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Oberappellationsgericht München – Unerlaubte Zeitungsanzeige

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Textdaten
Autor: Oberappellationsgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1878, Nr. 25, Seite 208–216
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Kurzbeschreibung: Reichsrecht geht vor Landesrecht
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[208]

Der oberste Gerichtshof des Königreichs erkannte am 7. Juni 1878 in Sachen gegen N. N. wegen Uebertretung in Bezug auf unerlaubte Versammlungen zu Recht:

Das Urtheil des k. Bezirksgerichts M. vom 7. Mai 1878 wird vernichtet, die Sache zur wiederholten Verhandlung und Aburtheilung an einen anderen Senat des genannten Gerichtes verwiesen, und der Eintrag des gegenwärtigen Erkenntnisses in das Urtheilsbuch des Bezirksgerichts M. verordnet.
Gründe.

In der unter der Redaktion des N. N. in M. erscheinenden Zeitung ist ein von E. D. und 2 weiteren Personen unterzeichneter [209] „Aufruf an die Tischler M.’s" veröffentlicht worden, worin unter dem Erbieten zur Geldempfangnahme die Unterstützung der Weiber und Kinder mehrerer zu Gefängnißstrafen verurtheilter Fachgenossen bezielt wird.

Das k. Stadtgericht M. hat hierauf unterm 24. Januar 1878 gegen den Redakteur N. N., den Tischler E. D. und gegen die beiden anderen jetzt nicht weiter mehr in Betracht kommenden Unterzeichner des oben genannten Aufrufes eine Strafverfügung erlassen, inhaltlich deren dieselben unter der Anschuldigung, in der fraglichen Zeitung einen mit dem Erbieten zur Empfangnahme verbundenen Aufruf an die Tischler M.’s zu Geldbeiträgen für einen Zweck, welcher nach dem Gesammtinhalte des Aufrufs als ein rein wohlthätiger nicht erscheint, ohne die erforderliche polizeiliche Bewilligung erlassen zu haben, in eine Geldstrafe von je 12 , eventuel in eine je 2tägige Haftstrafe und in die Kosten verurtheilt worden sind.

Auf von den 4 Beschuldigten gegen dieses Mandat erhobenen Einspruch hat das k. Stadtgericht M. mit Urtheil vom 4. März 1878 den N. N. und den E. D. wegen einer Uebertretung in Bezug auf unerlaubte Sammlungen, verübt durch den oben aufgeführten Aufruf, in eine Geldstrafe von je 12 , eventuel in eine Haftstrafe von je 2 Tagen und unter solidarischer Haftungsverbindlichkeit in die bezüglichen Kosten des Verfahrens nach Art des Aerars, endlich in die betreffenden Strafvollzugskosten verurtheilt, die beiden anderen Beschuldigten dagegen von der gegen sie erhobenen Anschuldigung freigesprochen.

Bei diesem Urtheile hat sich E. D., welcher sich als der Verfasser des fraglichen Aufrufs bekannt hatte, beruhigt, N. N. hingegen hat gegen dasselbe Berufung ergriffen.

Durch Urtheil des k. Bezirksgerichts M. vom 7. Mai d. Js. wurde hierauf N. N. unter Ueberbürdung der bezüglichen Kosten I. und II. Instanz auf die k. Staatskasse von der gegen ihn erhobenen Anschuldigung freigesprochen.

Gegen dieses Urtheil hat der k. Staatsanwalt am genannten Berufungsgerichte mittels schriftlicher am 8. Mai d. Js. bei diesem Gerichte übergebener Erklärung das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet, und hiebei als Beschwerdegrund geltend gemacht, daß das Bezirksgericht M. durch die Freisprechung des N. N. von einer Uebertretung, in Bezug auf unerlaubte Sammlungen den § 20 Abs. 1 des R.-Preßges. vom 7. Mai 1874, den § 47 des R.-St.-G.-B., dann die Art. 53 Abs. 1 und 52 Abs. 2 des P.-St.-G.-B. und endlich die §§ 1 und 3 der k. allerh. Verordnung vom 20. Sept. 1862 durch Nichtanwendung verletzt habe.

Der Beschuldigte erhielt von dieser Beschwerde Kenntniß, hat aber Gegenbemerkungen nicht eingereicht. [210]

Am 7. Juni 1878 kam die Sache bei dem obersten Gerichtshofe zum Aufrufe und zur Verhandlung, wobei der Referent Vortrag erstattete, und hierauf der k. Staatsanwalt nach näherer Erörterung der Sache den Antrag stellte, das Urtheil des k. Bezirksgerichts M. vom 7. Mai 1878 zu vernichten, die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Aburtheilung an einen anderen Senat dieses Gerichts zu verweisen, und den Eintrag des zu erlassenden Urtheils in das Urtheilsbuch des Bezirksgerichts M. anzuordnen.

Die gemäß Art. 245 Abs. 1 des St.-P.-G. vom 10. Nov. 1848 auf den aufgestellten Beschwerdepunkt beschränkte Prüfung der Sache hat nun ergeben, daß die erhobene Beschwerde begründet ist.

Das k. Bezirksgericht M. hat tatsächlich festgestellt, daß N. N. am 19. Januar l. Js., zu welcher Zeit er verantwortlicher Redakteur des in Frage stehenden Tagblattes gewesen ist, in Nr. 15 dieses Blattes einen von dem Tischlergesellen E. D. verfaßten Aufruf, in welchem die Tischler M.’s von D. und 2 Genossen desselben unter dem Erbieten der Empfangnahme der Gaben zur Reichung von Unterstützungsbeiträgen für die Weiber und Kinder mehrerer verhafteter Fachgenossen aufgefordert werden, aufgenommen und veröffentlicht hat, daß, obwohl der hiebei verfolgte Zweck als ein rein wohlthätiger nicht erachtet werden kann, zu dieser Sammlung eine polizeiliche Bewilligung nicht erholt worden ist, und daß N. N., als er besagten Aufruf in sein Blatt aufnahm, in Kenntniß des Inhalts desselben und des Mangels der polizeilichen Bewilligung gehandelt hat.

Trotz dieser thatsächlichen Feststellung glaubte das genannte Berufungsgericht die Handlung des N. N. und zwar aus dem Grunde für straflos erachten zu müssen, weil im gegebenen Falle der Verfasser des Aufrufes bekannt und dessen Verfolgung und Verurtheilung ausführbar geworden, dieser auch wegen der Veröffentlichung des fraglichen Aufrufes in dem oben genannten Zeitungsblatte verurtheilt worden sei, weil Abs. 2 des Art. 53 des b. P.-St.-G.-B. vom 26. Dez. 1871, wenn ohne polizeiliche Bewilligung ein Aufruf zu Gaben oder Geldbeiträgen für andere als wohlthätige Zwecke mit dem Erbieten zur Empfangnahme in öffentlichen Blättern erlassen wird, primär nur den Verfasser des Aufrufes für strafbar erkläre und in Abs. 3 dieses Artikels bestimmt sei, daß nur für den hier nicht gegebenen Fall, wenn die Verfolgung oder Verurtheilung des Verfassers nicht ausführbar ist, den Redakteur der betreffenden Zeitung die Strafe treffe und weil diese Bestimmungen des P.-St.-G.-B. durch das Reichspreßgesetz vom 7. Mai 1874 ihre Geltung nicht verloren hätten. [211]

Diese Rechtsanschauung des Bezirksgerichts M. ist eine irrige, da die für die fortdauernde Giltigkeit der Absätze 2 und 3 des Art. 53 des P.-St.G.-B. v. 26. Dez. 1871 in den bezirksgerichtlichen Entscheidungsgründen niedergelegten Ausführungen diesen Ausspruch nicht zu rechtfertigen vermögen.

Nach Art. 2 der Verfassung des deutschen Reiches vom 16. April 1871 übt das Reich das Recht der Gesetzgebung innerhalb des Bundesgebietes nach Maßgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, daß die Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen.

Demnach ist jetzt die Landesgesetzgebung nur noch zuständig für jene Angelegenheiten, welche nach der Reichsverfassung nicht ausdrücklich der Reichsgesetzgebung überwiesen sind, und in Bezug auf die dem Reiche zur gesetzlichen Regelung überwiesenen nur insolange und insoweit, als das Reich von seinem Rechte keinen Gebrauch gemacht hat.

Von dem Augenblicke an, in welchem die Reichsgewalt ein ihr verfassungsgemäß zustehendes gesetzgeberisches Gebiet durch Erlassung eines Reichsgesetzes occupirt hat, ist nicht nur die Landesstaatsgewalt rechtlich außer Stande, in dieser Sache, soweit dieselbe reichsgesetzlich geregelt ist, mit Rechtswirksamkeit Normen zu erlassen, sondern treten auch von diesem Zeitpunkte an die in der Sache bestehenden Landesgesetze außer Geltung.

vgl. Pözl, Lehrb. des b. Verf.-Rechts 5. Aufl. S. 585.
Rönne, das Verf.-Recht des dtsch. Reiches S. 40 u. 48.

Diese unbestrittenen staatsrechtlichen Sätze auf den vorliegenden Fall angewendet ergeben nun, was folgt:

Zu den Gegenständen, in Betreff welcher der Reichsgewalt das ausschließliche Recht der Gesetzgebung zusteht, gehören nach Art. 4 Ziff. 16 der Reichsverfassung auch die Bestimmungen über die Presse.

Es ist nun keine Frage, daß in solange das Reich von dem ihm durch den eben allegirten Artikel der Verfassung eingeräumten Rechte keinen Gebrauch gemacht hatte, die Landesgesetzgebung auch auf diesem dem Reiche reservirten Gebiete ihre Thätigkeit entwickeln konnte.

Die bayerische Staatsgewalt war daher, da zur Zeit der Erlassung des Polizeistrafgesetzbuches vom 26. Dezember 1871 weder ein Reichspreßgesetz, noch sonst ein Reichsgesetz existirte, welches die Verantwortlichkeit der durch die Presse begangenen strafbaren Handlungen generel geregelt hätte, zu der in Art. 53 getroffenen Bestimmung, welche bei in öffentliche Blätter aufgenommenen Aufrufen zu unerlaubten Sammlungen primär nur den Verfasser und [212] nur in soweit als die Verfolgung oder Verurtheilung des Verfassers nicht ausführbar ist, lediglich subsidiär den Redakteur für strafbar erklärt hat, vollkommen berechtigt.

Anders gestaltete sich jedoch die Sachlage von dem Zeitpunkte an, als die Reichsgewalt von dem ihr verfassungsgemäß eingeräumten Rechte Gebrauch machend unterm 7. Mai 1874 das Reichspreßgesetz erlassen und in demselben in Abschn. III die Verantwortlichkeit für alle durch die Presse begangenen strafbaren Handlungen gesetzlich bestimmt hatte.

Von diesem Zeitpunkte an hätte die eben allegirte Bestimmung des Art. 53 des b. P.-St.-G.-B. nur dann auf fortdauernde Geltung Anspruch machen können, wenn sie einen reichsgesetzlich nicht geregelten Punkt betreffen und auch sonst mit den Bestimmungen des Reichsgesetzes nicht im Widerspruche stehen würde.

Keine dieser Voraussetzungen trifft aber im gegebenen Falle zu.

Der § 20 des R.-Preßg. v. 7. Mai 1874 verordnet nämlich in seinem ersten Absatze, daß die Verantwortlichkeit für Handlungen, deren Strafbarkeit durch den Inhalt einer Druckschrift begründet wird, sich nach den bestehenden allgemeinen Strafgesetzen bestimmt, und verfügt in Abs. 2, daß wenn die Druckschrift eine periodische ist, der verantwortliche Redakteur als Thäter bestraft werden muß, wenn nicht durch besondere Umstände die Annahme seiner Thäterschaft ausgeschlossen wird.

Durch diese Bestimmung und durch den hier nicht weiter in Betracht kommenden § 21 hat das Reichspreßgesetz die Verantwortlichkeit für alle durch Preßerzeugnisse bewirkten strafbaren Handlungen in systematischer Weise generel geregelt, und hat laut der Vorschrift in Abs. 2 des § 20, falls nicht besondere die Annahme der Thäterschaft ausschließende Umstände vorliegen, den Redakteur einer periodischen Druckschrift dem Verfasser vollkommen gleichgestellt, demnach auch Ersteren als Urheber der strafbaren That, und in Folge hievon als Thäter strafbar erklärt, und zwar nicht nur subsidiär im Falle der Unausführbarkeit der strafrechtlichen Verfolgung oder Verurtheilung des Verfassers, sondern primär und sonach auch neben dem Verfasser, dessen Bestrafung bei vorhandenem Verschulden durch die Bestrafung des Redakteurs ebensowenig ausgeschlossen wird.

Die gesetzgebenden Faktoren gingen hiebei, wie die Entstehungsgeschichte des Reichspreßgesetzes ergibt, von dem Gedanken aus, daß der Redakteur einer periodischen Druckschrift durch seine von ihm abhängige Veröffentlichung sich ebenso selbstständig strafbar macht, als der Verfasser, welchem eine schuldhafte Beteiligung an der Veröffentlichung zur Last fällt, und daß derselbe aus diesem Grunde gleichfalls als Thäter erscheint. [213]

Vgl. oberstr. Urth. v. 12. Mai 1876 – U. B. Nr. 230 (Samml. Bd. VI S. 226 u. ff. insbes. S. 230 und 231).
Marquardsen, Comm. zum R.-Preßg. S. 113 ff., dann S. 167 u. ff.
Schwarze, Comm. z. R.-Preßg, S. 98.

Durch den § 20 dieses Gesetzes ist daher Art. 53 des b. P.-St.-G.-B., insoweit derselbe den Redakteur nur für den Fall der Unausführbarkeit der Verfolgung oder Verurtheilung des Verfassers eines durch die Presse veröffentlichten derartigen Aufrufes für strafbar erklärt hat, außer Geltung getreten, denn ganz abgesehen davon, daß die Verantwortlichkeit für alle durch die Presse begangenen strafbaren Handlungen überhaupt jetzt reichsgesetzlich bestimmt ist, hat das betreffende Reichsgesetz noch insbesondere den Redakteur einer periodischen Druckschrift ohne Rücksicht auf die Verfolgbarkeit oder Verurtheilung des Verfassers für strafbar erklärt, und hiemit eine Bestimmung getroffen, mit welcher die in Frage stehende landesgesetzliche Bestimmung in Widerspruch steht.

Mit Unrecht berufen sich die Entscheidungsgründe des bezirksgerichtlichen Urtheils für die von ihnen behauptete fortdauernde Giltigkeit der in Abs. 2 und 3 des Art. 53 des P.-St.-G.-B. enthaltenen Bestimmungen auf den Inhalt des § 2 des Einf.-Ges. zum Strafgesetzbuche für den norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870.

Sie übersehen hiebei, daß die Ziff. 16 des Art. 4 der Reichsverfassung eine derjenigen Bestimmungen ist, welche in der Verfassung des norddeutschen Bundes nicht enthalten war, sondern welche erst in Folge der Vereinbarungen mit den süddeutschen Staaten im Jahre 1871 in die Reichsverfassung aufgenommen ist.

Durch diese nachträgliche Erweiterung des der Reichsgewalt überlassenen Gesetzgebungsgebietes und durch das in Folge hievon erlassene Reichspreßgesetz hat insbesondere Abs. 2 des § 2 des Gesetzes vom 31. Mai 1870 insoferne einschränkende Modifikationen erlitten, als jetzt auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit für alle durch die Presse begangenen Handlungen nur mehr nach dem Reichspreßgesetze beurtheilt werden kann, und im Gebiete dieser reichsrechtlichen Bestimmungen die landesherrlichen Vorschriften derogirt sind.

Auch der vom Berufungsgerichte gemachte Hinweis auf die Bestimmungen des Art. 4 des bayr. Einf.-Vollz.-Ges. v. 26. Dez. 1871 vermag die Fortdauer der Giltigkeit der fraglichen Bestimmungen des Polizeistrafgesetzbuches nicht zu rechtfertigen, denn insoweit, als hier eine durch die Presse begangene strafbare Handlung in Frage steht, liegt jetzt seit der Erlassung des Reichspreßgesetzes keine Handlung vor, welche lediglich nach besonderen, [214] neben dem Strafgesetzbuche für das deutsche Reich bestehenden Landesgesetzen mit Strafe bedroht ist, und nur solche hat der Art. 4 des genannten Einf.-Ges. im Sinne.

Wenn die Entscheidungsgründe des bezirksgerichtlichen Erkenntnisses zur Rechtfertigung der Freisprechung des Redakteurs im gegebenen Falle endlich auch darauf Gewicht gelegt haben, daß das Reichspreßgesetz die Freiheit der Landesgesetzgebung bezüglich einer Polizeiübertretung, wie die hier in Frage stehende, welche eine von dem Reichsstrafrechte nicht behandelte Materie, nämlich das Verbot, Sammlungen zu veranstalten, zum Gegenstande hat, in nichts beschränken konnte, und daß es auch nach Erlaß des Reichspreßgesetzes der bayerischen Landesgesetzgebung noch freistehe, derartige Sammlungen, beziehungsweise die Aufforderung hiezu in der Presse für straffrei zu erklären, – so sind auch diese Erwägungen nicht geeignet, den vom Berufungsgerichte daraus gezogenen Schluß zu rechtfertigen.

Es ist allerdings richtig, daß das Reichspreßgesetz die bayerische Landesgesetzgebung darin nicht beschränkt hat, die im Reichsstrafgesetzbuche nicht behandelte Materie der unerlaubten Sammlungen gesetzlich zu regeln, und für die Übertretung der betreffenden Vorschriften die erforderlichen Strafbestimmungen zu erlassen, und daß, da auch das Reichspreßgesetz weder die Gesammtheit aller durch die Presse möglichen strafbaren Handlungen, noch die Materie der unerlaubten Sammlungen erschöpfend, sondern nur in § 16 in einem speciellen Falle, nämlich in Bezug auf Sammlungen zur Aufbringung der wegen einer strafbaren Handlung erkannten Geldstrafen und Kosten geregelt hat, die bayr. Landesgesetzgebung auch nach Erlaß des Reichspreßgesetzes in Bezug auf durch die Presse veröffentlichte Aufrufe zu Sammlungen ermächtigt ist, auch in dieser Richtung rechtswirksame gesetzliche Bestimmungen zu erlassen, und daß daher die zur Zeit der Erlassung des Reichspreßgesetzes in der angegebenen Richtung bestandenen landesgesetzlichen Vorschriften nicht schon durch die Publikation des Reichspreßgesetzes außer Geltung gekommen sind, – allein hiebei darf nicht übersehen werden, daß für die Thätigkeit der Landesgesetzgebung der Inhalt der Reichsgesetze die unübersteigliche Schranke bildet, und daß daher, sowie einerseits die Landesgesetzgebung in Bezug auf durch die Presse bethätigte Sammlungen jetzt nur mehr solche Bestimmungen treffen kann, durch welche die Vorschriften des Reichspreßgesetzes nicht alterirt werden, ebenso anderseits von den bisher in dem genannten Betreffe bestandenen landesgesetzlichen Bestimmungen nur diejenigen in Geltung geblieben sind, welche mit dem genannten Reichsgesetze nicht im Widerspruche stehen.

Ebenso wenig als ein in öffentlichen Blättern ohne polizeiliche Bewilligung wenn auch zu wohlthätigen Zwecken erlassener Aufruf, [215] wenn es sich hiebei um wegen einer strafbaren Handlung erkannte Geldstrafen und Kosten handelt, jetzt als straflos erscheint, da dem Art. 53 des P.-St.-G.-B. in dieser Richtung jetzt die Bestimmung des § 16 des R.-Preßges. entgegensteht, – ebenso wenig kann jetzt auch der Redakteur einer periodischen Druckschrift, welcher ohne polizeiliche Bewilligung einen diese erfordernden Aufruf zu Gaben mit dem Erbieten zur Empfangnahme in sein Blatt aufgenommen hat, die landesgesetzlichen Bestimmungen in Abs. 2 und 3 des Art. 53 des P.-St.-G.-B. zu seinen Gunsten anrufen, denn diese Bestimmungen, welche nur eine sekundäre Verantwortlichkeit des Redakteurs bei dem fraglichen Preßdelikt statuirt haben, stehen mit dem Reichspreßgesetze, welches in § 20 für alle Handlungen, deren Strafbarkeit durch den Inhalt einer periodischen Druckschrift begründet wird, den Redakteur als prinzipal verantwortlich erklärt, und dessen Bestrafung als Thäter, wenn nicht besondere Umstände die Annahme der Täterschaft ausschließen, ausnahmslos fordert, im Widerspruche, und sind deßhalb durch dasselbe außer Geltung gekommen.

Subsumirt man demnach die oben erwähnten vom Bezirksgerichte gemachten thatsächlichen Feststellungen unter das auf den Fall anzuwendende Gesetz, als welches hier den obigen Ausführungen zufolge nicht blos Art. 52 und 53 Abs. 1 des b. P.-St.-G.-B. sondern auch § 20 des R.-Preßges. erscheint, so ergibt sich, daß obwohl der Verfasser des in Frage stehenden Aufrufs auf Grund des Art. 53 des P.-St.-G.-B. bestraft werden konnte, und auch bestraft worden ist, dessenohngeachtet auch der Redakteur N. für die Strafbarkeit des Aufrufs als Thäter haftbar erscheint, und zwar dieses, da besondere Umstände, welche die Annahme seiner Täterschaft ausschließen würden, nicht festgestellt sind, sowohl auf Grund der Bestimmung des § 20 Abs. 2 des R-Preßges., als auch laut der durch die Instanzgerichte gemachten Feststellung, daß er bei Aufnahme des Aufrufes in sein Blatt in Kenntniß dessen Inhalts und des Mangels der polizeilichen Bewilligung gehandelt hat, auch noch auf Grund der hiedurch ausdrücklich festgestellten Mittäterschaft.

§ 47 des R.-St.-G.-B.
§ 20 Abs. 1 des R.-Preßges.

Das k. Bezirksgericht hat daher, indem es aus den angegebenen Gründen auf Freisprechung des N. N. erkannt hat, die Art. 52 und 53 Abs. 1 des P.-St.-G.-B., dann die §§ 1 und 3 der a. h. Verordnung vom 20. Sept. 1862, endlich den § 20 des R.-Preßges. vom 7. Mai 1874 und dem § 47 des R.-St.-G.-B. durch Nichtanwendung, dann den Art. 324 des St.-P.-G. vom 10. Nov. 1848 durch unrichtige Anwendung verletzt und war demgemäß das betreffende [216] staatsanwaltschaftlich mit der Nichtigkeitsbeschwerde angegriffene Urtheil zu vernichten und in Gemäßheit des Art. 139 des Einf.-Ges. vom 10. Nov. 1861 und Art. 262 das St.-P.-G. vom 10. Nov. 1848 weiter zu erkennen, wie oben geschehen.