Oberappellationsgericht München – Erhöhung der Brotpreise
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Der oberste Gerichtshof des Königreichs erkannte am 16. September 1876 in Sachen des Bäckers N. und Genossen von Sch. wegen unterlassener Anzeige der Erhöhung des Brodpreises zu Recht:
- Das Urtheil des k. Bezirksgerichts A. vom 26. Juli 1876 wird vernichtet, die Sache zur wiederholten Verhandlung und Entscheidung an einen andern Senat dieses Gerichtes verwiesen und der Eintrag des gegenwärtigen Erkenntnisses in das bezirksgerichtliche Urtheilsbuch verordnet.
Der Bäckermeister N. und Genossen zu Sch. haben, ohne vorher der Ortspolizeibehörde eine Anzeige gemacht oder deren Bewilligung nachgesucht zu haben, in Nr. 16 des Sch. Wochenblattes vom 15. April 1876 veröffentlicht, daß in Folge der Umwandlung süddeutscher Münze in Reichswährung die Bäcker genannter Stadt sich dahin geeinigt haben, die Brodpreise vom 23. April angefangen in folgender Weise festzusetzen, daß
1 Kreuzersemmel 3 Pfg. 1 Groschenwecken 10 Pfg. 1 Sechser-Wecken 20 Pfg. 1 Zwölfer-Wecken 40 Pfg.
u. s. w. kosten werde. [290]
Unter der Beschuldigung, die ihnen vorgängig der hierin zu erblickenden Preiserhöhung nach Art. 143 Z. 2 des b. P.St.G.B. und der hiezu ergangenen ortspolizeilichen Vorschrift obgelegene Anzeige bei der Polizeibehörde unterlassen zu haben, vor Gericht gestellt, sind sämmtliche Beschuldigte mit Urtheil des k. Landgerichts Sch. vom 7. Juni 1876 unter Belastung des k. Aerars mit den Kosten freigesprochen worden.
Die von dem Vertreter der Staatsanwaltschaft gegen das landgerichtliche Urtheil erhobene Berufung hat das k. Bezirksgericht A. durch Urtheil vom 26. Juli 1876 unter Ueberbürdung der Kosten auf die k. Staatskasse verworfen.
Gegen diese Entscheidung hat der k. Staatsanwalt am genannten Bezirksgerichte noch am nemlichen Tage (26. Juli) die Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet, weil die genannten Gewerbtreibenden von der gegen sie erhobenen Anschuldigung freigesprochen worden sind, während sie in Anwendung des § 144 Abs. I der deutsch. Gew. O. sowie des Art. 143 Abs. II. der b. P.St.G.B. und der hiezu erlassenen ortspolizeilichen Vorschrift des Stadtmagistrates Sch. den Bestimmungen des letzterwähnten Artikels entsprechend hätten verurtheilt werden sollen.
Die nach Art. 245 Abs. I. des St.P.G. v. 10. Nov. 1848 auf den von dem Staatsanwälte am k. Bezirksgerichte A. geltend gemachten Beschwerdepunkt beschränkte Prüfung der Sache hat Nachstehendes ergeben.
Während § 72 der in Bayern durch Reichsgesetz vom 13. Juni 1872 eingeführten Gewerbeordnung für den norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 den Grundsatz der Ausschließung polizeilicher Taxen auf gewerblichem Gebiete enthält, können gleichwohl nach dem folgenden § 73 a. a. O. die Bäcker und die Verkäufer von Backwaaren durch die Ortspolizeibehörde angehalten werden, die Preise und das Gewicht ihrer verschiedenen Backwaaren für gewisse von derselben zu bestimmende Zeiträume durch einen von außen sichtbaren Anschlag am Verkaufslokale zur Kenntniß zu bringen.
Durch die Gewerbeordnung selbst wird nur die Ueberschreitung der in solcher Weise von dem betreffenden Gewerbtreibenden bekanntgegebenen und für den von der Ortspolizeibehörde bestimmten Zeitraum maßgebenden Preisanschläge in § 148 Ziff. 8 unter Strafe gestellt, denn diese Preisbestimmungen müssen, wie die dem Titel V, worin die Bestimmungen von § 72–80 der Gew. O. enthalten sind, gegebene Ueberschrift „Taxen“ annehmen läßt, als „genehmigte Taxen“ im Sinne von § 148 Ziff. 8 ib. betrachtet werden.
Nicht mit Strafe bedroht erscheint hiegegen die Unterlassung des Anschlages, sowie die zweifellos gleichfalls aus § 73 Abs. I [291] für die betreffenden Gewerbtreibenden folgende Verpflichtung, während des Zeitraumes, für welchen die Preisanschläge derselben von der Ortspolizeibehörde in der durch Abs. II § 73 der Gew. O. angeordneten Weise durch polizeiliche Stempelung bekräftigt worden sind, keine Aenderung daran vorzunehmen, beziehungsweise zu einer Erhöhung derselben – (die nach § 78 a. a. O. in keinem Falle vor Ablauf jenes Zeitraumes ohne obrigkeitliche Kognition statthaft sein könnte) die polizeiliche Stempelung zu erwirken.
Sowie nun der Art. 143 Ziff. 1 des P.St.G.B. im Zusammenhalte mit § 144 d. Gew.O. geeignet erscheint, die Strafbarkeit der ersten obiger Berufspflichten der betreffenden Gewerbtreibenden zu sichern, dient in der andern Richtung dem gleichen Zwecke die in der zweiten Alternative des Art. 143 Ziff. 2 des P.St.G.B. enthaltene Bestimmung, daß Bäcker etc. an Geld bis zu 20 Thl. bestraft werden, wenn sie gegen ortspolizeiliche Vorschrift eine Erhöhung ihrer Preise eintreten lassen, ohne wenigstens 3 Tage vorher der Ortspolizeibehörde davon Anzeige gemacht oder deren Bewilligung zur früheren Aenderung ihrer Preise erlangt zu haben.
Hiegegen läßt sich nicht einwenden, daß in dieser Bestimmung und in der auf Grund derselben erlassenen ortspolizeilichen Vorschrift des Stadtmagistrates Sch. ein bestimmter Zeitraum für die Anschläge der dortigen Bäcker nicht vorgesehen worden sei; denn es hieße in der That die Bestimmung in § 73 Abs. I der Gew.-O. einer ihrem Geiste zuwiderlaufenden Beschränkung unterwerfen, wenn angenommen werden wollte, daß der Polizeibehörde in Ansehung der von ihr zu bestimmenden Zeiträume die Hände in der Art gebunden werden sollten, daß sie nicht anstatt der Anordnung bestimmter Zeitabschnitte von beliebiger Dauer, in welcher Hinsicht der § 73 cit. die Polizeibehörde in keiner Hinsicht beengt, berechtigt wäre, zu bestimmen, daß die Aenderung des von der Polizeibehörde angeordneten Anschlages der Preise 3 Tage vorher anzuzeigen sei, wonach in der That der kürzeste Zeitraum, für welchen der Anschlag bindend bleibt, nur 3 Tage beträgt, eine Vorschrift, welche unverkennbar nicht eine Verschärfung sondern geradezu eine Milderung im Verhältnisse zu der allerdings von § 73 cit. wohl zunächst ins Auge gefaßten Zeitbestimmung nach einzelnen kürzeren oder längeren Perioden enthält.
Mit Unrecht haben demnach die Vorinstanzen angenommen, daß der mehrerwähnte § 73 der Gew.-O. zu den fraglichen Bestimmungen des P.St.G.B. und der ortspolizeilichen Vorschrift des Stadtmagistrates Sch. in einem dieselben ausschließenden Verhältnisse stehe, da vielmehr dem Erörterten zufolge die Verpflichtung, deren Verletzung durch die Vorschrift in Art. 143, Z. 2, zweiter [292] Alternative des P.St.G.B. unter Strafe gestellt ist, und welche durch die ortspolizeiliche Vorschrift vom 6. Nov. 1872 und beziehungsweise 6. Februar 1873 für die Bäcker der Stadt Sch. als verbindlich erklärt worden ist, mit der in § 73 Abs. I der D. Gew.-O. den Gewerbtreibenden dieser Kategorie auferlegten Verpflichtung im wesentlichen zusammentrifft, und nach § 144 am letztangeführten Orte auch noch unter der Herrschaft dieser Gewerbeordnung der Bestrafung nach dem Landesgesetze unterliegt, haben nun nach den Feststellungen der Instanzgerichte und insbesondere nach jener, welche der bezirksgerichtlichen Entscheidung vom 26. Juli 1876 zu Grunde gelegt ist, die Beschuldigten bei Umrechnung der von ihnen nach ortspolizeilicher Vorschrift an oder in ihren Geschäftslokalen anzuschlagenden Preise in die Reichswährung eine Erhöhung der Preise in der bereits Eingangs geschilderten Weise vorgenommen, ohne hiefür nach ortspolizeilicher Vorschrift die Bewilligung der Ortspolizeibehörde nachgesucht zu haben, und ohne daß sie vorher dem Stadtmagistrate irgend eine Anzeige über die bevorstehende Preiserhöhung gemacht haben, so fiel diese ihre Unterlassung unter die Strafbestimmung des Art. 143 Zif. 2 des P.St.G.B. und hat das k. Bezirksgericht, indem es dieses Strafgesetz mit der öftererwähnten ortspolizeilichen Vorschrift nicht in Anwendung brachte, durch diese Nichtanwendung das Gesetz verletzt, wonach das bezirksgerichtliche Urtheil zu vernichten und nach Art. 139 des Einf.-Ges. u. 10. Nov. 1861 so, wie geschehen, zu erkennen war.