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Aus dem österreichischen Klosterleben/2. Häusliche und theologische Erziehung

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Textdaten
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Autor: A. Ohorn
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Titel: Nr. 2. Häusliche und theologische Erziehung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 616–618
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Aus dem österreichischen Klosterleben.
Nach dem Tagebuche eines Wissenden.
Nr. 1. Das Noviziat und der Aufenthalt im Seminar zu Prag
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[616]
Aus dem österreichischen Klosterleben.
Nr. 2. Häusliche und theologische Erziehung.
Nach dem Tagebuche eines Wissenden von A. Ohorn.


Die Leitung der Anstalt ruht in der Hand eines Directors, zweier Vicedirectoren und eines Spirituals, welche sämmtlich Priester sind. Die drei Ersten haben die Hausordnung zu überwachen, die Alumnen spazieren zu führen, bei ihren Mahlzeiten zugegen zu sein und ihre Studirstunden zu inspiciren; der Spiritual sorgt für die rein geistliche Seite, besonders durch sogenannte Exhorten (Predigten).

Des Morgens haben Alle nach dem gegebenen Glockenzeichen aufzustehen, was, zumal im Winter, einige Ueberwindung kostet, da die Dormitorien (Schlafsäle) nicht geheizt sind. Des Vormittags werden die Collegien besucht, und erst beim Mittagstisch finden sich wieder Alle zusammen. Die Kost ist eine ziemlich einfache, sehr oft auch eine durchaus nicht gut zubereitete. Man sollte meinen, wenn die Vorsteher während der Mahlzeit anwesend seien (freilich ohne sich daran zu betheiligen, denn sie speisen für sich und wahrlich keine Seminaristenkost), so würden gerechtfertigte Klagen vorgebracht werden können. Allein deshalb scheinen die Vorsteher nicht hier zu sein, vielmehr, damit keine Bemerkungen über die Kost gemacht werden. Die Speisewirthschaft führt nämlich ein angestellter Wirth, und wenn dessen Gattin nur den Mittagstisch der Vorstände gut zu besetzen weiß, so kann die Kost der Seminaristen knapp und schlecht ausfallen.

Herr und Frau Wirth gelten überhaupt etwas, denn es kam der Fall vor, daß beim Begräbniß einer Wirthsfrau die Alumnen aufgefordert wurden, der Todten das letzte Geleite zu geben, während man kurz zuvor beim Tode eines verdienten Domherrn dasselbe kaum gestattete, weil dadurch eine Stunde Collegium versäumt wurde.

So drücken denn die Meisten die ihnen zuertheilten Speisen mit stoischer Gelassenheit hinunter. Sie erhalten an besonderen Festtagen auch ein Seidel Bier von fraglicher Qualität dazu. Manche machen dabei heitere Gesichter, aber nicht aus Abtödtung – bewahre, sondern weil der Herr Director oder Vicedirector sie beobachtet. Dadurch steigt man in der Gunst der Vorsteher, und als Begünstigter erhält man zunächst das Ehrenamt eines Präfecten, das ist Aufsehers über seine Collegen und hat die Anwartschaft auf eine gute Caplanstelle oder gar darauf, einmal als Lehrer an die theologische Facultät zu kommen. Aber wehe dem Unglücklichen, der den Rücken nicht krümmen kann, der nicht gelernt hat sich zu beugen und zu schweigen! Wehe ihm, wenn er sich nicht hergeben kann oder mag zum „Spitzel“ und Angeber! Seine Carrière ist halb verdorben, und um seine erste Caplanstelle wird er kaum zu beneiden sein.

An den Tagen, an welchen Collegien gehalten werden, ist der Spaziergang auf ein Minimum reducirt und kann jeder nach Belieben ihn wählen. Man sieht dann meist die schwarzen Kutten mit den violetten Binden durch die Karlsgasse über den Altstädter Ring, die Zellnergasse, den Graben und die Ferdinandstraße sich bewegen, um über das Franzensquai zurückzukehren. Der Besuch der Gasthäuser ist den Alumnen übrigens nicht gestattet, aber trotzdem kann man sie in dieser freien Zeit nicht selten bei einem Glas gutem „Pilsner“ sitzen sehen, oft in Bierhäusern nicht eben ersten Ranges, weil sie hier sichrer zu sein glauben.

An Ferialtagen gehen sie unter Aufsicht wenigstens eines Vorstehers spazieren, und es macht einen eigenthümliches Eindruck, wenn die jungen Leute, die wohl sämmtlich das zwanzigste Jahr überschritten haben, gleich Schulknaben paarweise „ausgetrieben“ werden.

Auch die Studirsäle sind gemeinsam, und da sitzen sie nun, die armen Schüler, Jeder vor seinem schwarzen Pulte, und studiren – auf Commando. Nicht, wenn es den Einzelnen drängt, sich dem Studium hinzugeben, nein, zu festgesetzter Stunde muß er daran gehen, zu „ochsen“, ob er disponirt ist oder nicht. Dann herrscht Stille in dem weiten Raume, und das spähende Auge des Vorstehers sieht überall nach, ob man sich auch blos mit der „Gottesgelehrsamkeit“ befaßt. Und hier wird die Heuchelei neuerdings großgezogen, denn nur Wenigen ist es gegeben, auf Befehl zu studiren; die Meisten lassen, das Auge auf das Buch gerichtet, ihre Gedanken nach allen Richtungen hin schweifen oder wissen geschickt dem theologischen Werke eine andere Lectüre unterzuschieben, hauptsächlich die Tagesblätter, zumeist czechische.

Das führt mich auf einen anderen Punkt. Die Erziehung [617] im Seminare ist eine durchaus nationale und nirgends kann das czechische Nationalbewußtsein und der Deutschenhaß mehr cultivirt werden, als hier. Kein Blatt ist schlecht genug, das nicht gelesen werden dürfte, wenn es nur in czechischer Sprache nationalen Tendenzen huldigt. Und das wird von den gleichfalls czechischen Vorstehern sehr unterstützt. Die Alumnen sollen ja Leiter des Volkes werden; in ihnen muß darum der Geist der Nation lebendig sein, der Geist „der großen, herrlichen czechischen Nation“. Die Anzahl der Deutschen im Kloster schmilzt deshalb auch immer mehr zusammen; sie sollen vier Jahre lang die Chicanen nationalen Uebermuthes tragen und dann die dürftigsten, beschwerlichsten Stellen im Erzgebirge übernehmen, denn selbst an bedeutendere deutsche Stationen schickt man gern czechische Seelsorger, vielleicht, damit sie auch hier Propaganda für die „herrliche Nation“ machen.

Rücksichtslosigkeiten gegen deutsche Alumnen sind an der Tagesordnung. Die Umgangssprache ist selbstverständlich die czechische, auch bei Tische; wenn der Deutsche mitsprechen will, muß er eben czechisch lernen, obwohl die Czechen alle des Deutschen mächtig sind, weil sie einsehen, daß ihre Zunge nur einen beschränkten Kreis umfaßt.

Mit dieser häuslichen Erziehung, welche nicht eben geeignet ist, tüchtige Charaktere heranzubilden, welche die jungen Leute nicht fromm, sondern zu Frömmlern und einseitigen Fanatikern macht, hängt auch die theologische Ausbildung zusammen. Das sind nicht freie, frische Studenten, welche hier vor dem Katheder sitzen, das sind ganz armselige Schuljungen in der Kutte, welche in ungeheurem Respecte vor dem Professor zerfließen, besonders wenn derselbe zugleich Seminar-Vicedirector ist. Und deutsche Hörer sitzen dabei und schlucken die nationalen Bissen mit hinunter, weil der Vortragende eben Vicedirector ist.

Fast in jeder Stunde wird lectionsweise abgeprüft, und es ist ein peinliches Vergnügen, wenn die großen Schulknaben das Eingelernte herunterleiern. Das Uhrwerk wird mit der Frage aufgezogen und läuft dann pünktlich ab. Daß damit dem Verstande nicht genützt wird, ist klar. Manchmal ist einer der tüchtigeren Professoren, wie der für Moral, so malitiös, eine Zwischenfrage zu thun; dann stocken die Räder des Gedächtnisses, und der denkfaule Verstand vermag sie nicht in Gang zu bringen. War der unglückliche Professor ein Deutscher, dann wehe ihm! Er wird auf alle mögliche Weise chicanirt, aber nur hinter seinem Rücken.

Wenn das Gedächtniß so vorwiegend cultivirt wird, so liegt das großentheils auch daran, daß der alte Zopf es verlangt, daß die meisten theologischen Disciplinen in lateinischer Sprache vorgetragen und abgeprüft werden. Vom Gymnasium bringt Keiner ein derartiges Wissen mit, daß er sich in der fremden Sprache mit Gewandtheit und Sicherheit ausdrücken könnte. So bleibt bei der strengen Forderung nichts übrig, als die so und so vielen Seiten, welche zur nächsten Stunde abgeprüft werden, wortgetreu auswendig zu lernen.

Wenn man nun durch vier Jahre immer „mitgebüffelt“ hat, so lernt man endlich die fremde todte Sprache radebrechen, und das geschieht denn in einer Weise, daß sich dabei dem rechtschaffenen Philologen wohl alle Haare sträuben. Und dabei wird so viel Unpraktisches und Unklares, so viel leerer Ballast für das Leben geboten, daß der Hörer gar nicht über das Oberflächliche hinauskommt, daß er bei dem beständigen Memoriren ermüdet; daher denn auch die begründete Klage Aller, welche die Prager theologische Facultät besuchen, daß das dortige theologische Studium das unfruchtbarste und trockenste sei, für Herz und Verstand nichts biete und keinen praktischen Nutzen gewähre. Das liegt wohl auch mit an einem Theile der Lehrkräfte.

Es giebt unter den Lehrern hier allerdings auch tüchtige Männer, wie der Professor der orientalischen Sprachen, ein kleiner lebhafter Mann mit blitzenden Augen, in die er zeitweilig ein Glas klemmt, oder der Lehrer der Moral, eine angenehme Persönlichkeit mit rundem, intelligentem, geröthetem Gesicht, einem an Phlegma grenzenden Gleichmuth und einer großen Gewandtheit in der lateinischen Sprache. Der letztere war der Adlatus des Prager Erzbischofes bei dem letzten Concil zu Rom und hat wohl den größten Antheil an der ursprünglichen Opposition des Cardinals Schwarzenberg gegen das neue Dogma.

Indeß bedeutendere Gelehrte sind immerhin selten, und das ist für den begreiflich, der da weiß, wie man meist Universitätslehrer wird. Wer das Rädchen des Gedächtnisses seiner Zeit als Seminarist am besten schnurren ließ, wer den Rücken am meisten zu krümmen vermochte, wem es ein Vergnügen machte, der peinliche Aufseher seiner Collegen zu sein, der besitzt alle Eigenschaften, auf das Katheder erhoben zu werden. Ob der Mann wirklich einen geistigen Fond, ein geeignetes Wissen, die Gabe des Vortrags besitzt, ist wohl Nebensache – wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand – und so wird denn der gewesene Seminarist Adjunct der theologischen Facultät und klettert an der Leiter der akademischen Würden, geschoben von seinen Gönnern, hinauf bis zum Doctor und Professor. Ein Deutscher hat übrigens selten das Glück, für diese Laufbahn ausersehen zu werden. –

In monotonem Trabe geht das Semester bei fortwährendem „Vorlesen“ und ebenso consequentem Abprüfen zu Ende bis zur Zeit der Examina. Es fehlt einzelnen Prüfungen übrigens nicht an komischen Seiten. So wird z. B. beim Einüben des Taufritus ein hölzernes Wickelkind mit beweglichem Kopfe verwendet, und dieses in aller Form Rechtens getauft, und zwar mit Zuziehung von Pathen und Hebamme, als welche letztere natürlich auch ein Seminarist fungirt.

Ja, Abhülfe thäte hier Noth in mannigfacher Weise. Diese Facultät ist beinahe ein losgerissenes Glied vom Körper der Universität, trägt nicht den Charakter einer Hochschule, sondern blos den einer erzbischöflichen Anstalt.

Ach, daß Lehr- und Lernfreiheit, daß Freiheit im Umgange und Ausgange, im Leben und Studium ihnen gegönnt würde, daß die theologische Facultät in innigste Beziehung zu dem Ganzen der Hochschule träte! Die katholische Kirche würde Priester erhalten, welchen das Leben nicht ganz fremd wäre, welche sich darin mit Anstand zu bewegen wüßten, während jetzt ein Pfaffengeschlecht voll Einseitigkeit und Heuchelei erzogen wird, das zum Theil oberflächliche Zeloten, zum Theil moralisch verkommene Individuen enthält, die für Staat und Kirche nicht nützen. –

Nach drei Jahren kam der Zeitpunkt, an welchem wir die feierliche Ordensprofeß abzulegen hatten. Der Tag fiel in die Ferien, welche wir ohnehin in unserem Kloster zuzubringen gewohnt waren. Drei Tage zuvor hielten wir die üblichen Exercitien in der bereits früher angegebenen Weise ab und gingen von Thür zu Thür, um das Votum der Capitularen zu dem bevorstehenden Acte einzuholen, selbstverständlich eine bloße Formalität, da das Votum wohl niemals verweigert wird.

An dem bestimmten Tage (es müssen seit Ablegung der einfachen Gelübde drei Jahre und ein Tag verflossen sein, weil sonst binnen der folgenden fünf Jahre eine Ungültigkeitserklärung möglich wäre) wurde die eigentliche Feier in aller Frühe und Stille in dem Capitelsaale im Beisein der Capitularen vorgenommen. Es war ein Act, der vielfach an die Einkleidung erinnerte, nur ungleich wichtiger war. Fast dieselben Fragen wurden seitens des Abtes vorgelegt und dieselben Antworten ertheilt. In die Hände des Prälaten wurde knieend das Gelübde des Gehorsams, der Armuth und der Keuschheit abgelegt und mit einem Handkuß besiegelt. Ein neues, zuvor eingesegnetes Ordensgewand wurde angelegt und unter Absingung des Salve regina begab sich der Zug zur Kirche. Damit war der folgenschwere Act eigentlich vorüber, aber zur Erbauung des Publicums wurde derselbe mit weit größerer Feierlichkeit während des Hochgottesdienstes noch einmal wiederholt. In Gegenwart des gesammten Capitels und einer zahlreichen Versammlung von Gläubigen lagen wir vor dem Hochaltare auf dem Angesichte, während der Chor über uns die Litanei zu allen Heiligen betete. Nach deren Beendigung erhoben wir uns auf die Kniee und sangen nun dreimal mit stets erhöhter Stimme: „Suscipe me, domine, secundum eloquium tuum, et vivam“, worauf der Chor entsprechend antwortete. Nun erhoben wir uns der Reihe nach, traten an den Altar und lasen die schon früher niedergeschriebene Profeßformel in lateinischer Sprache vor, worauf dieselbe auf dem Altarblatt in Gegenwart des Abtes und seiner Assistenten eigenhändig unterschrieben und dem äbtlichen Secretäre übergeben wurde. Daß Einigen die Stimme beim Vorlesen, die Hand beim Unterschreiben zitterte, ist wohl begreiflich und verzeihlich.

[618] Nun folgte der dritte Theil der Feier. Der Abt ließ sich, die Infel auf dem Haupte, auf einem rothsammtenen Faldistorium (Bischofssessel) nieder, das auf die höchste Altarstufe gestellt wurde, und vor ihm knieten wir nun der Reihe nach hin. Der schwere Chormantel, der bisher noch um unsere Schultern lag, wurde abgenommen; man bekleidete uns mit dem Rochet (einem kurzen hemdartigen weißleinenen Gewande), sowie mit dem Almutium (einem grauen leichten Pelzkragen mit Capuze) und drückte das Barett auf unser Haupt. Hierauf legte Jeder seine gefalteten Hände in die gleichfalls gefalteten des Abtes, und nach nochmaligem Gelübde und Handkuß folgte der Bruderkuß, welcher zuerst dem Abte, dann allen übrigen Brüdern ertheilt wurde. Auffallend, fast schmerzlich war es, daß einzelne Brüder sich dem letzteren consequent entzogen.

So waren die neuen Capitularen fertig, wenigstens äußerlich; wie es innerlich bei den Einzelnen aussah – Gott und der Betreffende haben es gewußt. Am nächsten Morgen erhielten wir unter allerlei, mitunter fast drastischen Ceremonien (eine Thür einmal auf- und zumachen, einmal an einem Glockenstrange ziehen etc.) die vier niederen Weihen: Akolythat, Ostiariat, Lectorat und Exorcistat, und mußten uns die Tonsur auf dem Hinterhaupte ausscheeren lassen, die allerdings in Kurzem wieder verwachsen war und erst, der Formalität halber, bei der Priesterweihe wieder erneuert wurde. Von den Priestern selbst trug beinahe Keiner dieses geistliche Abzeichen, außer wem die Natur in ihrer oft zu reichen Güte dazu verholfen hatte.

Noch ein Jahr brachten wir nun in den Hallen des „gastfreundlichen“ Klosters der Bettelmönche in Prag zu, sowie in den dumpfen Sälen der theologischen Facultät mit ihrer dem Geiste so wenig gesunden Luft, dann schlossen wir äußerlich unser Studium mit den höheren Weihen des Subdiaconates, Diaconates und Presbyterates ab und wurden mit dem letzteren „hochwürdige“ Herren, während wir bisher nur als „ehrwürdige“ gegolten hatten.

Nun erst trat die Pflicht des Gehorsams eigentlich an uns heran, indem Jeder nach dem Ermessen des Abtes seinen bestimmten Wirkungskreis zugetheilt erhielt, entweder als Lehrer, oder, was meist der Fall war, als Seelsorger. –

Es ist ein wesentlicher Vortheil der Ordenspriester, daß sie bei eintretendem Alter, bei Krankheit, oft auch aus weniger triftigen Gründen, in das Kloster selbst zurückkehren und hier, vor Nahrungssorgen geschützt, ihr Leben zubringen können. So fehlt es dem Kloster selbst nie an Bewohnern, freilich an Bewohnern, deren Jeder ein Original ist oder geworden ist, deren Jeder seine mehr oder weniger ausgeprägten Eigenthümlichkeiten besitzt, die wenig geeignet sind, die friedliche Einheit einer Familie aus diesen heterogenen Elementen zu bilden.

Ist das Friede, wenn der Bruder das Messer auf den Bruder zücken möchte, wenn er mit geladenem Gewehre demselben durch die Hallen des friedlichen Klosters nacheilt? Der das gethan hat, soll irrsinnig sein, sagt Man. Derselbe Mann hat übrigens jedem Neuaufgenommenen dringend zum Austritte gerathen. Die Bilder des Friedens sind selten in den Hallen des Klosters, weil nicht immer Beruf, weil äußerer Zwang, weil materielle Verhältnisse die Meisten hinter diese Mauern bringen, die dann in ihrer Unzufriedenheit sich und Anderen das Leben verbittern.

Es giebt unter ihnen gewiß auch ehrenwerthe Männer, denen ihr Beruf heilig ist, aber sie würden außer dieser Genossenschaft Gott ebenso gut, vielleicht besser dienen als in ihr.

Wer mag es dem Manne verargen und einen Stein auf ihn werfen, der wohl nach heftigem Seelenkampfe und in der Ueberzeugung, Recht zu thun, den Muth hat, die Fesseln trotz des Geschreies der Welt und der „Brüder“ zu sprengen? Hat er damit schon seine Kirche verlassen, ist er darum schlecht geworden, verdient er darum Tadel, daß er lieber ein ganzer Mensch als ein schlechter Mönch sein will? Und doch wirft die Kirche selbst, welche die Religion der Liebe lehrt, den Stein auf ihn; sie will ihn nicht dulden; sie stößt ihn aus ihrer Gemeinschaft und legt ihren Fluch auf sein Haupt, obwohl er vielleicht besser war als mancher ihrer „treuen“ Söhne, der ein weiteres Gewissen hat. Es wäre entsetzlich traurig, wenn Jene unfehlbar wären, die den Fluch aussprechen – aber Gott kennt in seiner Vatergüte den Fluch nicht, mit dem man seinen Namen entehrt.