Oberlandesgericht München – Arbeit am Festtag
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Das k. Oberlandesgericht München erkannte am 21. Juni 1881 in der Sache gegen den Fabrikdirektor B. wegen Zuwiderhandlung gegen die Reichsgewerbeordnung zu Recht:
- Die Revision des Fabrikdirektors B. gegen das Urtheil der Strafkammer des k. Landgerichtes A. vom 4. April 1881 wird unter Verurtheilung des Beschwerdeführers in die dadurch veranlaßten Kosten verworfen.
Auf Anzeige der Lokalschulinspektion G. vom 8. Dezember vorigen Jahres, daß an diesem Tage, dem katholischen Festtage „Mariä Empfängniß“, in der Zwirnerei und Nähfadenfabrik G. jugendliche Arbeiter beschäftiget worden seien, wurde gegen den Direktor dieser Fabrik B. durch Strafbefehl des k. Amtsgerichtes A. vom 16. jenes Monats eine Geldstrafe von zwanzig Mark; für den Fall der Uneinbringlichkeit umgewandelt in eine Haftstrafe von vier Tagen, unter Ueberbürdung der Kosten auf ihn wegen Zuwiderhandlung gegen das in § 136 Abs. 3 der Reichsgewerbeordnung in der Fassung des Reichsgesetzes vom 17. Juli 1878 enthaltene Verbot der Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken an Sonn- und Festtagen auf Grund der Strafbestimmung im § 146 Nr. 2 der Reichsgewerbeordnung neuerer Fassung ausgesprochen.
Hiegegen erhob B. Einspruch, worauf vom Schöffengerichte bei dem k. Amtsgerichte A. durch Urtheil vom 16. Februar 1881 es bei obiger Strafe unter Verurtheilung des Angeklagten in die Kosten belassen wurde. Die von demselben gegen dieses Urtheil ergriffene Berufung wurde am 4. April 1881 von der Strafkammer des k. Landgerichtes A. verworfen. Gegen das landgerichtliche Urtheil hat B. rechtzeitig die Revision eingelegt und dieselbe rechtzeitig dahin begründet, daß durch das angefochtene Urtheil die §§ 105 Abs. 3 und 136 Abs. 3 der revidirten Reichsgewerbeordnung, sowie § 1 Abs. 5 der k. bayerischen Verordnung vom 30. Juli 1862 über die Feier der Sonn- und Festtage verletzt seien.
In der öffentlichen Sitzung vom 21. Juni 1881 stellte der k. Staatsanwalt Antrag auf Verwerfung der Revision.
Die Prüfung der Sache ergibt, daß dem staatsanwaltschaftlichen Antrage zu entsprechen ist.
Das Berufungsgericht hat thatsächlich festgestellt, daß am 8. Dezember 1880, dem Tage „Mariä Empfängniß“, welcher für [281] G. ein katholischer Festtag ist, in der unter der verantwortlichen Leitung des Angeklagten stehenden Zwirnerei und Nähfadenfabrik G. jugendliche Arbeiter beschäftiget wurden, und daraufhin ausgesprochen, daß der Angeklagte mit Recht vom Schöffengerichte auf Grund des § 146 Nr. 2 der Reichsgewerbeordnung in der Fassung des Gesetzes vom 17. Juli 1878 wegen einer Zuwiderhandlung gegen § 136 Abs. 3 dieser Gewerbeordnung, wornach jugendliche Arbeiter an Sonn- und Festtagen in Fabriken nicht beschäftiget werden dürfen, in die erkannte Strafe verurtheilt worden sei.
Die Revision wird damit begründet, daß der fraglichen Fabrik inhaltlich einer Entschließung des k. Staatsministeriums des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 22. Mai 1878 von Seiner Majestät dem Könige auf Grund des Abs. 5 des § 1 der k. Verordnung vom 30. Juli 1862 über die Feier der Sonn- und Festtage in Bezug auf den Mariä Empfängniß-Festtag der erbetene Dispens von dem entgegenstehenden Verbote des Fabrikbetriebes an Sonn- und Feiertagen bewilliget worden sei.
Hieraus wird auf Grund der Vorschrift im Abs. 3 des § 105 der Reichsgewerbeordnung neuerer Fassung, nach der die Landesregierungen zu bestimmen haben, welche Tage als Festtage im Sinne des § 136 Abs. 3 dieser Gewerbeordnung gelten, abgeleitet, daß vermöge dieses Dispenses der Mariä Empfängnißtag in Bezug auf die betreffende Fabrik nicht mehr einen Festtag nach § 136 der revidirten Gewerbeordnung bilde. Dabei wird noch angeführt, daß durch die Strafverfolgung in den Wirkungskreis der Verwaltungsbehörden eingegriffen werde, da das von der Fabrikleitung an diese gestellte Gesuch um Verbescheidung der Frage über die Wirksamkeit des erwähnten Dispenses noch nicht erledigt sei.
Allein die vorliegende Revision erscheint nicht gerechtfertiget.
Nach § 105 Abs. 3 der revidirten Reichsgewerbeordnung steht zwar den Landesregierungen zu, zu bestimmen, welche Tage als Festtage bezüglich des im § 136 Abs. 3 dieser Gewerbeordnung enthaltenen Verbotes der Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken zu gelten haben. Von dieser Befugniß hat jedoch die bayerische Landesregierung noch nicht Gebrauch gemacht und ist insbesondere bezüglich des katholischen Festtages Mariä Empfängniß noch keine Bestimmung dahin getroffen worden, daß dieser Tag fernerhin nicht mehr als Festtag im Sinne des § 136 Abs. 3 der revidirten Reichsgewerbeordnung zu erachten sei. Auch aus der vom Beschwerdeführer in Bezug genommenen allerhöchsten Entschließung, welche dahin geht, daß auf Grund des Vorbehaltes in § 1 Abs. 5 der k. Verordnung vom 30. Juli 1862, die Feier der Sonn- und Festtage betr., der Zwirnerei und Nähfadenfabrik G. [282] bis auf Weiteres in Bezug auf mehrere, speziell bezeichnete katholische Festtage, unter denen Mariä Empfängniß angeführt ist, der erbetene Dispens von dem entgegenstehenden Verbote des Fabrikbetriebes an Sonn- und Feiertagen bewilliget werde, ist nichts für die eingelegte Revision zu entnehmen.
Denn diese Entschließung ist nicht auf Grund einer Vorschrift der Reichsgewerbeordnung, sondern in Anwendung einer Bestimmung der vorerwähnten k. Verordnung vom 30. Juli 1862 ergangen. Durch dieselbe wurde der Zwirnerei und Nähfadenfabrik G. nur auf Grund des § 1 Abs. 5 dieser k. Verordnung, in welchem Absatze dem Landesherrn vorbehalten ist, von der, alle nicht dringenden, geräuschvollen Handthierungen des Fabrikbetriebes an Sonn-und Festtagen untersagenden, Bestimmung des Abs. 1 des § 1 dieser Verordnung Ausnahmen zu bewilligen, gestattet, an Mariä Empfängniß in der Fabrik arbeiten zu lassen, in Folge dessen wegen des Betriebes der Fabrik an dem genannten Tage nicht nach § 366 Nr. 1 des Reichsstrafgesetzbuches in Verbindung mit § 1 Abs. 1 der angezogenen k. Verordnung gegen den verantwortlichen Leiter der Fabrik eingeschritten werden konnte.
Die fragliche allerhöchste Entschließung hat also nicht eine Beschränkung des in Fürsorge für die jugendlichen Fabrikarbeiter durch die Reichsgewerbeordnung erlassenen Verbotes der Beschäftigung derselben an Sonn- und Festtagen im Fabrikbetriebe, sondern lediglich die Entbindung der genannten Fabrik von der Verpflichtung der Beachtung des zum Schutze der Sonn- und Festtagsfeier ergangenen Verbotes geräuschvoller Fabrikarbeiten für den Festtag Mariä Empfängniß zum Gegenstande.
Es enthält daher die Entschließung keine Bestimmung im Sinne des § 105 Abs. 3 der Reichsgewerbeordnung neuerer Fassung. Eine solche konnte damals gar nicht getroffen werden, weil erst durch das am 1. Januar 1879 in Wirksamkeit getretene Gesetz am 17. Juli 1878 den Landesregierungen die Befugniß eingeräumt wurde, anzuordnen, daß bezüglich des Verbotes der Reichsgewerbeordnung, jugendliche Arbeiter an Sonn- und Festtagen in Fabriken zu beschäftigen, einzelne Festtage nicht als solche zu gelten haben. Der Landescentralbehörde stand nach der Reichsgewerbeordnung früherer Fassung gegenüber dem Verbote des § 129 Abs. 3 hinsichtlich der Beschäftigung jugendlicher Fabrikarbeiter nur zu, Ausnahmsvorschriften nach Maßgabe des § 133 Abs. 1 auf die Dauer von höchstens einem Jahre zu erlassen.
Hiernach begründet aber der in Frage befindliche Dispens für die Fabrik, deren Direktor der Angeklagte ist, keine Berechtigung, an Mariä Empfängniß jugendliche Arbeiter zu beschäftigen, und [283] stellt sich mithin, nachdem auch keine Anordnung des Reichskanzlers oder des Bundesrathes nach §§ 139 und 139a der revidirten Reichsgewerbeordnung vorliegt, welche eine solche Berechtigung entnehmen ließe, die im angefochtenen Urtheile bezeichnete That als eine Zuwiderhandlung gegen § 136 Abs. 3 und demgemäß als ein nach § 146 Nr. 2 der revidirten Reichsgewerbeordnung strafbares Vergehen dar.
Was endlich das Revisionsvorbringen betrifft, daß die Nähfadenfabrik G. bereits im Juli vorigen Jahres bezüglich der fraglichen Beschäftigung jugendlicher Fabrikarbeiter im Administrativwege um einen Bescheid nachgesucht habe, so ist Letzteres hier ohne Belang, da die Frage, ob die der Anklage unterstellte That unter ein Strafgesetz fällt, durch den Strafrichter zu entscheiden ist, und für diese Entscheidung nur die Verhältnisse, wie sie am 8. Dezember 1880 bestanden, maßgebend sind.
Demgemäß ist die Rüge, daß die in der Revisionsausführung bezeichneten Gesetzesstellen verletzt seien, unbegründet, weßhalb unter Anwendung des § 505 Abs. 1 der Reichsstrafprozeßordnung, wie geschehen, zu erkennen war.