Oberlandesgericht München – Anlegung von Düngerstätte 3
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in der Sache gegen die Anwesensbesitzerin Maria R. in K. wegen Uebertretung in Bezug auf Straßenpolizei.
Nach §. 366 Nr. 10 des Str.-G.-B. wird mit Geldstrafe bis zu sechzig Mark oder mit Haft bis zu vierzehn Tagen bestraft, wer die zur Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichkeit und Reinlichkeit auf den öffentlichen Wegen und Straßen erlassenen Polizeiverordnungen übertritt. In Bayern werden nach Art. 2 Ziff. 6 des Pol.-Str.-G.-B. vom 26. Dezember 1871 die nach §. 366 Nr. 10 des Str.-G.-B. zulässigen Polizeiverordnungen durch ober-distrikts- oder ortspolizeiliche Vorschriften erlassen, und auf Grund dieser Zuständigkeitsbestimmung wurde in §. 4 der von der k. Regierung von Oberfranken, Kammer des Innern, unter dem 2. März 1877 für den Umfang ihres Regierungsbezirks erlassenen und im Kreis-Amtsblatt S. 171 veröffentlichten oberpolizeilichen Vorschriften über Sicherheit, Bequemlichkeit und Reinlichkeit auf öffentlichen Wegen und Straßen verordnet, daß Düngerstätten an Distriktsstraßen nicht näher, als auf einen Meter von dem äußersten Rande des Straßengrabens, oder wo ein solcher nicht besteht, nicht näher, als auf 1½ Meter von dem Rande der Fußbank oder des Straßenkörpers angelegt werden dürfen, daß ferner, wenn der Raum von 1 bezw. 1½ Meter hiezu nicht vorhanden ist, doch wenigstens gegen den Weg oder die Straße zu die Düngerstätte mit einer Mauer, oder festgeschlossenen oder festverschließbaren Bohlenwand zu verwahren ist, und daß die bestehenden Düngerstätten nach Maßgabe dieser Anordnung innerhalb Jahresfrist umzugestalten sind, soferne nicht in außerordentlichen Fällen durch die Distriktspolizeibehörde eine ausnahmsweise Bewilligung für eine anderweitige entsprechende Herstellung ertheilt wird. Hiernach war die Distriktspolizeibehörde befugt, die Umgestaltung der nach den thatsächlichen Feststellungen des Urtheils schon vor dem Jahre 1877 bestandenen, zu nahe an der Distriktsstraße gelegenen und nur mit einer jetzt defekten Bretterwand umschlossenen, sohin den oberpolizeilichen Vorschriften nicht entsprechenden Düngerstätte des Anwesens der Angeklagten nach Maßgabe des §. 4 der oberpolizeilichen Vorschriften vom 2. März 1877 zu verlangen, und sie hat dies dadurch gethan, daß sie der Angeklagten den Auftrag zugehen ließ, mit der Düngerstätte einen Meter von der Distriktsstraße zurückzurücken. Die Angeklagte hat diesen Auftrag nicht befolgt, sondern die Düngerstätte belassen wie sie war, und hat sich hierdurch einer Uebertretung der zur Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichkeit und Reinlichkeit auf den öffentlichen [240] Straßen erlassenen Polizeiverordnungen nach §. 366 Nr. 10 des Str.-G.-B. schuldig gemacht.
Die Straffälligkeit der Angeklagten wird durch die tatsächliche Feststellung nicht ausgeschlossen, daß wegen Mangels an Raum das Zurückweichen mit der Düngerstatte nur mittels Vornahme einer verhältnißmäßig kostspieligen baulichen Veränderung und unter Gefährdung des Eigenthums, nämlich des Viehs der Angeklagten, das bei Verengerung des Zugangs zum Stalle Gefahr laufen würde, in die Dunggrube zu fallen, bewirkt werden kann. Allerdings gestattet für den Fall, daß der Raum für eine Entfernung der Düngerstätte auf 1 bis 1½ Meter nicht vorhanden ist, die maßgebende Polizeiverordnung, daß die Zurückverlegung unterbleibt und statt dessen die Düngerstätte gegen die Straße zu mit einer Mauer oder festgeschlossenen oder festverschließbaren Bohlenwand verwahrt werde, und kann überdies in außerordentlichen Fällen durch die Distriktspolizeibehörde ausnahmsweise die Bewilligung zu einer anderen entsprechenden Herstellung ertheilt werden. Allein die Prüfung der Frage, ob der erforderliche Raum zur Zurückverlegung der Düngerstätte vorhanden ist oder nicht, und ob allenfalls außerordentliche Fälle vorhanden sind, welche die Distriktspolizeibehörde zur Bewilligung einer anderweitigen entsprechenden Herstellung ausnahmsweise bestimmen könnten, steht nicht den Gerichten zu, sondern ausschließlich den Administrativbehörden, welche die polizeiliche Anordnung zu erlassen haben, deren Nichtbefolgung unter Strafe gestellt ist. Ebenso unerheblich für den Thatbestand der Übertretung nach §. 366 Nr. 10 des Str.-G.-B. ist es, ob durch den bisherigen Zustand der Düngerstätte die Sicherheit und Bequemlichkeit des Verkehrs gestört wird oder nicht. Das Gericht hat auch diese Frage nicht, sondern nur zu prüfen, ob die Administrativbehörde zur Erlassung der Anordnung auf Grund der bestehenden Verordnungen berechtigt war. Ob die Anordnung, so wie sie getroffen wurde, sich als zweckmäßig oder ausführbar darstellt, hierüber zu befinden ist nicht in das Ermessen des Strafrichters gestellt.
Irrthümlich legt auch die Strafkammer ihrer Entscheidung die Annahme zu Grunde, daß die Angeklagte nach den oberpolizeilichen Vorschriften vom 2. März 1877 nicht verpflichtet sei, zum Zweck der Zurückverlegung der Düngerstätte eine Veränderung an Gebäuden oder die Verlegung einer bestehenden baulichen Anlage vorzunehmen und daß ein solches Verlangen einen Eingriff in Eigenthums- und Besitzrechte in sich schließe. Von einer Zwangsabtretung von Grundeigenthum für öffentliche Zwecke ist bei der in Frage stehenden polizeilichen Auflage keine Rede, und für die richterliche Entscheidung des Straffalles ist es gleichgültig, welche Veränderung zur Erreichung des durch die Polizeiverordnung angestrebten Zwecks [241] vorgenommen werden muß, da durch die Unmöglichkeit, der getroffenen Anordnung ohne größeren oder geringeren Kostenaufwand oder sonstige Opfer nachzukommen, ein vom Strafgesetz vorgesehener Strafausschließungsgrund nicht begründet und zum Thatbestand einer Übertretung nach §. 366 Nr. 10 nicht mehr erfordert wird, als daß einer zur Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichkeit und Reinlichkeit auf öffentlichen Straßen erlassenen Polizeiverordnung zuwidergehandelt wurde. Es kommt hiebei auch nicht auf das Vorhandensein eines dolus, sondern nur auf die thatsächliche Nichtbefolgung der polizeilichen Anordnung an.
Das angefochtene Urtheil der Strafkammer und mit ihm das auf Freisprechung erkennende erstrichterliche Urtheil mußte daher gemäß §. 393 Abs. 1 der Str.-Proz.-Ordng. aufgehoben werden.