Noch einmal Kronstadt
In Nr. 17. der Gartenlaube legten wir den Leser einen Plan von Kronstadt vor, heute bringen wir eine weitere Abbildung dieser wichtigen Seefeste, und sind zugleich in den Stand gesetzt, die schon damals mitgetheilte Schilderung zu vervollständigen, welcher der Leser folgen mag, indem er jene Pläne nochmals zur Hand nimmt.
Wir haben schon gesehen, daß man auf der Fahrt nach Kronstadt zunächst zur Linken die westliche Spitze der Insel hat, welche in einer Reihe Felsen, scharf gezackt, im Meere ausläuft, und auf deren äußerstem Ende der Leuchtthurm von Tolbukin steht; dann kommt die mit Batterien gespickte südliche Küste der Insel, in der Fronte aber erblickt man fünf Forts, zwischen denen hindurch sich der Kanal nach dem Hafen von Kronstadt schlängelt. Zur Rechten, in einer Entfernung von zwei Stunden, sieht man (im Sommer) die grünen Hügel Oranienbaums und des kaiserlichen Parks; endlich in der Ferne am Horizont, wenn die hier häufigen Nebel es erlauben, die Umrisse von St. Petersburg, stolz überthront von der goldenen Kuppel der St. Isaakskirche.
Die Vertheidigungsfähigkeit dieser südlichen Küste von Kronstadt wurde schon in unserm ersten Artikel hinlänglich hervorgehoben, nachträglich sei hier nur noch bemerkt, daß sämmtliche Forts und Batterien ihrer Lage nach die Krümmungen des Kanals immer in gerader Linie bestreichen, so daß ein Schiff, welches nach Kronstadt will, stets gezwungen ist, sein Vordertheil dem Feuer auszusetzen, bekanntlich die allerungünstigste Lage für ein Fahrzeug, da es von seinen Batterien keinen Gebrauch machen kann. Um letzteres zu können, müßte es sich bis inmitten der Forts selbst vorwagen, und hier würde es unfehlbar in wenigen Minuten zerschmettert und in Grund gebohrt sein. Ein solches einzige in Grund gebohrte Schiff würde aber den schmalen fahrbaren Kanal alsdann sperren, so daß andere Schiffe weder zur Hülfe kommen könnten, noch die Fortsetzung des Angriffs möglich wäre, oder doch sehr erschwert werden würde.
Der bessern Uebersicht wegen zählen wir einmal die Reihe der Forts und Batterien auf, an denen man auf der Südseite vorüber muß, und beginnen dabei mit den auf der Insel gelegenen:
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- 1) Das Peters-Fort, bei dem sich außerdem eine kleine Streichfeuer-Batterie befindet.
- 2) Die Batterie Kesel.
- 3) Die Batterie am Löschplatze.
- 4) Der große Hafendamm (Molo) mit 82 Geschützen, auf welchen die nach Kronstadt segelnden Schiffe in gerader Richtung loskommen müssen.
- 5) Das Fort Menschikoff, am Eingange den Kriegsequipirungshafens.
- 6) Die Batterie auf dem Molo des Kriegsequipirungshafens.
7) endlich die Batterie auf dem Molo des eigentlichen Kriegshafens, auf der äußersten südöstlichen Spitze der Insel.
Dies sind zusammen die Küstenforts und Landbatterien, welche im Ganzen mit 150 Geschützen den Kanal bestreichen, wozu noch die 400 Kanonen der im Meere gelegenen Forts kommen, als:
- 1) Das Fort Konstantin.
- 2) Das Alexander-Fort.
- 3) Das Sanct-Peters-Fort.
- 4) Das Fort Risbank.
- 5) Das große Fort Kronslot oder Kronen-Fort, dessen eine Seite dem Fort Menschikoff zugekehrt ist, so daß die Passage zwischen diesen beiden fürchterlichen Wällen wenig über 600 Fuß breit ist.
Im Ganzen macht dies zwölf Forts oder große Batterien mit nahe 800 Feuerschlünden, Kanonen, Mörsern und Haubitzen vom stärksten Kaliber und sich überall kreuzendem Feuer.
Man hält allgemein dafür, daß ein Flottenangriff auf Kronstadt wenig Aussichten auf Erfolg habe. Der schmale Raum Fahrwasser, in welchem die Schiffe nur vorrücken können, hindert sie an jedem Linienmanöver, das stets mit der offenen Gefahr des Scheiterns verknüpft ist; sie fänden sich daher immer dem zusammenlaufenden Feuer der Forts Preis gegeben, ohne mit der gleichen Zahl Geschütz antworten zu können. Außerdem hält der Kanal nur 25 Fuß Fahrwasser und wenn dieses auch für gewöhnliche Linienschiffe ausreicht, so ist es doch für die neuern Meerungeheuer vom Schlage des Wellington mit 130 Kanonen unausreichend, da diese bei einem Tiefgange von 25 Fuß mindestens 27 Fuß Fahrwasser erfordern.
Besehen wir uns nun auch einmal die nördliche Seite Kronstadts, welche bei Weitem weniger befestigt ist. Auf dieser Seite erstreckt sich ebenfalls ein Arm des Meeres bis in die Gewässer von St. Petersburg, allein er hält nur 4 bis 5 Fuß Tiefe und ist somit für Kriegsschiffe, selbst von sehr untergeordnetem Rang, unfahrbar. Außerdem haben die Russen dort bekanntlich die Passage gesperrt, indem zwischen der nordöstlichsten Spitze von Kronstadt und der Landspitze Lifi-Roß (nordöstlich von St. Petersburg) zwei Reihen Pfähle eingerammelt und mit Granitblöcken ausgefüllt wurden.
Die Befestigung von Kronstadt am Ufer des Meeres nach Norden zu besteht aus in Pfahlwerk aufgeführten Dämmen, welche durch ebenfalls aus Holz erbaute Halbmond-Schanzen gedeckt werden. Die Mittelwälle werden von höher gelegenen Batterien überragt, von denen jede 16 Kanonen unter Kasematten enthält. Der westliche Wall durchschneidet das feste Land der Insel der vollen Breite nach und bildet eine Sägwerk-Fronte, um welche ein breiter Graben läuft, der von beiden Enden aus mit Seewasser gespeist wird. Außerhalb dieser Fronte etwa in Entfernung von einer Stunde, da wo die Insel sich zuzuspitzen anfängt, befinden sich vier Werke, welche das Meer nach beiden Seiten hin bestreichen. Das bedeutendste dieser Werke ist das von vier schmalen Bastionen gedeckte Alexander-Fort, an welches sich eine den südlichen Kanal bestreichende Batterie schließt, ferner die Michaels-Redoute und eine über die Insel weggehende Sägwerkschanze. Auf der äußersten Spitze ist endlich noch eine Batterie angebracht, welche den Namen Katharinen-Fort führt. Die Seichtigkeit des Meeres, die granitnen Forts und die Batterien im Süden, die Befestigungen im Norden, Westen und an der westlichsten Spitze, die von allen Seiten gegen den Angreifer herabklotzenden Kanonen bilden zusammen ein so furchtbares Ganzes, daß der Kaiser Nikolaus neulich wohl mit ironischem Lächeln sagen konnte: „Ich bin nur begierig, wie sie es anfangen werden, um Kronstadt anzugreifen.“
Es würde in der That außerordentlich schwierig sein, auf eine derartig befestigte Stadt einen Angriff zu unternehmen, gleichwohl dürfte vielleicht mit einer dazu ausgerüsteten Flotte, die ein ansehnliches Truppenkorps mit sich führte, eine Landung an der Spitze der Insel oder auf deren nördlicher Seite zu bewerkstelligen sein; dies Corps könnte sich dann festsetzen, verschanzen und bald die Laufgräben gegen den westlichen Frontwall eröffnen. Die Flotte müßte zu diesem Zwecke eine hinlängliche Zahl platter Fahrzeuge zum Ausschiffen der Truppen bei sich führen, und ebenso eine Flotille von Kanonen- und Bombenbooten, um die Ausschiffung zu unterstützen. Das kleine Fort auf der westlichen Spitze mit seinen Nebenwerken, der Frontwall im Norden mit seinem Pfahlwerk könnten durch eine zahlreiche Kanonenflotille leicht zerstört werden. Das Landhaus des Gouverneurs auf der nördlichen Seite böte keinen ungünstigen Punkt zur Ausschiffung, wo man sich schnell verschanzen könnte; dann würde man durch die Gärten und Häuser durch, welche außerhalb der Festung eine kleine Vorstadt bilden, gegen den westlichen Hauptfrontwall vordringen und vom Terrain begünstigt die Laufgräben nicht ohne Erfolg eröffnen können.
Die großen Kanonenforts, mit ihren vier Reihen Kanonen übereinander, beherrschen zwar das feste Land der Insel, und ein Landungskorps würde von ihrem Feuer belästigt werden, bis die nöthigen Schanzarbeiten hergestellt wären; ebenso könnte ein von den Forts aus unterhaltenes Bombenfeuer sehr nachtheilig sein: bei alledem wäre es gleichwohl möglich, die ersten Verschanzungswerke binnen zwei Nächten zu vollenden, vorausgesetzt, daß die Flotille zweitausend Schanzkörbe und Faschinen, und drei- bis viertausend Säcke voll Erde nebst den erforderlichen Schaufeln und Hacken bei sich hätte. Mit solchen in voller Bereitschaft gehaltenen Mitteln würde es nicht schwer fallen, in kurzer Zeit eine fliegende Schanze herzustellen, zumal nur die beiden Forts Konstantin und St. Peter der Insel nahe genug liegen, um ein gut genährtes und sicheres Feuer unterhalten zu können. Wohl wäre es dann aber weiter möglich, daß die Landungstruppen sich der auf der Südküste gelegenen großen Befestigungswerke, wie Fort Peter und die Schanze Kesel, bemächtigten, da deren Hauptfronte dem Kanal zugekehrt ist und somit ein Angriff vom Lande her auf weniger Widerstandsmittel stoßen würde.
Mit Wegnahme dieser Küstenbatterien verlören die Seeforts schon einen Theil ihrer Wichtigkeit, und weiter hätte man alle die Hülfsmittel für sich, welche eine Flotte an Artillerie von schwersten Kaliber und an Kriegsbedarf jeder Art besitzt. Einmal die Küstenbatterien genommen, wäre es nicht unmöglich, von ihnen aus die nächstgelegenen Seeforts zu zerstören, worauf auch die Flotte mit weniger Gefahr an dem Angriff Theil nehmen könnte. Die Passage nach Kronstadt würde sie deshalb freilich immer noch nicht erzwingen, wohl aber die Belagerung zu Lande nachdrücklich unterstützen können.
Nehmen wir an, die Laufgräben seien eröffnet, die Belagerung lebhaft betrieben und bis an den Hauptwallgraben vorgerückt, alsdann würde man hier nun Bresch- und Ricochet-Batterien, hauptsächlich aber Mörser- und Haubitzen-Batterien errichten, Kronstadt bombardiren, die Arsenale vernichten und die russische Flotte in ihrem eigenen Hafen verbrennen. Bei der zahlreichen Besatzung des Platzes, wozu im Fall einer Belagerung sicherlich von Petersburg aus noch bedeutende Verstärkungen kommen würden, gehörte jedoch zu einem solchen Unternehmen ein Landungskorps von mindestens 25 bis 30,000 Mann.
Wir haben diese ausführliche Beschreibung Kronstadts nicht für überflüssig gehalten, da unter den obwaltenden Verhältnissen diese große Seefestung das lebhafteste Interesse erregt. Als das größte Marinearsenal Rußlands, als Handels- und Zufuhrhafen von St. Petersburg, als Vormauer dieser Stadt, ist Kronstadt gleich wichtig. Die Wegnahme von Kronstadt, wenn es zu nehmen ist, wäre für das russische Reich empfindlicher, als der Verlust von zehn Provinzen, denn seine ganze Marine ginge verloren. Die Belagerung und das Bombardement von St. Petersburg durch eine Kanonenflotille böte dann keine besondern Schwierigkeiten mehr, und so erklärt sich zur Genüge, weshalb die Regierung auf diesem Punkte so furchtbare Vertheidigungsmittel zusammengedrängt hat.