Oberlandesgericht München – Steuernachzahlung
[68]
Der Gastwirth K. D. von A. wurde vom Schöffengerichte bei dem k. Amtsgerichte A. unter’m 13. Juli 1882 wegen Uebertretung der Vorschriften zur Kontrole und Sicherung des Lokalmalzaufschlages in eine Geldstrafe von drei Mark und für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einem Tage Haft sowie in die Kosten verurtheilt. Hiegegen legte der Amtsanwalt Berufung ein, dieselbe wurde jedoch von der Strafkammer des k. Landgerichtes A. am 14. Oktober 1882 unter Ueberweisung der Kosten zweiter Instanz auf die Staatskasse verworfen. Gegen letzteres Urtheil hat der Staatsanwalt am k. Landgerichte A. rechtzeitig Revision ergriffen, welche er rechtzeitig mit der Behauptung, daß die Art. 84 und 51 des Malzaufschlaggesetzes verletzt seien, begründete unter dem Antrage, das angefochtene Urtheil aufzuheben und den K. D. wegen einer Uebertretung der Lokalmalzaufschlagdefraudation in eine Geldstrafe von 95 ℳ. 90 ₰., für den Fall der Uneinbringlichkeit umgewandelt in eine Haftstrafe von neun Tagen, sowie zur Tragung der Kosten des Strafverfahrens und der Strafvollstreckung zu verurtheilen.
In der heutigen öffentlichen Sitzung stellte der dießgerichtliche k. Staatsanwalt den Antrag, unter Aufhebung der beiden instanzgerichtlichen Urtheile den K. D. von der gegen ihn erhobenen Anklage freizusprechen und die Kosten des Verfahrens aller Instanzen der k. Staatskasse zu überbürden. Diesem Antrage war auch zu entsprechen.
Der Stadtmagistrat A. hat auf Grund des Art. 86 des Malzaufschlaggesetzes, wornach zur Kontrole und Sicherung des Lokalmalzaufschlages ortspolizeiliche Vorschriften erlassen werden können, und Zuwiderhandlungen gegen dieselben einer Geldstrafe bis zu 45 ℳ. unterliegen, zur Sicherung und Kontrole des Aufschlages, welcher als Lokalmalzaufschlag von allem in den Stadtbezirk [69] A. eingeführten fremden Biere im Betrage von 1 ℳ. 31 ₰. vom Hektoliter oder 3 ₰. für zwei Liter erhoben wird, am 16. März 1880 ortspolizeiliche, von der Kreisregierung für vollziehbar erklärte, und im A.-Tagblatte vom 24. März 1880 veröffentlichte, Vorschriften erlassen, in denen in § 2 bestimmt ist, daß den Lokalmalzaufschlag von dem in A. eingeführten Biere der Empfänger des Bieres zu bezahlen und binnen 24 Stunden nach der Einfuhr auf der Polizeiwache zu entrichten hat, und in § 13 Zuwiderhandlungen gegen die zur Kontrole und Sicherung des Lokalmalzaufschlages erlassenen ortspolizeilichen Vorschriften mit einer Geldstrafe bis zu 45 ℳ. bedroht sind.
Nach dem landgerichtlichen Urtheile steht nun fest, daß K. D. am 25. Mai 1882 von dem Bierbrauer J. Z. von H. sieben Hektoliter 29 Liter Bier nach A. geliefert erhielt, daß der Einführer dieses Bieres die von ihm an demselben Tage ausgestellte Polette, in welcher die eingeführte Bierquantität, nach Fässern ausgeschieden, aufgeführt war, dem Pflasterzolleinnehmer und Kontroleur J. R. in A. übergab, und der Letztere, nachdem er auf der Polette die Einfuhrerlaubniß am 25. Mai 1882 bestätiget hatte, die Polette auf der Polizeiwache abgab, daß aber K. D., welcher davon, daß die Anzeige und Kontrole bei der Einfuhr des Bieres erfolgte, Kenntniß hatte, den Lokalmalzaufschlag zu 9 ℳ. 59 ₰. nicht, der vorerwähnten ortspolizeilichen Vorschrift entsprechend, binnen 24 Stunden nach der Einfuhr des Bieres, sondern erst am 31. Mai 1882 auf Mahnung der Polizeisoldaten bezahlte. Bei diesem Sachverhalte erachtete die Strafkammer, übereinstimmend mit dem Schöffengerichte, durch die den Gegenstand der Anklage bildende Verspätung der Entrichtung des Lokalaufschlages nicht eine nach Art. 84 des Malzaufschlaggesetzes zu bestrafende Defraudation, sondern eine nach § 13 der ortspolizeilichen Vorschriften vom 16. März 1880 zu beahndende Zuwiderhandlung für gegeben, und verwarf die amtsanwaltschaftliche Berufung, welche dahin ging, daß gegen K. D. statt der in erster Instanz erkannten Geldstrafe von 3 ℳ. eine solche von 95 ℳ. 90 ₰. auf Grund des Art. 84 des Malzaufschlaggesetzes hätte ausgesprochen werden sollen. In den Entscheidungsgründen ist hierzu bemerkt, es liege keine auf Defraudation gerichtete vorsätzliche oder fahrlässige Handlung oder Unterlassung des Angeklagten vor, und es sei die Einfuhr des Bieres nicht verheimlichet, vielmehr von dem Pflasterzolleinnehmer kontrolirt und auf der Polizeiwache zur Anzeige gebracht worden, so daß es dem Angeklagten gar nicht möglich gewesen sei, den Aufschlag zu hinterziehen. Eine Absicht zu defraudiren könne dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden.
In der Revisionsausführung wird zur Rechtfertigung der [70] Beschwerde, daß durch das angefochtene Urtheil die Art. 84 und 51 des Gesetzes über den Malzaufschlag verletzt seien, unter Bezugnahme auf Art. 51 Abs. 2 dieses Gesetzes, wornach die Absicht, das Malzaufschlaggefäll zu verkürzen, nur bei Anstiftern und Gehilfen Erforderniß der Strafbarkeit ist, behauptet, die Natur der dem Angeklagten zur Last liegenden Verfehlung als einer Defraudation nach Art. 84 des Malzaufschlaggesetzes ergebe sich daraus, daß bei den fiskalischen Delikten die Verletzung des zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Steuerberechtigten bestehenden obligatorischen Verhältnisses den Grund der Bestrafung bilde, und eine solche Verletzung vorliege, wenn die Zahlung eines verfallenen Gefälles verzögert werde, wie denn auch im § XIX des Malzaufschlagmandates vom 28. Juli 1807 die „Vorenthaltung“ des Aufschlages als eine Defraudation bezeichnet sei. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Nach Art. 84 des Malzaufschlaggesetzes unterliegen Defraudationen des Aufschlages von dem in den Gemeindebezirk eingeführten Biere einer Strafe im zehnfachen und beim Rückfalle im zwanzigfachen Betrage desselben, welche Strafe jedoch niemals den Betrag von 360 ℳ. übersteigen darf. Was aber unter Defraudation zu verstehen ist, wird vom Gesetze weder hier noch an einem anderen Orte bestimmt. Das Malzaufschlaggesetz beschränkt sich darauf, in den Abtheilungen II und III aufzuführen, welche Handlungen und Unterlassungen und wie dieselben zu bestrafen sind. Auch das in der Revision angezogene Aufschlagmandat vom 28. Juli 1807, an dessen Stelle das Malzaufschlaggesetz getreten ist, enthält keine Definition des Begriffes Defraudation. Es spricht im § XIX lediglich von einer Vorenthaltung oder Veruntreuung des Aufschlages, welche nichts Geringeres sei als ein Eingriff in die öffentlichen Gelder, und bestimmt sodann, in welchen Fällen wegen eines solchen Vergehens Bestrafung stattfinden soll, wobei diese Fälle in den §§ XX Abs. 1, XXII Abs. 2 und 4, und XXIV „Gefährdungen“, im § XXVI „Defraudationsfälle“ genannt werden. Nirgends aber, weder im Malzaufschlaggesetze noch im vorerwähnten Aufschlagmandate, ist die nicht rechtzeitige Entrichtung des Aufschlages mit Strafe bedroht. Das Aufschlagmandat verordnet blos in den §§ XVII und XXVII, daß im Falle der Nichtberichtigung des Aufschlages dem Restanten bis auf höhere Anweisung keine Polette mehr verabfolgt und der Ausstand dem Oberaufschlagamte zur zwangsweisen Beitreibung angezeigt werden soll, und nach Art. 45 und 48 des Malzaufschlaggesetzes hat die nicht rechtzeitige Entrichtung des Aufschlages zur Folge, daß dem Pflichtigen, so lange er den Ausstand nicht zahlt, eine weitere Polette nur gegen gleichzeitige Entrichtung des Aufschlages von der Malzquantität, auf [71] welche sie lautet, ertheilt werden darf, und der Rückstand nach Vorschrift des Art. 48 durch das Oberaufschlagamt exekutive beigetrieben wird. Es kann daher der im § XIX des Aufschlagmandates gebrauchten Bezeichnung „Vorenthaltung“ nicht, wie in der Revisionsausführung geschehen ist, der Sinn beigelegt werden, es sei darunter auch die Unterlassung der rechtzeitigen Zahlung des fälligen Aufschlages verstanden, und hat der Malzaufschlagspflichtige, wenn er den schuldigen Aufschlag nicht zu rechter Zeit entrichtet, auch nach dem Malzaufschlaggesetze keine Strafe, auch nicht eine Ordnungsstrafe, verwirkt. Ob derselbe wegen dieser Unterlassung, als einer Verletzung seiner dem aufschlagsberechtigten Staate gegenüber bestehenden Verpflichtung, vom Gesetze mit Strafe hätte bedroht werden können, ist gleichgiltig.
Wie aber hiernach die Unterlassung der rechtzeitigen Zahlung des ärarialischen Malzaufschlages keine Bestrafung nach sich zieht, so ist dies auch bezüglich des Lokalmalz- und Bieraufschlages der Fall. Denn die Gemeindeordnung vom 29. April 1869 schreibt, in Uebereinstimmung mit Art. 82 des Malzaufschlaggesetzes, welchem zu Folge die Vorschriften des letzteren Gesetzes über die Erhebung und Sicherung des Aerarialmalzaufschlages auch auf den Lokalmalzaufschlag Anwendung finden, im Art. 41 Abs. 5 vor, daß die Bestrafung der Defraudation und der Zuwiderhandlung gegen die zur Kontrole und Sicherung des Lokalaufschlages vom Biere, also auch des im Art. 84 des Malzaufschlagsgesetzes bezeichneten Aufschlages von in den Gemeindebezirk eingeführtem Biere, nach den Bestimmungen des Malzaufschlaggesetzes zu bemessen ist, und unterliegt mithin, nachdem für die Frage, ob eine auf den erwähnten Lokalaufschlag sich beziehende Handlung bestraft werden kann, die Vorschriften dieses Gesetzes maßgebend sind, und letzteres die nicht rechtzeitige Zahlung des schuldigen Aufschlages nicht für strafbar erklärt, auch die nicht rechtzeitige Entrichtung des Lokal-Bieraufschlages keiner Bestrafung. Es kann deßhalb, im Falle dieser Aufschlag vom Pflichtigen nicht nachträglich gezahlt wird, nur eine Beitreibung des Ausstandes im Executionswege nach Maßgabe der Vorschriften der Art. 48 und 57 der Gemeindeordnung eintreten.
Hieraus ergibt sich aber, daß nicht nur die vorliegende, eine Verurtheilung des Angeklagten wegen Defraudation nach Maßgabe des Art. 84 des Malzaufschlaggesetzes bezielende Revisionsbeschwerde sondern auch der Ausspruch des Berufungsgerichtes, es habe sich K. D. durch die Nichtentrichtung des Aufschlages binnen 24 Stunden nach Einfuhr des Bieres einer strafbaren Zuwiderhandlung gegen § 2 der ortspolizeilichen Vorschriften vom 16. März 1880 schuldig gemacht, nicht gerechtfertiget ist. Dabei ist es unerheblich, daß die fragliche Anordnung bezüglich der Frist, inner [72] welcher der Aufschlag gezahlt werden soll, auf Grund des Art. 86 Satz 1 des Malzaufschlaggesetzes getroffen wurde, wornach zur Kontrole und Sicherung des Lokalmalzaufschlages, welcher nach Art. 41 Abs. 5 der Gemeindeordnung auch den Aufschlag von eingeführtem Biere umfaßt, ortspolizeiliche Vorschriften erlassen werden können, und daß im § 13 der erwähnten Vorschriften Zuwiderhandlungen gegen die Letzteren auf Grund des Art. 86 Satz 2 des Malzaufschlaggesetzes mit einer Geldstrafe bis zu 45 ℳ. bedroht sind, da die in dem ebenangeführten Artikel gewahrte Befugniß nur die Erlassung von Vorschriften zum Gegenstande hat, welche mit dem Gesetze, zu dem sie erlassen wurden, im Einklange stehen, nicht aber das Recht in sich schließt, Bestimmungen dieses Gesetzes abzuändern, und in Folge dessen Handlungen, die das Gesetz für nicht strafbar erklärt, mit Strafe zu bedrohen. Es ermangelt daher die Bestimmung des § 13 mehrbesagter ortspolizeilicher Vorschriften, in soferne sie die Nichteinhaltung der Zahlungsfrist des § 2 betrifft, als mit dem für die Frage der Strafbarkeit der Unterlassung der rechtzeitigen Entrichtung des Lokalmalz- und Bieraufschlages maßgebenden Malzaufschlaggesetze im Widerspruche stehend, der gesetzlichen Giltigkeit, welche zu prüfen nach Art. 15 in Verbindung mit Art. 10 des Polizeistrafgesetzbuches dem Strafrichter zusteht.
Hiernach mußte aber das Berufungsgericht in Gemäßheit des nach Art. 90 des Malzaufschlaggesetzes hier in Anwendung kommenden § 343 der Strafprozeßordnung, welcher bestimmt, daß jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel die Wirkung hat, daß die angefochtene Entscheidung auch zu Gunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann, nachdem die amtsanwaltschaftliche Berufung gegen den schöffengerichtlichen Schuldausspruch gerichtet war, und die demselben zu Grunde liegende Handlung des Angeklagten nicht unter ein Strafgesetz fällt, den K. D. unter Aufhebung des erstrichterlichen Urtheiles und Ueberweisung der Kosten erster und zweiter Instanz auf die Staatskasse von der gegen ihn erhobenen Anklage freisprechen, und hat dasselbe sohin dadurch, daß es statt dessen die schöffengerichtliche Verurtheilung auf Grund des § 13 der ortspolizeilichen Vorschriften vom 16. März 1880 für mit Recht erfolgt erklärte, den Art. 86 des Malzaufschlagsgesetzes unrichtig angewendet und damit das Gesetz verletzt.
In Folge dessen, und da auch die Revision die Schuldfrage zum Gegenstande hat, war in Anwendung der §§ 343, 394 Abs. 1, 499 Abs. 1 und 505 Abs. 1 der Strafprozeßordnung, wie geschehen, zu erkennen.