Zum Inhalt springen

Noch einige Thiergeschichten

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: L. M.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Noch einige Thiergeschichten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 720
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[720] Noch einige Thiergeschichten. Eine Familie, die seit Jahren in Amerika angesiedelt war, machte einen Besuch bei ihren Verwandten in Stuttgart. Die Reise ging über Paris, wo man mit den reichen mitgebrachten Mitteln sich die nöthige Ausstattung anschaffte, um als würdiges Glied der europäischen nobeln Gesellschaft auftreten zu können. In einer neuen Equipage fuhr man der langersehnten Heimath zu, von amerikanischen Begleitern war einzig ein Hund mitgekommen, der wegen seiner trefflichen Eigenschaften auch unter den sonstigen Merkwürdigkeiten, die man herübergebracht, sich sehen lassen durfte. Rechnete man ihn ja fast zur Familie; so groß war seine Treue und Anhänglichkeit, so freundlich und liebenswürdig seine Ausführung, so trefflich seine Geisteskräfte. In der ersten württembergischen Grenzstadt ward übernachtet. Die Freude, in wenigen Stunden die Ihrigen begrüßen zu dürfen, war den Reisenden einzig durch die Nachricht getrübt, mit der sie am frühen Morgen überrascht wurden, daß der Hund nirgends mehr zu finden sei. Die Vermuthung lag nahe, daß ein Fuhrmann, der in demselben Gasthaus eingestellt und den seltenen Schatz alsbald erkannt halte, den Hund in tiefer Nacht mit sich genommen und wieder zurück über die Grenze gebracht habe. Man reiste etwas verstimmt weiter, nachdem die nöthigen Weisungen gegeben waren, den gestohlenen Hund wo möglich wieder beizuschaffen. Ein Fahndebrief wurde dem Fuhrmann nachgeschickt und hätte wohl seinen Zweck erreicht, wenn nicht der Hund selbst den Proceß noch schneller zu erledigen gewußt hätte. Als man eben wieder zum ersten Male das frohe Wiedersehen am heimathlichen Mittagstisch feierte und von den Fährlichkeiten und Abenteuern der Reise sprach, wobei auch des ausgezeichneten Hundes und des leidigen Unfalls mit denselben Erwähnung geschah: kratzte es an der Thüre, und siehe da, der Vermißte springt herein und legt sich mit Schmutz bedeckt, von Hunger und Durst völlig erschöpft, aber mit freundlichsten Blicken zu den Füßen seines Herrn. Ein abgerissener Strick gab Kunde von dem, was ihm widerfahren war. Der Fuhrmann hatte ihn an seinen Wagen gebunden und mehrere Stunden mit fortgeführt, das Thier aber hatte den Strick abgebissen, hatte in fremdem Lande auf unbekannter Straße ganz allein einen Weg von beiläufig acht Stunden zurückgelegt, hatte die Richtung der Reisenden, die Straße der Residenz, wo sie abgestiegen, Stockwerk und Zimmer, wo sein Herr sich niedergelassen, sicher aufgefunden und rechtfertigte auf’s Glänzendste den Ruf, der ihm bereits vorausgegangen war. Will man eine begreifliche Vermittelung dieser jedenfalls außerordentlichen Spürkraft annehmen, so läßt sich im vorliegenden Falle höchstens sagen, der Geruch des Lederwerks der neuen Kutsche habe für das Thier den leitenden Faden gebildet.

Vollends unbegreifbar erscheint aber ein ähnlicher Vorfall mit einem anderen Hunde. Ein Jägersmann, der in einem einsamen, zwischen Wäldern liegenden Forsthause wohnte, hatte einem Freunde in einem Nachbarorte, als dieser zufolge einer Anstellung in der etwa zwanzig Stunden entfernten Hauptstadt dorthin abzureisen hatte, zum Abschied einen kleinen Hund geschenkt. Der weite Weg wurde vom Herrn und Hund ganz im Wagen zurückgelegt, dieser kam in ganz neue, ihm völlig unbekannte Gegenden und Umgebungen, es lagen tiefe Flußthäler und beträchtliche Höhenzüge dazwischen; und doch lief der Hund fort und langte nach acht Tagen wieder bei seinem alten Herrn im abgelegenen Försterhause an.

Doch auch von einem andern Thier, das jedenfalls viel besser ist, als sein Ruf, weiß man etwas Ueberraschendes zu berichten. Zwar ist längst bekannt, daß die Gans keineswegs so dumm ist. als man ihr schnöder Weise nachsagt, und daß sie schon ganz rührende Beweise jahrelanger und treuester Anhänglichkeit an Einzelne, ja an ganze Corporationen geliefert hat. Aber weit überragt werden solche „Regimentsgänse“ durch eine ihrer Schwestern, die eine merkwürdige Probe nicht allein von kluger Berechnung, sondern von teilnehmendem Gemeinschaftsgefühl abgelegt bat. Ein Mühlbauer fuhr mit einem beladenen Fruchtwagen durch ein Dorf. Am Ende desselben bekam einer der Fruchtsäcke eine Oeffnung, sodaß ziemlich viel Korn auf die Landstraße verschüttet wurde. Der Fuhrmann faßte von der Frucht am Boden auf, was er konnte, mußte aber, da die Straße sehr schmutzig war, eine beträchtliche Menge Körner zurücklassen. Dies machte sich eine in der Nähe befindliche Gans weidlich zu Nutzen und fraß davon eine Weile recht nach Herzenslust. Plötzlich aber hält sie mit Fressen inne, steht stille, als ob sie sich auf Etwas zu besinnen hätte, lauft dann mit eiligen Schritten in’s Dorf hinein und kehrt nach wenigen Minuten vergnügt zurück, begleitet von ihrer Cameradschaft, die nun auch an dem Glücke sich betheiligte und das durch kameradschaftliche, neidlose Freundschaft bereitete Mahl sich trefflich schmecken ließ.

L. M.