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Oberlandesgericht München – Auswanderung

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Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 5. August 1884
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1884, Nr. 31, Seite 245–250
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Kurzbeschreibung: Für die Auswanderung sind gültige Papiere erforderlich
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[245]

Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 5. August 1884.

in der Sache gegen Karl M., Kommissionär und Auswanderungsagenten in M., wegen Uebertretung der Vorschriften über die Geschäftsführung der Auswanderungsagenten.

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urtheils hat der Angeklagte Karl M. vom Oktober bis Dezember 1883 in M. [246] eine Auswanderungsagentur mit polizeilicher Bewilligung betrieben und während dieser Zeit Ueberfahrtsverträge auch mit solchen Personen, welche sich durch eine giltige Reiselegitimation nicht auswiesen, abgeschlossen, sowie in den Verzeichnissen über jene Personen, mit welchen er Ueberfahrtsverträge abschloß, unter der Rubrik der Bezeichnung der Legitimationspapiere solche Urkunden, welche giltige Legitimationen nicht sind, insbesondere Urkunden von Gemeindeverwaltungen, Landwehrbezirks-Kommandos und Bezirksersatzkommissionen, vorgetragen. Karl M. wurde deshalb von der Strafkammer unter Aufhebung des schöffengerichtlichen Urtheils, durch welches er von der erhobenen Anklage freigesprochen worden war, auf Grund des Art. 133 Abs. 4 des P.-St.-G.-B. wegen einer Uebertretung der Vorschriften über die Geschäftsführung der Auswanderungsagenten in eine Geldstrafe von 10 ℳ., umgewandelt für den Fall der Uneinbringlichkeit in 2 Tage Haft, und zur Tragung der Kosten der ersten und zweiten Instanz verurtheilt.

Die Revision des Angeklagten ist nicht gerechtfertigt.

Nach §. 6 der Gewerbeordnung für das deutsche Reich findet dieses Gesetz auf den Gewerbebetrieb der Auswanderungsunternehmer und Auswanderungsagenten keine Anwendung.

Es ist demnach der Art. 133 des bayer. P.-St.-G.-B., welcher in unveränderter Fassung an die Stelle des Art. 51 des bayer. P.-St.-G.-B. von 1861 getreten ist und in Abs. 4 mit Geldstrafe bis zu 60 ℳ. Agenten bedroht, welche den für ihre Geschäftsführung erlassenen Verordnungen und oberpolizeilichen Vorschriften zuwiderhandeln, auch nach Einführung der deutschen Gewerbeordnung in Kraft geblieben. Auf Grund des Art. 51 Abs. 4 des P.-St.-G.-B. von 1861 aber hat das k. Staatsministerium des Innern für die Geschäftsführung der Auswanderungsagenten mit Bekanntmachung vom 12. Juni 1862 (Reggsbl. S. 1192 u. ff.) Vorschriften erlassen, und diese Bekanntmachung hat nach Art. 3 und 159 des P.-St.-G.-B. von 1871 ihre Giltigkeit nicht verloren, da sie bis zum 1. Januar 1872, dem Einführungstermine des besagten Gesetzbuches noch bestanden und seitdem keine in legaler Weise bewirkte Abänderung erlitten hat.

Nun verbietet die fragliche Bekanntmachung in §. 2 den Auswanderungsagenten, Ueberfahrtsverträge mit Personen abzuschließen, welche sich nicht durch Vorzeigung der Auswanderungsbewilligungs-Urkunde oder einer giltigen Reiselegitimation über die Zulässigkeit ihres Reisevorhabens ausweisen, und bestimmt in §. 4 Abs. 2, daß das von den Auswanderungsagenten zu führende Verzeichniß über jene Personen, mit welchen sie Ueberfahrtsverträge abgeschlossen haben, auch das Datum und die nähere Bezeichnung der vorgelegten Legitimationspapiere und den Namen der ausstellenden Behörde enthalten muß. Als giltige Reiselegitimationen [247] aber im Sinne des vorerwähnten §. 2 der Bekanntmachung können die nach der Feststellung des angefochtenen Urtheils in Frage kommenden Urkunden nicht anerkannt werden. Solche giltige Legitimationen können nur Behörden oder Beamte ausstellen, welche die hiezu erforderliche Zuständigkeit besitzen, und diese Zuständigkeit fehlt sowohl den Gemeindeverwaltungen, als auch den Landwehrbezirks-Kommando’s und den Bezirksersatz-Kommissionen; denn sie sind in Ziffer VII der von der Revision als verletzt bezeichneten Kumulativ-Entschließung vom 9. Mai 1871, den Vollzug des Reichspaßgesetzes betr., nicht unter jenen Stellen und Behörden aufgeführt, welche hier ausschließlich nach Maßgabe der allgemeinen Zuständigkeitsverhältnisse zur Ertheilung von Reisepässen für befugt erklärt werden.

Die Strafkammer hat daher, indem sie auf Grund der von ihr ohne erkennbaren Rechtsirrthum festgestellten Thatsachen eine Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften der erwähnten Bekanntmachung über die Geschäftsführung der Auswanderungsagenten als gegeben erachtete und den Angeklagten hiewegen nach Art. 133 Abs. 4 des P.-St.-G.-B. zu einer innerhalb des hier bestimmten Strafrahmens bemessenen Strafe verurtheilte, kein Gesetz verletzt.

In der Revisionsbegründung wird ausgeführt, daß die Bekanntmachung vom 12. Juni 1862 auf der damals geltenden Gesetzgebung beruhe, diese aber im Wesentlichen auf dem Prinzipe des Paßzwanges beruht habe, folglich die bezeichnete Bekanntmachung wenigstens insoweit als aufgehoben zu erachten sei, als sie mit dem nunmehr geltenden Reichsgesetze vom 12. Oktober 1867 über das Paßwesen im Widersprich stehe. Das Verbot in §. 2 der Bekanntmachung sei als eine natürliche Konsequenz des Prinzips der Paßpflicht aufzufassen, nach welchem eine Reise in das Ausland überhaupt nur solchen Personen gestattet gewesen sei, die sich im Besitze von Pässen befunden hätten. Durch das Reichsgesetz über das Paßwesen sei der Paßzwang für In- und Ausländer aufgehoben, und bei Reisen in das Ausland würden jetzt Reisepapiere nur mehr auf Antrag der Reisenden ertheilt. Eine Vorschrift, wie sie in dem besagten §. 2 enthalten sei, laufe dem §. 10 des Gesetzes vom 12. Oktober 1867, wornach alle demselben entgegenstehenden Vorschriften außer Kraft treten, zuwider, indem hiedurch die Reisenden doch indirekt gezwungen wären, sich Reiselegitimationen zu verschaffen, und es nimmermehr, wie in Ziffer I der Ministerial-Entschließung vom 9. Mai 1871, den Vollzug des Reichsgesetzes über das Paßwesen betr., ausdrücklich gesagt sei, vom Ermessen der Angehörigen des deutschen Reichs abhängen würde, ob sich dieselben mit Reisepapieren zum Zwecke ihrer Legitimation in eintretenden besonderen Fällen versehen wollten oder nicht.

Die Bemerkung in Ziffer 12 der Ministerial-Entschließung [248] vom 9. Mai 1871, den Vollzug des Gesetzes über Erwerbung und Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit betr., daß durch diese Entschließung die Vorschriften über die Beförderung von Auswanderern nach überseeischen Ländern nicht berührt würden, könne nicht die Wirkung äußern, daß die Bekanntmachung vom 12. Juni 1862 in allen ihren Theilen aufrecht erhalten bleibe. Denn die angeführte Stelle beziehe sich nicht auf die Vorschriften über die Geschäftsführung der Auswanderungsagenten, sondern auf die Vorschriften über die Beförderung von Auswanderern. Ueberdies vermöge die Ministerial-Entschließung dem Reichsgesetze nicht zu derogiren. Diese Einwendungen sind jedoch insgesammt unbehelflich.

Wie bereits in dem angefochtenen Urtheile ausführlich dargelegt ist, besteht der angebliche Widerspruch zwischen der Bekanntmachung vom 12. Juni 1862, insbesondere der Vorschrift des §. 2 derselben mit den Bestimmungen des Reichsgesetzes über das Paßwesen in Wirklichkeit nicht. Die mehrerwähnte Bekanntmachung ist nicht zu dem Zwecke erlassen worden, um den in’s Ausland reisenden Personen die Anschaffung und Führung von Reiselegitimationen zur Pflicht zu machen, wodurch allerdings der durch das Reichsgesetz vom 12. Oktober 1867 beseitigte Paßzwang auf einem Umwege wieder in’s Leben gerufen würde, sondern befaßt sich nur mit dem Geschäftsbetriebe der Auswanderungsagenten. Letztere sollen dadurch im öffentlichen Interesse verhindert werden, Ueberfahrtsverträge mit Personen abzuschließen, deren Reise gesetzliche Hindernisse, z. B. Militärpflicht, Polizeiaufsicht, gerichtliche Untersuchung u. s. w. entgegenstehen – siehe Ziffer II der Kumulativ-Entschließung vom 9. Mai 1871, den Vollzug des Reichsgesetzes vom 12. Oktober 1867 über das Paßwesen betr. –, während es dem freien Ermessen der Reisenden nach wie vor anheimgestellt bleibt, ob sie sich zu ihrem Reiseunternehmen mit einem Legitimationspapiere versehen wollen oder nicht, gleichwie es in ihrem Belieben steht, behufs ihrer Reise in’s Ausland einen Vertrag mit einem Agenten abzuschließen. Die gesetzlichen Bestimmungen über das Paßwesen werden mithin durch die für den Geschäftsbetrieb der Auswanderungsagenten erlassenen Vorschriften vom 12. Juni 1862 nicht im Mindesten berührt. Mit Recht verweist die Strafkammer, um darzuthun, daß auch die bayerische Staatsregierung diese Ansicht theile, auf die in beglaubigter Abschrift zu den Akten genommene Entschließung des k. bayer. Staatsministeriums des Innern vom 18. Februar 1875, die Geschäftsführung der Auswanderungs-Agenten betreffend. Diese Entschließung beantwortet nemlich die Anfrage eines Agenten, ob die Vorschrift in §. 2 der Bekanntmachung vom 12. Juni 1862 auch dermalen noch Geltung habe, dahin, daß im Hinblicke auf das Gesetz vom 1. Juni 1870 über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit [249] an die Stelle der Auswanderungsbewilligungs-Urkunde nunmehr die Urkunde über die Entlassung aus dem Staatsverbande getreten sei – vergleiche §. 14 dieses Gesetzes –, daß dagegen, was das Erforderniß des Ausweises durch eine giltige Reiselegitimations-Urkunde betreffe, daran weder durch die allerhöchste Verordnung vom 9. Dezember 1865, das Paßwesen betr., noch durch das Reichsgesetz vom 12. Oktober 1867 über das Paßwesen etwas geändert werde, indem derlei Legitimationen bei dem Vollzuge der eben erwähnten Bekanntmachung vom 12. Juni 1862 nicht in der Absicht gefordert würden, die freie Bewegung des Reisenden zu hemmen, sondern lediglich zu dem Zwecke, um die Auswanderungsagenten in die Lage zu versetzen, ermessen zu können, ob sie im gegebenen Falle Ueberfahrtsverträge abschließen dürfen. Auch in den bisher erschienenen Kommentaren zum P.-St.-G.-B. werden überall bei Art. 133 Abs. 4 desselben die Vorschriften der Bekanntmachung vom 12. Juni 1862 als noch in Kraft bestehend angeführt. Siehe Riedel, III. Auflage, Seite 224, Note 3; Staudinger S. 106; Edel S. 201. Daß in der von der Revision in Bezug genommenen Ziffer X der mehrgedachten Kumulativ-Entschließung vom 9. Mai 1871 die Bekanntmachung vom 12. Juni 1862 nicht unter den Bestimmungen angeführt wird, die von dem Reichsgesetze über das Paßwesen unberührt bleiben, kann nicht als Beweis einer gegentheiligen Anschauung der bayerischen Staatsregierung verwerthet werden, da die sämmtlichen dort unter Nr. 1 bis 7 aufgezählten Bestimmungen nur solche Personen angehen, die aus irgend welchem besonderen Grunde für sich selbst einer Legitimation bedürfen, die Bekanntmachung vom 12. Juni 1862 hiegegen, wie oben erörtert ist, mit dem Paßwesen selbst in keinem Zusammenhange steht, vielmehr ausschließlich nur Vorschriften für die Geschäftsführung der Auswanderungsagenten enthält. Die Revision bemängelt ferner ohne Grund, daß die Vorinstanz auch in Ziffer 12 der Entschließung des k. Staatsministeriums des Innern vom 9. Mai 1871, den Vollzug des Reichsgesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit betreffend, eine Bekräftigung ihrer Ansicht von der Rechtsgiltigkeit der hier in Frage stehenden oberpolizeilichen Vorschriften über die Geschäftsführung der Auswanderungsagenten erblickt. Dortselbst wird allerdings nur ausgesprochen, daß durch die vorwürfige Entschließung die Vorschriften über die Beförderung von Auswanderern nach überseeischen Ländern nicht berührt würden. Vergleicht man jedoch diese in der allerhöchsten Verordnung vom 7. Juni 1862 (Reggsbl. von 1862 Seite 1191 u. ff.) enthaltenen Vorschriften, insbesondere jene des §. 5, wornach zur Abschließung von Verträgen für die Ueberfahrt nach überseeischen Ländern nur die Hauptagenten und ihre mit Genehmigung der Kreisregierungen, Kammern des Innern, aufgestellten [250] Agenten befugt sind, mit der Vorschrift in §. 1 der Bekanntmachung vom 12. Juni 1862, daß die mit Bewilligung der Kreisregierungen, Kammern des Innern, aufgestellten Auswanderungsagenten Verträge nur für Rechnung jener Expedientenhäuser oder Gesellschaften abschließen dürfen, für welche sie als Agenten aufgestellt worden sind, und mit den übrigen Bestimmungen daselbst, durch welche die Geschäftsführung der Auswanderungsagenten geregelt wird, so läßt sich der enge Zusammenhang zwischen beiden Ministerial-Erlassen nicht verkennen, und erscheint der Schluß gerechtfertigt, daß der Ausdruck „Beförderung von Auswanderern“ in Ziffer 12 der Entschließung vom 9. Mai 1871 im weitesten Sinne verstanden werden muß, und unter den Vorschriften über die Beförderung von Auswanderern nach überseeischen Ländern nicht nur die in der vorerwähnten Verordnung vom 7. Juni 1862, sondern auch die in der Bekanntmachung vom 12. Juni 1862 enthaltenen Bestimmungen gemeint sind. Anderen Falles würde die besagte Entschließung die nicht mehr geltenden Vorschriften sicherlich besonders aufgeführt haben. Was endlich den Einwand der Revision anlangt, daß die Ministerial-Entschließung vom 9. Mai 1871, den Vollzug des Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit betreffend, dem Reichsgesetze über das Paßwesen nicht derogiren könne, insoweit dieses Gesetz entgegenstehende Verordnungen und oberpolizeiliche Vorschriften aufhebe, so muß Dies zwar im Allgemeinen als richtig zugegeben werden. Nachdem aber, wie in Uebereinstimmung mit der Vorinstanz oben dargelegt wurde, die Vorschriften der Bekanntmachung vom 12. Juni 1862 und namentlich der kritische §. 2 derselben den Bestimmungen des Reichsgesetzes über das Paßwesen nirgends entgegenstehen, so erscheint auch dieser Einwand unbehelflich.