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Oberappellationsgericht München – Verdorbene Gurken

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Textdaten
Autor: Oberappellationsgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1874, Nr. 11, Seite 132–135
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Kurzbeschreibung: Zwischenhandel mit verdorbenen Lebensmitteln
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[132]

Auf die Anzeige des Marktinspektors R. zu L., daß den Viktualienhändlern P. T., B. L. und J. K. aus M. am 22. August 1873 auf dem Viktualienmarkte zu L. verdorbene Gurken konfiszirt worden seien, erließ das k. Stadt- und Landgericht L. am 26. dess. Mts. Strafverfügungen, inhaltlich welcher jede der oben genannten drei Personen wegen Feilbietens unreifer Viktualien in Anwendung der § 69 und § 149 der Reichs-Gewerbeordnung, § 8 der L.’er Viktualienmarktordnung vom 21. Okt. 1871, Art. 75 des P.-St.-G.-B. zu ⅓ Thlr. Geldstrafe, eventuell zu einem Tag Haft und in die Kosten verurtheilt und die Einziehung der von der Polizei abgenommenen Waaren für zulässig erklärt wurde.

Auf erhobenen Einspruch sprach das k. Stadt- und Landgericht L. in seinem Urtheile vom 28. Okt. 1873 die drei Beschuldigten unter Ueberbürdung der Kosten auf die Staatskasse frei und ordnete zugleich die Hinausgabe der polizeilich beschlagnahmten Gurken, soweit sie noch vorhanden, an dieselben an.

Die hiegegen erhobene Berufung des Vertreters der k. Staatsanwaltschaft am genannten Gerichte wurde durch Urtheil des k. Bez.-Gerichts L. vom 23. Dez. 1873 verworfen.

Auf die von dem k. Staatsanwalte am k. Bez.-Gerichte L. dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde erkannte nun der oberste Gerichtshof unterm 6. Januar 1874:

das Urtheil des Bez.-Gerichts L. vom 23. Dez. 1873 wird vernichtet und die Sache zur wiederholten Verhandlung und Aburtheilung an einen andern Senat des genannten k. Bez.-Gerichts verwiesen,

und zwar aus folgenden Gründen:

Die erhobene staatsanwaltschaftliche Nichtigkeitsbeschwerde stellt sich als begründet dar. [133]

Nach der thatsächlichen Feststellung in dem angefochtenen Urtheile haben die drei Beschuldigten am 22. August 1873 auf dem Viktualienmarkte zu L. Gurken eingekauft, um sie in M. weiter zu verkaufen, und, als solche auf den Bahnhof zu L. bereits gebracht waren, erfolgte die polizeiliche Beschlagnahme eines Theiles derselben und zwar aus dem Grunde, weil die beschlagnahmten als überreif und deshalb als verdorbene und der Gesundheit schädliche Eßwaaren befunden wurden. Die Verkäufer der Gurken wurden nicht ermittelt. Das angefochtene Urtheil hält die auf diese Thatsachen gegründete Freisprechung der Beschuldigten von der Anschuldigung einer Uebertretung für gerechtfertigt, weil nach § 367 Ziff. 7 des R.-St.-G.-B. und § 8 der L.’er-Marktordnung vom 21. Oktober 1871 im Zusammenhalte mit Art. 75 des P.-St.-G.-B. nur das Feilbieten oder den Verkauf verdorbener Viktualien, nicht deren Ankauf mit Strafe bedroht ist; es erachtet aber auch die Freigabe der mit Beschlag belegten Gurken, wie sie vom Erstrichter angeordnet wurde, dem Gesetze gemäß, weil, um die Einziehung verfügen zu können, auch in den Fällen, wo die Verurtheilung oder Verfolgung einer Person nicht ausführbar erscheint, festgestellt sein müsse, daß die Gegenstände dem Thäter oder einem Theilnehmer gehören, hiebei nicht der Zeitpunkt der verübten Gesetzesverletzung, sondern der Zeitpunkt der Entscheidung über die Einziehung maßgebend sei und der Ausnahmsfall des § 367 Abs. 2 des R.-St.-G.-B. selbstverständlich nicht den Fall treffe, wenn Jemand nach Begehung der Gesetzesübertretung von Seiten des Feilbieters oder Verkäufers die Eßwaaren in erlaubter Weise erworben habe.

Diese Anschauung kann in ihrem zweiten Theile als eine richtige nicht gebilligt werden.

Der § 40 des deutschen R.-St.-G.-B. bestimmt, daß Gegenstände, welche durch ein vorsätzliches Verbrechen oder Vergehen hervorgebracht oder welche zur Begehung eines vorsätzlichen Verbrechens oder Vergehens gebraucht oder bestimmt sind, eingezogen werden können, soferne sie dem Thäter oder Teilnehmer gehören, und der § 42 l. c. läßt die Erkennung einer solchen Maßnahme auch dann zu, wenn die Verfolgung oder Verurtheilung einer bestimmten Person nicht ausführbar ist. Diese Bestimmungen haben allerdings zunächst nur Bezug auf vorsätzlich verübte Verbrechen und Vergehen; da dieselben aber im ersten Theile des Reichsstrafgesetzbuches, welcher von der Bestrafung der Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen im Allgemeinen handelt, aufgeführt sind, so muß angenommen werden, daß die in ihnen niedergelegten Grundsätze auch rücksichtlich solcher Uebertretungen Anwendung zu finden haben, bezüglich welcher ausnahmsweise die Nebenstrafe der Einziehung [134] im Reichsstrafgesetzbuche als zulässig erklärt ist. In Fällen dieser Art muß sonach auch dann die Einziehung einzelner Sachen verfügt werden können, wenn eine Verurteilung oder Verfolgung einer bestimmten Person wegen der begangenen Übertretung nicht möglich wird.

So hat auch die Sache das bayerische Polizeistrafgesetzbuch angesehen und dem entsprechend im Art. 18 eine mit dem § 42 des R.-St.-G.-B. vollkommen gleichlautende Bestimmung bezüglich der von ihm behandelten Uebertretungen erlassen.

Der allgemeinen Regel der §§ 40 und 42 des R.-St.-G.-B. hat jedoch letzteres mehrfache Ausnahmen zur Seite gestellt und darunter eine im § 367 Abs. 2, wonach beim Feilhalten oder Verkaufe verdorbener Eßwaaren deren Einziehung verfügt werden kann, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht, in Konsequenz des oben citirten § 42 also auch ohne Unterschied, ob eine Verurtheilung des Thäters überhaupt möglich ist oder nicht.

Das Gesetz läßt übrigens, wie erwähnt, die Einziehung nicht blos dann zu, wenn die Waare feilgeboten, sondern auch dann, wenn sie verkauft wird, und gestattet dieselbe im letzteren Falle ohne einen beschränkenden Beisatz, mithin ohne Rücksicht darauf, ob die Uebergabe der Waare, die Zahlung oder Kreditirung des Kaufpreises erfolgt ist oder nicht. Dieser allgemeinen, ganz klaren Fassung des Gesetzes gegenüber kann auch der Richter nicht unterscheiden, sondern er muß jedesmal seine Ermächtigung zur Verfügung der Einziehung für gegeben erachten, sobald ein Verkauf solcher Waaren festgestellt ist und ohne Rücksicht darauf, wer zur Zeit der Einziehung oder der Urtheilsfällung als Eigenthümer des Kaufgegenstandes sich darstellt.

Dieß ist um so zuverlässiger anzunehmen, als, wenn man der im angefochtenen Urtheile niedergelegten Rechtsanschauung folgen wollte, die fragliche Gesetzesbestimmung im Allgemeinen rein illusorisch wäre und das Gegentheil von dem erreicht werden würde, was dieselbe bewirken will. Denn bei weitem die meisten Kaufsabschlüsse von Eßwaaren erfolgen unter gleichzeitiger Uebergabe der Sache und Zahlung oder Kreditirung des Kaufpreises, mithin unter sofortigem Eigenthumsübergange des Verkäufers an den Käufer. Es könnte daher nur in höchst seltenen Fällen die Einziehung verfügt werden. Das Gesetz will aber gerade verhüten, daß verdorbene Eßwaaren von einer Hand in die andere und überhaupt in den öffentlichen Verkehr gelangen, weil gerade durch diesen Uebergang in den öffentlichen Verkehr die Gefahr vervielfältigt wird, daß Besitzer derselben Leute werden, welche in Unkenntniß ihrer gefährlichen Eigenschaft oder im Leichtsinne derartige Waaren [135] genießen und dadurch ihre Gesundheit beschädigen. Würde aber wegen des Uebergangs solcher Waaren an den Käufer deren Einziehung nicht mehr möglich, dann wäre ihre Verbreitung und ihr Genuß gebilligt, es müßten, um eine weitere Verbreitung zu hindern, erst weitere Veräußerungsakte ermittelt werden und es würde dadurch gerade jene Gefahr herbeigeführt, welche das Gesetz vermieden wissen will.

Immer bleibt es im Einzelfalle dem richterlichen Ermessen anheim gegeben, ob die Einziehung verfügt werden will oder nicht; nachdem aber das angefochtene Urtheil annimmt, daß mit dem Augenblicke des Eigenthumsüberganges an einer solchen Waare an den Käufer der Richter deren Einziehung nicht mehr verfügen kann, hat es den § 367 Abs. 2 des R.-St.-G.-B. durch unrichtige Auslegung verletzt.

Es mußte deshalb in Anwendung des Art. 139 des Einf.-Ges. vom 10. Nov. 1861 wie geschehen erkannt werden.