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Noch einmal vom dritten deutschen Sängerbundesfest in Hamburg

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Textdaten
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Autor: Harbert Harberts
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Titel: Noch einmal vom dritten deutschen Sängerbundesfest in Hamburg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 595–599
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Noch einmal vom dritten deutschen Sängerbundesfest in Hamburg.[1]

Von Harbert Harberts. Mit Abbildungen von P. Duyffcke.
Der Sängereinzug. – Beim Begrüßungschoppen. – Der Empfangsabend in der Festhalle. – Etwas vom Festplatze. – Waterkant. – Der Sängertag und die Sängerbundesstiftung. – Das erste Festconcert. – Der große Festzug. – Das zweite Festconcert. – Zum fröhlichen Anfang das fröhliche Ende.

Es war ein prächtiges Fest, das jüngst die sangeskundigen Söhne Alldeutschlands in Hamburgs Mauern feierten, ein echtes Nationalfest, das die Herzen aller Theilnehmer höher schlagen ließ in freudiger Begeisterung, in einmüthiger Hingabe an die idealen Genüsse, die das deutsche Lied und der deutsche Chorgesang ihren Jüngern und Freunden bereiten, ein deutsches Verbrüderungsfest im schönsten und edelsten Sinne des Wortes. Und der Himmel selber hatte seine helle Freude an dem prächtigen Feste. Noch wenige Tage vorher hing er ununterbrochen grau und trübe herab auf die alte Hansastadt, als aber mit dem Morgen des 10. August das Fest anbrach, da hatte er die letzte Wolke aus seinem Antlitz gewischt und lachte blau und sonnenglanzumflossen herab auf die Thürme und Giebel der Stadt, die im reichen Schmucke bunter Fahnen erprangte, auf die Straßen, die sich das Festkleid grüner Guirlanden und mächtiger Triumphbogen mit poetischen Inschriften angethan hatten, und auf die Tausende und Abertausende von fröhlichen Menschenkindern jeden Alters, jeden Standes und jeden Geschlechts, welche die Straßen vom frühen Morgen an belebten und die einziehenden Sangesgäste mit herzlichem Jubel begrüßten.

Alle fahrplanmäßigen Züge der verschiedenen Eisenbahnen und zahlreichen Extrazüge brachten deren in immer neuen Schaaren. Auf den Perrons wurden dieselben von Vertretern des Centralausschusses officiell empfangen und unter den Klängen eines rauschenden „Sängermarsches“, den der in Hamburg so sehr beliebte und durch seine „Türkische Schaarwache“ durch ganz Deutschland und weit über dessen Grenzen hinaus bekannte Musikdirector Theodor Michaelis eigens zum Feste componirt hatte, nach dem Empfangsbureau, der Marienthaler Bierhalle am alten Pferdemarkte, geleitet.

Die Marienthaler Bierhalle liegt dem Thaliatheater gerade gegenüber und war bis vor Kurzem noch eine gewöhnliche Markthalle, wo auf dem „Schrangen“ der Schlächter sein saftiges Ochsenfleisch, seine Schweinsrippen und Hammelkeulen, die Landleute der Umgegend ihr Gemüse und die stämmige Fischfrau Schellfische und Schollen ausbot. Seitdem hat die Kunst des Architekten und des Decorationsmalers die Halle in ein glänzendes Wirthschaftsetablissement umgewandelt, wo die Marienthaler Bierbrauerei bei Wandsbeck ihre vorzüglichen Biersorten verzapft, und wo vom Tage der Eröffnung an große Frequenz herrscht.

Hierhin war, wie gesagt, das Empfangsbureau verlegt, und hier wurde den einziehenden Sangesgästen vom Comité der „Begrüßungsschoppen“ credenzt. Ein buntes, malerisches Treiben füllte den ganzen Vormittag die weite, hohe Halle und den vor ihr liegenden kleinen Garten. Mit Sang und Klang zogen die schier zahllosen einzelnen Liedertafeln und Gesangvereine mit ihren bunten, zum Theil kostbaren Fahnen und Bannern ein, und jedem einziehenden Gaste wurde jubelnder Zuruf zu Theil.

Förmlicher Enthusiasmus aber that sich allseitig kund, als die deutschen Sangesbrüder aus England und den russischen Ostseeprovinzen eintrafen, und in erhebender Weise zeigte sich wieder einmal, daß das deutsche Stammesbewußtsein auch denjenigen Söhnen der gemeinsamen Mutter Germania gegenüber warm und kräftig pulsirt, von denen uns eine kalte politische Grenze trennt. Vierstimmiger Hochgesang erscholl zu ihren Ehren, und die Musik schmetterte ihnen ihren fröhlichsten Tusch entgegen.

Im Empfangsbureau wurden vorläufig die Banner abgegeben und die Festzeichen und Festkarten, sowie die Programme und Quartierbillets entgegen genommen. Dann erst kam der „Begrüßungsschoppen“ zu seinem Rechte. Viele der Sänger hatten eine lange Eisenbahnfahrt hinter sich, und da mag der kühle Trunk den ausgetrockneten Kehlen trefflich zugute gekommen sein.

Es entwickelte sich denn auch bald an allen Tischen eine zwanglose Fröhlichkeit, und die Kellner, unter denen zwei waschechte Nigger den Binnenländern einen kleinen Beweis von Hamburgs kosmopolitischer Stellung gaben, hatten kaum Hände genug, um an sämmtlichen Tischen den nöthigen „Stoff“ spenden zu können. Dazwischen bewegten sich dralle Vierländerinnen in ihrer [596] charakteristischen Tracht und schmückten die wackere Brust der Sänger mit blühenden Rosen. Nicht selten geschah es, daß stramme Bajuvaren, die ebenfalls zum Theil in ihrer heimathlichen Tracht, in Kniehosen und Lodenstrümpfen, auftraten, den schmucken Töchtern der norddeutschen Tiefebene zum Danke in die blühenden Backen kniffen, und bei einem solchen Anblicke konnte sich auch der verbissenste Particularist der Ueberzeugung nicht verschließen, daß nunmehr wirklich und in der That die Mainlinie endlich und endgültig in die historische Rumpelkammer geworfen sei.

Das dritte deutsche Sängerbundesfest in Hamburg: Concert in der Festhalle.

Im Ganzen zeigten sich die Sangesgäste auf’s Angenehmste berührt von dem herzlichen Empfange, den ihnen die Feststadt zu Theil werden ließ, und als sie von Schülern der Volksschule durch die festlich geschmückten Straßen in ihre Quartiere geleitet wurden, da mögen in mancher Brust sich Gedanken geregt haben, wie sie Ernst Wichert in dem Liede aussprach, das er dem Königsberger Sängerverein mit auf den Weg gab:

„Sei froh gegrüßt, Hammonia,
Die gastlich uns gewogen!
Die Reise schien uns nicht zu hart;
Wir üben echter Sänger Art,
Zu fahren und zu singen –
Mag unser Werk gelingen!“

Das dritte deutsche Sängerbundesfest in Hamburg: Die Marienthaler Bierhalle

Und des Dichters Wunsch ist herrlich in Erfüllung gegangen. Doch wir dürfen unserer streng historischen Darstellung nicht vorgreifen und wollen den Festereignissen der Reihe nach folgen. Das erste dieser Ereignisse war der feierliche allgemeine Begrüßungsactus in der Festhalle auf der Moorweide.

Wir haben in Nr. 32 den Lesern der „Gartenlaube“ bereits eine Ansicht der Festhalle und eine allgemeine Beschreibung derselben gebracht. Das Innere der Halle war seinem pompösen Aeußern entsprechend mit Fahnen, Wappen und Emblemen prächtig decorirt, und dieser decorative Schmuck erhöhte sich in außerordentlicher Weise, als am Nachmittage in langem Zuge unter gewaltigem Zulaufe der Volksmenge die Fahnen und Banner der Sängervereine überbracht und rings an den Wänden der weiten Halle placirt wurden. Vor der rothausgeschlagenen Dirigentenkanzel stand die überlebensgroße Büste des deutschen Kaisers, und wieder vor dieser das mächtige Bundesbanner mit den beiden kostbaren gestickten Schleifen daran, die bei Gelegenheit der beiden vorhergehenden Sängerfeste holde Frauen zu Dresden und München den deutschen Sängern als Erinnerungszeichen verehrten. Gegen acht Uhr Abends füllte sich allmählich die Halle bis auf den letzten Platz mit frohen Festtheilnehmern, und nun betraten die Hamburg-Altonaer Sänger das Podium, um den von ihrem Dirigenten, Musikdirector Böie, schwungvoll componirten „Bundesspruch“ vorzutragen. Mächtig rauschte es durch die Räume:

„Klug im Rath, kühn zur That,
Furchtlos und frei, dem Kaiser treu,
Herz und Hand dem Vaterland!“

Als der einleitende Gesang, welcher auf stürmisches Verlangen des Auditoriums zweimal wiederholt werden mußte, verklungen war, bestieg Senator Stahmer die Dirigentenkanzel und begrüßte Namens der Stadt in einer warmen Ansprache die von nah und fern herbeigeeilten Sangesbrüder. Seine Rede schloß mit dem Motto: „Ergo bibamus!“ und einem kräftigen dreimaligen Hoch auf die Sänger. Darauf folgte wieder Gesang und dann im Namen der Hamburger Frauen durch Director Kümmel aus Altona die Ueberreichung einer dritten Schleife für das Bundesbanner, nicht minder kostbar als die bereits erwähnten zwei von Dresden und München. Die Schleife besteht aus einem schweren, breiten weißen Seidenbande, mit dem Hamburger Wappen und einer entsprechenden Inschrift in prachtvoller Gold- und Buntstickerei geziert, und ist aus dem renommirten Kunststickerei-Atelier der Frau Dr. Marie Meyer in Hamburg hervorgegangen. Als Vertreter des Sängerbundes dankte Notar Otto aus München für das schöne Angebinde, und nun begann ein fröhlicher Commers, den Solo-Vorträge von Gesangsvereinen aus den verschiedensten deutschen Gauen würzten. – Nicht minder fröhliches Treiben als drinnen in der Halle herrschte seit Anbruch des Abends draußen auf dem Festplatze. Dort in den zahlreichen Restaurations- und Erfrischungshallen war bald buchstäblich kein Platz mehr zu erhalten, namentlich aber, als der Commers zu Ende gegangen war und sich hier das ganze Festtreiben concentrirte. Allüberall klangen aus geübten Sängerkehlen vierstimmige Lieder bald ernster, bald heiterer Art, und dazwischen wieder jauchzten übermüthige Jodler in den warmen Sommerabend hinein. Daß dabei der braune Trank der Gerste in Strömen floß, bedarf keiner besonderen Erwähnung; denn einer [597] Sängerkehle ergeht es wie einer Musikantenkehle, und die ist laut Emanuel Geibel „als wie ein Loch“. Es war auch nicht zu verwundern, daß einzelnen Sängern aus dem biergesegneten Baierlande das notorisch kleine Hamburger Seidel bald gar zu winzig erschien und sie deshalb anfingen, ihren famosen heimathlichen „Weihenstephan“ aus – Champagnerkühlern zu pokuliren. Ganz selbstverständlich ist es ferner, daß auch der Humor seine lustigen krausen Blüthen trieb; er war es, der sein geselliges Band um die ganze Festgesellschaft schlang, die da unten auf der Moorweide zu Hamburg vor dem Dammthore durch einander wogte, indessen von oben die glänzenden Sterne mit verwunderten Augen auf sie herabschauten.

Das dritte deutsche Sängerbundesfest in Hamburg: Das Bundesbanner im Festzuge.

Und aus Abend und Morgen wurde der zweite Tag. Auch er lachte in strahlender Bläue auf das Fest hernieder. Nachdem Vormittags in der Festhalle die erste allgemeine Probe zu dem ersten großen Concert abgehalten war, schauten sich die fremden Sänger, von denen viele auch ihre Damen mitgebracht hatten, die Sehens- und Merkwürdigkeiten der Weltstadt an. Naturgemäß übte der Hafen mit seinen zahllosen Schiffen, vom stolzen Meergiganten an, der den weiten Ocean durchfurcht, bis zum bescheidenen Ewer, der von den nahen Elbinseln her die Hamburger mit frischen Lebensmitteln versorgt, die bedeutendste Anziehungskraft auf die staunenden Binnenländer aus, und in der That wimmelte es dort förmlich von Besuchern. Die Leute „von de Waterkant“, die unter Umständen mit den in dieser Beziehung berüchtigten Sachsenhäusern recht gut in „wackerer heimathlicher Grobheit“ rivalisiren können, zeigten, daß sie ebenfalls hinwieder sehr gemüthliche Leute sein können, und in mancher Hafenschenke konnte man zwischen Gästen und „natives“ die herzlichsten Beziehungen beobachten. Dazu hatte auch der Hafen ein buntes Festgewand angelegt. Da lag nicht ein einziges Schiff, dessen Masten nicht reich beflaggt waren, und die alten Häuser, die sonst etwas grämlich dareinschauen, blickten jetzt im Schmucke grüner Kränze und bunter Inschriften freundlich auf die zu ihren Füßen fluthenden Menschen. Die Inschriften waren zum Theil recht bezeichnend. So war es der Ausdruck vollster Ueberzeugung, wenn die eine in biederem Plattdeutsch meinte:

„So lang’ in Hamborg Schippfohrt geiht,
So lang’ Gewerbe noch besteiht,
So lang’ Gesang noch wardt verehrt:
So lang’ geiht hier noch nicks verkehrt.“

Einzelne Inschriften wieder schlugen einen humoristisch satirischen Ton an. Die in der Hamburger Bevölkerung tiefgehende Bewegung des Zollanschlusses äußerte sich folgendermaßen:

„Bis 88 könnt Ihr singen
Aus freier Kehle, wie Ihr wollt;
Denn spät’re Zeit noch wird es bringen,
Daß man Gesang als ‚Ton‘ verzollt.“

Mittlerweile waren in dem sogenannten „Schweizersaale“ des Sagebiel’schen Etablissements die Delegirten der Gaubünde zum achten „Sängertage“ zusammen getreten. (Der vorige wurde am 7. August 1880 in Würzburg abgehalten.) Die Verhandlungen betrafen zumeist interne Angelegenheiten des Sängerbundes und passen deshalb in den Rahmen dieses Festberichtes nicht. Aber über die „Deutsche Sängerbundes-Stiftung“, die 1877 zu Kassel errichtet wurde und deren Zweck es ist, wie die Satzungen besagen: „Componisten auf dem Gebiete des deutschen Männergesanges sowie deren Hinterbliebenen in Fällen der Bedürftigkeit Unterstützungen als Ehrengaben des deutschen Sängerbundes zu gewähren“, über sie dürften einige Mittheilungen von Interesse sein.

Die „Sängerbundesstiftung“ verfügt zur Zeit über ein Capital von 42,000 Mark und hat im vergangenen Jahre an die Wittwe Kreutzer und an Ed. Hermes je 600 Mark als Ehrengaben vertheilt. Im neuen Geschäftsjahre werden wieder zwei Ehrengaben zur Vertheilung gelangen und zwar 900 Mark an Altmeister Storch und 600 Mark an die Wittwe Weber. – In den Nachmittagsstunden stand die erste große künstlerische That des Sängerfestes bevor, nämlich das erste große Festconcert, und in breitem Strome ergoß sich die Menschenmenge dem Festplatze zu. Es bedurfte großer Vorsicht, um sich durch das dichte Gewirr der Fuhrwerke und Fußgänger gefahrlos zu winden und, ohne Leibesschaden zu nehmen, die Halle zu erreichen. Dort saßen zur festgesetzten Zeit Kopf an Kopf erwartungsvoll die Hörer, Männlein und Weiblein, beisammen, und auf dem Podium gruppirte sich die gewaltige Sängerschaar. Ein imposanter Anblick! Jetzt betrat Professor Julius von Bernuth die Dirigentenkanzel und erhob den Tactstock. Das Orchester setzte ein, und [598] überwältigend erbrauste Beethoven’s herrliche Hymne „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“ in die weite Halle hinein. In fast athemloser Spannung lauschte die Menge den erhebenden Klängen, und als sie verhallten, brach jubelnder Beifall aus. Dann hielt Dr. Hachmann, der Präsident der „Bürgerschaft“, mit schallender, im fernsten Winkel des großen Raumes klar verständlicher Stimme eine zündende Ansprache, die in einem begeisterten Hoch gipfelte auf den deutschen Kaiser, „der den versunkenen Nibelungenschatz deutschen Reiches Herrlichkeit gehoben, auf dessen Thaten und Namen für alle Zeiten der dankbare Herzschlag der Nation antwortet“, und begeistert, wie das Hoch ausgebracht wurde, stimmten alle die Tausende, welche die Halle füllten, stehend in dasselbe ein. Der fernere Verlauf des Concerts mußte auch die höchstgehenden Ansprüche nicht nur befriedigen, sondern übertreffen. Die einzelnen Nummern gelangten in tadelloser Weise zu Gehör und übten eine mächtige Gesammtwirkung aus, die durch die überraschend gute Akustik der Festhalle wesentlich gehoben wurde.

Das dritte deutsche Sängerbundesfest in Hamburg: Die Kneipe zum „Weihenstephan“ auf dem Festplatze.

Abwechselnd dirigirten Professor von Bernuth und der Bundeschormeister Franz Schmid; es war eine Freude, zu beobachten, wie die beiden wackeren Dirigenten den gewaltigen Männerchor „wie am Schnürchen“ lenkten und aus ihm das zarteste Piano wie das brausendste Forte förmlich herausholten. Interessant war ferner die Beobachtung, daß einfache deutsche Lieder, wie das von Conradin Kreutzer[WS 1] componirte innige Uhland’sche Lied „Das ist der Tag des Herrn“ und die Müller’sche, von Karl Isenmann in Musik gesetzte, volksliedermäßige Dichtung „Heute scheid’ ich, morgen wandr’ ich“ am prächtigsten gelangen und die größte Wirkung erzielten.

Gehoben durch den unvergleichlichen Genuß dieses Concertes, verließ nach Beendigung desselben die Menge die Halle, um sich wieder auf dem Festplatze zu ergehen, wo erst die späte Nacht dem fröhlichen Gewühle ein vorläufiges Ziel setzte.

Das dritte deutsche Sängerbundesfest in Hamburg: Rückkehr von der Nordsee.

Und wieder wurde aus Abend und Morgen der dritte Tag.

Auf diesen dritten Tag war der große Festzug angesetzt, der den Höhepunkt des Festes in seiner Bedeutung als Volksfest bildete. Das war ein Leben und Treiben, ein Wogen und Drängen auf den Straßen, durch die der Zug sich bewegen sollte! Von allen Balconen, aus allen Fenstern hingen bunte Teppiche herab, und über dieselben lugten leuchtenden Blickes „Damen in schönem Kranz“ zu uns herüber. Vor dem Steinthore, beim Gewerbemuseum, geschah die Aufstellung des gigantischen Zuges, der sich Nachmittags gegen 2½ Uhr in Bewegung setzte, zwei in mittelalterliche Kostüme gekleidete Herolde mit Reisigen an der Spitze.

Zunächst – um nur Einiges aus dem Festzuge anzuführen – bedarf der große Festwagen der Erwähnung, auf dem das schwere Bundesbanner gefahren wurde. Der Wagen, ein wirkliches Kunstwerk, wurde von dem bewährten Hamburger Bildhauer Engelbert Pfeiffer modellirt und hatte die Form eines Schiffes, das am Bugspriet die Muse des Gesanges, an den reich ornamentirten Seitenborden aber verschiedene Städtewappen und am Spiegel ein mächtiges Hamburger Wappen zierten. Das Schiff, von sechs Rappen gezogen, war mit zwölf buntgekleideten Matrosen bemannt. Dieser Festwagen mit dem darauf befindlichen Bundesbanner, auf dem man in leuchtender Goldstickerei das Wort des alten Arndt: „Das ganze Deutschland soll es sein!“ las, erregte überall stürmischen Enthusiasmus und auf ihn besonders regneten aus schönen Händen duftige Blumensträuße dicht hernieder.

Auch im Zuge kam der Humor zu seinem Rechte. Einzelne sächsische Vereine marschierten geschlossen unter einem gewaltigen Sonnendache, gewissermaßen damit ihre brüderliche Eintracht andeutend. Die Hildesheimer trugen Sonnenschirme in schreiend rothen und gelben Farben, und ein anderer hannoverscher Verein hatte sich mit phantastischen Kopfbedeckungen mit darauf gestickten Sonnenblumen versehen. Die „Chargirten“ der „Liedertafel“ zu Hameln marschierten ihren Sängern voran in grauen Hüten, die zu Ehren des berühmten „Rattenfängers“ ihrer Vaterstadt mit Ratten ausstaffirt waren, und ein Bremer Club führte als Feldzeichen auf hoher Stange einen schwarzen Kater, der eben im Begriff ist einen riesigen Häring zu verspeisen; darunter das Wort: „Des Sängers Fluch“.

Der drittehalb Stunden lange Zug bewegte sich zuerst in die in einen Triumphpfad verwandelte Steinstraße hinein und dort, wo zur Rechten die hohen Kirchthürme zu St. Jacobi und St. Petri ernst auf ihn herniederschauen, hat unser Künstler in dem beigegebenen Bilde aus ihm eine Partie festgehalten.

Unter ununterbrochenem Jubel der Bevölkerung, unter fortwährendem Blumenregen aus schönen Händen bewegte er sich durch die vorgeschriebenen Straßen und unter den Klängen der Musik nach dem Festplatze, wo er erst nach fünf Uhr anlangte.

Die Strapazen, welche der große Zug nothwendig mit sich brachte, machten es nöthig, daß der Anfang des zweiten Festconcerts, der wie beim ersten auf sechs Uhr anberaumt war, um eine Stunde verschoben wurde. Das Concert wurde dieses Mal eingeleitet mit einer Ansprache eines Vertreters des Sängerbundes, des Generaldirectionsrathes E. Rutz aus München, und der Verlesung eines herzlichen Danktelegramms, das der deutsche Kaiser für das ihm am Tage zuvor von 17,000 Festgenossen gebrachte Hoch an den Bürgermeister Dr. Kirchenpauer gerichtet hatte. Trotz der beim Zuge erlittenen Strapazen kamen die Lieder auch jetzt wieder mit wundervoller Frische und Präcision zum Vortrage, so namentlich das wildenergische „Lied der Städte“ von Hermann Lingg, componirt von Max Bruch. Elektrisirend erklang die Schlußstrophe:

„Was Felseneck und Hohenrain!
Was Geierhorst und Drachenstein!
Schlagt drein, schlagt drein!
Schlagt Zugbrück’ ein und Pfosten!
Die Sporen müssen rosten
Und frei die Städte sein.“

Geradezu bezaubernd gelang die „Dörpertanzweise“ von Victor von Scheffel, Melodie von Max Zenger, mit dem Refrain:

„Der Heini von Steyer
Ist wieder im Land.“

Ueberwältigend erhaben dagegen war der „Siegesgesang der Deutschen nach der Hermannsschlacht“ von Felix Dahn, von dem Altmeister des deutschen Liedes Franz Abt in Musik gesetzt. Und wieder war das dicht gedrängte Publicum auf’s Höchste entzückt von den ausgezeichneten Leistungen der Sänger. Die animirte Stimmung erlitt auch nicht die geringste Einbuße, als während der letzten Nummer das elektrische Licht in Folge einer Störung in der Leitung plötzlich erlosch und der Chor seinen Gesang im Dunkeln zu Ende führte, was ihm exact gelang.

Der diesem letzten der eigentlichen Festtage folgende Sonntag war ganz und gar Ausflügen in die Umgegend Hamburgs gewidmet. Ein großer Theil der Sänger stach mit fünf Dampfern der „Hamburg-Amerikanischen Paketfahrt-Actien-Gesellschaft“, mit der „Suevia“, der „Lotharingia“, der „Frisia“, der „Messalia“ und dem „Blankenese“ bis in die Nähe des rothen Felseilandes

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kreuzer

[599] Helgoland in See, während ein anderer, noch größerer Theil sich mit einer Elbfahrt begnügte, am hügeligen, umbuschten, mit Dörfern und Villen besäeten Ufer entlang, bis zu dem reizend gelegenen Blankenese hinunter, wo ein herrlicher Sommertag voll Sang und Klang, voll Lust und Laune als herrlicher Epilog das herrliche Fest beschloß.

Spät Abends, als Dunkel sich über die Wasser des majestätischen Elbstromes niedergelassen hatte, führten die letzten Schiffe die letzten Festgenossen dem Hafen wieder zu, und in vielen Villen am Ufer flammte ihnen zu Ehren an den Fenstern Illumination auf. Am Montag wurde noch eine große Extrafahrt nach Kiel zur Besichtigung der dortigen Reichskriegshafenanlagen veranstaltet, und dann zerstreuten sich all die Tausende der Sänger wieder nach allen Richtungen der Windrose in ihre Heimath, wo sie, voller Dank gegen die gastfreundliche und liebenswürdige Feststadt, noch lange zehren werden an den schönen Erinnerungen – vom dritten deutschen Sängerbundesfeste.

  1. Vergleiche Nr. 32.