Oberlandesgericht München – Freiheit des Marktverkehrs
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Wie feststeht haben die Angeklagten J. M., Fleischführer, und M, K., Fleischführergehilfe von M., welche in der bezeichneten Eigenschaft zur Ausübung ihres Gewerbes im städtischen Schlacht- und Viehhofe gemäß §. 56 der Schlacht- und Viehhofordnung vom 9. August 1878 Legitimationskarten erhalten haben, in der Kälbermarkthalle des städtischen Viehhofes daselbst während der Marktzeit und zwar J. M. am 19. Januar 1888 im Auftrag und für Rechnung des Gastwirthes B. von dort, M. K. am 20. Januar 1888 im Auftrag und für Rechnung der Gastwirthswittwe G. von da aus der Zahl der damals zum Verkauf zu Markt gebrachten Kälber je ein Kalb angekauft.
Mangels einer rechtsgiltigen Strafvorschrift hat das Schöffengericht beim k. Amtsgerichte M. mit Urtheil vom 17. April 1888 die beiden Angeklagten von der Anklage wegen einer Uebertretung der Schlacht- und Viehhofordnung aus Art. 146 des Pol.-Str.-G.-Bchs. mit §. 42a der ortspolizeilichen Vorschrift vom 4. September 1885 kostenlos freigesprochen und die zweite Strafkammer des k. Landgerichts M. hat mit Urtheil vom 14. Juni 1888 die hiegegen eingelegte Berufung des Amtsanwaltes unter Ueberweisung der Kosten auf die Staatskasse als unbegründet verworfen. [416]
Gegen dieses Urtheil wendet sich die auf dessen Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das k. Landgericht M. zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung abzielende Revision des Staatsanwaltes und bezeichnet in deren Begründung Art. 146 Abs. 3 und Art. 152 des Pol.-Str.-G.-Bchs. verletzt. Die Revision kann jedoch als begründet nicht erachtet werden.
Der Magistrat M. hat zwar am 4. September 1885 auf Grund des Art. 146 des Polizeistrafgesetzbuches in Ergänzung der Schlacht- und Viehhofordnung vom 9. August 1878 eine von der k. Regierung, Kammer des Innern, mit Entschließung vom 25. August 1885 für vollziehbar erklärte ortspolizeiliche Vorschrift erlassen, welcher zufolge nach §. 42 als §. 42a eingeschaltet wird: „Lohnschlächtern, Viehführern, Fleischführern und Viehschaffnern, sowie deren Hilfspersonen ist der Einkauf von zum Viehhofe gelangten Schlachtthieren, sei es für ihre eigene Rechnung, sei es für Rechnung Dritter, verboten. Nichtachtung dieses Verbotes hat für dieselben neben Strafeinschreitung die Einziehung ihrer Legitimation (§ 89 Abs. 1) und nach Umständen den Ausschluß aus der Anstalt (§ 92) zur Folge.“
Diese Bestimmung enthält jedoch eine ungesetzliche Beschränkung der Freiheit des Einkaufs auf dem Markte während der Marktzeit, und muß ihr deßhalb die rechtliche Giltigkeit abgesprochen werden. Denn die Reichsgewerbeordnung, welche in Titel IV §. 64–71 den Marktverkehr behandelt und an die Spitze den Grundsatz stellt, daß der Besuch der Messen, Jahr- und Wochenmärkte, sowie der Kauf und Verkauf auf denselben einem Jeden mit gleichen Befugnissen frei stehen soll, läßt es nach §. 70 in Betreff der Märkte, welche bei besonderen Gelegenheiten oder für bestimmte Gattungen von Gegenständen, das sind die sogenannten Specialmarkte, gehalten werden, bei den bestehenden Anordnungen bewenden, und bedroht in §. 149 Abs. 1 Ziff. 6 mit Geldstrafe bis zu dreißig Mark und im Unvermögensfalle mit Haft bis zu acht Tagen Denjenigen, welcher den polizeilichen Anordnungen wegen des Marktverkehrs zuwiderhandelt.
Auf den Marktverkehr bezügliche Bestimmungen enthält Art. 146 des Polizeistrafgesetzbuches vom Jahre 1871, welcher in Abs. 1 und 3 lautet:
- „Zuwiderhandlungen gegen die durch ortspolizeiliche Vorschrift festgesetzten Ordnungen für den Verkehr mit Getreide auf öffentlichen Schrannen sowie für den Verkehr auf Messen und Jahrmärkten, auf Vieh-, Holz- und Viktualienmärkten, dann auf Märkten für Rohstoffe oder Waaren irgend einer Art werden an Geld bis zu zehn Thalern gestraft.
- Durch die ortspolizeilich festgesetzten Schrannen- oder Marktordnungen kann weder der Handel mit Gegenständen des Marktverkehrs, welche noch nicht in die Markung des Marktortes gebracht [417] worden sind, noch der Einkauf auf dem Markte während eines Theils der Marktzeit für bestimmte Klassen von Personen untersagt, noch die freie Abfuhr der am Markte oder Schrannentage unverkauft gebliebenen Vorräthe verboten oder beschränkt werden.“
Nachdem §. 70 der Reichs-Gewerbe-Ordnung es bezüglich der Specialmärkte bei den bestehenden Anordnungen bewenden läßt, richtet sich die Erlassung von Marktordnungen für den Verkehr auf Viehmärkten nach Art. 146 Abs. 1 des Pol.-Str.-G.-Bchs. und ist lediglich die Strafbestimmung ersetzt durch jene des §. 149 Abs. 1 Ziff. 6 der Reichs-Gewerbe-Ordnung, welche, da sie den Marktverkehr im Allgemeinen betrifft und keine Art desselben ausnimmt, auch den Verkehr auf Viehmärkten umfaßt.
Von den Vorschriften für Specialmärkte in Abs. 3 des Art. 146 des Pol.-Str.-G.-Bchs. entfällt jene gegen die freie Abfuhr der am Markte oder Schrannentage unverkauft gebliebenen Vorräthe gerichtete oder dieselbe beschränkende gemäß §. 71 der Reichs-Gewerbe-Ordnung; es bestehen dieselben aber noch, soweit sie verbieten, den Handel mit Gegenständen des Marktverkehrs, welche noch nicht in die Markung des Marktortes gebracht sind, oder den Einkauf auf dem Markte während eines Theiles der Marktzeit für bestimmte Klassen von Personen zu untersagen, woraus folgt, daß in den durch ortspolizeiliche Vorschriften festgesetzten Ordnungen für den Verkehr auf Viehmärkten der Einkauf auf dem Markte während eines Theiles der Marktzeit für bestimmte Klassen von Personen nicht untersagt werden darf.
Die Bestimmung in Art. 146 des Pol.-Str.-G.-Bchs. ist wörtlich entnommen der früheren Vorschrift des Art. 202 des Pol.-Str. G.-Bchs. vom Jahre 1861, und wie die bei der Berathung dieses Gesetzes zu Tage getretene Tendenz und der betreffende Wortlaut klar darthun, wollte man die Erlassung von Marktordnungen aller Art den ortspolizeilichen Vorschriften überlassen und in deren Umfang nur so weit eingreifen, daß direkt ausgesprochen wurde, was die Schrannen- oder Marktordnungen nicht enthalten dürfen. Der Gedanke, die Freiheit des Marktverkehrs zu schützen und deßfallsigen Beschränkungen durch ortspolizeiliche Vorschriften entgegen zu treten, lag auch dem Entwürfe des Pol.-Str.-G.-Bchs. vom Jahre 1871 zu Grunde, indem die Motive in den allgemeinen Bemerkungen sich dahin äußern, daß es sich jetzt schon empfehle, die Bestimmungen des Pol.-Str.-G.-Bchs. mit den Vorschriften der norddeutschen Gewerbeordnung soweit als möglich in Einklang zu bringen, um im Falle ihrer Einführung in Bayern störende Rückwirkungen zu vermeiden, (Verhandlungen des Gesetzgebungsausschusses der Kammer der Abgeordneten 1871/72 Band I Seite 21). so daß durch das, was Art. 146 Abs. 3 des Pol.-Str.-G.-Bchs. untersagt, erreicht [418] wird, was §. 64 der Reichs-Gewerbe-Ordnung will, daß nämlich der Besuch der Messen, Jahr- und Wochenmärkte, sowie der Kauf und Verkauf auf denselben einem Jeden mit gleichen Befugnissen freistehe.
Die Bestimmung des Art. 146 Abs. 3 des Pol.-Str.-G.-Bchs. bezieht sich auf die Marktordnungen im Allgemeinen, sie erwähnt sogar der Ordnungen für Schrannen, das sind Getreidemärkte, und trifft mithin und bei ihrem unzweifelhaften Zusammenhange mit Abs. 1 auch zu für die Viehmärkte aller Art.
Ist nun der Einkauf auf einem nach §§. 30–57 der Schlacht- und Viehhofordnung vom 9. August 1878 im hiesigen Viehhofe, und insbesonders für Kälber an jedem Werktage stattfindenden Viehmarkte gemäß Art. 146 Abs. 3 des Pol.-Str.-G.-Bchs. Jedermann erlaubt, so kann dieser gesetzlichen Bestimmung entgegen der Einkauf auf solchen Markten einer Person oder einer bestimmten Klasse von Personen nicht untersagt werden, und insofern die ortspolizeiliche Vorschrift vom 4. September 1885 die Schlacht- und Viehhofordnung vom 9. August 1878 dahin ergänzt, daß sie Lohnschlächtern, Viehführern, Fleischführern und Viehschaffnern, sowie deren Hilfspersonen, also bestimmten Klassen von Personen, den Einkauf von zum Viehhof gebrachten Schlachtthieren geradezu verbietet, steht sie mit dem Gesetze im Widerspruche, und kann ihr gemäß Art. 10 des Pol.-Str.-G.-Bchs. in der angedeuteten Richtung eine Giltigkeit nicht zuerkannt werden.
Mit Recht hat daher die Strafkammer, welche Angesichts des Art. 15 des Pol.-Str.-G.-Bchs. über die Giltigkeit der in Frage stehenden ortspolizeilichen Vorschrift zu befinden hat, auch die Anwendung der Strafvorschrift des §. 149 Abs. 1 Ziff. 6 der Reichs-Gewerbe-Ordnung als ausgeschlossen erachtet, und ist demnach die vom Staatsanwalte gerügte Gesetzesverletzung nicht vorliegend.
Die weitere Beschwerde der Verletzung des Art. 152 Abs. 3 des Pol.-Str.-G.-Bchs., wonach an Geld bis zu 15 Thalern oder mit Haft bis zu acht Tagen Personen gestraft werden, welche von der Gemeindebehörde für die in Abs. 2 dieser Bestimmung genannten Verrichtungen aufgestellt sind, wenn sie den durch ortspolizeiliche Vorschriften erlassenen Ordnungen für die betreffenden Verrichtungen zuwiderhandeln, ist von selbst hinfällig, da auch zur Anwendung dieser Bestimmung die Rechtsgiltigkeit der ortspolizeilichen Vorschrift vom 4. September 1885 Voraussetzung wäre.