Oberappellationsgericht München – Falscher Arzt
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Durch Urtheil des k. Stadt- und Landgerichts Kempten vom 3. März d. Js. ist W. L. einer Uebertretung des §. 147 Z. 3 der Reichsgewerbeordnung vom 21. Juni 1869 und einer Uebertretung des § 367 Ziff. 3 des RStG. für schuldig erklärt, wegen ersterer in eine Geldstrafe von 50 Thlr. und eventuell in 10tägige Haft, wegen letzterer in 8tägige Haft, dann in die Kosten verurtheilt worden.
Die von ihm hiegegen eingewendete Berufung hat das k. Bezirksgericht Kempten durch Urtheil vom 21. April d. Js. verworfen und den Appellanten in die Kosten II. Instanz verfällt.
Gegen diesen Ausspruch meldete der Beschuldigte am 22. April [470] auf der bezirksgerichtlichen Kanzlei die Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Bemerken an, daß dieselbe der k. Advokat K. von Kempten ausführen werde.
In der von Letzterem am 3. pr. 5. Mai d. Js. überreichten Denkschrift wird unrichtige Gesetzesanwendung als Beschwerdegrund bezeichnet, indem auf Grund der thatsächlich festgestellten Momente von dem k. Bezirksgerichte mit Unrecht angenommen worden sei, daß der Beschuldigte sich als Arzt bezeichnet oder einen ähnlichen Titel sich beigelegt und Arzneimittel an Andere verabreicht habe. Mittels einer späteren, am 17. Mai d. Js. auf der Kanzlei des k. Bezirksgerichts Kempten abgegebenen Erklärung nahm jedoch W. L. die angemeldete Beschwerde bezüglich seiner Verurtheilung wegen Uebertretung von § 367 Z. 3 des RStGB. zurück.
Durch Erkenntniß des obersten Gerichtshofes vom 3. Juni 1873 wurde die von W. L. gegen das Urtheil des k. Bezirksgerichtes Kempten vom 21. April 1873 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verworfen und zwar aus folgenden Gründen:
Im Zusammenhange mit § 29 Abs. I der in Bayern durch das Reichsgesetz vom 12. Juni 1872 (Beil. V zum bayer. Ges.-Bl. f. 1871/72) eingeführten Gewerbeordnung für den norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869, wonach diejenigen Personen, welche sich als Aerzte (Wundärzte, Augenärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Thierärzte) oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen, einer Approbation bedürfen, droht § 147 Z. 3 dess. Gewerbeges. Geldstrafe von 100 Thlr. und im Unvermögensfalle Haft Jedem an, der ohne Approbation sich als Arzt (Wundarzt, Augenarzt, Geburtshelfer, Zahnarzt, Thierarzt) bezeichnet oder sich einen ähnlichen Titel beilegt, durch den der Glauben erweckt wird, der Inhaber desselben sei eine geprüfte Medicinalperson.
Der Grund dieser Strafbestimmung ist unverkennbar darin zu finden, daß das Publikum, indem es einerseits gemäß § 29 cit. von der Beschränkung seiner Wahl auf geprüfte Aerzte befreit sein soll, anderseits doch in der Freiheit dieser Wahl nicht gefährlicherweise dadurch beirrt werde, daß ungeprüfte Heilkünstler sich die Prädikate geprüfter Medizinalpersonen anmassen und hiedurch die Hilfesuchenden gegen deren Wissen und Willen veranlassen, Gesundheit und Leben solchen Nichtärzten anzuvertrauen.
Daß nun die tatsächlichen Feststellungen des k. Bezirksgerichts Kempten eine Verfehlung des W. L. gegen die Bestimmung in § 147 Z. 3 der G. O. erkennen lassen, wird in der für denselben eingekommenen Denkschrift vergebens bestritten.
Denn, wie die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urtheils vom 21. April l. J. konstatiren, betreibt W. L. ohne in irgend [471] einer Hinsicht zu den geprüften Medizinalpersonen zu zählen, in Kempten und Umgegend gewerbsmäßig die ärztliche Praxis und zwar indem er sich als Arzt oder Naturarzt bezeichnet und den Glauben zu erwecken sucht, er sei bereits als Unterarzt in einem Spitale beschäftigt gewesen. Wenn dieser Feststellung gegenüber die Denkschrift für die Bezeichnung als „Naturarzt“ die Bedeutung in Anspruch nimmt, als läge in diesem Ausdrucke der Gegensatz gegen eine medizinisch gebildete und approbirte Medizinalperson, so ist dieß in keiner Weise zutreffend, indem obige Bezeichnung zunächst und an sich nicht eine Besonderheit bezüglich der Bildungsstufe und Berechtigung des ärztlichen Individuums, sondern in Ansehung der Heilmethode zu erkennen gibt und erfahrungsgemäß die Naturheilmethode in der That auch von geprüften Aerzten in Anwendung gebracht wird. In diesem letztern Sinne, nämlich im Sinne der Beilegung der Eigenschaft als berechtigter „Arzt“ den von W. L. gebrauchten Titel „Naturarzt“ aufzufassen, war der Thatrichter um so mehr berechtigt, als derselbe bezüglich der Absicht des Beschuldigten, als geprüften Arzt sich hiedurch zu bezeichnen, auch noch dessen fälschliche Berufung auf eine mehrjährige ärztliche Spitalpraxis in Erwägung zog und es ergibt sich daraus, daß W. L. sich als Arzt bezeichnet oder doch einen ähnlichen Titel sich beigelegt hat, der gemäß der Feststellung des k. Bezirksgerichts Kempten nicht nur geeignet, sondern auch darauf berechnet war, den Inhaber als geprüfte Medizinalperson erscheinen zu lassen, womit alle Merkmale des Thatbestandes einer Uebertretung im Sinne des mehrallegirten § 147 Z. 3 gegeben sind.
In gleicher Weise verhält es sich mit dem von W. L. bei Krankenbesuchen gebrauchten Doktortitel. Auch dieser ist geeignet, die damit bekleidete Person als einen berechtigten Arzt einzuführen, indem zwar zur Zeit, wie aus § 29 Abs. I i. f. a. a. O. erhellt, die akademische Doktorpromotion nicht mehr als Vorbedingung der Approbation des Arztes gilt, immerhin aber ein auf dem ältern Medizinalwesen beruhender allgemeiner Gebrauch aus dem fraglichen Titel die gewöhnliche Form der Anrede gegenüber wirklichen Aerzten schöpft. Demnach kann es auch hier wieder keinem Zweifel unterliegen, daß der Beschuldigte, wenn er nicht nur diesen Titel sich beilegte, sondern auch, wie die Entscheidungsgründe des Thatrichters weiter feststellen, hiemit die Absicht verband, für eine geprüfte Medizinalperson gehalten zu werden, sich gegen die in Frage stehende Strafbestimmung verfehlt hat. Die Denkschrift will zwar in diesem Punkte geltend machen, daß die erwähnten Entscheidungsgründe nichts weiter feststellen, als daß etc. L. die Titulatur als „Doktor“ geduldet habe.[472]
Da jedoch an der einschlägigen Stelle der Motive von dem k. Bezirksgerichte als eine stadtkundige Thatsache bezeichnet wird, daß Beschuldigter die Bezeichnung „Doktor L.“ nicht nur genießt, sondern auch selbst gebraucht, so ist hienach die dort weiter angereihte Ausführung über die Bedeutung einer rein passiven Empfangnahme dieses Titels seitens eines Unberechtigten eben nur als eine von jener Feststellung unabhängige Erörterung dieses letzteren Verhältnisses zu betrachten, auf deren Richtigkeit im gegebenen Falle Angesichts jener thatsächlichen Annahme nichts mehr ankommen kann.
Aus diesen Gründen war daher die erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen und unter Anwendung von Art. 274 des StPG. vom 10. Nov. 1848 und 135 des Einf. Ges. v. 10. Nov. 1861, wie geschehen, zu erkennen.