Neapolitanische Bräute
[436] Neapolitanische Bräute. Die Gesichter früherer deutscher Studenten gleichen, um mit Heine zu sprechen, öfters Albums, in denen sich ihre Freunde sehr leserlich eingetragen haben. In Neapel aber sind es die Frauen, in deren Gesichtern die Liebesabenteuer ihrer Jugend verzeichnet sind. Die Bräute oder solche, die es werden wollen, sind nur zu häufig den leidenschaftlichen Aufwallungen ihrer Verehrer ausgesetzt. Und diese Leidenschaft begnügt sich nicht mit heftigen Ergüssen: sie greift zum Messer. Das ist wenigstens in den niederen Ständen üblich. Der Liebende oder Bräutigam versetzt, in Anwandlung berechtigter oder unberechtigter Eifersucht, dem erkorenen Mädchen mit seinem Rasirmesser einen Schnitt über die Wange; ja, wenn er sich empfindlicher rächen will, so bedient er sich eines gezackten Rasirmessers, weil der Schnitt mit einem solchen weher thut. Die verwundete Geliebte begiebt sich ins Hospital, zeigt aber nie den Thäter an; die Liebe leidet dabei keinen Schaden, das Verhältniß dauert fort. Sie erhält durch diesen Schnitt, wie eine Pflanze durch den Schnitt beim Okuliren, oft nur eine schönere Blüthe. Minder günstig gestaltet sich das Verhältniß, wenn die Mädchen selbst zum Messer greifen, um ihre treulosen Liebhaber zu zeichnen. Auch das ist oft genug der Fall. Diese rühmen sich gerade ihrer „Schmisse“ nicht; aber wie ein deutscher Student mit ihnen seinen Muth und seine Tapferkeit beweist: so trägt eine Neapolitanerin mit Stolz ihre gezeichnete Wange zur Schau, zum Beweis, wie sehr sie geliebt worden. †