Oberlandesgericht München – Ehrverletzung durch Unwürdigkeitserklärung
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Die Reichsgewerbeordnung, welche in ihrem § 152 alle Verbote und Strafbestimmungen gegen gewerbliche Unternehmer und Arbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittelst Einstellung der Arbeit, aufhebt, gewährt durch die darauffolgende Strafbestimmung des § 153 den im Interesse der Koalitionsfreiheit notwendigen Schutz gegen den Mißbrauch, die freie Entschließung durch Drohungen und Anmaßung von Gewalt zu beeinträchtigen. (Vergl. Verhandl. des Reichstages des Norddeutschen Bundes 1869 Bd. III S. 125, Motive zu §§ 168 und 169 des Entwurfs.)
Nach dieser Strafbestimmung wird, soferne nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt, mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft, wer Andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu bestimmen versucht, an solchen Verabredungen (§ 152) Theil zu nehmen, oder ihnen Folge zu leisten, oder Andere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten. Liegt hiernach das Strafbare der Handlung in der Anwendung eines der bezeichneten Mittel zur Einwirkung auf die freie Willensentschließung der betreffenden Personen, und bildet auch der Versuch einer Einwirkung durch solche Mittel schon das vollendete Vergehen, so ist die Anwendung der Strafbestimmung nicht davon abhängig, daß der mittels Drohung auf die Willensbestimmung Anderer Einwirkende in der Lage oder Willens ist, seine Drohung zu verwirklichen, und ebensowenig davon, daß der Bedrohte den wirklichen Eintritt des angedrohten Uebels zu befürchten habe oder befürchte. Denn nicht der Erfolg einer bewirkten Willensänderung oder eines durch Drohung und dergl. herbeigeführten Entschlusses des Bedrohten erfüllt den Tatbestand des Vergehens nach § 153, sondern die bloße Einwirkung, und sogar die nur versuchte Einwirkung auf die Willensrichtung eines Anderen mittels Drohung oder Gewaltanmaßung wird als vollendetes Vergehen wider die vom Gesetze geschützte Koalitionsfreiheit gestraft. Dadurch unterscheidet sich dieses Vergehen von anderen Reaten z. B. der Erpressung und Nöthigung nach § 253 und § 240 des St.-G.-B., zu deren Vollendung der Erfolg eines durch die Drohung bewirkten Entschlusses des Bedrohten vorausgesetzt wird. [73]
Ohne Rechtsirrthum wurde von den Vorinstanzen in der Aeußerung des Angeklagten[1] auch eine Verrufserklärung gefunden, die Verrufserklärung bildet eine besondere Art der Ausschließung einer Person aus ihren gesellschaftlichen Beziehungen zu einem engeren oder weiteren Kreise durch Unwürdigerklärung, und eine solche Erklärung gegen die Streikbrecher hat der Angeklagte nach den Feststellungen öffentlich zur Darnachachtung für alle seine Kollegen verkündet.
Daß in einer solchen Unwürdigerklärung als Kollege, Fachgenosse, Gesellschaftsmitglied u. dgl. anerkannt und geachtet zu werden, zugleich eine Ehrverletzung, das ist die Kundgabe der Geringschätzung oder Mißachtung enthalten sein kann, läßt sich nicht bestreiten und ist daher auch die deßfallsige Annahme des Schöffengerichts nicht beanstanden.
- ↑ Anmerk. (Dieselbe lautete: „Die Namen dieser Leute, Collegen können wir sie nimmer nennen, müssen in gewissen Zeitabschnitten durch die Presse veröffentlicht werden, damit die sämmtlichen Collegen Deutschlands sie erfahren, und wo wir wieder mit ihnen zusammentreffen, da werden wir ihnen den gebührenden Platz anweisen; als Collegen werden wir sie nie mehr anerkennen.“)