Oberappellationsgericht München – Verdingung von Tanzmusikern
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Gegen die Musiker F. R., G. L., W. E., F. St., F. R., Chr. G. und G. B., sämmtlich von W., ist Anschuldigung erhoben worden, daß dieselben am 2. Juni l. J. in dem Wirthshause des L. B. zu G. ohne districtspolizeilichen Legitimationsschein öffentlich Tanzmusik gemacht und dadurch der Vorschrift der §§ 55 und 148 Ziff. 7 der R.-G.-O. zuwidergehandelt haben, und wurde auf Grund dieser Anschuldigung gegen die genannten 7 Musiker Strafverfügung auf 1 Thlr. Geldstrafe, eventuell 1 Tag Haft erlassen, dann aber auf erhobenen Einspruch derselben vom k. Landgerichte W. unterm 4. August Urtheil dahin erlassen, daß die Beschuldigten von Schuld und Strafe freigesprochen werden, weil erwiesen sei, daß sie auf Bestellung des Wirthes, d. h. im Auftrage desselben öffentliche Tanzmusik gemacht haben und hienach keine Gesetzesverletzung vorliege.
Gegen dieses Urtheil hat der Staatsanwaltsvertreter am Tage der Urtheilsverkündung, 4. August, Berufung ergriffen und als Beschwerdegrund bezeichnet, daß nicht Verurtheilung im Sinne des staatsanwaltschaftlichen Antrages erfolgte, und in der sofort vorbehaltenen, am 10. pr. 13. August eingereichten Ausführung seiner Berufung auf die Aufstellung in einer Entschließung des k. Staatsministeriums des Innern, Abtheilung für Landwirthschaft, Gewerbe und Handel, vom 22. Juli 1873, den Betrieb des Musikgewerbes außerhalb des Ortes der gewerblichen Niederlassung betr., Bezug genommen, worin ausgesprochen ist, das hauptsächlichste Kriterium für die nothwendige Feststellung, ob Bestellung im Sinne des § 55 der Gewerbeordnung vorliege, werde in den gewöhnlichen Fällen gewerblicher Leistungen die Bezahlung bieten und es sei nicht als Bestellung zu erachten, wenn ein Wirth die Musiker auffordere, in seinem Wirthschaftslokale Musik aufzuführen und ihnen überlasse, die Bezahlung hiefür ganz oder theilweise von seinen Gästen entgegenzunehmen, wogegen es eine wirkliche von der Legitimationsscheinspflicht befreiende Bestellung sei, wenn der Wirth die Musiker dinge, von denselben vor seinen Gästen Musik aufführen lasse und hiefür von letzteren allenfalls Eintrittsgeld erhebe, falls nicht der letztere Modus lediglich zur Umgehung des Gesetzes gewählt werde und der Wirth nur den Kassier der Musiker mache.
Das k. Bezirksgericht A. hat jedoch mit Urtheil vom 28. August die staatsanwaltschaftliche Berufung verworfen und in den Gründen hiezu ausgeführt, unter Bestellen werde im Allgemeinen [655] verstanden, Jemanden zu einem bestimmten Zwecke, insbesondere bei Spielleuten sie zum Musikmachen kommen lassen, Bestellung sei nicht gleichbedeutend mit Dienstmiethe, bei letzterer finde auf der einen Seite Verpflichtung zur Verrichtung gewisser Dienste, auf der anderen zu einer Vergütung dafür statt, wogegen bei der Bestellung nur zu bestimmten Handlungen oder Dienstleistungen durch das Kommenlassen aufgefordert, alles Nähere aber über das in Frage kommende Rechtsverhältniß dabei entweder als bekannt vorausgesetzt oder erst noch einer Vereinbarung darüber vorbehalten werde. Dieses Urtheil nun wurde mit Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde von Seite des k. Staatsanwaltes am Bezirksgerichte A. angefochten.
Bei der vom obersten Gerichtshofe gepflogenen Berathung hat sich Folgendes ergeben:
Unzweifelhaft ist es nur der Gewerbebetrieb im Umherziehen, welchen die Reichsgewerbeordnung, insbesondere § 55 derselben, mit der in der Nothwendigkeit der Erholung eines Legitimationsscheines liegenden Controle und Ueberwachung umgeben wollte, welche gemäß § 59 Abs. 2 der R.-G.-O. bei gewissen Arten des Gewerbsbetriebes bis zur Beschränkung der Ertheilung solcher Legitimationsscheine auf eine bestimmte Anzahl von Personen gehen soll. Der Begriff des Gewerbsbetriebes im Umherziehen schließt nämlich schon seinem Wortlaute nach eine gewisse Freiheit des Gewerbtreibenden in Ansehung von Ort und Zeit des Betriebes seines Gewerbes in sich und ist dabei die Zahl der Fälle einer Gewerbsausübung durchaus unbestimmt. In allen diesen Beziehungen verhält sich die Sache gegentheilig, wenn die Ausübung des Gewerbes außerhalb des Wohnortes des betreffenden Gewerbtreibenden nur auf vorgängige Bestellung stattfindet, insoferne hier der Gewerbtreibende an die Art der Bestellung gebunden und nichts unbestimmt ist weder in Ansehung des Ortes noch in Ansehung der Zeit noch in Ansehung des Gegenstandes des Gewerbsbetriebes außerhalb des Wohnortes des Gewerbstreibenden, in diesem Falle kann nicht von einem Gewerbsbetriebe im Umherziehen die Rede sein, die vorgängige Bestellung schließt diesen Begriff aus und das ist der Grund, warum bei vorgängiger Bestellung auch zum Gewerbsbetriebe außerhalb des Wohnortes des Gewerbstreibenden kein Legitimationsschein erfordert wird. (Vgl. Motive zum III. Titel, insbesondere zu § 53 des Ges.-Entw., welcher abgesehen von der Substituirung des Wortes „Legitimationsschein“ für das Wort „Gewerbeschein“ unverändert als § 55 in das Gesetz aufgenommen wurde. Vhdl. des Reichstages des nordd. Bundes Bd. III. S. 98 und 121.)
Hieraus ist aber zugleich mit voller Bestimmtheit zu folgern, [656] daß unter den angegebenen Voraussetzungen die Thatsache des Bestelltseins als Gegensatz spontaner Gewerbsausübung oder des Hausirens mit gewerblichen oder künstlerischen Leistungen genügt, um die Nothwendigkeit der Erholung eines Legitimationsscheines auszuschließen und daß die Vertragsmodalitäten, unter welchen die Bestellung stattfindet, ohne alle Bedeutung für die Frage der Erholung eines Legitimationsscheines sind. Insbesondere ist kein gesetzlicher Grund für die Annahme vorhanden, daß einer solchen Bestellung, um in dem angegebenen Sinne wirksam zu sein, die sämmtlichen Merkmale einer Dienstmiethe innewohnen müssen. Es genügt, um im vorliegenden Falle die Bestimmung des § 55 Ziff. 4 der R.-G.-O. und folgerichtig auch die Strafbestimmung des § 148 Ziff. 7 auszuschließen, daß, wie dieß von der Vorinstanz thatsächlich festgestellt ist, der Wirth in G. es war, welcher das Erscheinen der 7 Musiker daselbst sohin außerhalb ihres Wohnortes zum Zwecke der Feilbietung ihrer gewerblichen oder künstlerischen Leistungen veranlaßt, daß er sie bestellt hat.