Oberlandesgericht München – Störung der Sonntagsruhe
[461]
Im Auftrage des Glashüttenbesitzers Andreas B. von K. haben dessen Fuhrknechte Johann K. und Adam W. am Samstag den 29. Januar dieses Jahres von K. aus je eine Schlittenladung Rohglas nach den von dort 5–6 Stunden entfernten Polierwerken Gr., B. und Gl. befördert, hierauf am nächsten Tage, sohin am Sonntage den 30. Januar, vom Bahnhofe V. je einen mit zwei [462] Pferden bespannten, mit Glassand schwerbeladenen Lastschlitten zum Aerger der Bewohner des Marktes V. durch diesen Markt gefahren und am Abende desselben Tages den Sand auf den dem Andreas B. gehörigen Glashütten E. und K. abgeliefert.
Auf Grund dieser Thatsache wurde Andreas B. von dem Schöffengerichte wegen zwei Uebertretungen der Theilnahme durch Anstiftung an zwei Uebertretungen der Störung der Sonntagsfeier zu Geldstrafen von je 3 Mark verurtheilt, und die von demselben dagegen eingelegte Berufung von der Ferienkammer verworfen, wobei die Letztere annahm, daß der Angeklagte als Thäter hätte verurtheilt werden sollen, zu einer Aenderung des erstinstanziellen Urtheils aber gemäß §. 368 der Straf-Proz.-Ordnung keine Veranlassung bestehe.
Die Revision des Angeklagten, welche die Verletzung des §. 1 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 1 der k. Verordnung vom 30. Juli 1862, die Feier der Sonn- und Festtage betr., rügt, ist nicht begründet.
Nach §. 366 Nr. 1 des Straf-Gesetz-Buches wird mit Geldstrafe bis zu 60 Mark oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft, wer den gegen die Störung der Feier der Sonn- und Festtage erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt, und die vorerwähnte k. Verordnung vom 30. Juli 1862, welche zwar auf Grund des Art. 105 des Polizei-Straf-Ges.-Buches vom 10. November 1861 erlassen wurde, im Hinblicke auf Art. 2 Ziff. 5 und Art. 159 Abs. 2 des Polizei-Straf-Ges.-Buches vom 26. Dezember 1871 aber auch zu §. 366 Nr. 1 des Straf-Ges.-Buches giltig ist, enthält in Abs.1 des §. 1 die Bestimmung, daß alle öffentlich vorgenommenen oder öffentliches Aergerniß erregenden Arbeiten oder geräuschvollen Handthierungen des landwirthschaftlichen, gewerblichen, Handels- und Fabrikbetriebs an Sonn- und Festtagen, dringende Fälle ausgenommen, untersagt sind, während der Abs. 2 Ziff. 1 bestimmt, daß diesem Verbote diejenigen Arbeiten nicht unterliegen, welche wie bei Hochöfen, Gießereien, Schmelzwerken, Glashütten, Gasfabriken, Brauereien, Branntweinbrennereien im landwirthschaftlichen Betriebe, ferner behufs des Transportes von Reisenden und Frachtgütern, beim Eisenbahn-, Post- und Dampfschiffahrtsverkehre ohne Nachtheil nicht unterbrochen werden können. Die Frage, ob ein dringender Ausnahmsfall im Sinne des §. 1 Abs. 1 gegeben ist, oder ob eine schon vor einem Sonn- beziehungsweise Festtage begonnene Arbeit ohne Nachtheil an diesem Tage nicht unterbrochen werden konnte, bemißt sich nach den Umständen des concreten Falles, und die Entscheidung hierüber steht also zunächst dem Thatrichter zu. In der vorwürfigen Sache gelangte nun das Berufungsgericht zu der Annahme, daß die Fahrt am Sonntag den 30. Januar dieses Jahres, um welche es sich allein handele, da durch die am 29. Januar, einem Werktag vorgenommene Fahrt kein Gesetz verletzt sei, nicht dringend [463] nothwendig gewesen wäre, weil der für die Glashütte in E. erforderliche Sand schon am Samstag den 29. Januar mittels besonderer Fuhrwerke von V. hätte geholt oder diese Hütte von der nur eine Stunde entfernten Hütte in K. aus für kurze Zeit mit Sand hätte versehen werden können, übrigens, falls ein Mangel an Sand wirklich eingetreten wäre, der Angeklagte diese Nothlage durch Unterlassung, der rechtzeitigen Bestellung desselben selbst verschuldet habe, und daß, wenn auch die Fahrt vom 29. und 30. Januar als eine einheitliche Arbeit angesehen werden sollte, die Unterbrechung der Fahrt an dem letzteren Tage ohne Nachtheil für den Angeklagten hätte erfolgen können, weil die Knechte die Fahrten zwischen K. und V. sowie von K. zu den Polierwerken zu jener Zeit je in einem Tage hatten machen, sohin am Samstag von den letzteren nach Hause zurückkehren und dann den Sand am Montag den 31. Januar in V. holen, oder doch die Arbeit, ohne daß hiedurch irgend ein erheblicher Nachtheil erwachsen wäre, am Sonntag in der Weise aussetzen können, daß sie an diesem Tage in V. geblieben wären. Diese Feststellung läßt keinen Rechtsirrthum ersehen.