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Oberlandesgericht München – Beschränkung Privateigentum im öffentlichen Interesse

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Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 19. Oktober 1886
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1886, Nr. 37, Seite 320–322
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Kurzbeschreibung: Beschränkung von Eigentumsrechten zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ist zulässig
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Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 19. Oktober 1886
in Sachen gegen den Ziegeleibesitzer Karl E. zu I. wegen Uebertretung straßenpolizeilicher Vorschriften.

Die für den Regierungsbezirk von Mittelfranken erlassene oberpolizeiliche Vorschrift vom 16. Februar 1881 lautet im Eingang: „auf Grund des Art. 2 Ziff. 6 und Art. 7 des Pol.-Straf-Ges.-Buchs von 1871, §. 10 der Bekanntmachung des k. Staatsministeriums des Innern vom 4. Januar 1872, Sicherheit und Bequemlichkeit auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen betr. (Reggsbl. S. 73), werden für den Regierungsbezirk Mittelfranken zu §. 366 Ziff. 10 des Straf-Ges.-Buchs und zu Art. 90 des Pol.-Straf-Ges.-Buchs zur Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichkeit, Reinlichkeit und Ruhe auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen, dann zur Sicherstellung der Staatsstraßen und deren Zugehörungen gegen Beschädigungen nachstehende oberpolizeiliche Vorschriften erlassen.“

§. 10 dieser oberpolizeilichen Vorschrift lautet: „Steinbrüche, Kies-, Sand-, Lehm-, Torf- und sonstige Gruben, welche neben öffentlichen Wegen und Straßen angelegt werden, müssen mit ihrem oberen Rande mindestens zwei Meter vom Rande des Straßengrabens, oder, wo ein solcher nicht vorhanden ist, mindestens drei Meter vom Rande der Fußbank oder von dem Fuße der Straßenböschung entfernt gehalten werden. Die Wände solcher Gruben sind längs der Straße mit einer den Bodenverhältnissen angepaßten Böschung zu versehen, so daß ein Abrutschen derselben nicht möglich ist.“

etc.     etc.     etc.     

Dem §. 10 der citirten Vorschriften steht der Art. 10 des Pol.-Straf-Ges.-Buchs nicht im Wege, denn er befindet sich mit keinem Gesetze, insbesondere auch nicht mit §. 8 Tit. IV der Verfassungsurkunde [321] im Widerspruch. Letzterer lautet in Abs. 1: „der Staat gewährt jedem Einwohner Sicherheit seiner Person, seines Eigenthums und seiner Rechte“, und im Abs. 4: „Niemand darf gezwungen werden, sein Privateigentum selbst für öffentliche Zwecke abzutreten“ etc. etc.

An die Stelle dieses Abs. 4 aber ist das Verfassungsgesetz vom 17. November 1837, die Zwangsabtretung von Grundeigenthum für öffentliche Zwecke betr., getreten, dessen Art. I lautet: „Eigenthümer können angehalten werden, unbewegliches Eigenthum für öffentliche, nothwendige und gemeinnützige Zwecke abzutreten oder mit einer Dienstbarkeit beschweren zu lassen, etc. etc. – Diese Abtretung kann übrigens nur eintreten: etc. etc.

Es bedarf nun keiner weiteren Ausführung, daß es sich im §. 10 der citirten oberpolizeilichen Vorschriften weder um Abtretung von Eigenthum noch um Belastung desselben mit einer Servitut handelt, sondern nur um eine Beschränkung der Ausübung des Eigenthumsrechts im Interesse des Gemeinwohls. Solche Beschränkungen sind schon im gemeinen Rechte begründet.

(cf. Windscheid, Pand. §. 169; §. 4 de rerum divisione II, 1.)

Das Reichsgericht hat sich in einem Urtheile vom 19. April 1881 (Entsch. Bd. IV S. 107) prinzipiell dahin ausgesprochen, daß die verfassungsmäßige Unverletzlichkeit des Eigenthums Anordnungen, durch welche im polizeilichen Interesse der freien Benützung des Eigenthums Schranken gesetzt werden, nicht ausschließt, daß die entgegenstehende Auslegung die wesentlichsten Zweige der Polizei, insbesondere die Straßen-, Markt-, Gesundheits- und Bau-Polizei vollständig lahm legen und so Zustände herbeiführen würde, bei welchen unter den gegebenen Kulturverhältnissen die Gesellschaft nicht bestehen könnte, sowie daß solchen Anordnungen gegenüber von einer Beschränkung des verfassungsmäßig garantirten Eigenthumsrechts keine Rede sein könne, weil Letzteres an sich dahin beschränkt sei, daß seine Ausübung nicht in einer das öffentliche Wohl gefährdenden Weise erfolgen dürfe.

Die bayerische Staatsregierung hat denn auch die Polizeigewalt über das Straßenwesen in einer selbst in das Privateigenthum eingreifenden Weise von jeher und ununterbrochen ausgeübt und es wurde im Landtagsabschied von 1837 (Ges.-Bl. S. 9) dem Expropriationsgesetze nur unter der ausdrücklichen Voraussetzung die allerhöchste Sanktion ertheilt, daß zufolge dieses Gesetzes in den eigenthümlichen Verhältnissen der Kriegsperäquation, des Salpeterwesens, des Bergbaues und des Straßenbaues hinsichtlich der Kiesgruben sowie überhaupt in allen anderen dergleichen Sachen, über welche neben der Expropriationsverordnung vom 14. August 1815 (Reg.-Bl. S. 724) [322] besondere Gesetze und Verordnungen bestanden und vollzogen worden sind, weder in formeller noch in materieller Hinsicht eine Aenderung eintrete.“

Das Recht des Staates, behufs Erreichung der durch die Polizeigesetzgebung geschützten öffentlichen Zwecke den Privaten, soweit nicht spezielle gesetzliche Schranken gezogen sind, sowohl in Bezug auf den Gebrauch ihres Privateigenthums Unterlassungen zu gebieten, als auch denselben sogar mit vermögensrechtlichem Aufwände verbundene Leistungen aufzulegen, ist in der Rechtsprechung der bayerischen Gerichte insbesondere hinsichtlich der Straßenpolizei stets als feststehend anerkannt worden.

(cf. Entscheid, des Obersten Gerichtshofes in Straffachen Bd. VI S. 567 und S. 42 ff. Bd. V S. 43 ff. Bd. II S. 61, Sammlung von Entscheid. des Oberlandesgerichts Bd. III S. 415.)

Die Rechtswirksamkeit des §. 10 der oberpolizeilichen Vorschriften vom 16. Februar 1881 ist demnach in der Revisionsbegründung mit Unrecht in Zweifel gezogen worden.