Zum Inhalt springen

Oberappellationsgericht München – Gemeindebehörden

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Oberappellationsgericht München
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
Untertitel:
aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1875, Nr. 20, Seite 254–255
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung: Stellung von Gemeindeausschußmitgliedern als Beamte
Die Überschrift wird in der Transkription aus Gründen der Einheitlichkeit weggelassen.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]

[254]

Der oberste Gerichtshof hat mit Erkenntniß vom 20. April 1875 ausgesprochen, daß die Gemeindeausschußmitglieder als Beamte im Sinne des § 359 des Reichs-Strafgesetzbuchs auch in den Fällen anzusehen sind, in welchen sie in eigentlichen Gemeinde-Angelegenheiten thätig werden, daß somit die Bestimmung des § 331 des R.-St.-G.-B. über Bestechung auf die Gemeindeausschußmitglieder auch dann Anwendung zu finden hat, wenn die einschlägige Handlung auf eine eigentliche Gemeindeangelegenheit Bezug hat. Die Motive des oberstrichterlichen Erkenntnisses lauten wie folgt:

Die Gemeindeordnung vom 29. April 1869 hat im Art. 1 den Gemeinden die Rechte öffentlicher Korporationen eingeräumt und in den folgenden Artikeln deren Verfassung und Wirkungskreis näher bestimmt, sowie deren Vertretung in den innern und äußern Angelegenheiten gesetzlich geregelt. Hiedurch ist den Gemeinden im Staatsorganismus eine Stellung zugewiesen, vermöge welcher ihre Behörden den Charakter öffentlicher Aemter an sich tragen, die berufen sind, zur Erreichung des Staatszweckes, welcher die allseitige Förderung der Wohlfahrt der Staatsangehörigen verfolgt, in dem ihnen angewiesenen Wirkungskreise beizutragen.

Das k. Appellationsgericht hat dieses theilweise, nemlich in soferne selbst anerkannt, als den Gemeindebehörden die Ausübung gewißer Staatshoheitsrechte, namentlich die Handhabung der Polizeigewalt etc., vom Gesetze anvertraut ist. Dagegen wurde vom Zweitrichter angenommen, daß den Mitgliedern des Gemeindeausschusses zu H. im vorliegenden Falle die Eigenschaft von mittelbaren Beamten im Sinne des § 359 des R.-St.-G.-B. um deßwillen nicht zugestanden werden könne, weil es sich hier um die käufliche Erwerbung eines Grundstückes für die Gemeinde, somit um einen Akt handle, durch welchen ausschließlich das Interesse der Gemeinde berührt werde, ohne daß hiebei irgend eine staatliche Rücksicht in Frage komme.

Diese Ansicht erscheint indessen nicht gerechtfertigt. Nach § 359 des R.-St.-G.-B., welcher gegenüber der älteren Gesetzgebung den Begriff eines Beamten erweitert hat, kommt die Eigenschaft eines Beamten demjenigen zu, welcher in gesetzlicher Weise berufen ist, als Organ der Staatsgewalt unter öffentlicher Autorität für die Herbeiführung der Zwecke des Staates thätig zu sein. Im mittelbaren Staatsdienste steht derjenige, welcher in [255] der angegebenen Weise seine Thätigkeit nicht dem Staate selbst, sondern einer dem Staate untergeordneten organisch in seine Verfassung eingreifenden Gemeinheit zu widmen hat. Da das Gesetz hiebei in Ansehung der einzelnen Zweige der amtlichen Thätigkeit nicht unterscheidet, so darf auch der Richter keine Unterscheidung treffen, und es erscheint daher unzulässig, die Gemeindeausschußmitglieder je nach Verschiedenheit ihrer öffentlichen Berufsthätigkeit in der einen Richtung als Beamte zu behandeln, in der anderen Richtung aber denselben diese Eigenschaft zu versagen. Was nun insbesondere den Kaufvertrag vom 4. August 1874 betrifft, welche die Gemeindeausschußmitglieder von H. mit F. B. eingegangen haben, so bildet derselbe ein Rechtsgeschäft, welches mit vermögensrechtlichen Verpflichtungen für die Gemeinde verbunden ist. Die Gemeindeordnung hat zwar den Gemeinden die Selbstverwaltung des Vermögens zugestanden, allein hieraus darf nicht gefolgert werden, daß dieselben in vermögensrechtlicher Beziehung nach freiem Ermessen verfahren dürfen; denn einerseits ist ihnen in Art. 133 der G.-O. die Aufgabe gestellt, für Erhaltung des Vermögens, sowie dafür zu sorgen, daß dasselbe zu Gemeindezwecken im öffentlichen Interesse verwendet werde, und anderseits hat der Staat in Art. 136 und 157 a. a. O. das Recht der Oberaufsicht, insbesondere das Recht der Amts- und Kassavisitation, dann die Prüfung der Rechnungen, sowie in Art. 166 und 167 die Ausübung der Disziplinargewalt sich vorbehalten.

Aus all dem ergibt sich, daß die Staatsgewalt an dem geordneten Bestande und der Verwendung des Gemeindehaushaltes zu den hiefür bestimmten Zwecken nicht blos ein im Gesetze begründetes Interesse hat, sondern auch daß die Gemeinden die Vermögensadministration theils unter Aufsicht, theils unter Mitwirkung des Staates, welchem sie vermöge der bestehenden organischen Einrichtungen untergeordnet sind, zu führen haben, und daß demzufolge die mit der Vermögensverwaltung betrauten Mitglieder des Gemeindeausschusses zu H. als mittelbare Beamte des Staates im Sinne des § 359 des R.-St.-G.-B. anzusehen sind.

Wenn nun gleichwohl dieß vom k. Appellationsgerichte negirt und in Folge dessen auf Freisprechung erkannt wurde, so beruht das ergangene Urtheil auf Verletzung der §§ 331 und 359 des R.-St.-G.-B., weßhalb dasselbe vernichtet werden mußte.