Oberappellationsgericht München – Badergewerbe
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J. S., approbirter Bader von I., hat als solcher den Bauern K. M. von T. um Allerheiligen 1874 auf Verlangen in ärztliche Behandlung übernommen und ein halbes Jahr lang demselben verschiedene Heildienste geleistet.
Am 8. Dezember 1874 hat J. S. bei dem Bürgermeister-Amte in I. sein Badergewerbe abgemeldet und am 30. Januar 1875 daselbst den Fortbetrieb seines Badergewerbes wieder angemeldet.
In der Zwischenzeit, Anfangs Januar 1875, hat J. S. gleichwohl an K. M. eine Heilfunktion mittels Setzens von Blutegeln vorgenommen.
Nach § 14 der R.-G.-O. muß derjenige, welcher den selbstständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes anfängt, der für den Ort des Gewerbsbetriebes nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde Anzeige machen, als welche Behörde sich gemäß § 1 Abs. 1 der bayr. Vollzugs-Verordnung vom 4. Dezember 1872 (Reggsbl. S. 2657) die Gemeindebehörde darstellt, und nach § 148 Ziff. 1 R.-G.-O. wird derjenige, welcher diese Anzeige unterläßt, mit Geld bis zu 50 Thalern eventuell mit Haft bis zu 4 Wochen bestraft.
Unter der Annahme nun, daß J. S. durch das erwähnte Setzen von Blutegeln das Badergewerbe ausgeübt beziehungsweise wieder begonnen habe, bevor er die vorschriftmäßige Anzeige des Wiederbeginnes bei seiner Gemeindebehörde gemacht hatte, wurde S. wegen unberechtigter Gewerbsausübung auf Grund des §. 148 Ziff. 1 R.-G.-O. mittels Urtheils des k. Landgerichts H. vom 29. Mai 1875 zu einer Geldstrafe von 2 Thalern und zufolge staatsanwaltschaftlicher Berufung durch Urtheil des k. Bezirksgerichts W. vom 7. Juli 1875 zu einer Geldstrafe von 5 Thalern eventuell einer 5tägigen Haftstrafe verurtheilt.
Gegen das bezirksgerichtliche Urtheil hat S. unterm 9. Juli 1875 die Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet.
Die nach Art der Beschwerdeanmeldung veranlaßte allgemeine Prüfung der Sache hat ergeben, daß das Gesetz auf die von den Instanzgerichten festgestellten Thatsachen richtig angewendet worden ist. [659]
Der Art. 112 des bayr. Pol.-St.-G.-B. von 1861 hat noch jede Ausübung der Heilkunde durch unberechtigte Personen als medizinische Pfuscherei bestraft.
Durch Verordnung vom 29. Januar 1865, die Ausübung der Heilkunde betreffend, (Reggsbl. S. 137) wurden die Voraussetzungen für die Ausübungsberechtigung sowohl in Bezug auf die Aerzte als auf das unterärztliche Personal (Chirurgen und Bader) festgesetzt.
Schon das bayr. Gewerbsgesetz vom 30. Januar 1868 hat jedoch die Ausübung der Heilkunde nicht mehr unter das concessionspflichtige Medizinalgewerbe aufgenommen, und das Pol.-St.-G.-B. von 1871 enthält daher keine Strafbestimmung über unberechtigte Ausübung der Heilkunde mehr, sondern im Art. 127 lediglich eine Strafandrohung gegen denjenigen, welcher ohne hiezu approbirt zu sein, sich als Arzt, Wundarzt, Landarzt, Chirurg, Augenarzt, Geburtshelfer, Zahnarzt, Bader, Thierarzt bezeichnet oder sich einen ähnlichen Titel beilegt, durch den der Glaube erweckt wird, der Inhaber desselben sei eine geprüfte Medizinalperson.
Der § 6 der Reichsgewerbeordnung vom 21. Juni 1869, welche vermöge des Reichseinführungsgesetzes vom 12. Juni 1872 in Bayern am 1. Juli 1872 beziehgsw. 1. Januar 1873 in Kraft trat, bestimmt, daß die Reichsgewerbeordnung auf die Ausübung der Heilkunde (vorbehaltlich der Bestimmungen in den §§. 29, 30, 53, 80 und 144) keine Anwendung finde.
Von diesen Vorbehalten betrifft keiner das sogenannte Baderei-Gewerbe oder die Ausübung des niederen Heildienstes, es spricht insbesondere § 29 nur von der Approbation, deren Personen bedürfen, welche sich als Aerzte (Wundärzte, Augenärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Thierärzte) oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen oder öffentlich als solche anerkannt werden sollen, und belegt auch § 147 nur Personen mit Strafe, welche sich ärztliche Titel vorerwähnter Art ohne Approbation beilegen, durch die der Glaube erweckt wird, der Inhaber sei eine geprüfte Medizinalperson.
Aus Anlaß der Einführung der Reichsgewerbeordnung hat die bayr. Staatsregierung die Verordnung vom 29. Januar 1865 einer Revision unterstellt und in einer allerhöchsten Verordnung vom 11. August 1873 (Reggsbl. S. 1314) die Ausübung der Heilkunde betreffend, in Ansehung des niederärztlichen Personals § 2 Vorschriften gegeben, nach welchen sich die Berechtigung zur Führung des Titels eines Landarztes, Chirurgen, magister chirurgiae, Baders oder Gesundheitsbeamten bemesse, und hat in Ansehung der Bader in Ziff. 5 die Baderordnungen vom 21. Juni [660] 1843, 15. März 1866 und 25. Juni 1868, je nach denen ein Bader gebildet und approbirt wurde, als maßgebend bezeichnet.
Aus diesem Stande der Gesetzgebung ergibt sich, daß zwar auch die niedere Heilkunde, worunter das Badergewerbe fällt, sowohl nach den Bestimmungen der Reichs-Gewerbe-Ordnung als nach dem bayr. Pol.-St.-G.-B. von 1871 freigegeben erscheint, daß aber gleichwohl bezüglich des niederärztlichen Personals der Art. 127 des Pol.-St.-G.-B. über Approbation und Titelbeilegung neben der R.-G.-O. noch in Wirksamkeit besteht, weil diese Bestimmung mit dem Prinzipe der R.-G-O. nicht nur nicht in Widerspruch tritt, sondern vielmehr bezüglich dieses Personals die analoge Anordnung beziehungsweise Strafdrohung wie die §§ 29 und 147 Ziff. 3 R.-G.-O. hinsichtlich des höheren ärztlichen Personales trifft, so daß derjenige, welcher gewerbsmäßig, jedoch ohne sich den Titel eines Baders oder einer gleichbedeutenden geprüften Medicinalperson beizulegen, niederärztliche Heildienste leistet, nur den allgemeinen Verpflichtungen der Gewerbtreibenden nach der R.-G.-O. unterworfen ist, gleich dem ausübenden geprüften oder approbirten Bader, – derjenige dagegen, welcher gewerbsmäßig solche Heildienste unter Beilegung eines den Glauben an seinen medizinalen Charakter erweckenden Titels leistet, ohne im Besitze einer Approbation zu sein, der Strafbestimmung des Art. 127 Pol.-St.-G.-B. verfällt.
In vorliegendem Falle ist nun von dem Mangel des medizinalen Charakters in der Person des Angeschuldigten und einer Strafbarkeit wegen unbefugter Titelanmassung ohnehin keine Rede, sondern nur von der Anwendbarkeit der Strafbestimmung § 148 Ziff. 1 der R-G.-O. wegen Unterlassung der allgemeinen Anzeigepflicht der Gewerbetreibenden über den selbstständigen Betriebsbeginn eines stehenden Gewerbes nach § 14 R.-G.-O.
Zweifellos zählt das Badergewerbe zu den stehenden – nicht im Umherziehen betriebenen – Gewerben im Sinne des § 14 R.-G.-O. und ebenso zweifellos zählt der Heildienst des Blutegelsetzens unter die niederärztlichen Funktionen, welche nach Maßgabe aller in der Verordnung vom 11. August 1873 angezogenen Bader-Ordnungen in die Befugnisse des Badergewerbes fallen. Gleichwohl aber vermöchte aus der im bezirksgerichtlichen Urtheile allein festgestellten Thatsache,
- daß der Beschuldigte Anfangs Januar 1875 dem Bauern M. Blutegel gesetzt habe,
der vom k. Bezirksgerichte gezogene Schluß, daß hiemit von dem Beschuldigten das am 8. Dezember 1874 von ihm abgemeldete Bader-Gewerbe wieder begonnen d. h. zu fortgesetztem Betriebe wieder aufgenommen worden sei, nicht gerechtfertigt zu [661] werden, indem ja dem Beschuldigten eine derartige Heildienstleistung auch abgesehen von seiner persönlichen professionellen Eigenschaft freigestanden wäre und nicht nothwendig auf seiner Absicht fernerer gewerbsmäßiger Heildienstausübung beruhen mußte.
Gleichwohl aber läßt sich die Rechtfertigung des zweitrichterlichen Schlusses und die hierauf gegründete Anwendung der Strafbestimmung § 148 Ziff. 1 R.-G.-O. mit Heranziehung der thatsächlichen Feststellung des in diesem Belange bestätigten erstrichterlichen Urtheils in zureichender Weise finden.
Nach letzterem Urtheile steht fest, daß der Beschuldigte den Bauern M. zu einer Zeit in ärztliche Behandlung übernahm, als er die Ausübung seines Badergewerbes noch nicht bei der Gemeinde-Behörde abgemeldet hatte (vor dem 8. Dezember 1874), dann daß er die Behandlung dieses Patienten bis über den Zeitpunkt (30. Januar 1875) hinaus fortsetzte, als er den Wiederbeginn seines Badergewerbes neuerdings bei der Gemeindebehörde anmeldete; fällt nun auch die fragliche Heilverrichtung (Anfangs Januar 1875) in die Zwischenzeit hinein, in welcher der Gewerbebetrieb des Beschuldigten abgemeldet war, so konnte doch diese einzelne Heilverrichtung als ein Bestandtheil eines in gewerbsmäßiger Form begonnenen und in gleicher Weise geschlossenen Heilverfahrens den Charakter der Gewerbsmäßigkeit des Gesammtverfahrens nicht momentan von sich abstreifen, sondern stellt sich vermöge ihrer nicht unterbrochenen Verbindung mit dem Ganzen als eine Fortsetzung gewerbsmäßiger Ausübung des Baderdienstes, somit als Wiederbeginn des abgemeldeten Gewerbsbetriebes dar, womit die gleichzeitige Wiederanmeldung desselben bei der Gemeinde-Behörde gemäß § 14 der R.-G.-O. hätte erfolgen sollen.