sich dieselben lediglich mit der Frage, ob einzelne Weideberechtigte gegen den Willen und den Beschluß der Mehrzahl der übrigen Weideberechtigten die Weide gesondert ausüben dürfen. Die Schweinebesitzer von Unterleichtersbach waren daher, nachdem auf den Gemeindegründen daselbst die Schweine nur in gemeinschaftlicher Heerde der Gemeinde durch den gemeinschaftlichen Hirten derselben geweidet werden dürfen, nicht berechtigt, ihre Schweine durch einen anderen Hirten weiden zu lassen oder selbst zu weiden. Wenn sohin der Angeklagte dessenungeachtet persönlich zwei ihm gehörige Schweine auf den Gemeindetriften von Unterleichtersbach weidete, so hat er die Grenzen der den Schweine besitzenden Ortsbürgern von Unterleichtersbach zustehenden Weidegerechtigkeit überschritten und daher unbefugt gehandelt.

Kretz hat die Weide aber auch auf einem fremden Grundstücke ausgeübt. Denn die Triften, auf welchen er weidete, gehören nach der Feststellung der Strafkammer zu den unvertheilten Gemeindegründen von Unterleichtersbach, stehen sonach im Eigenthume dieser Gemeinde und bilden daher für jedes einzelne Gemeindeglied, auch wenn demselben als solchem ein Nutzungsrecht an diesen Gründen zusteht, eine fremde Sache.

Endlich nahm das Berufungsgericht als erwiesen an, der Angeklagte sei sich, da er das behufs Entfernung des Johann Schipper [239] von seinem Dienste als gemeindlicher Schweinehirte verfaßte Schriftstück ebenfalls unterzeichnet und gewußt habe, daß von dem Bezirksamte Brückenau in dieser Sache keine Entscheidung getroffen worden sei, der Rechtswidrigkeit seiner Handlung bewußt gewesen und habe daher den ihm zur Last gelegten Feldfrevel vorsätzlich begangen. In der Revision wird zwar hiegegen geltend gemacht, der Angeklagte sei der Meinung gewesen, zu der den Gegenstand der Anklage bildenden Handlung berechtigt zu sein, und könne deshalb ein vorsätzlich rechtswidriges Handeln nicht angenommen werden. Allein diese Meinung des Angeklagten stellt sich als eine unrichtige Auffassung der hier in Frage stehenden Strafbestimmung, somit als ein strafrechtlicher Irrthum dar, welcher keine Berücksichtigung finden kann.

Die Feststellungen des angefochtenen Urtheils, welche nach §. 376 mit §. 260 der Straf-Prozeß-Ordnung hinsichtlich ihrer Richtigkeit in der Revisionsinstanz nicht weiter geprüft werden können, erschöpfen aber den Thatbestand einer Uebertretung nach Art. 115 des Polizei-Straf-Gesetz-Buchs, und hat daher die Strafkammer dadurch, daß sie den Angeklagten dieser Uebertretung schuldig erklärte, das Gesetz nicht verletzt.