Ob Malerei oder Tonkunst eine größere Wirkung gewähre? Ein Göttergespräch
III.
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Ein Göttergespräch.
[135] Die Musen wußten nicht immer, wovon sie sprechen sollten und so kamen sie auf Streit über ihre gegenseitigen Vorzüge und auf den Werth ihrer Künste. Einsmals gabs eine dergleichen Confabulationen zwischen der Muse der Malerey und Tonkunst, von der ich durch geheime Nachrichten ein Wörtchen vernommen habe und die ich wieder erzählen will, weil Vater Apollo dabey das Präsidium führte. Der alte Jüngling saß unter seinem geliebten Lorbeerbaum und hatte die jüngste und liebste seiner Töchter, die Poesie, im Schooße. Ihre beyde ältern Schwestern saßen zur Rechten und Linken vor ihr und stritten über die Frage: welche von ihren Künsten, ob Malerey oder Tonkunst die meiste Wirkung auf menschliche Seelen habe?
Ohne Zweifel die Meine, sagte die Muse der Malerey, denn das Reich meiner Wirkung [136] ist so weit und umfassend als Himmel und Erde. Alle Gegenstände der Welt sind mein. Ich kan die Seele mit dem Blitz des Himmels schrecken, und mit den schönsten Aussichten der Erde aufheitern. Ich erschüttre sie mit drohenden Felsklippen und erweitere sie durch den Blick des unendlichen Meeres. Alle Leidenschaften stelle ich dar: ich bilde sie in sprechenden Gestalten, ich grabe ihren Ausdruck in die Seele – giebts eine weitere größere Wirkung?
Obs eine weitere und umfassendere gebe? weiß ich nicht, antwortete die Tonkunst, aber, daß es eine tiefere, innigere, stärkere gebe, davon, glaube ich, ist meine Kunst Probe. Du hast ein großes Reich, Schwester, aber in dem großen Reich wenige Kraft, denn du bist überall nur über die Oberflächen der Dinge verbreitet. Viel Gegenstände hast du, das ist unläugbar; du kanst aber von allen nichts als die äussere Ansicht, die Gestalt des Spiegels geben. Auch von den tiefsten, unergründlichsten Gegenständen giebst du nicht mehr, und wirkest also mit sehr vielen Materialien [137] nur sehr wenig. Ich hingegen (erlaube, daß ich mich meiner Armuth rühme und über meinen Mangel stolz bin) ich mit meinen sieben armen unscheinbaren Tönen, die nirgend pralen, die allenthalben nur stille verborgen liegen, mit ihnen bewege ich jedes fühlbare Herz; ja mit ihnen bauete und erhalte ich die Welt. Auf den Klang meiner Leier ordneten sich alle Dinge, auch deine schönsten Gestalten: nur das Verhältniß meiner Töne machte sie zu dem, was sie sind, und wodurch sie wirken. Ich gebe also mit wenigem viel; durch einige unsichtbare Wellen umringe ich das Herz unmittelbar, dringe zu ihm und reisse es fort: denn alle Saiten der Empfindungen sind meine Saiten; auf ihnen spiele ich, nicht auf diesen erzitternden Fäden des armen Instrumentes. Siehest du, daß unser Vater Apollo den Pinsel führe? aber die Citter führt er, denn Musik ist die Kunst aller Künste –
Der Vater Apollo wollte, daß sie ihn aus dem Streit ließen: denn, sagte er, ihr seyd beyde meine Töchter, und ich führe ausser der Citter ja [138] auch die Sannenpfeile, in denen alle Stralen der Farben und Schönheit liegen. Also, meine Tochter Malerey, vertheidige dich besser; jetzt scheinest du noch überwunden. Von Wirkung, nicht vom Umfange der Kunst, war die Rede.
Die Malerey that also den zweyten Lauf. Eben meine Wirkung, Vater, ist über allen Widerspruch die reinste und klärste, die erhabenste und daurendste Wirkung. Meine Schwester hatte Ursach zu sagen, daß ihre Töne unscheinbar, d. i. dunkel in einander liegen: sie und ihre Wirkung sind allerdings sehr dunkel. Kann jemand wohl, was Töne sagen wollen, sagen? reden sie nicht die verworrenste Sprache von Halbempfindungen, die sich unsrer Seele immer zu nähern scheinen und sie nie fassen; die immer wie Sand oder Wellen des Meers uns umspühlen, uns umrauschen und nie ihre Wirkung in uns nur halb vollenden. Vorüber sind sie, wie der Bach, wie das Lüftchen und wo ist nun ihr Bild? wo ihre Stimme und Sprache? Ich hingegen darfs rühmend wiederhohlen, mache die bestimmteste, klärste, [139] daurendste Wirkung. Meine Formen sind auf eine reine Weise da; man weiß doch und behält, was man an mir siehet. Man behälts nicht bloß im Gedächtniß, sondern im Blick, vor den Augen der Phantasie und der spätesten Erinnerung. Ich schreibe und zeichne mit dem Sonnenstral; meine Wirkung ist auch wie das Licht der Sonne ewig. Hat jemand Eine der himmlischen Erscheinungen Raphaels und seiner Gesellen auch nur wenige Augenblicke gesehen; die Formen die Gestalten bleiben in ihm. Er ist in unserm Himmel gewesen, hat Göttinnen und Götter erblickt, hat das Ambrosia ihrer Lippen, den Duft ihres Schleiers, den Glanz ihres Antlitzes genossen und gekostet; die Bilder, die Eindrücke und Gedanken vergehen ihm nie! – Dahingegen du arme, auf drey Saiten umherirrende Muse – –
Meine Schwester, fiel die bescheidene Tonkunst ein und that einige linde Griffe auf ihrem Saitenspiel, meine Schwester malt wieder reich, statt daß sie (wovon hier die Rede war) tief und bewegend ihre Wirkung andeuten sollte. Niemand [140] läugnet dir, daß Linie, Linie, und Farbe, Farbe sey, daß man sie mit Augen sehen und wenn man Zeit hat, sie so lang sehen könne, als man will; aber sehen ist keine Rührung, das klärste und daurendste Erkennen ist noch keine Empfindung: vielmehr ist bekannt, daß jenes diese immer in einem gewissen Grad hindre: denn eben die Kälte, mit der man betrachtet, macht klaren Begriff. Du schreibst mit dem Sonnenstrahl, aber auch nur ins kalte Gedächtniß. Selbst die Begeisterung, mit der du, glänzende Schwester, von Göttern und Göttinnen, von Duft und Ambrosia sprachst, ist nur Feuer der Phantasie, nicht des Herzens und der Empfindung. Keiner deiner Lieblinge ist bey uns im Himmel gewesen; er mahlte immer nur Menschen, und es ist gar nicht denkbar, daß nicht immer noch tausend schönere Menschen auf Erden gelebt haben und leben werden, als einer deiner Mahler sie mahlte. Diese kopirten sich unaufhörlich, setzten oft, wo sie am meisten ideal seyn wollten, Ungeheuer auf einander und wurden bey allen sogenannten Götter- [141] und Heldenformen, zuletzt so enge und armselig, daß das, was du mir unrecht vorwirfst, vielmehr von ihnen gölte: sie klimperten auf einem Instrument von anderthalb zerrissenen Saiten, die sie die Antike nannten, da das volle Saitenspiel aller Gestalten und Seelen der Natur, in ihrer Hand war. Glaubst du, meine Schwester, der Klumpe von Farben, der auf der Palette liegt, könne mit der Natur wetteifern? geschweige daß er ihre allmächtige Fülle und Wahrheit übertreffen sollte? Das Feuer, das auf dem Brettlein gerieben und entzündet wird, wird nicht leicht ein menschliches Herz durchbrennen, noch weniger die Schöpfung in die Asche legen, daß man neue Gestalten vom Himmel nöthig habe. –
Du wirst zu scharf, meine Tochter, fiel ihr der Präsident der Versammlung in die Rede: du tadelst an der Kunst, was bloß Fehler der Künstler oder gar ihrer thörigten Lobredner ist, gnug davon und vertheidige deine Sache. Die Malerey beschuldigte dich, daß deine Wirkungen dunkel [142] und verworren, dazu immer unvollendet, vorübergehend und kurz seyn; antworte darüber.
Mich dünkt, sprach sie, darauf ist leicht geantwortet: wer weis dieß besser, als du, der Vater der ewigen Tonkunst. Meine Schwester will, daß meine Töne Gestalten und Farben seyn sollen, und das ist nicht möglich. Sie will, daß ich sie an die Wand hefte, damit sie, wie Memnons Statue, wenn die Sonne auf sie scheint, tönen, und wie ein Glockenspiel ewig tönen sollen; auch das ist unmöglich, und wäre in kurzer Zeit sehr widrig. Meine Wirkung ist also kurz und vorübergehend; aber wem ist sies also? den armen, unter jeder Empfindung so bald erliegenden Menschen. Und ihnen mußte sie dieß seyn, eben weil sie so stark, so mächtig fortreißend und überschwemmend für sie wäre, hätte sie nur etwas längere Dauer für sie erhalten. Nein! sie sind noch nicht zur ewigen Harmonie der Götter gebildet; sie versinken, sie gehn im Ocean meiner Kunst unter; darum wurden ihnen nur wenige Töne eines unendlichen Saitenspiels, in wenigen [143] Gattungen, nach sehr leichten Modulationen zugemessen, zugezählt, zugetröpfelt. Ich lisple nur auf ihrem Saitenspiel, und schwebe wie ein harmonisch Lüftchen bey ihnen vorüber. Daher scheint meine Wirkung ihnen auch immer unvollendet: denn in ihrer Natur kann sie nicht vollendet werden, oder sie würden selbst zu Harmonie und Wohllaut. Das Dunkle und Verworrene ihrer Empfindungen liegt an ihrem Organ, nicht an meinen Tönen: diese sind rein und helle, das höchste Muster einer zusammenstimmenden Ordnung. Sie sind, wie schon ein von mir begeisterter sterblicher Weise gesagt hat, die Verhältnisse und Zahlen des Weltalls im angenehmsten, leichtesten, wirkendsten aller Symbole. Du hast mich also, Schwester, gelobt, indem du mich tadelst. Du hast das Unendliche meiner Kunst und ihrer innigsten Wirkung gepriesen; indem du gezeiget hast, wie eine so edle Natur, als die Natur des Menschen ist, so wenig von meiner allmächtigen Wirkung fassen, sie nur noch so kurze Zeit, in so einfachen Anfängen und Gängen [144] ertragen könne. Im Gewühl deiner Farben und Gestalten hingegen verwirret sie sich nie, und hat gar, wie du selbst gesagt hast, noch etwas nöthig, was über alle Erdgestalten hinausgehet, um sich nur einigermaßen gegen das leere Wiederkommen derselben zu sichern. Bey mir hat sie dieß nicht nöthig: meinen Empfindungen bleibt jede Erdenatur unendlich nach, und sie wird lange von Stufe zu Stufe steigen, ehe sie das Tongebäude der allgemeinen Vollkommenheit nur in einigem Umfange, mit einiger Fortdauer seiner ewig steigenden Melodie empfindet –
Indem die Tonkunst dieses sprach, und das ganze Gefühl der Begeisterung davon in ihrem Gesicht, in ihrer Gebehrde zeigte, hatte sich die Muse Urania zu ihr gesetzt, und sie umfasset mit ihren Armen. Auch die Augen der jungen Poesie waren auf sie geheftet, und fast wären ihre Worte selbst zu Tönen geworden, die Wirkungen ihrer Kunst dem ganzen Olympus zu zeigen. Aber Vater Apollo fiel ihr zu rechter Zeit ins Wort, und gab ihr zu verstehen, daß hier nur von Erde-Musik [145] die Rede sey, und was die Tonkunst für Wirkung auf menschliche Gemüther habe. Du hast dich genug gerechtfertiget, meine Tochter, und deine Kunst bis zum Olymp erhoben; es ist Zeit, daß deine Schwester rede.
Wohl, sagte die Mahlerey, hat sie ihre Kunst bis zum Olymp erhoben, sie, die es so fremde fand, daß meine Lieblinge nur den Traum einiger Göttergestalten hegten. –
Lasset, sagte Apollo, den Olymp unverworren, meine Töchter. Ihr seyd beyde himmlische Wesen, und eure Künste müssens auch seyn, wenn sie einige Wirkung haben sollen auf der Erde. Auch die menschliche Seele ist unsre Schwester, und alles, was auf sie wirken soll, muß was Unermeßliches in sich haben, und also von himmlischer Art seyn. So nennen es die Menschen, und sie haben Recht. Alle Formen und Gestalten, so rein und ausstudirt sie seyn mögen, thun nichts bey dir Malerey, wenn keine Seele, kein himmlischer Geist sie belebt. Auch [146] in jede Deiner Compositionen muß dieser Geist gehaucht seyn, und das Ganze zu Einem bilden; sonst stehet alles, so treu und künstlich es nachgeahmt seyn möge, nur arm und todt da. Auch in dir, Tonkunst, muß Rührung der Seele alle Töne binden und begleiten, sonst werden sie nicht nur das, was du von den kalten Nachahmungen der Malerey sagtest; sondern sie sind vielleicht noch widriger, da deine Kunst blos vom Hauche dieses himmlischen Geistes lebet. Also lasset allen Wortstreit, und haltet euch an die bestimmten Wirkungen eurer Künste. Wollet ihr, so will ich den alten Aristoteles herbey rufen lassen; er soll ein ausnehmender Meister in Unterscheidungen und bestimmten Worterklärungen seyn, er wird euch ohne Mühe rectificiren –
Beyde Damen verbaten den Entscheider, sie wählten dafür, wenn sich Apollo nicht selbst bemühen wollte, ihre jüngere Schwester, die Poesie zur Schiedsrichterin. Sie hat von uns beyden gelernt, sprachen sie, und liebt uns beyde. [147] Sie ist Weib, und kann von Künsten und Würkungen der Weiber am besten urtheilen; dazu ist sie unsere Schwester. Kommt her, sagten sie, und rücke vom Schooß Apolls, wo du ihn mit deinen schönen Haarlocken nur verwirrest, näher zu uns herüber. Die Poesie thats gerne, und der Streit begann zum dritten und letztenmale.
Mich dünkt, sprach die Poesie, meine Schwestern, wenn ihr zu einigem Vertrage kommen wollt, müsset ihr, wie Vater Apoll eben gesagt hat, sorgfältiger die Wirkungen unterscheiden, auf die ihr arbeitet, also auch mehr den Sinn der Seele bestimmen, auf den ihr wirket. Du Malerey, wirkst mehr auf Phantasie, als auf das Herz; aber die Phantasie kann auch zum Herzen kommen, und wenn sie nicht dahin reicht, ist sie gemeiniglich desto näher dem Verstande. Also sind alle deine Darstellungen klärer, aber wie du Tonkunst willt, auch kälter. Das ist der Malerey keine Schande, sondern mag eben ihr Vortheil werden: denn Richtigkeit und [148] Wahrheit sind die Hauptmittel ihrer Wirkung, die sie mit Schönheit und Annehmlichkeit nur bekleidet. Jeder ihrer Künstler thäte also übel, wenn er diese Hauptvestung verließe und sich in das Nebenwerk einer unmittelbaren Wirkung aufs Herz ohne Richtigkeit und strenge Wahrheit würfe. Immer ist Zeichnung und ein Geist der Zeichnung, der das Ganze belebt, bey dir, Malerey, die Hauptsache; an der auch ich lange gelernt habe, und noch täglich lerne. Das Rührende einzelner Gesichtszüge, das Täuschende der Carnation und der Farben, so, wie fern herbey gesuchte tiefe Gedanken sind gut und vortreflich, wenn das Hauptwerk zur Seele spricht – spricht, wie es durch diese Mittel zu ihr sprechen kann, helle, klar reich, deutlich. Je weniger die Malerey dem Schein nach wirken will, je mehr sie die scheußliche Repräsentation vermeidet, desto mehr wird sie wirken: desto mehr wird sie aus der bloßen Nachahmerin, eine reine und demüthige Darstellerin der unergründlich- tiefen, [149] immer neuen und schönen Wahrheit. – Du hingegen, Tonkunst, auch mir bist du mehr, als mir die Malerey seyn kann: denn wie du recht gesagt hast, bist du der harmonische Grund und die melodische Begleiterin aller, selbst der malerischen Schönheit. Du wirst mir aber zugeben, daß ohne meine Worte, ohne Gesang, Tanz und andere Handlung, für Menschen deine Empfindungen immer im Dunkeln bleiben. Du sprichst zum Herzen; aber bey wie wenigen zum Verstande! ja auch, wo du zum Herzen sprichst, wie oft ist seine Regung blos eigentlich sinnliche Empfindung! Giebts nicht auch Thiere, die sich nach gewissen Tönen oder Gängen von Tönen freuen oder betrüben? Ja als man den grausamen Versuch machte, lebendigen Geschöpfen das Gehirn zu öfnen, und durch gewisse Druckungen bey ihnen bald Schmerz, bald Freude erregte; mochten diese Empfindungen, auf eine grobe Weise bewirkt, etwas anders seyn, als was du auf eine unendliche feinere Weise bewirkest? Freylich [150] ist das ganze Herz des Menschen dein Saitenspiel; aber siehe auch, wozu du es spielest? Und nun, meine Schwestern, vergleichet euch selbst über bestimmte Fälle und Zwecke, in und zu denen eure Kunst sich äußert.
Die Malerey fieng an und schilderte die hohen Eindrücke, die sie manchmal durch die Darstellung eines Gemäldes gemacht habe. Sie sprach von Brutus Gemahlin, die nicht zu Thränen zu bringen war, bis plötzlich ihr das Bild der Andromache ins Gesicht fiel, und den frischen Damm ihrer Empfindungen aufriß. Sie führte eine Reihe anderer Gemälde an, die plötzliche Bekehrungen, Tröstungen, Ermunterungen bewirkt, und die Seele, wie durch Erscheinungen aus einer andern Welt umgekehrt und umgeschaffen haben. – –
Verzeihe, Schwester, sprach die Poesie, und bemerke auch hier, was von diesen Wirkungen eigentlich nur dir zugehöret. Das meiste hiervon liegt in den Gegenständen, die du nachahmest, [151] und du kannst nicht leugnen, daß, wenn statt des Gemäldes der Andromache oder anderer edlen Gestalten, ihre Gegenwart selbst erschienen wäre, die du oder ich nur schwach schildern konnten, die Wirkungen derselben wahrscheinlich größer gewesen wären. Denke dir eine erscheinende Mutter Gottes, wie sie die Sterblichen nennen, oder eine Magdalene, in jeden idealistischen Reiz gekleidet, den wir beyde ihnen schenkten; du wirst zugeben, daß du, wie ich, hierinn nur ferne, schwache Nachahmerinnen waren, und was Wirkung anbetrift, sey oft ein schlechter, sehr unidealischer Auftritt der Natur, eben seiner individuellen Wahrheit und Wirklichkeit wegen, unendlich reicher an großen und guten Folgen, als die künstlichste Nachahmung desselben mit Farben je seyn würde. Du hingegen, Musik, sprach sie, bist immer Schöpferin, da du kein eigentliches Vorbild deiner Kunst hast, weder im Himmel noch auf der Erde. –
[152] Eben deswegen, fuhr die Tonkunst fort, ist auch meine Wirkung immer neu, ursprünglich und herrlich. Schöpferin bin ich, und ahme nie nach; ich rufe die Töne hervor, wie die Seele Gedanken hervorruft, wie Jupiter Welten hervorrief, aus dem Nichts, aus dem Unsichtbaren; und so dringen sie auch, wie die Zaubersprache aus einer andern Welt, zur Seele, daß diese, ergriffen vom Strom des Gesangs sich selbst vergißt, sich selbst verliehret. Alle habt ihr von den Wirkungen der Musik in alten und neuen Zeiten gehört, und nie habt ihr gnug davon gehöret. Laßt mich nicht die alten Geschichten Amphions, Orpheus, Linus, Timotheus, Phemius, u. a. wiederholen; an jedem Fest der heiligen Cäcilia werden sie auf der Erde immer noch besungen und gepriesen. –
Aber auch noch erreicht? fiel ihr die Poesie in die Rede; und eben das, daß sie jetzt nicht mehr erreicht werden, zeigte es nicht, daß sie auch vor Alters nicht ganz dein, nicht immer das [153] Werk der Kunst waren, auf die du es insonderheit in spätern Zeiten ganz ohne mich, anzulegen scheinest? Damals half ich dir. Ich unterstützte deine Töne, und du dientest nur meinem Gesange, ihn zu beleben. Ich hingegen klärte deine Sprache auf, verstärkte sie mit der Macht aller Empfindungen und Situationen der Seele; dadurch thaten wir vereint die Wirkung. Seitdem wir uns von einander getrennt haben, sind unsre Künste tausendmal feiner geworden, die Grenzen von Allem in ihnen sind sorgfältiger geschieden, die Regeln stehn bestimmt da, wie Scylla und Charybdis, oder wie die Säulen Herkuls, über die nicht hinauszuschiffen war; wo ist aber anjetzt unsre Wirkung auf der Erde, in dem Maaß, wie sie die Alten priesen? Ich werde gelsen, du wirst gehört; bey mir tadelt und gähnt man, bey dir spielt oder plaudert man, und zuletzt schläft man ein bey uns beyden. –
Das liegt nicht an uns, antwortete die Harmonie unerschrocken, es liegt am Mißbrauch unsrer [154] Namen. Die Geiger und Pfeiffer, die Quäler und Tändler der Saiten habe ich nie für Söhne meiner Kunst erkannt: denn wo sind die Wirkungen ihrer Töne? hast[1] du je in der Werkstatt Vulkans den Bratenwender daselbst mit der schönen Hebe verwechselt, die uns den Nektar mischt und die ambrosische Götterkost bereitet? und was sind so manche Quartette und Sonaten, manche Trio’s und Symphonien, insonderheit jene unselige Menge einförmiger Liedermelodieen anders, als der lebendige Bratenwender des hinkenden Vulkanus. Man hat, wie sie sagen, eine Kunst erfunden, vermöge welcher man nach ewigen Regeln eine Melodie hervordrehen könne, ja hervordrehen müsse, gerade wie jenes Küchenwerkzeug umläuft, nach seinen Gewichten. Mich dünkt, wir drey Schwestern haben uns mit dem Heer unserer Pfuscher und Freyer nichts vorzuwerfen. –
Aber dennoch, fiel ihr die Poesie ein, erinnere dich an die Zeiten deines einfachen Ursprunges [155] und deiner damaligen Wirkung; deine Orpheus und Amphions, wenn auch nur die Hälfte der Sagen wahr wäre, die uns unsre Mutter Mnemosyne erzählt hat, wo schaffen, wo wirken sie jetzt?
Freylich, antwortete die Tonkunst, sind diese Jahre meiner Jugend in manchen Ländern vorüber; aber nicht ich, sondern sie, diese sogenannte gebildete Welt ist alt und grau geworden, und will zum Theil jetzt statt Töne zu genießen, mit Tönen bauen oder Seiltanzen und spielen. Sie bauen auch wirklich wunderhohe harmonische Gebäude; die rasch zum Himmel, zum Verstande hinauf streben, da sie ins Heiligthum, zum Herzen nicht mehr kommen können. Das Leichte ist ihnen zu leicht; mit überstandenen Unmöglichkeiten suchen sie zu überraschen, zu prangen, zu glänzen. Glaubt ihr, Schwestern, daß mirs gefalle, wenn man um eine neue Tonkunst zu geben, keinem Ton mehr seine Wirkung läßt, sondern mit Tönen mahlt und poetisiret? Meiner [156] Kunst ist dieß so fremde, als da jemand auf den Gedanken kam, ein Farbenclavier zu erfinden, und sich wunderte, daß der Kinderpopanz kein Vergnügen, wie das Clavier der Töne machte. Indessen sind die ächten Wirkungen meiner Kunst gewiß nicht ausgestorben auf der Erde. Unter allen Völkern, selbst unter Türken und Barbaren, lebt sie, und jedes genießt an ihr, was ihm zu genießen vergönnt ist, wohin und wie weit sein Organ gebildet worden. Die feinern Völker bedürfen auch feinere Speise; meine Wirkungen äußern sich also bey ihnen auch geistiger, und sie würdens für einen schlechten Erfolg meiner Kunst halten, wenn je ein Mensch durch sie rasend geworden, einer Lais in den Schooß sänke, oder Persepolis in Brand steckte. Ich wirke auf feinere Endzwecke und Vergnügen; glaubt nicht, daß ich deshalb auch schwächer oder unsichrer wirke. Wie oft hat der Ton eines Gesanges, der simple Gang einiger himmlischen Töne einen Menschen aus dem tiefsten Abgrunde der Traurigkeit [157] bis in den Himmel erhoben! Wie oft geschiehets, daß eine einfache Melodie zarte, wehmüthige Thränen rinnen macht, die Menschen plötzlich in alte Empfindungen und Gegenden der Jugend, oder in unbekannte Auen eines seligen Paradieses versetzt, und völlig den Zaubertönen der ersten Welt, nur auf feinere Art, gleich kommt. Gewiß, meine Schwestern, ein Liebling meiner Kunst kann Wunderdinge auf einen Menschen wirken, so bald er nur die Töne studirt, bey denen dieser am meisten gerührt wird, die Gänge der Melodie, nämlich, die sein ganzes Empfindungssystem bewegen. Hielte er sich sodann an solche, und suchte ihre größte Wirkung; er hätte das Herz des Menschen in seiner Gewalt, wenn dieser auch sonst von Stahl und Eisen wäre.
Und käme man nicht wieder zu dieser alten und großen Wirkung, meine Schwester, wenn deine Kunst sich mit der meinigen näher zusammen fände? sprach die Poesie. Ich zeichne dir Empfindungen vor; du darfst nur folgen und dich an diese halten. – [158] Die Tonkunst lächelte: „das wäre gut, es ist auch zuweilen nothwendig, schwerlich ists aber hinreichend. Wie oft verführen mich deine Dichter, statt mich zu führen? ja vielleicht haben sie meine Kunst unter den Menschen am meisten mit verderbet. Zudem erinnere dich, Schwester, an das, was du selbst sagtest: der Tonkünstler schöpfe aus sich selbst, er müsse jedesmal die Sprache seiner Empfindungen neu bilden. Kann er dieß nun nicht; fühlt er die Empfindungen nicht, die ja der Dichter nur bezeichnet, nur unvollkommen schildert, wie will er sie ausdrücken? wie könnte sie ihm der Dichter mit seinen Worten beybringen und einflößen? Mit Worten jemanden Töne, gar ein Tongebäude von Empfindungen einflößen, das er nicht in sich hat, ist unmöglich, also liegt die Sündenmaterie im Misbrauch der Tonkunst selbst, und muß von innen geheilt werden. Uebrigens bleibts dabey, Schwester, daß wir beyde, Poesie und Musik, zusammen gehören, und vereint auch die größte [159] Wirkung hervorbringen; nur daß ich nicht ganz deine Dienerin seyn wollte, denn ich bin deine Lehrerin gewesen, und habe auch für mich selbst einen Kreis der Wirkung. Mir dient der Tanz wie die Worte; Gebehrden und Bewegungen, wie deine Verse; und eigentlich schließe ich alles dieß, Modulation, Tanz, Rhythmus in mich. Der Tonkünstler dichtet, wenn er spielt, so wie der ächte Dichter singt, wenn er dichtet. –
Der Malerey sowohl als dem Vater Apollo ward bey diesem Gespräche die Zeit lang. Jene hatte so lang eine schöne ruhige Landschaft gezeichnet, und allen Streit darüber vergessen. Das ist, sprach sie, die große Wirkung meiner Kunst, sie macht die Seele ruhig und heiter. Ein Mensch, der sie liebet, genießt jeden Sonnenstrahl fröhlich; wo andere nichts sehen, siehet er ein tausendfaches Spiel desselben. Ueberall im Schooße der Natur, studirt er ihre stillesten freundlichsten Wirkungen, und genießt sie auf unendliche Weise. –
[160] Das möchte vom Natur- und Landschaftsmalen gelten, antwortete die Poesie, was aber deine historische Mahler anbetrift, höre ich, daß auch du so leidenschaftliche Leute hast, wie ich und die Tonkunst schwerlich haben. Uns beyden wirft man vor, daß wir unsere Günstlinge statt der Begeisterung oft mit Launen beschenken; und mich dünkt, auch wenn du Leidenschaften studirst und ausdrückst, mußt du doch selbst diese Leidenschaft fühlen. –
Hier fiel ihr Apoll in die Rede, und gab zu verstehen, wie dieß alles nicht hergehöre und mit Erlaubniß zu sagen, zum Theil nicht wahr sey. Wenn man einen Wütenden schildert, sprach er, darf man nicht selbst wüten, und wenn man von einem Rasenden dichtet, nicht selbst rasen. Eben das ist das Vorrecht der Himmelgebohrnen Kunst, sprach er, daß sie durch eine Art von Allwissenheit und geheimer Vorahndung auch die Falten und Schlupfwinkel des menschlichen Herzens kennt, die der Künstler selbst nicht gefühlt [161] haben darf, jetzt aber im Licht seiner Muse gewahr wird, und wie durch reflektirte Stralen dichtet. Glaubt mir, der Trunkene singt von der Trunkenheit nicht am schönsten; der Dichter, der alle Leidenschaften schildert, der sie oft auf einmal im stärksten Contrast schildert, kann sie ja nicht alle als persönliches Eigenthum besitzen; gnug, wenn er sie als ein ruhiger Spiegel treu aufnimmt und wieder abglänzet. So ists auch mit der Malerey und Tonkunst. Die größten Künstler jeder Art waren immer die Leidenschaftlosesten, heitersten Charactere; sie waren Jünglinge wie ich, und lebten in meinem Sonnenglanze. Aber machet, daß des Streits ein Ende werde. –
Du, Malerey machst mit deiner Kunst die helleste, schönste, klärste, daurendste Vorstellung; du sprichst durch deine Gestalten zur Phantasie und durch sie zum Verstande und Herzen; du verfeinst den Blick, öfnest die Thore der Schöpfung und machst deine Lieblinge ruhig und heiter; [162] bist du zufrieden? Du Tonkunst hingegen hast den Zauberstab der eigentlichen Wirkung auf menschliche Herzen unmittelbar; du regst die Empfindungen und Leidenschaften, aber dunkler Weise, und hast einen Führer, einen Erklärer nöthig, der dich wenigstens zur bestimmten Wirkung dem Verstande des Menschen nähere, und mit dem physischen auch seinen moralischen Sinn vergnüge; bist auch du zufrieden? Ihr streitet beyde über das Wort Wirkung, und das ist dem Sprachgebrauch nach mehr für die Tonkunst, als für die Malerey, weil wir bey Wirkung immer nur auf Stärke des Eindrucks zu sehen gewohnt sind, ohne zu bedenken, daß diese in Sachen des Geisterreichs und der menschlichen Seele zuweilen auch mit Umfang, Klarheit, Dauer compensirt werde. Ihr streitet also immer nur, ob das Ohr Auge und das Auge Ohr seyn soll? Beruhigt euch. Je verschiedener ihr von einander wirkt, desto eigner und besser wirkt ihr. Ihr bewegt eine menschliche Seele, nur auf eine ganz [163] incommensurable Weise. Wollt ihr die Wirkungen eurer Kunst aufs reinste und ohne allen Wortstreit sehen: so betrachtet einen Blinden und Tauben, und seht, was beyden versagt sey? Der Taube mag unendlich feiner sehen und unterscheiden; für die Gesellschaft ist er immer dumm, und in seinem Innern Freudenloser: ihm fehlt der Sinn und die Kunst, die unmittelbar zu seinem Herzen reden. Der Blinde ist ein armer Mann, vielleicht auch arm, an gewissen feinen Unterschieden, Gestalten und Abmessungen, die nur der Sinn und die Kunst des Gesichts gewähren; er hat indessen das Saitenspiel aller Empfindungen und Leidenschaften in sich, er kanns tönen lassen, wenns ihm gefällt, und sich in seiner dunkeln Einsamkeit eine Welt voll Harmonie und Freuden schaffen. Oft waren Blinde große Tonkünstler, große Dichter; ob aber Taube bey aller genauen Nachahmung eben so geistvolle Zeichner gewesen? möget ihr selbst wissen. Gnug, ihr seyd beyde meine Töchter; du Malerey, die [164] Zeichnerin für den Verstand, du Tonkunst die Sprecherin zum Herzen, und du, meine liebe jugendliche Dichtkunst, du, die Schülerin und Lehrerin Beyder.
Sie umarmten sich alle: Apollo krönte sie mit seinen unsterblichen Lorbeerkränzen, und Hebe bot ihnen auf ihr langes Gespräch die erquickende Nektarschaale.
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