Oberlandesgericht München – Falscher Zahnarzt
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in der Sache gegen den approbirten Bader Ludwig B. in N. wegen Zuwiderhandlung gegen die Reichsgewerbeordnung.
Im angefochtenen Urtheile wurde, soweit dasselbe hier in Betracht kommt, als erwiesen angenommen, daß der approbirte Bader Ludwig B. in N., welcher eine Approbation als Zahnarzt nicht erlangt hat, im November vorigen Jahres in verschiedenen Zeitungen, insbesondere in der am 10. November vor. Jahres erschienenen Nr. 262 der fränkischen Tagespost sich als Zahntechniker ankündigte mit dem Beifügen, von Berlin zurückgekehrt habe er seine Praxis eröffnet, er besorge Einsetzen künstlicher Zähne und Gebisse, ebenso Plombiren, Zahnreinigen u. s. w., schmerzloses Zahnziehen mit Nitrooxygengas (Lachgas), und daß an dem von demselben bewohnten Hause eine Blechtafel mit der Aufschrift angebracht ist: „Atelier. Künstliche Zähne, Zahnoperationen, Plombiren von L. B., Zahntechniker.“
Das Berufungsgericht konnte hierin keine Zuwiderhandlung gegen den § 147 Abs. 1 Nr. 3 der Reichs-Gewerbeordnung erblicken, da der Angeklagte durch die Ankündigung, er sei Zahntechniker, sich nicht als Zahnarzt bezeichnet oder einen ähnlichen Titel beigelegt habe, durch den der Glauben erweckt worden sei, als Inhaber desselben sei er ein geprüfter Zahnarzt, und da, wenn der vom Angeklagten gewählte Titel nicht selbst eine unerlaubte Anmassung enthalte, die Strafbarkeit auch nicht durch die begleitenden Worte, mit denen sich derselbe als Zahntechniker angekündigt habe, begründet werden könne.
In der Revisionsausführung wird dagegen geltend gemacht, nach dem Zwecke des Gesetzes sei auch die Beilegung eines solchen Titels, welcher seiner äußeren Erscheinung nach keine Aehnlichkeit mit dem Titel eines Arztes habe, strafbar, wenn die mit Annahme des Titels verknüpften Umstände geeignet seien, den Träger desselben beim Publikum als geprüfte Medizinalperson erscheinen zu lassen. Das angefochtene Urtheil habe aber in dieser Richtung keine Feststellung getroffen und lasse daher nicht entnehmen, ob es bei Auslegung des Gesetzes nicht von einer irrthümlichen Auffassung ausgegangen sei.
Nach § 29 Abs. 1 der Reichs-Gewerbeordnung bedürfen Apotheker und diejenigen Personen, welche sich als Aerzte (Wundärzte, Augenärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Thierärzte) oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen, einer Approbation, welche auf Grund eines Nachweises der Befähigung ertheilt wird, und nach § 147 Abs. 1 Nr. 3 wird mit Geldstrafe bis zu 300 Mark und [309] im Unvermögensfalle mit Haft bestraft, wer, ohne hiezu approbirt zu sein, sich als einen der vorerwähnten Aerzte bezeichnet oder einen ähnlichen Titel sich beilegt, durch den der Glaube erweckt wird, der Inhaber desselben sei eine geprüfte Medizinalperson. Die Frage, ob sich Jemand einen solchen arztähnlichen Titel beigelegt hat, bemißt sich allerdings zunächst nach den einschlägigen Verhältnissen; allein deshalb gehört sie doch nicht ausschließend dem thatsächlichen Gebiete an. Denn wie die Bezeichnung „Arzt“, da dieselbe nach der Reichs-Gewerbeordnung nur bestimmten Personen in Folge erlangter Approbation zukommt, als ein technischer Begriff rechtlicher Natur ist, ebenso hat auch die Frage, ob ein anderer Titel nach Inhalt und Bedeutung dem gesetzlichen Begriffe eines Arztes ähnlich ist, eine rechtliche Seite und unterliegt daher der Würdigung des Revisionsgerichts.
Was die Prüfung der vorliegenden Revision in dieser Richtung anlangt, so gehört zum Thatbestande einer Zuwiderhandlung nach § 147 Abs. 1 Nr. 3 der Reichs-Gewerbeordnung, daß sich Jemand, ohne die nach der Reichs-Gewerbeordnung erforderliche Approbation erlangt zu haben, entweder unmittelbar eine Bezeichnung, welche auf die Approbation hindeutet, oder doch einen dieser Bezeichnung derart ähnlichen Titel beilegt, daß hiedurch die Annahme der erforderlichen Approbation erweckt wird. Dagegen enthält das Gesetz keine Bestimmung, daß der beigelegte arztähnliche Titel schon für sich allein zu dem Glauben führen muß, der Träger desselben sei eine geprüfte Medizinalperson. Vielmehr geht aus dem Zwecke des Gesetzes, das in Folge Freigabe der Ausübung der Heilkunst bei seiner Wahl der Heilkünstler nicht mehr auf geprüfte Aerzte beschränkte Publikum vor der Gefahr zu schützen, daß ungeprüfte Heilkünstler durch die Beilegung von Titeln, welche die geprüften Medizinalpersonen bezeichnen, zu der Täuschung Veranlassung geben, sie seien approbirte Medizinalpersonen, hervor, daß jede Bezeichnung, durch welche eine solche Täuschung hervorgerufen werden kann, der Strafvorschrift des § 147 Abs. 1 Nr. 3 der Reichs-Gewerbeordnung unterliegt. Nicht selten erlangt aber eine Bezeichnung, welche ihrer äußeren Erscheinung nach keine Aehnlichkeit mit dem Titel eines Aerztes hat, diese Aehnlichkeit erst durch die sie begleitenden Umstände, namentlich durch die daran geknüpften Erläuterungen und Ankündigungen, und geht nur aus diesen die Absicht hervor, den Träger des Titels in den Augen des Publikums als geprüfte Medizinalperson erscheinen zu lassen. Deshalb würde in solchen Fällen, wenn diese Umstände bei der Frage, ob eine Bezeichnung einen arztähnlichen Titel enthalte, nicht berücksichtigt werden dürften, der Zweck des Gesetzes, das Publikum vor Täuschung zu schützen, nicht erreicht werden, und unterliegt daher der vorerwähnten Strafvorschrift [310] nicht nur derjenige, welcher sich den Titel „Arzt“ oder einen solchen beilegt, dessen Aehnlichkeit mit dem Titel eines Arztes schon aus dem Wortlaute und der abstrakten Bedeutung des gebrauchten Titels hervorgeht, sondern auch derjenige, welcher einen Titel wählt, der nur wegen der begleitenden Umstände den Glauben erweckt, dessen Inhaber sei eine approbirte Medizinalperson. Hiefür spricht auch das vom Berufungsgerichte in Bezug genommene Urtheil des Reichsgerichts vom 10. Dezember 1879, indem dasselbe darin, daß der Angeklagte an die Benennung „Zahntechniker“ den Titel „Doktor“ anreihte, die Beilegung einer Bezeichnung erblickte, welche nach ihrem Inhalte einen der Bezeichnung „Arzt“ ähnlichen Titel darstelle.
Im vorliegenden Falle hat nun die Strafkammer in der von ihr festgestellten Thatsache, daß der Angeklagte, welcher zwar die Approbation als Bader, nicht aber auch als Zahnarzt erlangt hatte, sich öffentlich als Zahntechniker mit dem Beifügen angekündigt hat, von Berlin zurückgekehrt habe er seine Praxis eröffnet, er besorge Einsetzen künstlicher Zähne und Gebisse, ebenso Plombiren, Zähnereinigen und schmerzloses Zahnziehen mit Lachgas, eine Zuwiderhandlung nach § 147 Abs. 1 Nr. 3 der Reichs-Gewerbeordnung um deswillen nicht erblickt, weil der Titel „Zahntechniker“, welchen sich der Angeklagte beigelegt habe, an sich kein der Bezeichnung „Zahnarzt“ ähnlicher Titel sei, und deshalb eine Strafbarkeit auch nicht dadurch begründet werde, daß Ludwig B. zugleich angekündigt habe, welche Operationen er vornehmen und in welcher Weise dies geschehen werde. Allein diese Ansicht ist eine irrige. Denn es handelt sich nicht darum, daß der Angeklagte die Vornahme von Operationen, zu denen er als approbirter Bader nicht befugt ist, angekündigt hat, sondern um die Frage, ob in dieser Ankündigung in Verbindung mit der Bezeichnung „Zahntechniker“ nicht die Beilegung eines dem Titel „Zahnarzt“ gleichkommenden Titels liegt, durch welchen der Glaube erweckt wird, der Angeklagte sei eine geprüfte Medizinalperson. Von diesem Gesichtspunkte aus hätte die Strafkammer die von ihr festgestellte Ankündigung des Angeklagten prüfen sollen. Dies ist aber nicht geschehen. Denn wenn sie auch den Inhalt der Ankündigung einer Würdigung unterstellte, so läßt sich doch nicht annehmen, daß dieses zum Zwecke der thatsächlichen Feststellung geschah, daß die die Beilegung des Titels „Zahntechniker“ begleitenden Umstände nicht geeignet seien, den Glauben zu erwecken, der Angeklagte sei eine geprüfte Medizinalperson. Vielmehr geht aus der Art dieser Würdigung und der daran geknüpften Bemerkung, hiebei komme immer wieder in Betracht, daß die Qualität des angenommenen Titels durch die angekündete Art der vorzunehmenden Operationen nicht alterirt werde, [311] hervor, daß das Gericht auch hiebei von der Ansicht ausging, die Anwendung der mehrerwähnten Strafvorschrift setze voraus, daß schon der beigelegte Titel an sich ein dem Titel „Zahnarzt“ ähnlicher sein müsse, und diese Aehnlichkeit nicht aus der die Beilegung begleitenden Umstände abgeleitet werden dürfe, während für die Frage, ob ein beigelegter Titel ein arztähnlicher sei mit der Wirkung der Erweckung des treffenden Glaubens allerdings auch die Umstände, unter denen die Beilegung des Titels erfolgte, maßgebend sind.
Hiernach ist das Berufungsgericht bei Beurtheilung dieser Frage von einer rechtsirrthümlichen Anschauung ausgegangen, und beruht daher das angefochtene Urtheil, da die Möglichkeit besteht, daß das Gericht bei richtiger Auffassung des Gesetzes zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, auf einer Verletzung des Gesetzes.