Neugier (Die Gartenlaube 1894/34)
[580] Neugier. (Zu dem Bilde S. 565.) Schwer, sehr schwer ist die Versuchung, die in Gestalt dieses versiegelten Briefchens an unsere neugierige Kammerzofe herangetreten ist. Sie ahnt den Absender und sie ahnt den Inhalt – aber was gäbe sie nicht für die Gewißheit! Vergeblich dreht und wendet sie das Schriftstück nach allen Seiten, vergeblich biegt sie den zusammengefalteten Bogen auseinander, um einen Einblick in das Innere zu gewinnen – umsonst. Der erfahrene Schreiber, der wohl seine Leute kennen mochte, hat es zu gut verstanden, seine hochwichtigen Zeilen jedem unberufenen Auge zu entziehen. Und so bleibt sie ungestillt, die heiße Sehnsucht unserer Donna; denn daß diese sich von ihrer Neugier verleiten lassen würde, das Siegel zu erbrechen und den Brief zu öffnen, das wollen wir ihr denn doch nicht zutrauen!