Niederlassungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Vom 31. Mai 1890
[131]
(Nr. 1909.) Niederlassungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Vom 31. Mai 1890.
Seine Majestät der Deutsche Kaiser und die Schweizerische Eidgenossenschaft, von dem Wunsche beseelt, die zwischen dem Deutschen Reich und der Schweiz bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu erhalten und zu befestigen, und von der Absicht geleitet, die Bedingungen für die Niederlassung der Angehörigen des Deutschen Reichs in der Schweiz und der Angehörigen der Schweiz im Deutschen Reich, sowie die wechselseitige Unterstützung Hülfsbedürftiger neu zu regeln, sind übereingekommen, zu diesem Ende einen Vertrag abzuschließen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt, nämlich:
- Seine Majestät der Deutsche Kaiser:
- Allerhöchstihren außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Wirklichen Geheimen Legationsrath und Kammerherrn Herrn Otto von Bülow,
- und
- Allerhöchstihren außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Wirklichen Geheimen Legationsrath und Kammerherrn Herrn Otto von Bülow,
- der Schweizerische Bundesrath:
- den Herrn Bundesrath Numa Droz, Chef des schweizerischen Departements des Auswärtigen,
welche, nach Austausch ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten, sich, vorbehaltlich der beiderseitigen Ratifikation, über folgende Artikel geeinigt haben.
Artikel 1.
[Bearbeiten]- Die Deutschen sind in jedem Kanton der Eidgenossenschaft in Bezug auf Person und Eigenthum auf dem nämlichen Fuße und auf die nämliche Weise aufzunehmen und zu behandeln, wie es die Angehörigen der anderen Kantone sind oder noch werden sollten. Sie können insbesondere in der Schweiz ab- und zugehen und sich daselbst dauernd oder zeitweilig aufhalten, wenn sie den Gesetzen und Polizeiverordnungen nachleben. [132]
- Jede Art von Gewerbe und Handel, welche den Angehörigen der verschiedenen Kantone erlaubt ist, wird es auf gleiche Weise auch den Deutschen sein, und zwar ohne daß ihnen eine pekuniäre oder sonstige Mehrleistung auferlegt werden darf.
Artikel 2.
[Bearbeiten]- Um die in dem Artikel 1 bezeichneten Rechte beanspruchen zu können, müssen die Deutschen mit einem Zeugniß ihrer Gesandtschaft versehen sein, durch welches bescheinigt wird, daß der Inhaber die deutsche Reichsangehörigkeit besitzt und einen unbescholtenen Leumund genießt.
Artikel 3.
[Bearbeiten]- Die Schweizer werden in Deutschland unter der im Artikel 2 des gegenwärtigen Vertrages enthaltenen Voraussetzung die nämlichen Rechte und Vortheile genießen, wie sie der Artikel 1 des gegenwärtigen Vertrages den Deutschen in der Schweiz zusichert.
Artikel 4.
[Bearbeiten]- Durch die Bestimmungen der vorstehenden Artikel wird das Recht eines jeden der vertragenden Theile, Angehörigen des anderen Theiles, entweder in Folge gerichtlichen Urtheils oder aus Gründen der inneren und äußeren Sicherheit des Staates, oder auch aus Gründen der Armen- und Sittenpolizei den Aufenthalt zu versagen, nicht berührt.
Artikel 5.
[Bearbeiten]- Die Angehörigen des einen der beiden Länder, welche in dem anderen wohnhaft sind, bleiben den Gesetzen ihres Vaterlandes über die Militärpflicht oder die an deren Stelle tretende Ersatzleistung unterworfen und können deshalb in dem Lande, in welchem sie sich aufhalfen, weder zu persönlichem Militärdienste irgend einer Art, noch zu einer Ersatzleistung angehalten werden.
Artikel 6.
[Bearbeiten]- Im Falle eines Krieges oder einer Enteignung zum öffentlichen Nutzen sollen die Bürger des einen Landes, die in dem anderen wohnen oder niedergelassen sind, den Bürgern des Landes bezüglich des Schadensersatzes für die erlittenen Beschädigungen gleichgehalten werden.
Artikel 7.
[Bearbeiten]- Jeder Vortheil in Bezug auf Niederlassung und Gewerbeausübung, den der eine der vertragenden Theile irgend einer dritten Macht, auf welche Weise es immer sei, gewährt haben möchte oder in Zukunft noch gewähren sollte, wird in gleicher Weise und zu gleicher Zeit gegenüber dem anderen vertragenden Theile zur Anwendung kommen, ohne daß hierfür der Abschluß einer besonderen Uebereinkunft nöthig wird. [133]
Artikel 8.
[Bearbeiten]- Die Angehörigen des einen Theiles, welche sich auf dem Gebiete des anderen Theiles befinden, aufhalten oder niedergelassen haben und in die Lage kommen sollten, auf Grund der Bestimmungen des Artikels 4 weggewiesen zu werden, sollen sammt Familie auf Verlangen des ausweisenden Theiles jederzeit von dem anderen Theile wieder übernommen werden.
- Unter gleichen Voraussetzungen verpflichtet sich jeder Theil, seine vormaligen Angehörigen, auch wenn sie das Staatsbürgerrecht nach der inländischen Gesetzgebung bereits verloren haben, solange sie nicht in dem anderen oder einem dritten Staate angehörig geworden sind, auf Verlangen des anderen Theiles wieder zu übernehmen.
- Eine polizeiliche Zuweisung soll jedoch, sofern nicht das Heimathrecht des Zuzuweisenden durch eine noch gültige unverdächtige Heimathurkunde dargethan ist, gegenseitig nicht stattfinden, bevor die Frage der Uebernahmepflicht erledigt und die letztere von dem pflichtigen Theile ausdrücklich anerkannt ist.
- Die Transportkosten bis zur Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz werden von dem zuweisenden Theile getragen.
Artikel 9.
[Bearbeiten]- Beide Theile behalten sich in Bezug auf solche Personen, welche vor Erfüllung ihrer Militärpflicht die Staatsangehörigkeit gewechselt haben, das Recht vor, ihnen die Befugniß zum bleibenden Aufenthalte oder die Niederlassung in ihrem früheren Heimathlande zu untersagen.
Artikel 10.
[Bearbeiten]- Die deutschen Eigenthümer oder Bebauer von Grundstücken in der Schweiz und umgekehrt die schweizerischen Eigenthümer oder Bebauer von Grundstücken im Gebiete des Deutschen Reichs genießen in Bezug auf die Bewirthschaftung ihrer Güter die nämlichen Vortheile, wie die am gleichen Orte wohnenden Inländer, unter der Bedingung, daß sie sich allen für die Landesangehörigen geltenden Verwaltungs- und Polizeiverordnungen unterwerfen.
Artikel 11.
[Bearbeiten]- Jeder der vertragenden Theile verpflichtet sich, dafür zu sorgen, daß in seinem Gebiete denjenigen hilfsbedürftigen Angehörigen des anderen Theiles, welche der Kur und Verpflegung benöthigt sind, diese nach den am Aufenthaltsorte für die Verpflegung der eigenen Angehörigen bestehenden Grundsätzen bis dahin zu Theil werde, wo ihre Rückkehr in die Heimath ohne Nachtheil für ihre und Anderer Gesundheit geschehen kann.
- Ein Ersatz der hierdurch oder durch die Beerdigung Verstorbener erwachsenden Kosten kann gegen die Staats-, Gemeinde- oder andere öffentliche Kassen desjenigen der vertragenden Theile, welchen, der Hülfsbedürftige angehört, nicht [134] beansprucht werden. Für den Fall, daß der Hülfsbedürftige selbst, oder daß andere privatrechtlich Verpflichtete zum Ersatz der Kosten im Stande sind, bleiben die Ansprüche an diese vorbehalten.
- Die vertragenden Theile sichern sich auch wechselseitig zu, auf Antrag der zuständigen Behörde die nach der Landesgesetzgebung zulässige Hülfe zu leisten, damit denjenigen, welche die Kosten bestritten haben, diese nach billigen Ansätzen erstattet werden.
Artikel 12.
[Bearbeiten]- Der gegenwärtige Vertrag soll am 20. Juli 1890 in Wirksamkeit treten und bis zum 31. Dezember 1900 in Kraft verbleiben.
- Im Falle keiner der vertragenden Theile zwölf Monate vor dem Ablaufe des gedachten Zeitraumes seine Absicht, die Wirkungen des Vertrages aufhören zu lassen, kundgegeben haben sollte, bleibt derselbe in Geltung bis zum Ablaufe eines Jahres von dem Tage an, an welchem der eine oder der andere der vertragenden Theile ihn gekündigt hat.
- Gegenwärtiger Vertrag soll baldmöglichst ratifizirt und die Auswechselung der Ratifikations-Urkunden spätestens bis zum 10. Juli dieses Jahres in Bern bewirkt werden.
Dessen zur Urkunde
[Bearbeiten]haben die beiderseitigen Bevollmächtigten den vorstehenden Vertrag unterzeichnet, unter Beidrückung ihrer Siegel.
- So geschehen in Bern, den 31. Mai 1890.
Otto von Bülow. | Droz. | |
(L. S.) | (L. S.) |
Schlußprotokoll.
[Bearbeiten]Vor Unterzeichnung des vorliegenden Niederlassungsvertrages haben die unterzeichneten Bevollmächtigten kraft Ermächtigung ihrer beiderseitigen Regierungen eine Verständigung über folgende Punkte getroffen:
- 1. Bezüglich der bayerischen Staatsangehörigen ist der Königlich bayerische Gesandte bei der Eidgenossenschaft zur Ausstellung des im Artikel 2 erwähnten Zeugnisses zuständig.
- 2. Solange die Schweiz vermöge ihrer Gesetzgebung nicht eine Bestimmung darüber trifft, daß für ihre Angehörigen, um die Rechte dieses Vertrages im Deutschen Reich zu beanspruchen, das im Artikel 2 erwähnte Zeugniß ausschließlich [135] von ihrer Gesandtschaft und ihren Konsulaten in Deutschland ausgestellt werden muß, werden die deutschen Behörden einem von der betreffenden schweizerischen Gemeindebehörde ausgestellten Heimathschein und einem von dieser ertheilten Leumundszeugniß, sofern diese Urkunden von der zuständigen Behörde des Heimathkantons beglaubigt sind, dieselbe Bedeutung wie dem im Artikel 2 erwähnten gesandtschaftlichen Zeugniß beilegen.
- 3. Die Angehörigen des einen Vertragsstaates, welche kraft des Vertrages vom 27. April 1876 im Gebiete des anderen in gesetzmäßiger Weise die Niederlassung erhalten haben, werden derselben ohne weitere Förmlichkeit nach den Bestimmungen des heutigen Vertrages theilhaftig bleiben.
- 4. In Bezug auf die Heimbeförderung der unter Artikel 8 des heutigen Vertrages erwähnten Personen werden die mittelst Zusatzprotokolls vom 21. Dezember 1881 zu dem Niederlassungsvertrage vom 27. April 1876 festgesetzten Bestimmungen solange in Wirksamkeit bleiben, als nicht das genannte Protokoll durch ein neues Uebereinkommen zwischen beiden Regierungen ersetzt sein wird.
- 5. Die beiden kontrahirenden Staaten geben sich die gegenseitige Zusicherung, daß in allen Fällen, wo der Artikel 9 in Anwendung kommen wird, der Ausweisung vorausgehend, die Verhältnisse genau untersucht und erwogen werden sollen, und insofern die Umstände ergeben, daß der Nationalitätswechsel bona fide und nicht zum Zweck der Umgehung der Militärpflicht erfolgt ist, die Ausweisung unterbleiben soll.
- Gegenwärtiges Protokoll soll die gleiche Kraft haben, wie wenn es wörtlich in dem Vertrage vom heutigen Tage stünde. Es ist von den beiden Vertragsparteien zu ratifiziren, und die Ratifikationen sind in Bern am gleichen Tage und zu gleicher Zeit wie diejenigen des Hauptvertrages auszuwechseln.
Dessen zur Urkunde
[Bearbeiten]haben die Unterzeichneten das gegenwärtige Protokoll in doppeltem Original unterzeichnet und ihre Wappensiegel beigedrückt zu Bern am 31. Mai 1890.
Otto von Bülow. | Droz. | |
(L. S.) | (L. S.) |
- Der vorstehende Vertrag nebst Schlußprotokoll ist ratifizirt worden und die Auswechselung der Ratifikations-Urkunden hat am 3. Juli 1890 in Bern stattgefunden.