Oberlandesgericht München – Aufenthalt im Armenhaus
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Nach § 361 Nr. 8 des Str.-G.-Bchs. wird mit Haft bestraft, wer nach Verlust seines bisherigen Unterkommens binnen der ihm von der zuständigen Behörde bestimmten Frist sich kein anderweitiges Unterkommen verschafft hat und auch nicht nachweisen kann, daß er solches der von ihm angewendeten Bemühungen ungeachtet nicht vermocht habe. Dieser Bestimmung liegt der Zweck zu Grunde, zu verhüten, daß unbemittelte, aber arbeitsfähige Personen sich dem Müßiggänge ergeben und aus solchem Verhalten eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder ungebührliche Belastung der öffentlichen Armenpflege erwachse. Hieraus erläutert sich der Begriff des [118] Ausdruckes „Unterkommen“, wie in der Rechtsprechung allenthalben anerkannt ist, (Erk. d. Preuß. Ober-Trib. v. 21. Febr. 1873. Stenglein Zeitschr. Bd. XII S. 250. Erk. d. bayer. oberst. Ger.-Hofes v. 19. Oktober 1877 Sammlung Bd. VII S. 461) von selbst dahin, daß darunter nicht blos das Vorhandensein einer Wohnung, d. i. ein Obdach, sondern auch die sonstigen zum Lebensunterhalt nothwendigen Mittel inbegriffen seien.
Das Unterkommen in diesem Sinne, welches der Angeklagte während der Zeit hatte, in der er als Lehrling bei verschiedenen Meistern war, und nach seiner Rückkehr von diesen zu seiner Mutter zu landwirthschaftlichen Arbeiten verwendet wurde, hat er verloren, als der verfügungsberechtigte Armenpflegschaftsrath in Th. ihm mit Beschluß vom 1. Juli vor. Js. die Auflage gemacht hat, binnen sechs Tagen das Armenhaus zu verlassen; denn, nachdem er gegen diesen Beschluß keine Beschwerde erhob, hat er gegen den Willen des Armenpflegschaftsrathes seinen Aufenthalt im Armenhause fortgesetzt und ist dadurch ohne erweislichen Nothstand der Armenpflege zur Last gefallen, in Folge dessen sein Aufenthalt nach der ihm gesetzten Frist als ein noch fortbestehendes Unterkommen im gesetzlichen Sinne nicht angesehen werden kann und zwar um so weniger, als thatsächlich feststeht, daß seine Beschäftigung als Viehtreiber keine ständige, sondern nur eine zeitweise, im Falle des Bedarfes auf Seite des Viehhändlers eintretende, war.
Nachdem das gemäß § 6 der k. Verordnung vom 4. Januar 1872, die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden in Sachen des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich und des Pol.-Str.-Ges.-Bchs, betreffend, – Reggsbl.-Blatt 1872 S. 25 – zuständige Bezirksamt K. den dem Angeklagten am 12. August vor. Js. eröffneten Beschluß vom 6. August erlassen und damit dem Jakob K. aufgetragen hat, sich binnen acht Tagen bei Meidung der Veranlassung strafrechtlichen Einschreitens eine anderweite Unterkunft zu verschaffen, der Angeklagte aber diesem Auftrage nicht nachgekommen ist, wurde derselbe beim Vorhandensein der in § 57 des Str.-Ges.-Bchs. bestimmten Voraussetzung mit Recht als der Strafnorm des § 361 Nr. 8 des Str.-Ges.-Bchs. verfallen erklärt.
Die Behauptung des Angeklagten in der Revisionsausführung, er sei berechtigt gewesen, bei seiner Mutter im Armenhause zu wohnen, ist grundlos, da die Wohnung im Armenhause nach Art. 3 und 10 des Gesetzes vom 29. April 1869. die öffentliche Armen-und Krankenpflege betreffend, – Gesetzblatt 1869 Seite 1093 – zwar seiner Mutter als hilfsbedürftigen Person zukömmt, ihn selbst aber als arbeitsfähige Person davon ausschließt, und die Behauptung, er habe von seiner Mutter die zu seiner Lebsucht nothwendigen Subsistenzmittel erhalten, ist, abgesehen von deren Unrichtigkeit, nachdem [119] seine Mutter selbst hilfsbedürftig ist, und die Armenpflege nach den Feststellungen für ihn Lehrgeld bezahlen und Handwerkszeug anschaffen mußte, nicht festgestellt.
Ob der Angeklagte übrigens Unterstützung aus öffentlichen Armenmitteln schon erhalten hat oder nicht, darauf kömmt es bei Anwendung des § 361 Nr. 8 des Str.-Ges.-Bchs. nicht an. und wird diese Frage nur durch die hier nicht zur Anwendung kommende Strafbestimmung des § 361 Nr. 7 des Str.-Ges.-Bchs. berührt.