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Ob-Ost/Verwertung

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Feldgrau und Feldbau Ob-Ost
von Fritz Hartmann
Friedenswerk
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[43]
VI. Verwertung
Hannover, den 10. November.

Fürs Heer wird der Acker bestellt. Aber vom Acker zum Heer ist ein weiter Weg; reich an Wandlungen für das geerntete Gut.

Hier greift die Rohstoff- und Handelsstelle ein. Sie kauft oder beschlagnahmt, prüft die Abnahme, verarbeitet und verschickt das fertige Erzeugnis. Denn um Zeit und Versand zu sparen, ist Grundsatz, den eingeheimsten Rohstoff im Staffelgebiet selber verbrauchsfähig zu machen.

Wir sahen in Bialystok eine Etappenbäckerei, wo die zahllosen Brotlaibe des Heeresbedarfs geknetet und geformt werden. Vor unseren Augen holte der Schießer sie aus dem Ofen; wir gingen mit, wie sie noch warm auf den Gestellen der ungeheuren Lagerspeicher verstaut wurden. In Libau besuchten wir die Heeresschlächterei und begleiteten die Fleischversorgung unserer Feldgrauen gleichfalls durch alle Übergangshände. Schlag auf Schlag dröhnt die mordende Axt, in jedem Räume rückt die Verrichtung um ein Stück [44] vor. Nichts Brauchbares geht verloren; schließlich endet der Werdegang in den eisigen kühlräumen, die von steifgefrorenen Ochsenvierteln starren. Das sind Großbetriebe, die denen in der Heimat nicht nachstehen, keine Maschine fehlt, wodurch Zeit und Menschenkraft gespart werden könnte.

Es war ein gesegnetes Obstjahr. Die Bäume brachen förmlich unter ihrer Last. Den Leitern der Sammelstellen lachte das Herz im Leibe. Mit einer Auslese wunderschöner Früchte veranstalteten sie sogar eine stolze Ob. Ost-Obstausstellung, die dem Ob. Ost-Obst-Obersten viel Beifall eintrug. Die übrige Ernte kam in die Marmeladefabriken. Auch durch deren süße Schwaden sind wir gewandert und ließen uns in das Geheimnis der Pülpe einweihen. Was wird da nicht alles verarbeitet! Äpfel, Birnen, Pflaumen, Kürbisse, Berberitzen, Hollunder- und Moosbeeren. Hier werden Gurken in Salzwasser eingelegt, dort rote Rüben in Essig. Auf den Darren trocknet Gemüse ein, derweil unter kreisenden Hobelmessern die Weißkohlhäupter in Fäden zerfallen. Rasch füllen sich die rundbäuchigen Fässer; Schaufeln mit Salz fliegen über [45] jede Lage, und ein Feldgrauer, dem saubere Kästen an die Füße geschnallt sind, stampft sie ein mit der Wucht seines Körpergewichts. So, nun gäre zu Sauerkohl um!

Aber das Heer will nicht nur mit des Leibes Nahrung und Notdurft versorgt sein. Es braucht auch Kleidung. Dazu sind Abkommen mit großen Tuchfabriken geschlossen, deren eine wir in Suprasl besichtigten. Das Heer bedarf des Geräts, und nicht zu knapp. Alles Abfalleisen des ganzen Gebietes – und wieviel zerschlagene Maschinen oder Brücken lieferte nicht der Krieg – wird umgeschmolzen.

Groß ist auch der Verbrauch an Kraftwagen. In B. hat man daher ein Auto-Lazarett errichtet. Die Vorratsschränke sind in Kistenform eingerichtet; der ganze Betrieb somit in wenigen Stunden abzubauen. Die Kraftzentralen stehen auf Rädern. In den oberen Stockwerken der alten Fabrik liegen die Stuben der beschäftigten Mannschaften. Auf den Fluren deren Gewehre und vorschriftsmäßiges Löschgerät. Die Treppen sind eng, daher außen Notleitern angebracht. „Waren denn die schon zu russischer Zeit?“ – „I wo!“

[46] Auch mit Holz wird Krieg geführt. Der Bedarf eines Millionenheeres steigt über alle Begriffe hinaus. Zum Bau von Schützengräben und Unterständen, für Bahnschwellen und Heizung; endlich Holzkohle für Pulver und Sprengstoffe. Die edelsten Sorten sind für die Flugzeuge unentbehrlich. Vergiß auch die Holzwolle nicht, die Euch im stroharmen Vorwinter als Lagerstreu dienen mußte. Ein Forstmann sagte mir, eine versenkte norwegische Holzladung sei den Engländern schmerzlicher als ein abgefangenes Lebensmittelschiff.

Wie mußte uns daher der Holzreichtum der besetzten Gebiete zustatten kommen! Namentlich der Forst von Bialystok und der gewaltige Urwald von Bialowies. Beide umfassen 225000 Morgen eines fast unberührten Bestandes. Der Nutzholzwert des zweiten allein wurde mir auf 700–800 Millionen geschätzt. Bereits im Oktober vorigen Jahres waren höhere Forstbeamte berufen. Sie ergänzten ihr Personal durch Förster und Waldhüter des Landsturms, durch bayerische Holzschlägerkompagnien und Gefangene.

Man mußte mit den Teilen beginnen, die günstig zu den Verkehrswegen lagen. Rasch [47] wurden in den Flüssen die zerstörten Stauwerke in Ordnung gebracht, Heute können die Hölzer schon wieder auf der Suprasl in den Narew, von da in die Weichsel nach Bromberg verflößt werden. Aber auch an dem anderen Verkehrsnetz wird unablässig gearbeitet. Neue Landstraßen öffnen sich, neue Schienenwege machen ihren Betrieb aus und durch den jungfräulichen Urwald tönt der schrille Pfiff der schmalspurigen Förderbähnchen, daß die empörten Wisente ihre wilden Rundaugen rollen und das Gehörn zur Abwehr senken. Bis jetzt sind gegen hundert Kilometer Gleise gelegt!

Auch hier das Streben, alles nach Möglichkeit an Ort und Stelle zu verarbeiten. Daher hat man Sägewerke errichtet, und das des bayerischen Forstrats Hauptmann Escherisch – ist bereits das größte der Welt! Allüberall zischt es in den Gattern, riecht es nach Harz und Sägemehl. Den Nebenprodukten gehen wieder Nebenbetriebe nach, auf daß ja nichts umkomme. Teeröfen sind errichtet, Terpentin wird erzeugt und die Meiler qualmen wie im bayerischen Walde; meist sogar von denselben Köhlern betreut.

[48] Natürlich haben diese Anlagen Geld gekostet. Aber die paar Millionen sind längst heraus, obgleich nichts weniger als Raubbau getrieben wird. Endzweck ist allein die Heeresversorgung.

Der Holzbestand könnte nicht erfreulicher sein. Der Forstleute Herz geht beim Erzählen auf. Er ist so dicht, daß kein Sonnenstrahl bis auf den Boden dringt. Man rechnet gegen hundert verschiedene Holzarten heraus. Die Föhre kerzengerade und dicht; die beste, die es geben kann. Die Eiche erreicht gewaltigen Umfang. Daneben Weißbuche, Ulme, Linde, Birke, Erle, Esche und Fichte. Ein reines Holzmuseum.

Eine dicke, schöngewachsene Kiefer lag im Gatter, und die Säge fraß sich ruckweise durch, daß das Mehl in den Herbstwind stob, der durch die offene Halle pustete. Mir fiel Rückerts Lied von der Straßburger Tanne ein. „Wie alt?“ frug ich den bayerischen Jägeroffizier. „Zweihundert Jahre.“ Mein Blick schweifte zurück. Als die Zapfensaat aufsproßte, wurde im nordischen Kriege um diese Länder geradeso gestritten wie jetzt. Die Schlacht von Pultawa war geschlagen; Polens Herr hieß wieder August [49] der Starke. Dreimal ist das Land geteilt worden, ehe an diese Kiefer die Reihe kam. geteilt zu werden. Krieg und wieder Krieg, Aufstand und Gewalttat. Trübe Vergangenheit. Und wie wird die Zukunft sein? Ich denke besser.

Wenn wohnen wird und wachen
Ein Fürst auf deutscher Flur,
Dann wird mein Holz noch krachen
Im Bau der Präfektur.