Nur Einer schrieb nicht
[568] Nur Einer schrieb nicht. Als die Preußen nach dem letzten Welfenkampf bei Langensalza über den Thüringer Wald zogen, um das verbündete Coburger Land von den Baiern zu befreien, lagen sie mehrere Tage in Hildburghausen. In einer nahen Mühle im Werrathal hatten ein paar Dutzend Landwehrmänner Platz gefunden. „Als ich nach dem Mittagessen in die untere Wohnstube trat,“ erzählte mir die junge Frau des Hauses, „saßen an den Tischen so viele der Soldaten, wie nur Raum finden konnten, hatten die Schreibzeuge herbeigesucht und lasen oder schrieben Briefe. ‚Nun, da wird wohl an die Herzliebsten geschrieben?‘ fragte ich. ‚Wir sind sämmtlich Ehemänner,‘ antwortete Einer; ‚es kommt selten an uns, daß man uns so viel Rast giebt, Briefe zu schreiben. Um so eifriger benutzt heute Jeder die Gelegenheit, damit Frau und Kinder einmal erfahren, daß wir noch am Leben sind.‘ Und damit griff er wieder nach der Feder. Alle waren in ihre Briefe so vertieft, daß ich sie nicht weiter stören wollte. Nur Einer schrieb nicht. Es war ein junger Mann; er saß bleich und den Blick in sich gekehrt im alten, hohen Lehnstuhl. Ich konnt’s nicht lassen, ich fragte ihn doch: ‚Und Sie schreiben nicht mit?‘ Er sah mich an, daß ich vor dem Blick erschrak. ‚Nein,‘ sagte er, ‚ich habe an Niemand in der Welt mehr zu schreiben. Als es daheim zum Abmarsch trommelte, starb meine Frau in Kindesnöthen. Ich mußte von ihrem Sterbebette fort – fort in den Krieg.‘ – Da eilte ich aus der Stube in die Kammer und drückte meinen Knaben an’s Herz und bat Gott auf meinen Knieen, daß er ihn vor einem solchen Jammer behüte!“