Noch einmal eine sprachliche Unart
[052] Noch einmal eine sprachliche Unart. Der in Nummer 1 der Gartenlaube gerügte Gebrauch des am Berg, am See etc. ist wohl nur ein dem österreichischen Dialekt eigenthümlicher Fehler, der sehr selten in der Schriftsprache erscheint. Ich möchte dies „am“ nicht für eine Zusammenziehung von „auf dem“ halten, sondern glauben, daß es durch eine Auffassungsverschiedenheit, durch eine in unbestimmter Allgemeinheit erweiterte Anwendung der Präposition an entstanden sei. So sagt der Oesterreicher ja auch – und dieser Fehler ist oft auch in der Schriftsprache zu finden – „sie hielten ihre Versammlung beim Adler“, „der Kaiser ist beim Erzherzog Karl abgestiegen“. Der dialektische Gebrauch der Präpositionen ist ein interessantes Stück lebendiger Sprachbildung; so sagt der gemeine Mann hier in Mainz (wie auch in Thüringen und Meißen), um nur dies Eine anzuführen: „er ist bei mich gekommen“.
Verdienstlich ist aber immer ein aufmerksames Controlieren und strenges Rügen von grammatischen Sprachwidrigkeiten, die hie und da selbst in den angesehensten und sonst in jeder Hinsicht mustergültigen Zeitschriften uns begegnen.
Die strenge Kritik, welche der Franzose über Stil und grammatische Handhabung seiner Sprache ausübt, hat denn doch auch ihr Gutes. Komische Dinge sind freilich französischen Autoren durch ihre Unwissenheit in fremden Sprachen passirt: ich erwähne nur die bekannte Uebersetzung von Philarète Chasles: Je suis ici sur le Meinigen („Hier steh’ ich auf dem Meinigen“ in Schiller’s Tell), den der gute Mann für einen Schweizer Berg hielt, und die bekannten Doctoren „Schinkengift“ etc., sowie den verrätherischen General „Staff“. Vereinzelt kommen derartige Mißverständnisse auch in deutschen Schriften vor; bekannt ist ja, wie seiner Zeit in einer hochangesehenen deutschen geographischen Zeitschrift die Rede war von Turteltauben, welche die Eingeborenen fangen, indem sie dieselben auf den Rücken legen und an den Hinterbeinen fortschleppen!! (Das englische turtle welches Schildkröte und Turteltaube bedeutet, gab zu dieser unbegreiflichen Gedankenlosigkeit Anlaß.) Nicht unbemerkt ist auch die Übersetzung der Stelle aus der Proclamation Napoleon’s im Jahr 1859 geblieben: les paroles d’un heureux augure, welche eine der ersten deutschen Zeitungen mit: „Die Worte eines glücklichen Auguren“ (statt „einer glücklichen Wahrsagung“) wiedergab. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich auch auf einen Uebersetzungsfehler in dem wahrhaft classischen Werke des Großen Generalstabs über den französischen Krieg hinweisen, in welchem die Worte der Proclamation Napoleon’s: Nous formons le voeu ect. lauten. „Wir thun das Gelübde, daß die Völker, aus denen sich die große germanische Nation zusammensetzt, frei über ihre Geschicke bestimmen sollen,“ statt: „Wir hegen den Wunsch etc.“. Ein Werk, das nach Inhalt und Form bestimmt ist, ein köstlicher Besitz der jetzt lebenden und aller kommenden Generationen zu sein, sollte auch von derartigen kleinen Unrichtigkeiten frei sein.