Oberappellationsgericht München – Arzt ohne Zulassung 2
[407]
Wer, ohne approbirter Arzt zu sein, bei öffentlicher Anerbietung seiner Dienste zu Heilzwecken sich als „Doctor medicinae“ oder als „Spezialist“ für bestimmte Krankheitsformen bezeichnet, ist strafbar, er mag den akademischen Doktorgrad wirklich erlangt haben oder nicht.
Karl Christoph Müller hat sich in fünf oberfränkischen Zeitungsblättern unter dem Titel „Doctor medicinae, Spezialist für Unterleibsbruch, Muttervorfall und chronische Leiden“, den Kranken öffentlich zum Rathe auf bestimmte Tage seiner angekündigten Durchreise empfohlen und wurde deshalb vom k. Appellationsgerichte in Bamberg mittels Erkenntnisses vom 17. Februar 1875 wegen fortgesetzten Vergehens gegen die Reichsgewerbeordnung § 147 Ziff. 3 in die nächste Sitzung des Schwurgerichts von Oberfranken verwiesen, unter der vorläufigen Feststellung, daß er sich durch die vorbezeichneten Ankündigungen, ohne von einer zuständigen Behörde approbirt zu sein, einen ärztlichen Titel beigelegt habe, durch welchen der Glaube erweckt werden sollte, als sei er eine geprüfte Medizinalperson, und daß er die bezeichneten fünf Handlungen als Ausfluß eines und desselben auf diesen Zweck gerichteten Entschlusses verübt habe.
Gegen dieses Verweisungserkenntniß hat K. Ch. Müller rechtzeitig die Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet und die §§ 29 und 147 Ziff. 3 der Reichsgewerbeordnung sowie folgeweise den Art. 56 Ziff. 2 des Einf.-Vollz.-Gesetzes vom 26. Dezember 1871 als verletzt bezeichnet, indem ihm der Titel „Doctor“ vermöge eines Diploms der Universität in Philadelphia zukomme und er sich als „Arzt“ oder mit einem ähnlichen Titel nirgends im Publikum eingeführt habe.
Diese Beschwerde wurde jedoch durch Erkenntniß des obersten Gerichtshofes vom 16. April 1875 – U. B. Nr. 166 – aus den nachstehenden Motiven verworfen:
Abgesehen von der Frage, ob K. Ch. Müller den akademischen Grad eines Doctor medicinae an der Universität Philadelphia wirklich erworben habe und ob diese Erwerbung auf solchen Voraussetzungen wissenschaftlicher Befähigung des Erwerbers beruhe, welche auch nach den akademischen Anforderungen in Deutschland Anspruch auf Anerkennung des Doktorgrades begründen könnten, so liegt selbst in einer an sich berechtigten Führung des medizinischen Doktortitels, wenn mit dessen Gebrauch von dem Inhaber [408] eine öffentliche Anbietung von Diensten zu Heilzwecken, wie vorliegenden Falles zur Heilung von Unterleibsbrüchen, Muttervorfällen etc. verbunden wird, um so zuverlässiger die Beilegung eines ärztlichen Titels im Sinne des § 29 der Reichsgewerbeordnung, als ungeachtet der zur Approbation des Arztes nicht mehr erforderlichen Doktorpromotion gleichwohl im Publikum zufolge der bisherigen Gewohnheit gerade durch den Titel Doctor medicinae noch allenthalben der Glaube an die approbirte ärztliche Eigenschaft des Inhabers erweckt wird.
Beschwerdeführer K. Ch. Müller hat es aber, ohne als Arzt approbirt zu sein, nicht nur nicht bei der Bezeichnung seiner Person als Doctor medicinae bewenden lassen, sondern sich noch überdies als Spezialist für die Krankheitsformen „Unterleibsbrüche, Muttervorfälle und chronische Leiden“ bezeichnet, was der Beilegung des Titels eines „Arztes“ vollkommen gleichkommt, wie das Gesetz dadurch klar zu erkennen gibt, daß es neben der allgemeinen die ganze Heilkunde umfassenden Bezeichnung „Arzt“ auch besondere auf den Betrieb einzelner Heilzweige beschränkte Bezeichnungen (wie Wundarzt, Augenarzt, Zahnarzt) als gleichbedeutend aufgeführt hat.
Demgemäß erscheint durch die in dem angefochtenen Urtheile enthaltene tatsächliche Unterstellung der Thatbestand der Zuwiderhandlung des Beschwerdeführers gegen § 147 Ziff. 3 in Verbindung mit § 29 der Reichsgewerbeordnung hinlänglich erschöpft.
- Sammlung von Entscheidungen des obersten Gerichtshofes in Gegenständen des Strafrechtes. Band V. S. 135.