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Neuere Literatur zur Byzantinischen Geschichte (DZfG Bd. 4)

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Textdaten
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Autor: William Fischer
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Titel: Neuere Literatur zur Byzantinischen Geschichte
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 4 (1890), S. 203–219.
Herausgeber: Ludwig Quidde
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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Quelle: Scans auf Commons
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[203]
Neuere Literatur zur Byzantinischen Geschichte.


Die nachfolgende Uebersicht über die Literatur des Jahres 1889 ist nur ein Bruchstück, wofür die Schuld weniger an dem Verfasser liegt, als an äusseren Umständen. Wer sich mit der Geschichte des mittelalterlichen Byzanz und Griechenlands beschäftigt, weiss zur Genüge, wie schwer es ist, die betreffende Literatur zu sammeln. In der Hauptsache sind desshalb hier zuerst nur die Schriften einer Besprechung unterzogen worden, die in Deutschland erschienen sind, und diese auch noch nicht alle, da aus leichterklärlichen Gründen z. B. verschiedene Zeitschriften bisher noch nicht zugänglich waren, andererseits hier eine Vollständigkeit, wie sie etwa die Jahresberichte der Geschichtswissenschaft haben, nicht beabsichtigt ist.


Quellen. Das Buch A. Güldenpenning’s über die Kirchengeschichte des Theodoret von Kyrrhos[1] versucht eine von den vielen Lücken auf dem Gebiete der Byzantinischen Quellenkritik auszufüllen, das bisher, abgesehen von dem umfassenderen Versuche Ferd. Hirsch’s in seinen Byzantin. Studien, noch ziemlich stiefmütterlich behandelt worden ist. Der historische Werth und die Glaubwürdigkeit der Kirchengeschichte des Theodoretos ist zwar von jeher von den Geschichtsforschern nur gering angeschlagen worden, aber diese Minderwerthigkeit nun auch im Einzelnen nachzuweisen, hatte bisher noch Niemand versucht; denn auch L. Jeep, der im 14. Suppl.-Bd. d. Jbb. f. class. Philol. anregende und werthvolle Untersuchungen über die Quellen der früheren Griech. Kirchenhistoriker veranstaltet hat, hat den Theodoretos nicht eingehender behandelt. G.’s Endurtheil [204] lautet ohngefähr: Theodoretos gibt seine Quellen sehr ungenau wieder, er übertreibt oft, er ist gleichgültig gegen den inneren Zusammenhang der Ereignisse, seine Darstellung ist häufig einseitig und mit Wundergeschichten ausgeschmückt, Neues findet sich bei ihm wenig und das Wenige ist wenig beachtenswerth. Seine Quellen sind in der Hauptsache Sokrates, Sozomenos, sowie Rufinus und Philostorgius, in einzelnen Dingen auch Gregorios von Nazianz, Gregorios von Nyssa, Ephraem Syrus, Athanasius, Sabinus, Eusebius. Die Zeit der Abfassung des Werkes setzt er in die Jahre 441–449, wahrscheinlich 448–449.

Einem grossen Bedürfniss für das Studium der Geschichte des ersten Kreuzzuges kommt H. Hagenmeyer’s neue Ausgabe der Anonymi gesta Francorum et aliorum Hierosolymitanorum[2] entgegen; denn die beiden bisherigen Ausgaben, die von Bongars und die von Ph. Le Bas im Recueil des hist. des croisades, sind einerseits schwer zugänglich, andererseits veraltet. Ausser diesen beiden älteren Ausgaben benutzte die neue noch die vom verstorbenen Grafen Riant hergestellten Collationen von 5 bisher unbenutzten Handschriften. Das Werk des bekannten Herausgebers des Ekkehard von Aura ist mit einer solchen Fülle von gelehrten Anmerkungen ausgestattet, dass der Text daneben kaum den vierten Theil des Raumes einnimmt. Durch diese sowohl wie durch eine ausführliche Einleitung, in welcher über den Verfasser der Gesta und seinen Standpunkt, über Inhalt, Anlage, Abfassungszeit, Sprache und Schreibweise, Quellen und Zuverlässigkeit des Werkes, Benutzung desselben seitens anderer Quellenschriftsteller, endlich über die Codices und Ausgaben in höchst interessanter und lehrreicher Weise unter mehrfacher Polemik gegen neuere Forscher gehandelt wird, werden theils eine Menge streitiger Fragen gründlich erledigt, theils neue Materialien beigebracht oder neue Gesichtspunkte aufgestellt. Kein Forscher wird dasselbe ohne reiche Belehrung und Anregung aus der Hand legen, besonders werden für die, welche sich speciell mit der Byzantinischen Geschichte beschäftigen, die Beiträge zur Kritik der Anna Komnena von Werth sein. Nach dem grundlegenden Werke Sybel’s halte ich es für eines der bedeutendsten Bücher, welche in den letzten Jahrzehnten über die Geschichte des ersten Kreuzzuges geschrieben worden sind, es ist fast mehr eine kritische Geschichte desselben als eine Ausgabe.

G. Raynaud’s Gestes des Chiprois[3] sind eine der wichtigsten [205] Quellen-Publicationen für die Geschichte des Latein. Orients und des gesammten Mittelmeerbeckens, die wir in der letzten Zeit erhalten haben. Der Titel rührt vom Herausgeber her. Das ganze Werk nämlich besteht eigentlich aus 3 verschiedenen Werken, die am Anfange des 14. Jh. von einem Schriftsteller zu einem zusammenhängenden Ganzen zusammengeschweisst worden sind, 1. aus einer Chronik des h. Landes von 1132–1224; 2. aus einer Geschichte des Kriegs der Ibelin gegen K. Friedrich II. von 1218–1242 von Philipp von Navarre; 3. aus einer Geschichte eines anonymen Autors von 1242–1309. Der letztere, der Bearbeiter des gesammten Werkes, hat für 1. und für 3. in der ersten Hälfte von 1242–1270 den libre du Conquest als Quelle benutzt, während die zweite Hälfte, voll von persönlichen Erinnerungen, seine selbständige Arbeit ist. Nach einer höchst wahrscheinlichen Vermuthung des Grafen Riant hiess er Gérard de Monréal, Raynaud aber nennt das 2. Werk vorsichtiger Weise noch Chronik des „Templers von Tyrus“, weil sein Verfasser die ersten Jahre seines Lebens in Tyrus zugebracht hat und offenbar „se rattache d’une façon quelconque à l’ordre du Temple“. Raynaud bespricht sodann im Einzelnen die drei Chroniken ausführlicher, besonders aber den Verfasser der zweiten und die wichtigsten Daten seines Lebens, wie sie sich aus dem Werke selbst ergeben. Beigegeben sind eine chronologische Tafel, die manche Irrthümer der Chroniken berichtigt, und ein Glossar. Man wird den Ausführungen Raynaud’s im Allgemeinen zustimmen können, über die Edition selbst urtheilen kann nur der, welcher erstlich die einzig vorhandene Handschrift eingesehen hat und zweitens sprachlich durchgebildeter Romanist ist. – Nicht minder wichtig und zwar hauptsächlich für die Culturgeschichte wie die Geographie des Lateinischen Orients, besonders des heiligen Landes und des Byzantinischen Reiches, ist eine andere Publication der Société de l’Orient Latin, die Itinéraires Russes en Orient der Mme. de Khitrowo[4]. Der vorliegende 1. Theil, dem ein zweiter mit Einleitung und Tafeln folgen soll, enthält die Erzählung von 16 Pilgerfahrten Russischer Geistlicher und [206] Kaufleute in den Jahren 1106–1561. Eine Anzahl derselben war schon veröffentlicht, aber nur in Russischer Sprache, andere erscheinen hier zum ersten Male in Uebersetzung nach den Handschriften. Im Mittelpunkte dieser Beschreibungen, von denen die eine mitunter ganz moderne Denkungsweise aufweist, stehen meist die Kirchen, Klöster, Reliquien, gottesdienstliche Gebräuche und Paläste, einige beschäftigen sich nur mit Constantinopel, andere nur mit dem heiligen Lande. Eine, und zwar die des Ignatius von Smolensk, berührt auch die politische Geschichte, es werden da die Kämpfe zwischen Johannes VII. und Manuel Paläologos und sogar ziemlich ausführlich des letzteren Krönung erzählt. Im Grossen und Ganzen ergänzen und berichtigen diese Russischen Pilgerreisen in schätzenswerther Weise die Lateinischen Berichte, die seinerzeit eine umfassende Bearbeitung in des Grafen Riant Werk exuviae Constantinopolitanae gefunden haben.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf eine andere für die Topographie wie historische Geographie des Byzantinischen Reiches überhaupt wichtige, noch nicht genügend bekannt gewordene Schrift aufmerksam machen, wenngleich dieselbe schon 1887 erschienen ist: Tomaschek, Zur Kunde der Hämushalbinsel. II. Die Handelswege im 12. Jahrhundert nach den Erkundigungen des Arabers Idrîsî. Wien, Carl Gerold’s Sohn. gr. 8°. 91 S. Die erste wirklich bedeutende kritische Würdigung der Nachrichten des grossen Geographen über das Rhomäerreich, von einer grossen Belesenheit in den einschlägigen oft weit auseinanderliegenden Quellen und hervorragender Sachkenntniss zeugend. Wenn der Raum ausreichte, könnte ich dem Verf. noch eine Anzahl Quellennotizen liefern. Θέρμισν, Θέρμα, Θερμόπολις kommt z. B. schon bei Marcellinus vor, später bei Anna Komnena, u. s. w.

An anderer Stelle dieser Zeitschrift ist bereits kurz die Abhandlung J. Schmitt’s über die Chronik von Morea erwähnt[5]. Die schon von Du Cange gekannte, von ihrem ersten Herausgeber Buchon als Quelle ersten Ranges verwerthete, von Hopf etwas abschätzig als romantisches Gedicht behandelte, aber bisher noch nie genau untersuchte Chronik kann allerdings in ihrem 1. Theile nur relativen Werth beanspruchen, und ihre Hauptbedeutung besteht in einer Darstellung der Culturzastände des 13. Jh. Der Schwerpunkt der neuen Schrift liegt dem entsprechend auch weniger in einer kritischen Würdigung der histor. Bedeutung der Chronik als in der Untersuchung ihrer sprachlichen Eigenthümlichkeiten, deren Ergebnisse aber für den [207] Historiker von Interesse sind. In Betreff der 5 Ueberlieferungen, in denen uns die Chronik vorliegt, dreht sich die Hauptfrage darum, welches die ältere von den beiden hauptsächlichsten Ueberlieferungen ist, ob die Griechische oder die Französische. Während Buchon und Hopf den Französischen Text für das Original hielten, sucht Sch. den Griechischen als den älteren zu erweisen und theilt, wie ich glaube mit Recht, der Copenhagener Handschrift mit ihrer schlechteren Sprache und Versification und ihrem breiteren Inhalte die historische Priorität zu. Andererseits freilich scheint mir auch nach Sch.’s Untersuchungen noch nicht ganz festzustehen, dass die Copenhagener Handschrift das Original selbst ist, wie ebenso wenig bisher nachgewiesen werden konnte, ob dem ursprünglichen Verfasser der Chronik Quellen und welche – Byzantinische wenigstens kann er nicht benutzt haben – ihm vorgelegen oder ob er ganz selbständig gearbeitet hat. Hier hat also weitere Forschung einzusetzen, vielleicht dass sie auch durch neue Funde von Handschriften und Urkunden unterstützt wird. Beigegeben sind noch Untersuchungen über die Aragonesische Chronik, aber diese sowohl wie die Annahme, der Verfasser der Chronik von Morea sei der Venetianer Ghisi gewesen, werden auf allgemeine Zustimmung kaum rechnen können.

Der letzterschienene Band der von Fr. Miklosich und J. Müller herausgegebenen Acta et diplomata[6], der 6. der grossen Sammlung „Acta et diplomata Graeca med. aevi“, enthält die Urkunden des Klosters des hl. Joannes des Theologen auf der Insel Patmos und zwar vom Jahre 1073 bis zum Jahre 1843, an Zahl 164, sodann einen ersten Anhang: Acta principum occidentis pro monasterio Sancti Joannis Theologi in insula Patmo et epistulae abbatum coenobii ad eosdem, 43 Schriftstücke von 1295–1727, welche bis auf eines bisher schon von Bayet, O. Rayet, Sebastian Pauli veröffentlicht waren, endlich einen zweiten: Observationes, emendationes et additamenta. Der grössere Theil dieser Urkunden des Werkes ist hier zum ersten Male dem gelehrten Publicum zugänglich gemacht worden, nur wenige von ihnen waren durch Ross, Hierotheos Florides und Joannes Sakkelion bekannt geworden. Den beiden letzteren, besonders aber dem gelehrten Mönch Florides, verdanken die Herausgeber die Abschriften der Urkunden. – In dem 1887 erschienenen 5. Bande sind eine ganze Reihe von Klöstern, meist der Griech. Inseln und der Peloponnesos vertreten, darunter durch zahlreiche Documente das Kloster Joh. d. T. bei Serrä, dann Chios, die Jon. Inseln, Monembasia [208] Mega Spelaion. Zu bedauern bleibt es, dass den einzelnen Bänden kein Register beigegeben ist. Das erschwert ihre Benutzung ebenso bedeutend, wie der Umstand, dass man es zum Schaden der Leser unterlassen hat, die Zeilen der grossen Seiten etwa in der Art und Weise der editio Bonnensis zu numeriren. Wenn die gelehrten Herausgeber, deren Namen allein für eine tüchtige Arbeit bürgen, sich entschliessen wollten, für die noch folgenden Bände diesem Wunsche nachzukommen, so würden sie wohl auf ungetheilte Dankbarkeit rechnen dürfen.


Darstellungen. In der Revue hist. veröffentlichte der auf dem Gebiete der Kleinasiatischen Dialectologie und Geschichte bekannte Griechische Gelehrte P. Carolides einen interessanten, in grösseren Zügen geschriebenen Aufsatz über die Entwicklung der historischen Studien in Griechenland[7]. Derselbe leidet an einem Fehler, der manchen Arbeiten Griech. Geschichtsforscher anhaftet, dass sie nämlich in einem zu panegyrischen Tone schreiben und Licht und Schatten zu ungleich vertheilen, vorausgesetzt dass sie letzteren überhaupt sehen. Niemand wird z. B. die Verdienste verkennen, welche sich Paparrigopoulos um die Geschichte seines Vaterlandes erworben hat, allein derselbe besitzt doch auch mancherlei Schwächen und diese sind hier ganz verschwiegen. Wenn Carolides die Slavisirungstheorie Fallmerayer’s „doctrines superficielles et qui n’avaient de nouveau que l’apparence“ nennt, so hätte er wohl auch an der Darstellung des Mittelalters durch den Athener Professor etwas Kritik üben können. Auf der anderen Seite gesteht er freilich auch mit anerkennenswerthem Freimuth die Inferiorität der Griechischen Geschichtsforscher in Beziehung auf die allgemeine Weltgeschichte ein. Es ist das ein Gebiet, auf welchem dieselben bisher noch nichts geleistet haben.

In einer sehr scharfsinnigen Abhandlung über Idacius und die Chronik von Constantinopel[8] weist O. Seeck nach, dass der Anonymus Cuspiniani und das fragmentum Sangallense auf der einen Seite, Marcellinus, Prosper und das chronicon imperiale auf der anderen die Annalen von Ravenna bis zum Jahre 419 zur Grundlage [209] haben, und zwar die ersteren in treuester Wiedergabe, die Ravennatischen Annalen aber selbst als Quelle Annalen von Konstantinopel benutzen, welche vom Jahre 419 ab von der letzteren Gruppe ohne die Ravennatische Fortsetzung selbst ausgeschrieben werden. Diese verloren gegangene Chronik werde am reinsten von Idacius repräsentirt, der für die Jahre 324–389 geradezu eine Abschrift derselben und zwar in einer kürzeren ursprünglichsten Redaction darbiete. Von 276–305 fusse Idacius auf occidentalischen Quellen, die nicht immer chronologisch richtig seien, während das chronicon Paschale da, wo es den Annalen von Constantinopel nicht folge, fast nur phantastische Erfindungen enthalte. – In einem Aufsatze[9]: Claudian und die Ereignisse der Jahre 395–8 betrachtet J. Koch diejenigen Gedichte Claudian’s, welche in den genannten Zeitraum fallen, hinsichtlich ihrer Datirung in vielfacher Polemik gegen Jeep, Keller und Birt. Für die Geschichte Ostroms sind in demselben folgende Ausführungen beachtenswerth. Erstlich sollen die beiden Bücher in Rufinum im Jahre 396, die praefatio zu denselben aber erst 397 nach der Rückkehr Stilicho’s vom Pholoesiege verfasst worden sein. Die Ermordung Lucian’s durch Rufinus in Antiochia sodann, die bisher von den Geschichtsforschern, Gibbon ausgenommen, für wenig glaubwürdig galt, ist nach Koch eine historische Thatsache. Endlich finden sich höchst beachtenswerthe Bemerkungen über den Gotheneinfall und den ersten Zug Stilicho’s 395 vor, sowie über den zweiten Zug desselben nach der Peloponnes, der in das Jahr 397 zu setzen sei. – Neue Untersuchungen zur Geschichte der Westgothen, die ja so vielfach in die Byzantin. Geschichte eingreift, veröffentlicht Chr. Stephan[10]. Für uns kommen in Betracht die Capitel VI–VII (379–82). Verf. kennt nicht A. Güldenpenning und J. Ifland, K. Theodosius d. Gr. (Halle 1878), woraus er manche schätzenswerthe Bemerkungen hätte entnehmen können.

J. v. Pflugk-Harttung in einem Aufsatze über Belisar’s Vandalenkrieg[11] schreibt den Untergang des Vandalerreiches (so schreibe ich in Uebereinstimmung mit von Löher, der seiner Zeit diese Schreibung mit guten Gründen vertheidigt hat) der geringen Zahl der Vandaler zu, dem religiösen Unterschiede zwischen Herrschern und Beherrschten (wobei er ausdrücklich hervorhebt, dass die Verfolgungen Andersgläubiger schon desswegen nicht so schlimm gewesen sein können, weil sich beim Einbruch der Byzantiner die Römischen [210] Provinzialen für die Vandaler erhoben[12]), ferner ihrer Verweichlichung und Feigheit, die sie Maurische Völker zu ihrer Vertheidigung herbeiziehen liess, der geringeren Leistungsfähigkeit ihres leichten Reiterheeres gegenüber der Byzantinischen schweren Cavallerie, wie dem Verfall von Heer und Flotte überhaupt, der Erbfolge nach dem Seniorat und schliesslich der kurzsichtigen Politik Gelimer’s, den er mit einer vielleicht zu geistreichen Wendung den ersten Deutschen Romantiker auf dem Throne nennt. Die Geschichte des Feldzuges selbst sodann bietet manchen neuen Gesichtspunkt dar.

L. M. Hartmann’s Untersuchungen zur Geschichte der Byzantinischen Verwaltung in Italien (540–750)[13] sind eine um so willkommenere Gabe, als wir auf dem Gebiete der Byzantin. Verwaltungsgeschichte noch sehr im Dunkeln tappen. Die Zahl der Arbeiten, die sich mit solcher bisher beschäftigt haben, ist äusserst gering, und meist sind dieselben nur entstanden im Anschluss an andere Untersuchungen. Die Hartmann’s haben ein Pendant in Ch. Diehl’s viel umfangreicheren Etudes sur l’administration byzantine dans l’exarchat de Ravenne[14], die eine Menge feiner Beobachtungen enthalten. Beide Arbeiten kommen vielfach zu denselben Resultaten, in manchen Punkten stehen sie sich auch wieder schnurstracks gegenüber. Das Buch Hartmann’s, welches auf ebenso guten historischen wie juristischen Kenntnissen fusst, ist eine recht gediegene Arbeit. Es gibt zuerst eine Geschichte der Byzantinischen Exarchen, deren Stellung in der Beamtenhierarchie ausführlich erörtert wird, sodann werden die verschiedenen Civil- und Militärämter, endlich – und dies ist das interessanteste Capitel des ganzen Buches – die Finanzverwaltung behandelt.

Die Arbeit K. Groh’s über den Kaiser Justin II.[15], an die sich in den Ankündigungen des Teubner’schen Verlags eine recht unerquickliche Polemik mit dem verdienten Prof. Hertzberg knüpfte, verwerthet, so viel ich sehe, zum ersten Male für diese Partie der [211] Geschichte die orientalischen Quellen, und zeigt grossen Fleiss und nicht oberflächliches Eindringen in die Quellen überhaupt. „Selbständigkeit der Forschung“ aber, deren sich Verf. besonders rühmt, ist bei einem wissenschaftlichen Werke heutigen Tages doch wohl selbstverständlich. In der neueren Literatur ist Verf. nicht immer ganz zu Hause. Es bezieht sich diese Bemerkung besonders auf Justin’s Bauten, seine gesetzgeberische Thätigkeit und einige Schriftsteller, z. B. Zonaras, Konstantinos Porphyrogennetos; doch rechne ich ihm diesen Mangel nicht hoch an, da Jedermann, der je in der Byzantinischen Geschichte gearbeitet hat, weiss, wie schwer es oft wird, die betreffende Literatur zusammen zu bringen. Auf der anderen Seite finde ich seine Ausführungen über die Geschichte der Langobarden und Avaren, die vielfach gegen Ranke gerichtet sind, nicht bloss neu, sondern auch beachtenswerth, und der Nachweis, dass Narses kein Verräther gewesen, was bekanntlich schon Finlay im Widerspruche mit den Deutschen Forschern behauptete, scheint mir auf Grund des Joannes von Ephesos erbracht. Manchmal freilich geht Groh in seinen Vermuthungen auch wieder zu weit und seine Polemik könnte etwas milder sein. Für Einzelnes verweise ich auf meinen Aufsatz: Beiträge zur hist. Krit. des Leon Diak. u. Mich. Psellos (MIÖG 7, 376 ff.) und Jeep, Quellenuntersuchungen zu den Griech. Kirchenhistorikern. Leipz., Teubner. 1884, (vgl. meine Rec.: Berl. philol. Wochenschr. 1885, p. 299).

Der Bischof Leontios von Neapolis auf Kypros, thätig unter dem Kaiser Konstantios (642–668), von dem Gelzer in der Hist. Zeitschrift handelt[16], hat besonders zwei Werke von hervorragenderer Bedeutung geschrieben: eine Lebensbeschreibung des Erzbischofs Joannes des Mitleidigen von Alexandreia (610–616) und eine solche des Mönchs Symeon, des „Narren um Christi Willen“, von welch’ ersterer Gelzer eine editio princeps vorbereitet. Was uns dieselben von grossem Werthe erscheinen lässt, ist erstlich die Sprache, das Vulgärgriechische der damaligen Umgangssprache, welche er literaturfähig machte, sodann die Art seiner Darstellung, die an Volksbücher im guten Sinne des Wortes erinnert, endlich der Umstand, dass seine Werke eine Lücke in der an Literatur armen Zeit des 7. Jh. ausfüllen. Sie sind eine wichtige Quelle für die kirchliche Anschauung und das kirchliche Leben, wie für das Leben des Volks in den letzten Zeiten des christlichen Hellenismus im Orient. Leontios schildere, so meint Gelzer, in Joannes das Ideal des Pietismus, [212] während die andern Schriftsteller Joannes und Sophronios ihn von Seiten der Orthodoxie aus beurtheilten, und sein Werk verfolge die Tendenz, die damalige kirchliche Versöhnungspolitik des Kaisers Heraklios zu vertheidigen.

Hauptsächlich mit der Geschichte der Byzant. Kunst beschäftigt sich ein Aufsatz von Ch. Diehl: L’église et les mosaiques du couvent de St. Luc en Phocide[17]. Verf. unterzieht das berühmte Kloster des heiligen Lucas des Jüngeren, welches dessen Schüler in Sotirion in Phokis, wo er zuletzt gelebt, gründeten und mit einer im 11. Jh. prachtvoll ausgeschmückten Kirche, die in ganz Griechenland berühmt wurde, ausstatteten, einer eingehenden Besprechung.

Ueber Michael Psellos handelt eine Studie von Joh. Dräseke[18]. D., der sich durch mehrere hübsche Untersuchungen auf patristischem Gebiete bekannt gemacht hat, bespricht hier hauptsächlich die Thätigkeit des Polyhistors Psellos auf theolog. und philosoph. Gebiete in Anlehnung an die Einleitung, welche Konst. Sathas zum IV. Bande seiner Μεσαιωνικὴ βιβλιοθήκη gegeben hat, und besonders an des Referenten Studien zur Byzantinischen Geschichte des 11. Jahrhunderts. Er erörtert in der Hauptsache den Streit desselben mit dem Patriarchen Xiphilinos, bei welchem es sich um die beiden philosoph. Richtungen des Platonismus und Aristotelismus handelte, und sodann die Stellung, welche Psellos in dem Streite, der zur endgültigen Trennung der Morgenländischen Kirche von der Abendländischen führte, einnahm. Neu ist dabei der Hinweis auf Gregorios von Nazianz und Dionysios Areopagita als Vorbildern theologischen Forschens für Psellos und auf die Gegnerschaft des letzteren gegen den Neuplatonismus.

Das einschlägige Gebiet der Byzant. Geschichte behandelt auch des Grafen Ad. Fr. von Schack Geschichte der Normannen in Sicilien[19], aber das Werk des von uns hochverehrten Dichters, Culturhistorikers und Kunstfreundes hat seine Stärke mehr in anderen Partien, über die ein Urtheil abzugeben dem Referenten nicht zukommt. Auch wenn dasselbe, wie der Verf. hervorhebt, mehr für einen Kreis gebildeter Leser als für Historiker von Fach berechnet ist – desswegen offenbar auch keine specielleren Quellenangaben, was die Controlle ungemein erschwert –, so hätte man doch wünschen dürfen, dass die neueren Forschungen auf unserem Gebiete mehr in Berücksichtigung gezogen und eine Anzahl Irrthümer, bez. Flüchtigkeiten [213] vermieden worden wären. Für uns ist in dem Buche, an und für sich schon entsprechend seiner ganzen Anlage, nichts Neues zu finden[20]. [214] Das aber mag doch bemerkt werden, dass, wie nicht anders zu erwarten, die Form der Schack’schen Darstellung mustergültig ist.

Auf Wolfg. Michael’s schon 1888 erschienene Abhandlung[21] glaube ich noch eingehen zu sollen, da die Deutschen Geschichtsforscher durch dieselbe über den Verkehr der Deutschen mit den Byzantin. Kaisern nicht genügend unterrichtet werden. So sind z. B. nicht oder nicht genügend verwerthet worden Konst. Porphyrogenn. de caerim. aul. Byz. II c. 48 p. 689 ed. Reiske, der Bericht Liudprand’s über seine Gesandtschaft an Nikephoros Phokas, ebenso wenig desselben Schriftstellers Buch I c. 87 p. 393–396 u. c. 88, 396–398, Krause, Die Byzantiner des MA. u. s. w. (Halle 1869) S. 255–264, Gasquet, L’empire byz. et la monarch. franque. Paris 1888. Vereinzelt finden sich auch Irrthümer. Es ist falsch, wenn Verf. die Gemahlin Kaiser Manuels die Tochter von König Konrad’s III. Gemahlin nennt. Die Kaiserin Irene, Gräfin Bertha von Sulzbach, war die Schwester von Konrad’s Gemahlin, also seine Schwägerin, vgl. K. Neumann, Griech. Geschichtschreiber u. G.-Qn. im 12. Jahrh. (Leipzig, 1888) S. 54–58. Schon Hertzberg, G. der Byzantiner u. d. Osman. Reiches (Berlin, 1883) I S. 295 hat übrigens das Richtige.

Die bedeutendste Erscheinung auf dem Gebiete der Byzantin. Gesehichtschreibung ist Ferd. GregoroviusGeschichte der Stadt Athen im Mittelalter[22], ein Werk ersten Ranges, das auf Jahrzehnte hinaus einen Ehrenplatz in der Byzantinologie einnehmen und Anregung zu neuen Forschungen geben wird, ein Meisterwerk nach Form wie Inhalt, dem ich kein anderes auf diesem Gebiete an die Seite zu setzen wüsste. Damit wäre eigentlich meine Besprechung zu Ende – oder aber ich müsste einen ganzen Essay schreiben, um Gr. vollauf gerecht zu werden. Da letzteres hier nicht angängig, so beschränke ich mich auf wenige Andeutungen. Gr. ist ein ebenso gelehrter Forscher wie grosser Künstler. Auf den Schultern des grossen Hopf stehend, dessen Verdienste Niemand freudiger und neidloser [215] anerkennt, als gerade er, wird er wohl nur Weniges in der weit zerstreuten, desshalb schwer erreichbaren, Byzantinischen Literatur übersehen haben, und wenn ihm etwas entgangen ist, so ist es nichts von hervorragender Bedeutung, abgesehen von einigen Französischen Forschungen über die Geschichte des Lateinischen Orients, die er mit Absicht übergangen zu haben scheint. Ausserdem hat er tiefeindringende Forschungen in den Italienischen Archiven gemacht, die unsere Kenntnisse weit über Hopf hinaus erweitern. Gr. besitzt einen weiten welthistorischen Blick, der, oft an Ranke gemahnend, über der Einzelheit nie das Ganze aus dem Auge verliert, ihre Bedeutung für dieses rück- wie vorwärts schauend klarlegt, sich nie ins Kleinliche verliert, auch wenn er Kleines behandelt, scheinbar einander entgegengesetzte Thatsachen unter gemeinsame Kategorien zu bringen weiss. Ebenso hoch möchte ich Gr. den stark sittlich ausgeprägten Charakter seiner Geschichtschreibung anrechnen, der die Thatsachen nicht mit jener farblosen Theilnahmlosigkeit des Gemüths behandelt, sondern auch einmal wie vom Richterstuhle aus hinweist auf die Verwerflichkeit menschlichen Thuns, wie das z. B. im Lateinischen Kreuzzuge gegenüber dem alten Culturreiche von Byzanz zu Tage tritt.

Ich sagte oben, Gr. sei auch ein grosser Künstler. Ich hebe das um so lieber hervor, als wir bekanntlich in der Jetztzeit in Deutschland gerade nicht so sehr viele Gelehrte besitzen, welche Geschichte auch wirklich schreiben können. Ich will gar nicht die saubere und geschickte Anordnung und Gruppirung des oft recht spröden Stoffes, nicht die fein abgestufte Vertheilung von Licht und Schatten, nicht die Kunst, auch der kleinsten und trockensten Notiz Farbe und Leben abzugewinnen und unebene Mosaiksteinchen zu einem organischen Ganzen zusammenzufügen, besonders betonen, aber wahrhaft bewundernswerth sind die Klarheit und Durchsichtigkeit des Stils, die Kürze des Ausdrucks bei aller Anschaulichkeit, die mitunter geradezu poetisch angehauchte Sprache. Gr. ist ein Classiker unter den Geschichtschreibern, und unter den lebenden Deutschen Historikern möchte ich mit ihm als Schriftsteller bei aller Verschiedenartigkeit nur Riehl u. Treitschke vergleichen. Die Byzantinisten sollten sich also freuen, dass er auch ihr Arbeitsgebiet mit einem Werke beschenkt hat, das ein standard work sein wird. Ich würde es desshalb für kleinlich halten, in diesen Blättern an Einzelheiten, über die man anderer Meinung sein kann, herumzumäkeln, einem solchen Wurfe gegenüber geziemt sich die Bescheidenheit und Dankbarkeit des Lernenden. Nur einen Wunsch möchte ich aussprechen, nämlich den, dass es dem hochverehrten Manne vergönnt sein möge, auch die Geschichte [216] der dritten grossen Weltstadt, Byzanz, schreiben zu können. Keiner unter den Lebenden ist für diese schwierige Aufgabe befähigter als Gregorovius.

Im Anschluss an das Werk von Gregorovius bespreche ich gleich zwei andere Werke, von denen das erstere sich auch mit der Geschichte der abendländischen Herrschaften im Orient beschäftigt, das andere in der Hauptsache da einsetzt, wo Gregorovius aufhört. Const. A. Christomanos will in seinem Buche Abendländische Geschlechter im Orient im Anschlusse an Du Cange’s Familles d’outre-mer[23] in summarischer Zusammenfassung der neueren Forschungen eine möglichst genaue Aufzeichnung aller abendländischen Adelsgeschlechter liefern, welche im vorderen Orient während des Mittelalters geherrscht oder sich dauernd festgesetzt haben, mit historischen und genealogischen Bemerkungen und Beschreibung der Wappen, sowie ein allgemeines Wappenbuch des abendländischen sässigen Adels in der Levante. Das ganze Material soll in drei Gruppen vorgeführt werden: 1. die Französischen Geschlechter; 2. die Italienischen; 3. die der anderen Völker. Zu Ende jedes Theiles sollen in einer Tabelle alle vorkommenden Geschlechter nach der zur Zeit der ersten vier Kreuzzüge geltenden politischen Eintheilung der betreffenden Länder geschieden werden. Dies das Programm der Arbeit, deren erstes Heft als Einleitung eine Uebersicht der feudalen Organisation der Fränkischen Staaten im Orient und die Dynastien derselben während der ersten drei Kreuzzüge in Tabellen enthält, deren zweites, wie mir der Verf. mittheilt, die Fortsetzung dieser Tabellen und zwar die infolge des vierten Kreuzzuges errichteten Fränkischen Staaten im eigentlichen Griechenland bringen wird, wonach erst – und dies wäre also das eigentliche Thema des Werkes – die abendländischen Geschlechter als eine Art Fortsetzung des Du Cange behandelt werden sollen. Eine Recension im Literar. Centralblatt macht der Arbeit den Vorwurf, dass dieselbe als jeder Quellenangabe entbehrend völlig in der Luft schwebe, und räth an, entweder den Tafeln eine eingehende Quellenstudie voranzuschicken oder die Tafeln selbst mit Quellenangaben zu versehen. Doch die Einleitung des Werkes zeigt ja, dass Quellenangaben im Texte nachfolgen sollen, und es wäre ein durchaus ungerechtfertigter Pleonasmus, damit nun auch noch die an sich schon schwer zu handhabenden Tafeln zu überlasten. Der Verf. hat mit ihnen, ähnlich wie s. Z. Hopf mit seiner schemat. Uebersicht der Griech. Inseln in den „Zusätzen und Urkunden z. G. der Insel Lesbos“ dem Gelehrten ein gutes, Erleichterung bietendes Hilfsmittel geschaffen, [217] durch welches uns ein Bild der Lehensverfassung des Lateinischen Orients gewährt wird, wie es sonst kaum aus einer andern Arbeit zu fassen sein wird. Man wird desshalb die Fortsetzung der Arbeit nur lebhaft wünschen können, ein endgiltiges Urtheil über dieselbe behalten wir uns bis nach ihrer Vollendung vor.

Die Geschichte Athens unter der Türkenherrschaft[24] von Dem. Kampouroglos ist ein auf mehrere Bände berechnetes Werk (jeder Band in 9–10 Lieferungen erscheinend), von dem mir bis jetzt der 1. Band vorliegt. Gleichzeitig erscheinen von demselben Verfasser Μνημεῖα, in welchen alle möglichen Quellen zur Geschichte Athens zum Abdruck kommen sollen. – Das Hauptwerk, die Frucht einer 15jährigen Arbeit, wie der Verf. versichert, ist weniger für Gelehrte von Fach als für Jedermann geschrieben, der eine Episode der Athenischen Geschichte genauer kennen lernen will, die bisher zwar auch schon von verschiedenen Griechischen Forschern bearbeitet worden war, aber noch immer zu den dunkelsten Partien in der Geschichte der hehren Stadt gehört hat, da die Türkenherrschaft so gut wie keine historischen Documente hinterlassen hat, und manche historische Spur, hauptsächlich im Freiheitskriege, von den Griechen selbst vernichtet wurde. Verf. will eine innere Geschichte Athens schreiben, welche das bürgerliche, öffentliche wie private Leben der Athener bis in seine feinsten Fäden hin verfolgen soll, und zwar alles zu dem Zweck, den Athenern zu beweisen, dass sie die echten Nachkommen ihrer Väter sind, dass kein fremdes Reis dem alten Stamme je eingepfropft worden sei. Ob mit der das ganze Werk durchziehenden patriotischen Gesinnung die Ausführung die gleiche Stufe innehält, ist eine andere Frage. Ich möchte zuerst verneinen, dass das Buch für Jedermann lesbar sei; dazu ist es viel zu breit angelegt und – was damit zusammenhängt – nach einer merkwürdigen Methode gearbeitet, die auf der einen Seite dem Gelehrten nicht genügt, auf der anderen für den „gebildeten“ Leser zu hoch ist. Die ersten 7 Hefte beschäftigen sich nämlich mit der Quellenkunde der betreffenden Periode und bringen nun bunt durcheinander kritische Erörterungen, Auszüge aus den Quellen, Gedichte u. s. w., und was wir gewöhnlich in den Anmerkungen unterzubringen suchen, das ist mit in den Text hineinverwebt. Sodann verdunkelt dem Verf. sein Patriotismus öfters das kritische Auge. Fast alle Zeugnisse gleichzeitiger Griechen, die für Athen ungünstig lauten, sucht K. entweder zu verwerfen oder in ihrem Werthe abzuschwächen, [218] z. B. den Brief der Philothea, der von einem Priester in deren Auftrage geschrieben worden sein soll. Er führt ihn sogar zu Anklagen, die er unmöglich verantworten kann, und verunglimpft uns unseren Fallmerayer in ganz unqualificirbarer Weise. Wenn irgend Jemandem, so muss die Griechische gelehrte Welt dem Fragmentisten zu grossem Danke verpflichtet sein; wesshalb, brauche ich hier nicht erst zu erörtern. In Deutschland wird gewiss Niemand den grundehrlichen Tiroler Fallmerayer für einen Fälscher halten und so lange Herr K. uns nicht den stricten Beweis für die Wahrheit seiner Behauptung betreffs der berühmten φύλλα τοῦ Πιττάκη liefert, sondern nur mit vagen Anschuldigungen arbeitet, müssen wir uns schon – das sind wir den Manen Fallmerayer’s schuldig – dergleichen ebenso wie den Ausdruck, dass F. an einer Monomanie gelitten, mit aller Höflichkeit verbitten. Man sollte in Griechenland doppelt vorsichtig sein, solche Beschuldigungen, die jedes positiven Grundes entbehren, in die Welt zu schleudern; denn was Hopf in Ersch und Gruber 85 S. 110 ff. über Pittakis und seine famosen Fragmente vorgebracht hat, ist bis auf den heutigen Tag noch nicht widerlegt worden. F. war seiner Zeit der bestgehassteste Mann bei den Griechen, aber wir glaubten, diese Zeiten seien dahin, nachdem man in Deutschland selbst mit viel besseren und schneidigeren Waffen, als es ein Grieche je zu Stande gebracht, die Slavisirungstheorie F.’s auf das richtige Mass zurückgeführt hat, z. B. gerade jüngst erst in prächtiger Weise Gregorovius. Warum also die ganze Angelegenheit noch einmal in unangenehmer Weise aufrühren, in Sonderheit wenn Neues nicht zu Tage gefördert werden kann? Damit aber dieser Diatribe der versöhnende Abschluss nicht fehle, gereicht es mir zur Freude auszusprechen, dass das Werk des Herrn K. auch seine verdienstlichen Seiten hat. So muss man anerkennen, dass es mit grossem Fleisse gearbeitet ist, dass K. eine ganze Anzahl neuer, bisher entweder unbekannter oder unbenutzter Quellen erschlossen hat, dass er mancher Frage neue Gesichtspunkte abgewonnen und neue anerkennenswerthe Resultate zu Tage gefördert hat, z. B. stimme ich ihm im Gegensatze zu den Deutschen Forschern gern zu, wenn er die Abfassungszeit der s. Z. von Otfried Müller aufgefundenen descriptio urbis Athenarum ins 8. Jahrh. setzt. Doch muss ich mir ein abschliessendes Urtheil bis nach Vollendung des Werkes vorbehalten.

In Beziehung auf die obenerwähnte Slavisirungsfrage steht auf dem Standpunkte von Gregorovius eine Abhandlung von Alfred Philippson, Zur Ethnographie des Peloponnes[25]. Diese Arbeit [219] fusst, abgesehen von dem historischen Theile, auf persönlichen Eindrücken and Erkundigungen, die Verf. auf seinen Reisen in der Peloponnes von 1887–1889 gewonnen hat. Was den historischen Theil anlangt, so hätte er doch auch die neueren Arbeiten über die Slavenfrage, die sich zum grössten Theile bei Gregorovius I, 112 ff. und 148 ff. citirt finden, in Betracht ziehen sollen und in Bezug auf die Albanesen die trefflichen Studien des Grazer Professors G. Meyer. Die Hopf’sche Annahme von der Entstehung der Namen Navarino und Morea ist veraltet, theilweise auch widerlegt; das Nähere bei Gregorovius I, 309. II, 201. Der 2. Theil behandelt „die heutigen ethnographischen Verhältnisse des Peloponnes“. Am interessantesten ist darin die Ansicht über die Herkunft der Tzakonen, gelöst ist aber auch hier das vielumstrittene Problem noch nicht. Der Schlusssatz der Arbeit wird bei den Griechen, die sich bekanntlich nur höchst ungern „Neugriechen“ nennen lassen, böses Blut machen, wenn sein Inhalt auch wahr ist: „Die heutigen Peloponnesier sind also weit davon entfernt, rein Griechischen Stammes zu sein, sondern sie sind als ein fast völlig Hellenisirtes Mischvolk zu bezeichnen.“ Ob die sauber ausgearbeitete Karte, die eine instructive Zugabe bildet, ihnen auch nicht gefallen wird?

In das Bereich der Byzant. Geschichte möchte ich auch noch die Geschichte der Griech. Colonie in Corsica[26] von N. Phardys mitrechnen. Wir erfahren durch dieselbe, dass im Jahre 1675 sechs- bis siebenhundert Mainoten nach Genua auswanderten, um den Quälereien der Türkischen Gewaltherrschaft zu entfliehen. Die Republik Genua gewährte ihnen auf der Insel Corsica Aufnahme, woselbst sie sich nördlich von Ajaccio ansiedelten und die Stadt Cargere gründeten. Angeblich stammen aus diesen versprengten Griechen die Bonapartes. Ob diese Angabe haltbar, vermag Ref. nicht zu beurtheilen.

Plauen i. V. Juni 1890.

W. Fischer.     



Anmerkungen

  1. A. Güldenpenning, Die Kirchen-G. d. Theod. v. Kyrrhos; eine Unters. ihrer Qn. Halle, Niemeyer. 1889. 101 p.
  2. Heidelberg, Winter. 1889–90. ix 574 p. in 2 Theilen erschienen.
  3. Gaston Raynaud, Les Gestes des Chiprois. Recueil de chroniques franç. écrites en Orient aux 13 et 14 siècles (Philippe de Navarre et Gérard de Monréal) publ. pour la 1e fois par la soc. de l’Orient Latin. Genève, Fick. 1887. xxviij 393 p. (in Deutschland erst 1889 bei Harrassowitz in Leipzig in Commission erschienen). Im Anschluss hieran thut es mir leid, mittheilen zu müssen, dass the journal of Cyprian studies, edited by Max Ohnefalsch-Richter, das auch für die mittelalterl. Geschichte Cyperns von Bedeutung zu werden versprach, mit dem Aprilhefte 1889 aufgehört hat zu erscheinen.
  4. Mme de Khitrowo, Itinéraires russes en Orient, trad. pour la Soc. de l’Or. Lat. I, 1. Genève, Fick. 1889. 334 p.
  5. John Schmitt, Die Chronik v. Morea; e. Unters. üb. d. Verh. ihrer Hss. u. Versionen. Vgl. Bd. I, 500 Nachrr. Nr. 157 f.
  6. Acta et diplomata monasteriorum et ecclesiarum orientis, sumtus praeb. caes. sc. ac. Vindob. collecta, ed. Fr. Miklosich et Jos. Müller. III. Vindob., Gerold. 1890. 452 p.
  7. RH 39, 136–44, Bull. hist. unter dem Titel Grèce.
  8. O. Seeck, Studien z. G. Diocletian’s u. Constantin’s. II. (N. Jbb. f. class. Phil. u. Päd. 1889.) – Seeck hat im selben Jahre noch zwei andere Aufsätze veröffentlicht, auf welche ich jetzt nur aufmerksam mache, um auf dieselben später wieder zurückzukommen, nämlich: Die Zeitfolge der Gesetze Constantin’s (SavZ Bd. 10) u. Die Münzpolitik Diocletian’s u. s. Nachfolger (ZN 17, 1).
  9. Rhein. Mus. f. Philol. N. F. 34, 4 p. 575–612.
  10. Chr. Stephan, Krit. Untersuchungen z. G. d. Westgothen, 372–400. (JB d. Gymn. zu Salzburg 1889.)
  11. HZ 61, 69–97.
  12. Vgl. übrigens damit die besondere Abhandlung von Pötsch: Victor von Vita und die Kirchenverfolgung im Wandalenreiche. In: Gebhardt und Harnack, Texte und Untersuch. zur Gesch. der altchristl. Lit. 1887. Ausserdem als Programm des Realgymnasiums Döbeln erschienen. Nach Victor’s Darstellung freilich kommt man zur entgegengesetzten Ansicht, auch wenn man annehmen wollte, dass dieselbe durchaus parteilich sei.
  13. Leipzig, Hirzel. 1889.
  14. In der Bibl. des écoles d’Athènes et de Rome, fasc. 53. Paris, Thorin.
  15. Kurt Groh, G. d. Oström. Kaisers Justin II. nebst d. Qn.; Hall. Preisschrift. Lpz., Teubner. 1889. 120 p.
  16. H. Gelzer, Ein Griech. Volksschriftsteller d. 7. Jh. (HZ 61, 1–39.)
  17. Bibl. des écoles franç. d’Athènes et de Rome, fasc. 55.
  18. Zu Michael Psellos (Z. f. wiss. Theol. 32, 303–330.)
  19. Stuttgart, Leipzig, Berlin u. Wien, Dt. Verlagsanstalt. 2 Bde. xvj 320 u. 378 p.
  20. Einige Beispiele mögen genügen, um dies Urtheil zu rechtfertigen. Die Kämpfe der Normannen mit den Byzant. Katepanen, S. 105 ff., werden in einem für die ersteren doch mitunter zu günstigen Lichte dargestellt; in der Schlacht bei Peloso z. B. war das Byz. Heer nicht „unermesslich“, vgl. die Chronik von Bari bei Pertz V, 55 und dazu Gfrörer, Byz. Geschichten III, 196. Die Tochter des Robert Wiskard, welche dem jüngeren Konstantinos Dukas verlobt wurde, hiess nicht Helena, diesen Namen empfing sie erst nach ihrer Uebersiedelung nach Byzanz. Sie ist auch nicht mit diesem wirklich vermählt gewesen, wie Schack annimmt, ebenso wenig ist sie dann mit ihm durch Nikephoros Botaneiates ins Kloster verwiesen worden. Die einschlägigen Fragen sind neuerdings behandelt worden von Johannes Seger, Byzantinische Historiker des 10. u. 11. Jahrh. (München, Lindauer 1888), woselbst auch die frühere Annahme, dass Wiskard zwei Tochter, nämlich die vierte und fünfte, „Helena“ und Mabilia, nach Byzanz geschickt hat, endgültig mit überzeugenden Gründen gefestigt ist. Durch die Angabe S. 188: „der Papst (Gregor VII.) sagte ihm (Wiskard) seine Hilfe bei dem beabsichtigten Kriegszuge zu und sprach den Bann über Botaneiates aus“, gewinnt der Leser eine vollständig schiefe Anschauung; es musste doch mindestens der entscheidende Grund des Bannspruches, die Verheirathung des Botaneiates mit der Gattin des gestürzten Kaisers, mit angegeben werden. Unrichtig ist es ferner, wenn Sch. 189 sagt: „Erst am 21. Februar 1082 ergab sich die Festung“; denn der Tag stimmt ebenso wenig wie der Ausdruck. Anna Komnena, auf welche sich Sch. zu stützen scheint, ist hier durchaus unglaubwürdig. Es bedurfte eines dreitägigen Strassenkampfes, ehe man der Festung Herr wurde. Die frühere auf den Latein. Geschichtschreibern fussende Annahme (vgl. auch Hagenmeyer, Anon. Gest. Franc. S. 148), dass Wiskard auf Corfu gestorben, ist unhaltbar geworden, seitdem sich durch einen Fund Hopf’s die Darstellung der Anna Komnena bewahrheitet hat, vgl. Ersch u. Gruber 85 S. 144 Anm. 97. (Bei Gregorovius, G. d. Stadt Athen im MA. S. 194 ist fälschlich, wie ich bei dieser Gelegenheit bemerke, als Todestag der 17. Juni statt des 17. Juli angegeben, vgl. Anna Komn. ed. Reifferscheid II, 547 ff. Muralt, Essai de chronogr. Byz. II p. 57.) Band II S. 74 setzt Sch. die Verheirathung Manuel’s Komnenos in das Jahr 1143 statt in 1146, vgl. Neumann, Griech. G.schreibung und G.quellen im 12. Jahrh. (Leipzig 1888) S. 54 ff. u. Hertzberg, G. des Byz. u. des Osm. Reiches S. 295. Freilich war die Braut schon seit 1142 in Byzanz, wie Neumann nachgewiesen. Endlich hiess der kaiserliche Gesandte nicht Basilius Cherios, sondern Xeros, S. 77, vgl. Kinnam. ed. Bonn. III, 2, 91; der vom Kaiser Manuel mit Hilfsmannschaften gesandte Feldherr nicht Angelus Komnenos, sondern Alexios, S. 112, vgl. Kinnam. IV, 12, 164–166, – und ebenda: Der „Sohn des Kaisers“ soll mit Dukas zum Gefangenen gemacht worden sein? –, und die Geliebte des Andronikos Komnenos nicht Eudoxia, sondern Eudocia, S. 244. Doch genug davon! Und warum die Geschichte des Andronikos in einer G. der Normannen in gewissen Partien viel ausführlicher (so ausführlich, dass sie einer Byzant. Geschichte angehören könnte) behandelt worden ist als andere Ereignisse, die eine viel grössere Bedeutung in der Normannengeschichte haben, vermag ich nicht einzusehen; die Gründe, die Sch. dafür anführt, scheinen mir nicht stichhaltig.
  21. W. Michael, Die Formen des unmittelbaren Verkehrs zwischen den Dt. Kaisern u. souv. Fürsten, vorn. im 10.–12. Jahrh. Hamb. u. Lpz., Voss. 156 p.
  22. Von der Zeit Justinian’s bis zur Türk. Eroberung. Stuttg., Cotta. 2 Bde.
  23. Wien, Selbstverlag. 1. Liefg. 1889. vij p. 5 Tafeln.
  24. Δημητρίου Γρ. Καμπουρόγλου ἱστορία τῶν Ἀθηναίων. Τουρκοκρατία. Ἐκδίδοται ὑπὸ Ἀλεξάνδρου Παπαγεωργίου τῇ ἀρώγῃ τοῦ δήμου Ἀθηναίων. Ἐν Ἀθήναις ἐκ τοῦ τυπογραφείου Ἀλεξ. Παπαγεωργίου 1889.
  25. Sep. a. Petermann’s M. 1890 Heft 1 u. 2. gr. 4°. 20 p. mit Karte.
  26. Ἱστορία τῆς ἐν Κορσικῇ ἑλληνικῆς ἀποικίας. 1889