Oberlandesgericht München – Lagerung von ungegerbten Häuten
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Das oberste Landesgericht erkannte am 6. Dezember 1879 in Sachen der beiden Kaufleute N. N. von R. wegen Uebertretung in Bezug auf Straßen- und Reinlichkeits-Polizei zu Recht:
- die von N. N. gegen das Urtheil des k. Landgerichts R. vom 28. Oktober d. Js. eingelegten Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.
Durch Urtheil des vormaligen k. Stadtgerichts R. vom 19. Sept. d. J. wurden die Kaufleute N. N. von dort wegen je einer gemeinsam begangenen Uebertretung in Bezug auf die Straßen- und Reinlichkeitspolizei, verübt durch Halten einer Niederlage von ungegerbten Häuten innerhalb eines bewohnten Häuserquartieres in R. ortspolizeilichem Verbote zuwider – verurtheilt zu je 6 ℳ Geldstrafe, wovon zwei Drittel in die dortige Armenkasse fließen, umgewandelt für den Fall der Uneinbringlichkeit in je 2 Tage Haft, sowie beide solidarisch in die Kosten des Strafverfahrens und jeder derselben in die ihn treffenden Kosten des Vollzuges.
Dieser Ausspruch erfolgte auf Grund der Art. 94 u. 96 des PStGB. v. 26. Dez. 1871, § 16 der vom Stadtmagistrate R. erlassenen ortspolizeilichen Vorschriften vom 24. Juli 1877, § 47, 28 u. 29 des RStGB., Art. 44 u. 54 des VEG. vom 26. Dez. 1871, endlich Art. 204 des StPG. v. 10. Nov. 1848.
Die von beiden Beschuldigten gegen dieses Urtheil eingelegten Berufungen wurden durch Urtheil des k. Landgerichts R. vom 28. Okt. d. J. verworfen. [66]
Am 30. Oktober d. J. haben dieselben die Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt.
Von den Beschwerdeführern wird zunächst eine Verletzung gesetzlicher Bestimmungen, nämlich der § 1, 16 u. 42 der RGO. v. 21. Juni 1869, sowie des Art. 10 des PStGB. v. J. 1871 darin erblickt, daß in dem angefochtenen Urtheile die von dem Magistrate der Stadt R. unterm 27. Juli 1877 zu Art. 94 des PStGB. v. 26. Dez. 1871 erlassene ortspolizeiliche Vorschrift, inhaltlich welcher – § 16 – ungegerbte Häute nicht innerhalb bewohnter Häuserquartiere, sondern nur in Räumen gelagert werden dürfen, welche allseitig isolirt und von bewohnten Gebäuden entkernt gelegen sind – mit den Bestimmungen der deutschen Gewerbeordnung vereinbarlich erachtet worden sind.
Ferner wird die Anwendbarkeit der in den angefochtenen Urtheilen der Instanzgerichte zur Begründung des Schuldausspruches angeführten gesetzlichen Bestimmungen für den gegebenen Fall bestritten, weil die Niederlage der Beschwerdeführer schon vor Erlassung der ortspolizeilichen Vorschriften mit Genehmigung der Polizeibehörde bestanden, diese also nicht mehr entzogen werden dürfe; und weil Art. 94 des PStGB. nur von Anordnungen in Bezug auf öffentliche Reinlichkeit handle, diese aber in einem Privatlokale nicht in Frage kommen könnten.
Hienach wird gebeten, das Urtheil des k. Landgerichts R. vom 28. Okt. d. J. zu vernichten.
Die nach Art der Ausführung der Beschwerde gemäß Art. 245 Abs. II Zif. 2 des StPG. v. 10. Nov. 1848 auf die geltendgemachten Beschwerdepunkte beschränkte Prüfung der Sache hat nun ergeben, daß diese Beschwerde nicht begründet ist, vielmehr das Gesetz auf die festgestellten Thatsachen richtig angewendet wurde.
Durch das angefochtene Urtheil wird thatsächlich festgestellt, daß die Beschuldigten gemeinschaftlich in dem in der Stadt R. innerhalb eines bewohnten Häuserquartieres gelegenen Hause lit. A Nr. 227 ½ seit mehreren Jahren ein Lager ungegerbter Häute halten.
Nach dieser thatsächlichen Feststellung ist die Bestimmung in § 16 der ortspolizeilichen Vorschriften vom 27. Juli 1877, wie dieselbe oben bereits nach ihrem Wortlaute angeführt ist – auf die Handlungsweise der Beschuldigten zweifellos zutreffend.
Diese ortspolizeiliche Vorschrift, welche nach Maßgabe der Art. 6 u. 11 des PStGB. v. 26. Dez. 1871 von der vorgesetzten Stelle als vollziehbar erklärt und durch das betreffende Wochenblatt vom 7. August 1877 bekannt gemacht wurde – wird von den Beschwerdeführern zwar nicht nach ihrer formalen Seite beanstandet: dagegen nach ihrem materiellen Inhalte [67] bekämpft, weil sie der Vorschrift des Art. 10 a. a. O. zuwider mit Gesetzen, nämlich mit den bereits angeführten Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung in Widerspruch stehe.
Der behauptete Widerspruch besteht jedoch nicht.
Nach § 1 der RGO. ist der Betrieb eines Gewerbes Jedermann gestattet, soweit nicht durch dieses Gesetz Ausnahmen oder Beschränkungen vorgeschrieben oder zugelassen sind, und nach § 42 a. a. O. darf, wer zum selbständigen Betriebe eines stehenden Gewerbes befugt ist, dasselbe am Orte seiner gewerblichen Niederlassung und auch außerhalb dieses Ortes ausüben.
Nach Inhalt des § 16 a. a. O. ist zur Errichtung von Anlagen, welche durch die örtliche Lage oder die Beschaffenheit der Betriebsstätte für die Besitzer oder Bewohner benachbarter Grundstücke oder für das Publikum Belästigungen oder Gefahren herbeiführen können – die Genehmigung der zuständigen Behörde erforderlich. Zugleich werden die dahin gehörigen Anlagen aufgezählt, und wird am Schluße die Abänderung dieses Verzeichnisses dem Bundesrathe unter Vorbehalt der Genehmigung des Reichstages übertragen.
Aus diesen in der Denkschrift angeführten Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung folgt zunächst das Prinzip, daß regelmäßig Jeder zum Betriebe eines Gewerbes in unbeschränkter Weise zugelassen werden solle. Diesem Prinzipe steht die Vorschrift des § 16 als Ausnahme gegenüber, indem hienach für die Errichtung bestimmter gewerblicher Anlagen die vorausgehende Genehmigung der zuständigen Behörde erfordert wird. Daraus ergibt sich, daß nur in den Fällen, welche in dem Verzeichnisse des § 16 enthalten oder diesem auf dem dort näher festgestellten gesetzlichen Wege nachträglich angereiht worden sind, die Erholung polizeilicher Genehmigung bei Errichtung der gewerblichen Anlage gefordert werden darf. Da nun die Niederlagen von Rohhäuten in diesem Verzeichnisse, auch wie dasselbe durch späteren Nachtrag erweitert wurde – nicht enthalten, so kann allerdings deren Errichtung von Genehmigung der Polizeibehörde nicht abhängig gemacht werden. Insoweit bewegen sich die Ausführungen der Beschwerde demnach auf gesetzlichem Boden, und auch die bei der Verhandlung vor dem Berufungsgerichte vorgelegte Entschließung des k. Staatsministeriums des Innern vom 12. April 1874 beschränkt sich darauf, die Unstatthaftigkeit des Verlangens einer vorausgehenden polizeilichen Bewilligung darzulegen.
Würde also durch ortspolizeiliche Vorschrift gleichwohl eine solche Bewilligung gefordert werden, so könnte dieselbe Angesichts der Vorschrift in Art. 10 des PStGB. – weil mit gesetzlichen Normen in Widerspruch, nicht zu Recht bestehen. [68]
Allein die mehrerwähnten zu Art. 94 des PStGB. von dem Stadtmagistrate R. erlassenen ortspolizeilichen Vorschriften enthalten keine derartige Bestimmung. Denn der auf den vorliegenden Fall allein anwendbare § 16 verlangt von demjenigen, welcher eine Niederlage von ungegerbten Häuten etc. errichten will, lediglich Anzeigeerstattung bei dem Magistrate, und verordnet dann weiter, daß solche Gegenstände nicht innerhalb bewohnter Häuserquartiere, sondern nur in Räumen gelagert werden dürfen, welche allseitig isolirt und von bewohnten Gebäuden entfernt gelegen sind.
Da es sich hier nicht um Bestrafung wegen Unterlassens der vorgeschriebenen Anzeige handelt – welche übrigens mit der Erholung einer Bewilligung der Behörde nicht identifizirt werden kann und keinerlei Hinderniß der Zulassung zum Geschäftsbetriebe bildet, so kann hier nur die Rechtsbeständigkeit des zweiten Theiles jener Vorschrift in Frage kommen.
Die hier getroffenen Anordnungen über die räumliche Lagerung der ungegerbten Häute stehen nun mit den oben angeführten Vorschriften der Reichsgewerbeordnung keineswegs im Widerspruche.
Durch die Vorschrift des § 1 dieses Gesetzes sollten nur die der Zulassung zum Gewerbebetriebe entgegenstehenden Beschränkungen beseitiget, und nur die Frage, wer zum Gewerbebetriebe befugt sei, geregelt werden, dagegen jene Vorschriften unberührt bleiben, welche für die Ausübung eines Gewerbes im allgemeinen Interesse aus Rücksichten der Sicherheit, Gesundheit, Sittlichkeit u. s. f. geboten erscheinen und für Jedermann, er mag ein Gewerbe treiben oder nicht, aus Rücksichten des Gemeinwohls bindend getroffen werden.
- Vgl. Kah, die Gew.-Odg. zu § 1.
- Riedel, PStGB. III. Aufl. S. 206.
- Wirschinger, Reichsgew.-Odg. S. 10 u. fg.
Auch der Gewerbetreibende hat demzufolge die auf gesetzlichem Wege im Interesse des öffentlichen Wohles getroffenen Vorschriften, selbst wenn sie ihn bei Ausübung des Gewerbes, zu dessen Betrieb er uneingeschränkt zugelassen werden muß, beschränken sollten – zu beobachten, ohne daß er sich bei deren Nichtachtung auf die in § 1 mit § 42 der RGO. garantirte unbeschränkte Zulassung zu seiner Entlastung berufen kann.
Durch Art. 94 des PStGB. werden nun die Anordnungen über öffentliche Reinlichkeit in Städten etc. den ortspolizeilichen Vorschriften anheim gegeben und deren Uebertretung mit Strafe bedroht.
Die ortspolizeilichen Vorschriften, wegen deren Nichtbeachtung die beiden Beschwerdeführer mit Strafe belegt wurden, enthalten {Seite|69||Ministerial-Amtsblatt Bayern 1880 003 069.jpg}} nach dem Erörterten gesetzliche, aus Rücksichten des öffentlichen Wohles, nämlich der Erhaltung der öffentlichen Reinlichkeit in der Stadt R. erlassene Anordnungen, welche auch neben dem in § 1 u. 42 der RGO. sanktionirten Prinzipe der Freiheit des Gewerbebetriebes zu Recht bestehen können.
Ebenso wenig können die Beschwerdeführer sich auf die Bestimmung des § 16 der RGO. mit Erfolg berufen, da, wie schon erwähnt, in den ortspolizeilichen Vorschriften die Erholung der Bewilligung der zuständigen Behörde zu Errichtung einer Niederlage nirgends verlangt wird und ihre Bestrafung auch nicht wegen unterlassener Einholung einer solchen Bewilligung erfolgt ist.
Die durch § 16 der RGO. statuirte Konzessionspflicht bestimmt bezeichneter gewerblicher Anlagen darf überhaupt nicht als identisch mit der Frage behandelt werden, in wieweit aus Gesundheits- oder anderen polizeilichen Rücksichten gewisse gewerbliche Anlagen Beschränkungen unterworfen werden können.
In diesem Sinne hat auch der Bundesrath des deutschen Reiches – Bundesraths-Prot. 1873 § 506 – bei der Erörterung ob die Lagerung von Fellen in das Verzeichniß des § 16 a. a. O. aufzunehmen sei, zu Protokoll das Einverständniß der Bundesregierungen darüber konstatirt, daß die Frage, inwieweit die Lagerung von ungegerbten Fellen aus Gesundheits- oder anderen polizeilichen Rücksichten Beschränkungen unterworfen werden könne, nicht nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung sich regle.
Die in der Beschwerde allegirte Entschließung des k. Staatsministeriums des Innern v. 25. Aug. 1873 beurtheilt das Verhältniß des § 16 der RGO. zu den allgemeinen polizeilichen Vorschriften in der gleichen Weise und stützt sich hiebei insbesondere auf die erwähnte Protokollar-Erklärung des Bundesrathes.
Auch der oberste Gerichtshof hat schon wiederholt in gleicher Weise, insbesondere in den Urtheilen vom 15. Juni 1878 – Samml. Bd. VIII S. 327 – und vom 13. Juni 1879 – Samml. Bd. IX S. 307 – sich über dieses Verhältniß ausgesprochen.
Es wäre auch in der That nicht abzusehen, aus welchem Grunde ein im Interesse des öffentlichen Wohles erlassenes, für Jedermann verbindliches Verbot gerade einem Gewerbetreibenden gegenüber unverbindlich sein sollte, da auch in solchem Falle die dieses Verbot begründenden polizeilichen Rücksichten in gleichem, ja noch in erhöhtem Grade bestehen.
Unrichtig ist auch die in der Denkschrift enthaltene Behauptung, als enthalte jene ortspolizeiliche Vorschrift das Verbot der Ausübung eines Gewerbes; denn durch die Vorschrift, daß solche Gegenstände nicht innerhalb bewohnter Häuserquartiere [70] gelagert werden dürfen, wird deren Lagerung im Bezirke der Stadt nicht überhaupt verboten.
Von den Beschwerdeführern wird die Unanwendbarkeit der ortspolizeilichen Vorschrift auf ihre Niederlage auch daraus abgeleitet, daß dieselbe schon vor deren Erlaß mit polizeilicher Genehmigung bestanden habe.
Allein wie die Urtheile der Instanzgerichte auf Grund des Inhaltes der Akten feststellen, ist diese Behauptung faktisch unrichtig; denn die Bewilligung zur Erbauung des Hauses, in welchem die Niederlage sich befindet, wurde nur unter der Bedingung ertheilt, daß in demselben übelriechende Gegenstände nicht aufbewahrt werden; sie ist aber auch rechtlich nicht haltbar; denn das Verbot erstreckt sich auf die Lagerung von ungegerbten Häuten innerhalb bewohnter Quartiere ganz allgemein und ohne Rücksicht darauf, ob solche Lagerung schon bei Erlassung desselben bestand oder nicht. Der Zweck dieser Vorschrift besteht eben darin, derartige Niederlagen, deren Nachtheil für die öffentliche Reinlichkeit der Stadt erkannt wurde, in der Sorge für das öffentliche Wohl von bestimmten Plätzen, ferne zu halten. Diese in gesetzlicher Form zum Ausdruck gelangte Absicht des Gesetzgebers kann nur erreicht werden, wenn jede, auch eine schon zur Zeit der Emanirung des Verbotes bestehende derartige Einrichtung entfernt wird.
- Vgl. oberstr. Urth. in der Samml. v. Entsch. des Kass. H. Bd. III S. 325 u. in der neueren Samml. Bd. V S. 502.
Es bestreitet die Beschwerde weiter die Anwendbarkeit des Art. 94 des PStGB. auf den gegebenen Fall, weil durch die Lagerung von Häuten in einem Privatlokale die Rücksicht auf die öffentliche Reinlichkeit nicht verletzt werden könne. Allein der durch die Vorschrift des Art. 94 der öffentlichen Reinlichkeit in Städten etc. gewährte Schutz beschränkt sich keineswegs auf die Reinhaltung der Straßen und Plätze, sondern erstreckt sich zweifellos auch auf den Luftraum, insoferne die Verunreinigung desselben durch aus Privatlokalen ausströmende Gerüche bewirkt wird, und dadurch Belästigung für das Publikum nach sich zieht.
Gerade für solche Fälle ist Art. 94 berechnet, da ja für die Reinlichkeit auf öffentlichen Straßen etc. durch die Bestimmung in § 366 Zif. 10 des RStGB. hinreichend Vorsorge getroffen ist.
- Vgl. Riedel, Komm. zum PStGB. III. Aufl. S. 152.
Die von den Beschwerdeführern schließlich angedeutete Anwendung des § 51 d. d. RGO., wornach wegen Gefahren für das Gemeinwohl die fernere Benützung jeder gewerblichen Anlage zu jeder Zeit zwar untersagt werden darf, jedoch nur gegen Leistung des Ersatzes für den erweislichen Schaden des Besitzers – ist [71] nicht zutreffend, da es sich hier um Aufrechthaltung gesetzlich bereits bestehender, allgemein verbindlicher Verbote handelt.
Bei dem Ungrunde der erhobenen Beschwerden waren dieselben zu verwerfen.