Noch einmal Fritz Beckmann
[144] Noch einmal Fritz Beckmann. Eines Abends sah ich Beckmann auf der Bühne an der Wien in der Generalprobe eines neuen Volksstückes, die der Polizeicommissär des Bezirkes überwachte.
„Es ist mir unbegreiflich, warum diese ganze Scene von der Censur gestrichen ist!“ rief unmuthig der Regisseur.
„Dort Oben weiß man schon warum,“ bemerkte Beckmann zurechtweisend, „denn was kein Verstand der Verständigen sieht, das ahnet in Unschuld des Censors Gemüth!“
Er hatte ein Couplet zu singen, – in der Mitte der ersten Strophe brach er plötzlich ab. „Hören Sie einmal, Capellmeister,“ rief er in’s Orchester hinab, „die Instrumentirung gefällt mir nicht. Ich bitte blos um Streich- und Blechinstrumente, denn die sind am volksthümlichsten und am meisten im Gebrauch – Streichinstrumente bei der Censur und Blechinstrumente bei der ganzen Bevölkerung.“
Alles lachte, sogar der Polizeicommissär schmunzelte ein wenig. –
Einem talentlosen Scribler, der dem beliebten Komiker eine Posse zur Beurtheilung aufgedrungen hatte, gab er das Manuscript mit folgendem Bescheid zurück: „Wenn Sie die beiden ersten Acte zusammenziehen und auf ein Minimum reduciren, den dritten Act ganz streichen, damit man den vierten entbehren kann, dann das ganze Stück streichen und von einem berufenen Schriftsteller ganz neu bearbeiten lassen, kann sich das Ding machen, glaub’ ich.“
Der Dichter dankte verdutzt für den guten Rath, soll aber Beckmann kein Manuscript mehr unterbreitet haben. – Ueber einen bissigen und berüchtigten Recensenten äußerte er sich: „Man mag sagen, was man wolle, uneigennützig ist der Mann, denn so vielen Leuten er auch schon die Ehre abgeschnitten hat, nicht das kleinste Stückchen hat er für sich behalten.“ –
Jemand fragte ihn, ob der erste Tenorist schon seine Kunstreise nach London angetreten habe? „Er ist noch hier, aber seine Stimme ist schon hin,“ lautete die Auskunft. – „Ich werde kein Künstler mehr, wenn ich wieder auf die Welt komme!“ rief ein verkanntes Genie. „Mir scheint, Sie sind schon wieder auf die Welt gekommen,“ bemerkte Beckmann. – Zu einem patriotischen Brauer, der den Truppen im französisch-italienischen Kriege Bier liefern wollte, sagte er: „Schicken Sie den Soldaten Lager-, dem Marschall Plutzer-, den Generälen Bock- und der ganzen Armee Abzug-Bier.“ – Einer seiner Collegen, den wir Julius nennen wollen, hatte in den Provinzen die ersten Heldenrollen gespielt, in Wien war er noch nicht einmal mit Episoden betheilt worden. Sein sehnlichster Wunsch war daher, nur an einem einzigen Abend in den Gesellschaftskreis des Directors gezogen zu werden, um ihn bei dieser Gelegenheit auf sein glänzendes Talent aufmerksam zu machen. „Ich gratulire!“ rief ihm Beckmann eines Tages zu, „Sie stehen am Ziele Ihrer Wünsche. Der Herr Director läßt Sie höflichst bitten, heute Abend an seinem Hausball theilzunehmen.“
„An einem Hausball?“ fragte Julius mit strahlenden Augen.
„Verbunden mit einer musikalisch-declamatorischen Abendunterhaltung. Alles erscheint in alttürkischem Costüme. Sorgen Sie nur für eine interessante Maske.“
„Ich wähle den Soliman!“ jubelte der Glückliche, „der Soliman war eine meiner Glanzrollen. O, der Director soll erfahren, welche Perle er an mir besitzt, die er bis jetzt gar nicht zu schätzen wußte.“
„Nun, viel Glück! Punkt zehn Uhr, versäumen Sie ja die Declamationsstunde nicht!“
Abends nach dem Theater soupirte der Director in seinem Familienkreise, als ziemlich verblüfft der Bediente eintrat.
„Euer Gnaden,“ meldete er, „es ist ein alter Türk draußen.“
„Ein alter Türk?“ fragte der Director befremdet.
„Mit langem, weißem Bart und glänzend gekleidet. Er spricht ganz gut Deutsch und behauptet, von Ihnen eingeladen zu sein.“
„Von mir? Das ist doch sonderbar!“
„Es scheint mit ihm nicht ganz richtig zu sein. Der alte Herr spricht ganz verwirrt, auch kommt er mir ein wenig verdächtig vor, denn er trägt einen Dolch und zwei ungeheure Pistolen im Gürtel.“
„Sage dem alten Türken, ich stehe zu seinen Diensten.“
Der Bediente öffnete die Thür und Julius trat gravitätisch als Sultan Soliman in den Speisesalon. Man kann sich das Erstaunen und die Ueberraschung der Anwesenden denken, als sie in dem grausamen Türkenfeind den harmlosen Schauspieler Julius erkannten und von dem losen Streich in Kenntniß gesetzt wurden, den ihm Beckmann gespielt. Aber Julius hatte sich über den Scherz nicht zu beklagen. Er durfte Soliman’s Monolog declamiren und zog sich so glücklich aus der Affaire, daß er schon im nächsten Schauspiel „Die Pferde sind gesattelt!“ meldete.